Kapitel 29
Ich hatte mit jedem Schritt, den ich machte, Zweifel, dass etwas schief gehen könnte und ich dann vollkommen erledigt wäre. Meine Angst war nicht unberechtigt, ich musste deswegen immer an mögliche Konsequenzen denken. Du hast alles im Griff, May! Es kann nichts schief gehen! Du musst nur deine Rolle überzeugend genug spielen!
„Ich habe viel nachgedacht", sagte ich, als ich sehr nah an ihn herangetreten war. Ich konnte ihn ansehen, musste schlucken. Ich konnte es nie in meinen Kopf bekommen, dass er sich in Thomas' Körper befand.
„Ich weiß, dass du viel Schlimmes getan hast und dass das alles grausam ist, aber ich bin einmal in mich gegangen und habe mir vorgestellt, wie all das für dich gewesen sein muss. Dass du in mich verliebt warst, doch ich nicht in dich und sich eine Möglichkeit für dich ergeben hat, wie du mit mir zusammen sein kannst und ich die Liebe erwidere. Es ist grausam, doch dich hat es glücklich gemacht, ich verstehe zwar nicht alles, doch ich kann mich nun viel besser in dich hineinversetzen und verstehen, was du alles durchmachen musstest. Dass du mit Kai viel geredet hast und du denkst, dass er dich auf den richtigen Weg leitet und du durch ihn alles in den Griff bekommen kannst. Ich verstehe die Morde nicht, denn ich weiß nicht, wie genau die Differenzen zwischen Kai und Thomas sind, doch ich kann das nicht verstehen. Wie kann man unschuldige Menschen umbringen? Ihnen einfach das Leben nehmen. Ich verstehe es einfach nicht. Doch vielleicht ist das so, wenn man verzweifelt ist, das weiß ich nicht. Ich habe all das nicht so durchgemacht wie du und glaube mir, das will ich auch nicht. Ich will eigentlich nur, dass es dir gut geht und du dein Leben in den Griff bekommst. Das musst du auf einem anderen Weg schaffen. Nicolas, du bist so stark und du kannst das schaffen. Denk daran, was wir zusammen schon alles geschafft haben und dieses mal bin ich auch bei dir, um dir Mut zuzusprechen. Wenn du es nur willst, kannst du es auch schaffen. Und wenn es dir leichter fällt, sage ich dir, dass ich dir vergebe. Du kannst noch einen Neuanfang wagen."
Das war die größte Lüge meines Lebens gewesen und ich konnte nicht in Worte fassen, wie grausam es für mich gewesen war, meinem ehemals besten Freund diese Worte ins Gesicht zu sagen und dabei auch noch zu versuchen, so zu tun, als würde man jedes Wort, jede Silbe ernst meinen und nun noch immer so tun müssen. Ich durfte noch immer nicht zeigen, dass ich ihn über alles hasste und ihn am liebsten einfach nur tot sehen würde.
Er hatte so viel Leid über uns gebracht und spätestens diese Leichen jetzt hätten das Fass zum Überlaufen gebracht. Er konnte so nicht leben, das könnte der Nicolas, wie ich ihn kannte, nicht und ich wusste, dass ich das nun für ihn entscheiden musste. Ich musste ihn umbringen. Das Messer in seinen Körper rammen und somit den Traveller aus Thomas befreien. Die anderen würden sich um seinem Körper kümmern und dann wäre das alles erledigt. Dann wäre alles wieder in Ordnung. Es kam mir vor, wie wenn ich in einem Film wäre, in dem es gerade auf das Finale zuging und ich die Hauptperson wäre, die gerade dabei war, ihren Freund zu retten. Wenn man sich das mal so überlegte, war das schon echt komisch.
Nicolas sah mich an und kam auch näher zu mir, er war mir nun ganz nahe und ich nutzte diese Chance und verringerte den Abstand noch einmal ein bisschen, bis ich gar nicht mehr so weit von ihm entfernt war, im Gegenteil, wir waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt und atmeten schon die gemeinsame Luft ein.
Wenn er doch nur Thomas wäre. Dann würde ich mich ihm sofort an den Hals schmeißen und ihn mit Küssen überhäufen, während ich der glücklichste Mensch des Lebens wäre. Doch ich musste nun auch so tun, als wäre er Thomas, denn ich musste meine Liebe überzeugend rüberbringen.
Ich küsste Nicolas und versuchte, meinem Kopf abzustellen. Als er den Kuss erwiderte, war es, als müsste ich würgen, denn er küsste ganz anders als Thomas es tat. Warum hatte ich das all die Zeit über nicht bemerkt? Wie oft hatte ich den wahren Thomas überhaupt schon geküsst? Hatte ich das überhaupt schon einmal getan? Oder küsste Nicolas mich momentan einfach anders als er es sonst tat? Ich musste ihn weiterküssen, ich brauchte noch Zeit, um das Messer aus meiner Tasche ziehen zu können und es ihm in den Körper stechen zu können. Er durfte nichts ahnen, sonst wäre alles zu Ende.
Ich hielt das Messer nun in meiner klatschnassen Hand. Ich hatte Angst, dass das Messer mir aus der Hand rutschen konnte und dann auf den Boden fallen würde. Das Klirren würde sehr auffallen und ich könnte mich auch nicht einfach bücken und es wieder aufheben. Ich drehte es in die Position, von der ich dachte, dass es am besten wäre, wenn ich es ihm in den Körper rammen würde.
Ich vertiefte den Kuss noch weiter, holte dann mit meiner Hand aus und wollte es gerade in seinem Körper versenken, da wurde meine Hand herumgerissen, die Lippen lösten sich von meinen und mir wurde das Messer an den Hals gehalten.
„Denkst du wirklich, dass ich auf deinen dummen Trick reinfalle? Dass du mir einfach so vergibst, obwohl ich all die schlimmen Sachen deinem Freund angetan habe? Man hat gemerkt, dass du es nicht ernst meinst, sagen wir lieber so, dass ich es gemerkt habe. Dein Schauspiel war wirklich gut und ich wette, dass es andere Leute auch nicht gemerkt hätten, aber dennoch, ich kenne dich und deshalb weiß ich auch, wie du bist. Das hättest du lieber nicht getan, jetzt musst du daran glauben, meine Liebe. Es war schön mit dir!"
Das Messer war scharf, das wusste ich schon vorher, doch nun, da es meine Haut berührte, bemerkte ich es erst richtig.
Ich war sowas von geliefert.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top