Kapitel 31

Ich fühlte mich, wie wenn ich ein böses kleines Kind gewesen wäre, das von seinen Eltern in ein dunkles Zimmer gesteckt wurde und von dort alles mitbekam, aber dennoch nicht dabei war. Ich hörte Stimmen, konnte zuordnen, aber ich konnte nicht reagieren. Zumindest nicht so, wie ich das wollte. Ich wusste nicht, wie ich das genau beschreiben sollte, es war ein grausames Gefühl, ich hatte es zum Glück noch nie vorher erlebt, aber dennoch hatte ich es mir genau so vorgestellt. Bei Thomas und Nicolas war es genau so gewesen, ich wusste, dass all die Zeit über Thomas irgendwo gewesen war und alles mitbekommen hatte, dass er es gemerkt hatte, wenn Nicolas mich geküsst hatte und dass er dabei wahrscheinlich wie ein Hund gelitten hatte, da ich noch nicht wusste, was Sache war.

Ich reagierte in dem Sinne, dass Nicolas etwas tat, um sich zu bewegen und meinen Körper noch mehr für sich zu vereinnahmen, sodass ich nicht mehr auch nur die gerinste Kontrolle hatte. Ich war gefangen in meinem eigenen Körper, konnte das fühlen, was Nicolas fühlte, das sehen, was er sah und es war allgemein so, als würde ich es selbst tun, nur dass ich es nicht war. Und ich konnte seine Gedanken auch nicht lesen, was bedeutete, dass ich nie wissen würde, was er vorhatte. Ich konnte nie jemanden warnen, falls er mich zu einem Monster verwandeln würde und jemanden töten würde. Das könnte ich auch so nicht, da ich ja keinerlei Kontrolle mehr hatte.

So musste Thomas sich also gefühlt haben. Er hatte gesehen und gefühlt, wie die Leute umgebracht wurden und er konnte nichts tun, um das zu stoppen. Er war eine solch sensible Persönlichkeit, welche psychischen Dauerbelastungen musste er denn von diesen traumatischen Erlebnissen davongetragen haben? Ich konnte es mir und wollte es mir auch nicht wirklich vorstellen, da ich dann mit ihm litt.

Nicolas hatte meine Augen geöffnet und sah sich im Raum um. Ich erkannte Kai, der ihn ansah, lächelte und ihm dann die Hand hinstreckte, um ihm aufzuhelfen, sodass Nicolas sich hinsetzte und an die Wand lehnte. Wo waren denn nur die anderen? Waren sie gerade dabei, seinen Körper zu finden und dafür zu sorgen, dass er sterben würde? Moment einmal, wo war eigentlich Thomas? Er müsste nun doch eigentlich wieder ... er sein!

Ich hörte Schritte links von mir, wollte meinen Kopf nach links reißen, um ihn zu sehen, in seine schokoladenbraunen Augen blicken zu können und ihn an mich ziehen zu können, doch mir wurde nicht gestattet, das zu tun. [Deine Wünsche sind hier zweitrangig!] Ich hasste Nicolas so sehr! Thomas! Ich bin hier!, schrie mein Unterbewusstsein und ich strengte mich an, meine Hand in die Richtung, aus der ich die Schritte gehört hatte, zu strecken. Ich musste zu ihm, mein Herz schien zu zerbersten. Er war hier! Wirklich hier! Für ihn hatte all der Terror und das Leiden nun ein Ende, zumindest das physische. Ich konnte nicht einfach hier sitzen und geradeaus starren, wenn die Liebe meines Lebens nur ein paar Meter von mir entfernt war. Ich musste etwas tun können!

Doch je mehr ich es versuchte, gegen Nicolas anzukommen, desto mehr Schmerzen erlitt ich und ich hatte das Gefühl, dass ich gefoltert wurde.

„May! Du lebst!", hörte ich das Schluchzen von Thomas und ebenfalls, wie er auf mich zustürmte und sich vor mich stellte. Ich bekam Tränen in die Augen, es fühlte sich zumindest so an, doch meine Augen blieben trocken. Nicolas ließ das alles völlig kalt. Mein Herz sehnte sich so sehr nach ihm, meine Hand auszustrecken, über sein perfektes Gesicht streicheln zu können, meinen Mund mit seinem verschließen zu können und endlich diese Liebe zu spüren und zu wissen, dass wir es geschafft hatten. Das würde ich niemals erleben, doch ich hoffte, dass Damon, Stefan und die anderen für ihn da sein würden und dafür sorgen würden, dass sein Leben wieder lebenswert werden würde. Ich wünschte mir für ihn einfach nur, dass er glücklich war und dann würde es auch mir gut gehen. Wenn man jemanden liebte, war es nur wichtig, dass es demjenigen gut ging.

Ich litt in diesem Moment so sehr, Nicolas tat das, da er wusste und spürte, wie ich litt und das genoss. Thomas wusste es nicht. „Thomas! Du bist hier!", kam aus meinem Mund, mit meiner Stimme, schluchzend, aber dennoch nicht von mir. Dieser miese Betrüger! Ehe ich mich versehen konnte, hatte Thomas mich an sich gezogen, seine Hände in meinen Nacken gelegt und mich an sich gezogen, um mich zu küssen.

War Nicolas schwul, dass er so etwas zulassen konnte? Er machte das sicherlich nur, damit ich so viel wie möglich litt und daran zerbrach! Ich dachte, dass ich der glücklichste Mensch auf Erden werden würde, wenn ich ihn endlich wieder küssen könnte, aber nun war es, als müsste ich mich übergeben, denn ich spürte zwar seine Lippen, aber es war nicht ich, die den Kuss erwiderte. Er tat das, um mich zu zerstören. Ich wollte, dass er starb!

Thomas! Bitte! Küsse ihn nicht! Er hat dir das alles angetan! Er hat dein Leben zerstört! Er hat dich fertiggemacht! Doch er konnte mich nicht hören und so litt ich weiter und hoffte einfach nur, dass es aufhörte. Ich litt mit jeder Sekunde, als der Kuss dann intensiver wurde, hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Ich wollte Thomas küssen, ich wollte nicht, dass dieser Kuss, der eigentlich so wichtig war, einfach an den miesen Dreckssack verschwendet wurde.

Was konnte ich denn machen? Nicolas hatte das Messer sicherlich an sich genommen! Wenn ich doch nur Kontrolle über meinen Körper hätte!

Doch das hatte ich nicht.

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