Kapitel 6 - Ein Moment in der Historie

„Wir sind da, Liv", eröffnete er mir mit voller Vorfreude. Mein Körper spannte sich an und ich atmete lange ein und lange aus. Als ich bereit war, nahm er mir die Augenbinde ab.

Sprachlos. Ich war einfach nur sprachlos.

„Ich denke, ich werde mein Hemd behalten", lachte er mich grinsend an.

Ich sah ihn überglücklich an und war einfach nur fasziniert.

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„Wir gehen da wirklich hoch?", fragte ich ungläubig und starrte wie ein kleines Kind in die Höhe. Die Licht-Reflektionen des Sonnenuntergangs spiegelten sich in der Glasfassade des Gebäudes, als ob sich ein pink-orangener Schleicher um das Gebäude gelegt hätte.

Das Empire State Building.

Obwohl ich schon seit fast zwei Jahren in New York war, hatte ich es noch kein einziges Mal geschafft hinauf zu fahren. Klischeehaft, kommentierte die sarkastische Kopfstimme in mir.

Anstatt mir zu antworten zauberte er zwei Tickets hervor und hielt sie mir einladend vor die Nase. Ich schüttelte lachend den Kopf, das konnte doch wohl nicht wahr sein. Das Empire State Building war die Touristen-Attraktion schlechthin und wäre ich schon einmal oben gewesen, wäre es keine sonderlich gute Überraschung geworden.

Er senkte seine Hand, sodass ich in sein schmunzelndes Gesicht schauen konnte. Misstrauisch musterte ich seine Augen und die Züge um seinen Mund, um vielleicht heraus zu bekommen, ob einer meiner Freunde mich verraten hatte. Undurchschaubar, dieser Kerl.

„Gut, dann lass uns rein gehen", forderte ich ihn auf und ging los, blickte nach links und rechts, um mich zu vergewissern nicht überfahren zu werden und lief schnurstracks in das Parterre des Wolkenkratzers.

Er folgte mir und innen drin setzte er sein charmantes Nathan-Lächeln auf. Fixiert auf die Empfangsdame flanierte er zum Tresen und quatschte ein bisschen mit ihr. Sie lächelte breit, genoss seine Aufmerksamkeit ersichtlich bis er dann die Tickets auf den Tresen legte und der Glanz in ihren Augen leicht enttäuscht schwand.

Wie ich sie dabei beobachtete, fragte ich mich eindringlich, ob ich auch immer so lächerlich naiv aussah, wenn Nathan mit mir sprach und seinen Charme spielen ließ. Er hatte eine gewisse Wirkung auf mich, das war mir nicht entgangen. Jedoch erschrak ich ein wenig davor, wie sehr ich ihm doch in die Arme spielte.

In Gedanken versunken führte er mich zum Aufzug und erst als es zu Beginn ein wenig ruckelte, wachte ich auf. Darüber müsste ich mir noch einmal Gedanken machen und definitiv mit Anne sprechen. Vielleicht sogar mit meiner Schwester, schließlich hatte sie gegenwärtig die gesündere Beziehung zu einem Mann.

Ich schmunzelte bei dem Gedanken an ihre Hochzeit auf dem Gestüt von Calebs Eltern. Laut bisherigen Planungen sollte alles etwas ländlicher und weniger luxuriös ablaufen, Fast schon das Kontrastprogramm zur Hochzeit von Stacy und Robert.

„Ich mag es, wenn du verträumt deinen Gedanken nachhängst", gestand Nathan und sprach dabei mein Verhalten im Parterre an. Meine Wangen röteten sich und ich versuchte mein Lächeln frech und weniger schüchtern aussehen zu lassen. Kläglich gescheitert, dachte ich mir feierlich.

Die Türen des Aufzuges öffneten sich und meine Augen suchten den kürzesten Weg auf die Aussichtsplattform. Voller Vorfreude ging ich schnellen Schrittes nach an die Reling und blickte über den Horizont New Yorks. Nathan hatte ich einfach da stehen lassen.

Den Sonnenuntergang hatten wir zwar verpasst, aber wie plötzlich alle Lichter der einzelnen Häuser und Straßenlaternen angingen, war atemberaubend. Ich blickte über die einzelnen Dächer der Wolkenkratzer, die nicht annähernd so hoch waren, wie dieses Gebäude und dieses bestimmte Gefühl stieg in mir hoch, das man auch an Flughäfen bekam. Manchmal sogar an den Hauptbahnhöfen von Großstädten.

Die Welt war soo riesig und man selbst ist nur so ein kleiner Teil davon. Richtig winzig, wenn man alles vom Mond aus betrachtet.

„Beachtlich, wenn man bedenkt, dass das Empire State Building schon 1931 eröffnet wurde, oder?", fragte Nathan, der seinen Weg zu meiner rechten gefunden hatte.

„Ich wette, dass du das genaue Eröffnungsdatum auch kennst und nur darauf brennst, es mir zu erzählen", neckte ich ihn. Dass es wirklich so war schockierte mich keineswegs. Mittlerweile kannte ich Nathan auch ein Stück besser, selbst wenn ich ihn immer noch nicht einschätzen konnte. Wenigstens brachte er mich nicht mehr allzu sehr aus dem Konzept, ich war bereits auf unnötige Zahlen, Fakten und Definitionen eingestellt.

Er schmunzelte. „Wie Recht du doch hast". versuchte er mir zu schmeicheln. „Es hat 102 Stockwerte. Diese Aussichtsplattform hier ist die 86.Etage und bis zum höchsten Punkt misst es 381 m."

„Wenn dir die IT-Branche zu langweilig ist, solltest du ein exklusiver Touristenführer werden", kommentierte ich lachend und er stimmte kurz mit ein, zwinkerte mir zu und wand sich ab.

„Verschwendung meines Talents", wisperte er leiste in die entgegengesetzte Richtung, doch ich konnte es noch so klar hören, dass ich mich überhaupt nicht traute nachzufragen, was er damit meinte.

Wie verblieben noch eine kleine Weile dort oben und unterhielten uns in einer lockeren Atmosphäre, doch eigentlich sogen wir die meiste Zeit hinüber diese unglaubliche Ruhe der Stadt in uns auf. Die kleinen Autos, die in dieser Höhe lautlos die Straßen entlang glitten. Die winzigen Menschen zwischen den hohen Gebäuden.

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„Wollen wir uns noch ein wenig setzen?", fragte Nathan und blickte mich abwägend an, überlegte wie wach ich noch sei.

„Gern", erwiderte ich und unterdrückte ein Gähnen, was er glücklicherweise nicht mitbekam. Ich steuerte auf die nächstbeste Bank zu, die hier im Madison Square Garden, der Park in der Nähe meines Apartments, stand.

„Nein, warte hier", bat Nathan mich geheimnisvoll und verschwand nach den nächsten zehn Metern hinter den Büschen. Zwei, vielleicht aber auch drei Minuten später, ging eine kleine Lampe in dem Park-Café an und er kam durch die Vordertür heraus stolziert, natürlich breit grinsend.

„Ich kann da nicht rein", lehnte ich aufgeregt ab. „Wir können da nicht einfach einbrechen! Wir bekommen massig Probleme, wenn wir erwischt werden", versuchte ich ihm aufgebracht zu erklären.

„Ich kenne den Besitzer, er weiß Bescheid und hat mir den Schlüssel gegeben", erwiderte er daraufhin mit ruhiger Stimme. Misstrauisch betrachtete ich diese zwielichtige Situation.

„Wie heißt der Besitzer?", fragte ich mit zusammen gekniffenen Augen. Das hier wurde alles wirklich komisch. Nathan war zu einflussreich. Erst das teure Restaurant in dem wir so kurzfristig einen erstklassigen Tisch bekamen und jetzt soll er auch noch ein guter Freund von Mr. Havershame sein? Unmöglich.

„Elyas Theodor Havershame", entgegnete er voller Ruhe. Tatsächlich.

„Wie heißt seine Tochter?", fragte ich zögernd. Wirklich überzeug war ich nicht. Namen konnte man googeln, Theo änderte nur einmal in der Woche den Code für die Alarmanlage und um die Tür von innen zu öffnen brauchte man keinen Schlüssel, nur von außen.

„Er hat keine Tochter, zumindest keine leibliche. Wenn du seine rothaarige, rebellische Nichte meinst, dann -", er stockte und sah mich genervt an, „ -vertraust du mir wirklich nicht?"

Er kannte Havershame und seine Familie also wirklich gut, denn Kunden des Cafés dachten immer, dass sie Theos Tochter war und nicht die seiner blonden Schwester.

„Tut mir Leid", gestand ich und lief langsamen Schrittes auf ihn zu. „Ich will keine Probleme bekommen", erklärte ich ihm und fügte hinzu, „da drinnen sind wirklich viele Cameras."

Egal wie dumm das in meinen Ohren klang, er grinste und konnte ein leises Auflachen nicht verhindern. Mir gefiel, dass die angespannte Situation zwischen uns sich wieder gelockert hatte.

„Du arbeitest also hier?", schlussfolgerte Nathan aufgrund meiner Fragen und des Camera-Wissens.

„Ich mache Kaffee oder koche Tee, schneide Kuchen und spreche mit entspannten Leuten, die gerne Trinkgeld geben", schwärmte ich von dem Nebenjob hier. An zwei Nachmittagen in der Woche arbeitete ich hier und an einem Vormittag bis nach 14 Uhr.

„Es ist angenehm das Wasser der kleinen Fontänen plätschern zu hören. Einen besseren Minijob könnte ich mir nicht vorstellen", fuhr ich fort und setzte mich im Schneidersitz auf meine Lieblingscouch, schnappte mir ein Kissen, um es mir auf den Bauch zu legen und fühlte die wohlige Wärme, die von den restlichen Sonnenstrahlen durch die Glasfront gespeichert war.

„Passt irgendwie gut zu dir, auch wenn ich den Gedanken anfangs irgendwie abwegig fand", kommentiert er ehrlich und machte sich auf den Weg Richtung Kühlschrank.

„Du musst es in das Logbuch schreiben, wenn du außerhalb der Verkaufszeiten etwas aus dem Vorrat nimmst. Theo wird deinen Namen schon erkennen", klärte ich ihn auf und deutete ihm, wo das Logbuch stand.

Ich lehnte mich zurück, betrachtete die gemütlichen Stoffcouches und die dunklen sowie weil lackierten Holztischen. Die unterschiedlich hohen Topfpflanzen hier drin und die Orchideen, die meist auf den größeren Beistelltischen standen, um den großen Raum ein wenig zu trennen. Kleine Lampions hingen von der Decke und am Boden verteilt standen große Laternen, manche aus Holz und manche aus Edelstahl, in denen gleich mehrere Kerzen standen. Es hatte wirklich Ähnlichkeiten mit einem Gewächshaus, stellte ich glücklich fest.

Unsere Kuchen standen in einer Vitrine neben der Kasse, die auf der dunkelbraunen Holztheke stand, umgeben von ein paar durchsichtigen Keksdosen aus Glas, in denen wir drei verschiedene Sorten von Schokocookies verkauften.

„Kannst du mir einen Espresso machen?", fragte Nathan dreist und sah mich abenteuerlustig an. Es wäre bestimmt lustig gewesen.

„Es ist so eine Arbeit, die Kaffeemaschine wieder sauber zu machen...", versuchte ich mich seiner Bitte zu entwinden. Doch so langsam hätte ich auch gerne den Geschmack von warmer, italiensicher Röstung in meinem Mund gehabt. Ich zweifelte und schüttelte dann nochmals den Kopf, um meine Aussage zu verstärken.

„Ne, wirklich nicht. Aber wir haben glaube ich noch einen alkoholfreien Hugo da", bot ich als Alternative an. Der alkoholfreie Hugo war von einem Mitarbeiter und mir als reserviert gekennzeichnet und Dave würde mir bestimmt verzeihen, wenn wir die bereits angebrochene Falsche leeren würden.

„Da sage ich nicht ‚Nein'", lachte Nathan und bewegte sich Richtung Glasschrank.

Ich verließ also meine Lieblingscouch, ging zum Gefrierfach, um Eiswürfel heraus zu holen und sie in die Weingläser zu legen, die Nathan mir soeben auf die Arbeitsfläche gestellt hatte. An ihm vorbei geschlängelt, griff ich mit beiden Händen zur Minze, die in einem unserer Kräuterköpfchen standen, und löste sanft zwei Enden mit je drei kleinen Blättchen ab.

Diesmal schob ich Nathan mit meiner Hüfte und meinem Arm einfach beiseite, legte die Miniblätter in die Gläser und gab ihm einen kleinen Schubs, um den Kühlschrank am anderen Ende zu erreichen. Mit der Flasche in der Hand lief ich bewaffnet zurück zu den Gläsern und füllte sie beide auf. Er nahm sich eines, roch daran und nahm einen Schluck.

„Du kannst nicht beste Qualität erwarten. Alkoholfrei mixen wir nicht selbst, sondern der wird fertig gekauft", sprudelte es aus mir heraus. Das Madison Square Café hatte gute Qualität, ich musste es doch verteidigen. Meine Arme neben mir abstützend, lehnte ich mich nach hinten an die Arbeitsfläche an.

„Ich hab dich nicht angegriffen", entgegnete er mir, als er sich nach vorne lehnte, um sein Glas neben mir abzustellen. Ich senkte den Kopf und sah mir sein weißes Hemd genauer an. Er war so nah, dass ich ganz leicht noch den Geruch seines Waschmittels wahrnehmen konnte. Ich musste mich konzentrieren, um nicht zu seufzen. Frisch Gewaschenes roch einfach unglaublich gut, ich liebte diesen weichen Eindruck und sog ihn vollständig auf.

Nathan nahm die Hugo-Flasche von der Theke und stellte sie zurück in den Kühlschrank, schließlich war noch ungefähr ein Glas drin. In der Zwischenzeit löste sich meine Starre, ich nahm beide Gläser und lief zurück zu meiner Lieblingscouch, stellte die Gläser auf dem weißen Tischchen davor ab und machte es mir wieder gemütlich.

Nathan schlenderte auch zu mir und setzte sich ans andere Ende der Couch, mir quasi gegenüber. Wir genehmigten uns beide einen Schluck und musterten uns so lange, dass wir schließlich beiden lachend da saßen, ohne dass irgendein Wort gefallen war.

„Je später sich die Stunde neigt, desto schlagfertiger wirst du", offenbarte er mir aus dem Nichts. Ich bedankte mich schmunzelnd und nickte, um dies zu untermalen.

„Du lachst vielleicht, weil du meinst, dass das normal ist. Zu einem gewissen Grad stimmt es ja allgemein, dass Menschen sich ab einer bestimmten Uhrzeit öffnen und ehrlicher werden... aber bei den meisten Menschen zeigen sich dadurch ihre Schwächen", versuchte er mir zu erklären.

Ich sah in abschätzend an, um heraus zu finden, ob er mich vielleicht aufziehen will. Schließlich hatte er das oft genug getan.

„Hm, das wurde oft genug in den Psychologie-Vorlesungen angesprochen. Je müder man wird, desto schwieriger wird es, seine Fassade aufrecht zu erhalten", erklärte ich mit leichten Worten. Eigentlich war es logisch, doch an Nathans Blick erkannte ich, dass ihn dieses simple Phänomen genauso faszinierte, wie mich.

„Ich denke, dass es mir Richtung Nacht hin immer leichter fällt Dinge zu sagen, bei denen ich vorher überlegen würde, ob ich mit meinen Worten nicht verletzen würde. Dieses Risiko hast du gerade freiwillig in Kauf genommen, also mach dich auf die unverblümte Wahrheit gefasst", warnte ich ihn leicht lachend. Es war doch wirklich so. Jeder war so. Ganz so toll und besonders war ich deswegen nicht, nur weil ich deutlich sarkastischer wurde.

„Immer wenn ich darüber nachdenke, wie viel Macht Worte haben können, bekomme ich Lust wieder einmal ein etwas älteres Buch in die Hand zu nehmen und einzelne Szenen daraus zu lesen. Oder in ein Kunsthistorisches Museum zu gehen, sich ein Theaterstück anzuschauen oder...", er suchte konzentriert nach einer weiteren außergewöhnlichen Möglichkeit, sich mit der Historie und dem Wandel der Auffassungsgaben von Künstlern und Autoren zu beschäftigen, als läge es ihm bereits auf der Zunge.

„Oder einfach in eine alte Stadt zu reisen, die man noch nicht besichtigt hat und einfach durch die Straßen der Altstadt zu laufen, die Monumente zu betrachten und ihre architektonischen Kräfte in sich aufzusaugen. - Wie zum Beispiel die rustikalen Mauern und Türme der italienischen Großstädte...", beschrieb ich dieses wohlige Gefühl. - „Weißt du, was ich meine?", fragte ich schließlich vorsichtig, da ich nicht wusste, ob er verstehen konnte, welches Gefühl ich meinte.

„Hm", er nickte aufrichtig. „Aber es müssen keine Gebäude sein, sondern alleine die Ölmalerei mit den Schichtungen der Farben... Kennst du die Hochzeit der Arnolfini aus dem 15.Jahrhundert?", fragte er mich, als wären wie beide Kunstliebhaber aus tiefsten Herzen, die jedes Gemälde mit seinen Randinformationen in und auswendig kannten und spaßeshalber mit den Jahreszahlen um sich warfen.

„So genau beschäftige ich mich dann doch nicht damit", gab ich zu, schenkte ihm einen entschuldigenden Gesichtsausdruck und hoffte, er würde trotzdem näher auf das eingehen, was er sonst auch angesprochen hätte.

„Zur Zeit hängt es in der National Gallery of Art in London und es ist auch gar nicht allzu groß, nur 82 x 60 cm, aber dennoch sehr detailliert gemalt. Der Künster, Jan van Eyck, war einer der Ersten, der einen bedeutenden Schritt von den damalig benutzen Tempera-Farben zur Öl-Malerei machte.

Auf seinem Gemälde sieht man links den Bankiersmann Giovanni Arnolfini und er reicht seine linke Hand einer madonnenhaft gemalten Frau, die sich ihren scheinbar schwangeren Bauch hält - allerdings weiß man nichts genaueres dazu.

Im ganzen Inventar und der Kleidung spiegelt sich der Reichtum der Familie dar und in verschiedenen kleinen Symbolen, wie beispielsweise einem kleinen braunen Hund zur den Füßen der Frau, der die ewige eheliche Treue ihm gegenüber symbolisiert, werden die Einzelheiten des damaligen sozialen Lebens herausgestellt. Ohne diese Details zu kennen ist das Gemälde wirklich langweilig", erklärte er begeistert und schien in seinem Element versunken zu sein.

Ich versuchte mir anhand seiner Beschreibungen vorzustellen, wie es ausgesehen haben könnte, aber das reichte ihm nicht. Er holte sein Smartphone hervor und googelte eine gute Auflösung einer Farbfotografie.

Er rückte näher und legte mir das Smartphone in die Hände, damit ich mir die Arnolfini-Hochzeit in Ruhe ansehen könnte. Ich nahm die roten, grünen und lilanen Farbtöne in ihren Facetten auf und schloss die Augen, um es lebendig werden zu lassen.

Ich sah nochmals auf das Bild. „Wahnsinn wie klein dieser Spiegel an der hinteren Wand gemalt sein muss... und so detailliert und im korrekten Winkel, die Wölbung ist nahezu perfekt berechnet", kommentierte ich schließlich auch etwas faszinierter.

„Ah, da fällt mir noch etwas Interessantes zu dem Spiegel ein. Ich glaube, dass du es nicht sehen kannst, wenn du ran zoomst. Aber auf dem Original kann man sehr gut erkennen, dass der Hund, der ja für die eheliche Treue stehen sollte, im Spiegel nicht zu sehen ist", fügte er beeindruckt seinen Erklärungen hinzu.

„Da hat sich der Künstler aber einen Spaß erlaubt", lachte ich überlegte, ob dieser Bankiersfamilie diese Dreistigkeit überhaupt je aufgefallen war. Schließlich konnte das nicht in ihrem Interesse gewesen sein, da war ich mir sicher.

Wir quatschten mit Sicherheit noch eine halbe Stunde bis ich den letzten Schluck von meinem aufgewärmten Hugo genoss, wie die Gläser hinter die Theke in die Küche brachten und Nathan sie abspülte. Währenddessen machte ich die Lichter und Kerzen in den Laternen aus. Wie verließen das Madison Square Café durch die Hintertür und er begleitete mich noch zu meinem Apartment.

„Nathan, wir müssen hier links abbiegen", wies ich ihn schmunzelnd darauf hin, dass er guten Mutes in die falsche Richtung gelaufen wäre.

„Wirklich? Ich dachte, ich hätte mir den Weg gut eingeprägt", versuchte er sich heraus zu reden. Dabei lag er einfach nur falsch und war hier bestimmt noch nie lang gegangen. Ich lachte jetzt wirklich, obwohl ich fast schon zu müde dafür zu sein schien.

Wie verabschiedeten uns ähnlich wie mein letzten Mal. Allerdings umarmten wir uns diesmal etwas näher und weniger ‚weil-man-sich-eben-kennt'. Er schien überlegt zu haben, ob er mich küssen soll und hatte es schließlich doch nicht getan.

Zwar hatte ich gehofft, er würde diese bekannten letzten Zentimeter überwinden, doch wenn ich hier so seelenruhig unter meiner frisch-gewaschenen, kuscheligen Bettdecke lag und die Momente des Abends in meinem Kopf Revue passieren ließ, dann fand ich es gut so. Gut, dass es nicht dazu gekommen war.

Vielleicht bedeutete es, dass er sich auch erst einmal Gedanken darüber machen musste. Und wenn er sich genauso Gedanken über mich und den heutigen Abend machen würde, wie er über den Wert der Kunst philosophiert hatte, dann war das fast um einiges besser. Überlegter, von höherer Bedeutung, wenn er es vielleicht nächstes Mal tun würde.

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Was sagt ihr dazu? :) Meiner Meinung nach fehlt ein bisschen bitter-böser Sarkasmus. Aber so kurz vorm Einschlafen habe ich das dann doch nicht mehr hinbekommen... bin eben keine Liv. ;)

Rechtschreibfehler werde ich dann korrigieren, wenn ich wieder besseres WLAN habe.

Liebe Grüße aus dem Urlaub,

Sophie

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