Kapitel 12
Randon Banks
Müde reibe ich mir über das Gesicht, schalte meinen Wecker aus. Normalerweise würde ich jetzt aufstehen und ausprobieren, wie gut ich mich bewegen kann, aber ich bin einfach nur fertig. Mir fehlt sowohl die Kraft, als auch die mentale Motivation aufzustehen.
Noch zwei Tage, dann ist endlich Wochenende.
Es ist beinahe völlig dunkel hier, nur das gelegentliche Blinken von meinem Handy erhellt den Raum ab und an ein bisschen.
Aus dem alleinigen Grund, dass ich ihre Antwort lesen will, hebe ich mich aus dem Bett, gehe zu der Kommode, auf der mein Handy liegt. Tatsächlich fühlen sich meine Beine schwach an, der Muskelkater ist allerdings noch nicht da. Es passiert häufiger, dass ich erst zwei Tage später die ersten Anzeichen bekomme, deshalb bin ich jetzt grade einfach nur froh, dass ich laufen kann.
Beim ersten Versuch gebe ich den Pin falsch ein, was mich daran erinnert, dass ich ihn gestern geändert habe.
Das war ein richtig mieser Mittwoch.
Beim zweiten Versuch klappt es und ich öffne auch gleich die Nachricht, auf die ich gewartet habe. Es ist ein verdammt langer Text.
„Sie: Ich kann dich verstehen, keine Sorge. Leider kann ich dir nur allgemeine Sachen dazu sagen, Beziehungen sind nämlich nicht mein Fachgebiet. Du musst jede Frau für sich allein sehen, keine ist wie die Andere. Genau wie bei Männern und Menschen im Allgemeinen. Gut, bisher war vermutlich nichts Neues für dich dabei, aber egal. Es gibt auch immer Fragen, auf die es einfach keine richtige Antwort gibt. „Sehe ich gut aus?" Da kann man nur falsch antworten, denn die Frau will immer das hören, was der Mann nicht sagt oder sie glaubt nicht, dass er ehrlich war. Mach dir also keinen Kopf, wenn ihr deine Antwort auf solchen Fragen nicht gefällt. Sie sollte erwachsen genug sein, um damit umzugehen und dir nicht an den Kragen zu gehen, wenn ihr etwas nicht passt", schreibt sie. Die Nachricht ist noch nicht zu Ende, aber ein Klopfen an meiner Tür lenkt mich ab.
>Ja?<
>Wollte nur wissen, ob du schon auf bist<, höre ich meine kleine Schwester sagen, dann Schritte auf dem Flur. Mit einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass ich tatsächlich ein bisschen spät dran bin, aber ich will die Nachricht noch zu Ende lesen.
„Sie: Das kann man gut oder schlecht finden, aber eine „Formel" gibt es da natürlich nicht. So wie ich das sehe ist sie mit irgendetwas grundsätzlich unzufrieden, will es dir aber nicht sagen. Oder weiß nicht wie, keine Ahnung. Würde ich sie kennen, könnte ich dir da vielleicht besser helfen, aber auch so hoffe ich, dass dir meine Antwort weiterhilft. Gute Nacht." Zu meiner Überraschung hat mir das wirklich geholfen. Ihre Worte haben etwas Aufbauendes und geben mir ausnahmsweise nicht das Gefühl alles falsch gemacht zu haben. Dank ihr weiß ich jetzt auch, dass Lesley irgendetwas stört. Dass sie jeden Tag ein neues Thema hat, über das sie sich auslässt, weiß ich. Das ist nicht zu überhören. Aber etwas Grundsätzliches ist mir nicht aufgefallen. Wenn ich so darüber nachdenke, kann das aber gut sein.
Seit letzten Freitag hat sie diese Stimmungsschwankungen und ihre Tage hat sie nicht, das weiß ich. Vielleicht muss ich einfach nur herausfinden, was da passiert ist und das korrigieren. Das heißt, mit ihr darüber reden und das klären. Aber erst muss ich wissen, was sie stört.
Am besten, ich frage sie einfach.
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Es ist eine schlechte Idee gewesen, sie einfach zu fragen. Schon gar nicht draußen auf dem Parkplatz. „Was ist Freitag passiert?", habe ich sie gefragt, ganz neutral. In meiner Stimme waren kein Vorwurf, keine Drohung und auch kein schulbewusster Unterton. Trotzdem ist sie plötzlich bleich geworden, dann ist ihr die Röte ins Gesicht gestiegen.
Ihr Blick ist mörderisch. Das bedeutet dann wohl, dass ich etwas verbrochen habe.
>Was passiert ist fragst du? Nichts ist passiert<, fährt sie mich giftig an. Sie hat Mühe nicht zu schreien, das sehe ich ihr an. Ich will ihr sagen, dass ich das nicht glaube, aber sie ist noch nicht fertig. >Und genau das ist das Problem, Randon<, spricht sie weiter, bohrt mir ihren Finger in die Brust. Ratlos sehe ich sie an, in ihr wütendes Gesicht, versuche zu erraten, was sie meint.
Wenn ich nichts getan habe, warum ist sie dann so sauer?
>Es ist vorbei<, setzt sie nach, dreht sich um und geht davon. Mein Mund öffnet sich, um etwas zu erwidern, doch es kommt nichts raus.
Was war das denn jetzt?
Stumm bleibe ich stehen, sehe ihr nach. Das hier verletzt mich. In den letzten Tagen habe ich alles versucht, um sie glücklich zu machen. Vorher auch schon, aber seit ich am Samstag gemerkt habe, dass sie Trübsal bläst, habe ich alles gemacht, was sie wollte. Wirklich alles. Nur kommt von ihr nichts mehr zurück. Sie gibt mir nichts, womit ich arbeiten kann. Sie sagt mir nicht, was sie will, was sie sich wünscht und ich muss es aus ihr herauskitzeln, wenn sie mich anschweigt und mir nicht sagt warum.
Das alles war für mich nicht schlimm, weil die ersten zehn Wochen super gelaufen ist und wir uns davor schon richtig gut verstanden haben, aber das alles erklärt ihre Reaktion nicht.
Ich verstehe das einfach nicht.
Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, doch ich beiße die Zähne zusammen. Immer versuche ich das Richtige zu tun, bin nur mit einer Frau zusammen, wenn ich sie mag und mir mehr mit ihr wünsche und dann passiert so etwas.
Es kann doch nicht sein, dass ich jedes Mal dieselben Fehler mache.
Mein Handy vibriert, darum ziehe ich es aus meiner Jeans und öffne die Nachricht. Jede Ablenkung ist mir willkommen.
„Sie: Wo bist du? Ist alles in Ordnung?" Stirnrunzelnd sehe ich auf die Uhr. Tatsächlich hat der Unterricht schon angefangen.
„Randon: Bist du in meinem Bio-Kurs?" Das würde mich wirklich wundern. Schon allein deshalb, weil sie sich damit nahezu verraten hätte. Somit würde der Kreis der möglichen Personen deutlich schrumpfen.
Froh bin ich jedenfalls über das Ende ihrer langen Nachricht, die ich heute Morgen gelesen habe. Wenn sie keine Freundin von Lesley ist, ist sie schon Mal keine von denen, die immer an mir und meinen Freunden kleben, um uns herum schwirren wie die Fliegen.
„Sie: Nein, bin ich nicht. Du hast mir nicht auf die Frage auf dem Zettel in deinem Schließfach geantwortet. Alles in Ordnung?", fragt sie wieder. Unsicher setzte ich mich in Bewegung, steuere das Schulgebäude an.
„Randon: Nein. Möchte aber nicht darüber reden. Schreibe dir später", antworte ich knapp, gehe nach drinnen und direkt zu meinem Schließfach.
Tatsächlich liegt ein Zettel auf der Brotdose mit einer Inhaltsangabe von dem heutigen Müsli und der Bitte ihr zu sagen, ob es geschmeckt hat und ob ich es nächstes Mal anders haben möchte.
Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Sie hat sogar den Joghurt in eine andere Dose als das Müsli gefüllt, damit es nicht weich wird.
Es dauert einen Moment, bis ich merke, dass sich Tränen in meinen Augen bilden.
Was ist denn jetzt auf einmal los?
Das Ende mit Lesley war überraschend, obwohl es in den letzten Tagen ein bisschen schlechter gelaufen ist. Ich dachte nicht, dass es so endet. Nicht so schnell und schon gar nicht aus einem Grund, den ich nicht verstehen würde. Nach dem kleinen Streit im Tierpark dachte ich mir schon, dass es ein bisschen Zeit braucht, bis alles wieder rund läuft. Nur wäre ich nie darauf gekommen, dass es heute schon vorbei ist. Dass sie mich verlässt, ohne mir irgendetwas zu erklären. Bisher gab es immer noch die Chance etwas wieder aufzubauen, grade zu biegen oder es einfach noch einmal zu versuchen. Diese Möglichkeiten gibt es bei ihr offenbar nicht.
„Randon: Ich gehe nach Hause. Nehme dein Essen mit und stelle die Dosen morgen wieder in mein Fach. Danke." Sobald die Nachricht weg ist, packe ich das Brot und das Müsli in meinen Rucksack, schließe mein Schließfach wieder ab und gehe. Mein Handy vibriert, vielleicht hat sogar Sie geantwortet, aber ich sehe nicht nach.
Ich will jetzt einfach nur allein sein.
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Meine Mutter will grade zur Arbeit los fahren, als ich nach Hause komme und hat schon eine Schimpftirade auf den Lippen, doch sobald sie mein Gesicht sieht, hält sie inne.
>Was hast du denn?<, will sie besorgt wissen, legt eine Hand an meine Wange, doch ich schiebe sie gleich wieder weg.
Wenn sogar sie mir ansieht, dass etwas nicht stimmt, muss ich wirklich übel aussehen.
Meine Mutter ist sehr streng, was das angeht. Ein normaler Schnupfen ist kein Grund zu Hause zu bleiben, dazu braucht es mindestens ein Fieber.
>Mir geht es nicht so gut. Morgen gehe ich wieder in die Schule.< Sie nickt knapp, lächelt mich vorsichtig an.
>Dann rufe ich in der Schule an und gebe Bescheid. Ja?< Mit einem knappen nicken hebe ich die Hand zum Abschied und lasse sie stehen. Ihre Absätze klackern auf dem Weg zum Auto, während ich die Haustür aufschließe und nach drinnen gehe. Da meine Mutter jetzt auch weg ist, gehört das Haus ganz mir und niemand nervt mich, weil ich mitten auf dem Flur an der Wand sitze und das Gesicht in den Händen vergrabe.
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30.11.2018
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