Epilog
Man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass sich nach Veras Abenteuer nicht so viel geändert hatte. Doch „Pinch" sah das anders. Für sie hatte sich eine ganze Menge geändert.
Es waren bereits einige Wochen vergangen. „Pinch" fand sich wieder bei Tammy in der Waffenkammer ein, um sich auf den nächsten Auftrag vorzubereiten. Den Kampfanzug mit ihrem Namen darauf trug sie wie eine zweite Haut, und sie half Tammy dabei, die Sprengweste auf die aktuelle Mission vorzubereiten. Mittlerweile hatte sie einigermaßen verstanden, wie der Mechanismus funktionierte, und Tammy nahm sich auch die Zeit, ihr alles Weitere zu erklären. Doch auch „Pinch" bekam die Möglichkeit, einige Erklärungen anzubringen.
„Das sind Blendgranaten", sagte sie in einem beruhigenden Tonfall. „Sie sind absolut harmlos. Und wenn sie losgehen, dann nach außen hin. Mehr als einen hellen Blitz und einen leisen Knall merkst du davon nicht."
„Wenn du meinst..." Eine sehr skeptisch wirkende Jenny sah an sich herunter und auf die Granaten und den Zündmechanismus an der Weste. „Und sowas hast du früher dauernd gemacht?"
„Pinch" grinste. „Ständig. Und ich habe beim ersten Mal genau so geguckt wie du. Als ich das erste Mal diese Weste tragen musste, dachte ich nur, dass es selbst für das, was ich angestellt hatte, eine ziemlich heftige Strafe ist. Aber es ist überhaupt nicht so schlimm, wie es aussieht." Sie machte mit ein paar Handgriffen die Weste scharf und hob einen mahnenden Zeigefinger vor Jennys Gesicht. „Egal, was du tust: Spiel nicht an dem Ding herum!"
Die Mahnung hätte es gar nicht mehr gebraucht. Jenny wirkte nicht in der Stimmung, etwas Dummes anzustellen. „Pinch" fand, dass sie gerade im Augenblick für diese Rolle perfekt war. Sie warf einen Blick auf das Regal neben ihr, aber dann entschied sie, dass es nicht notwendig war, Jenny auch noch so etwas anzutun. Sie würde bestimmt brav ihre Rolle spielen und garantiert keinen Unfug anstellen.
Die schwere Tür zur Waffenkammer öffnete sich, und Igor Lippson trat mit schweren Schritten, aber einem verhältnismäßig vergnügten Gesichtsausdruck ein. „Na, wie weit seid ihr?" Als er bemerkte, dass Jenny bereits die Sprengweste trug, nickte er zufrieden. „Und, nervös?", fragte er sie dann freundlich.
Jenny nickte nur stumm und sah ängstlich zu Igor hinauf. „Pinch" bemerkte ihren Blick. „Keine Angst, er beißt nicht", meinte sie lachend. „Ja, sie ist soweit fertig und kann los."
Igor wirkte aber noch ein wenig skeptisch. „Keine Handschellen?", fragte er dann und deutete auf Jennys Hände.
„Paps, sie macht das zum ersten Mal. Sei nachsichtig mit ihr!", verlangte „Pinch" von ihm. „Gibt es etwas Neues von den anderen?"
„Ja, gibt es." Igor griff in die Tasche seines Kampfanzugs und förderte einen Creditchip zutage. „Es ist noch etwas übrig, wie du gewünscht hast. Der Käufer war richtiggehend begeistert über den Zustand des Steins, und ich habe ihn auf vierundzwanzig Riesen hochgehandelt. Hier sind viertausend drauf, die ich auf dein Konto packen werde."
Zufrieden nickte „Pinch". Es war doch mehr, als sie tatsächlich erwartet hatte. Prüfend blickte sie zu ihrem Vater hinauf. „Und du hast schon das getan, worum ich dich gebeten habe?", fragte sie dann. Aber der Gesichtsausdruck ihres Vater sagte ihr schon alles.
„Ich möchte nicht darüber reden", brummte er und wandte sich ab. Doch nach einem kurzen Moment fasste er sich widerwillig. „Ich habe die beiden gefunden. Also Vanna und ihre Mutter. Als ich ihnen die Credits ausgehändigt habe, sind sie mir beide um den Hals gefallen und haben vor Freude geweint..." Seine Stimme brach für einen kurzen Moment ein, der zeigte, wie nahe es ihm ging. Doch mit deutlich festerer und gespielt mürrischer Stimme fügte er hinzu: „Sogar der Hund war völlig aus dem Häuschen. Eins sage ich dir, Pinch: Das nächste Mal gehst du!"
„Pinch" lachte, und selbst Jenny musste ein bisschen grinsen. Ihr kam dieser große böse Söldner nun doch nicht mehr so böse vor. Tammy bemühte sich, nicht bei ihrer Arbeit gestört zu werden, doch sie konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Was waren das eigentlich für Steine?", fragte sie dann neugierig. „Hat der Käufer dazu irgendwas sagen können?"
Igor zuckte die Achseln. „Ich habe ihn darauf angesprochen. Er meinte, sie kämen ursprünglich von einem Planeten, der mal zur Metaller-Allianz gehörte. Auf dem Planeten hatten sie noch an Hexerei und ähnlichen Kram geglaubt. Daher geht das Gerücht um, dass diese Steine irgendwelche magischen Eigenschaften besitzen sollen. Aber sie sind deswegen so wertvoll, weil die Kultur, aus der die Steine kommen, nicht mehr existiert, und es gibt viele Sammler, die sich für so etwas interessieren."
„Hmm... merkwürdig." „Pinch" rieb sich nachdenklich das Kinn. „Johnson hatte erwähnt, dass eventuell irgendwas Magisches in diesen Steinen steckte, auch wenn er selbst nicht daran glaubte."
„Schade, dass wir es nie erfahren werden", schloss Tammy diese Überlegungen mit einem Seitenblick zu „Pinch" ab. Zumindest war sie der Ansicht, dass das Thema für „Pinch" damit erledigt zu sein hatte. „Ich traue mich ja kaum zu fragen, aber wie liefen die Verhandlungen für Foster und Johnson?"
„Pinch" war sich nicht sicher, ob sie das wissen wollte. Denn einerseits hoffte sie, dass beide ihre gerechte Strafe erhielten. Doch andererseits war die gerechte Strafe für das, was sie verbrochen hatten, auf Geshtachius Prime eine ziemlich ernste Angelegenheit. Wenn man bedachte, wie man mit Kindern umsprang, die sich entgegen der vielen Gesetze selber in Gefahr brachten, dann hatten Erwachsene, die gegen diese Gesetze verstießen und Kinder gefährdeten, ganz schlechte Karten.
Igor blickte sich in der kleinen Runde um und überlegte, ob er das wirklich erzählen sollte. „Foster wurde verurteilt", erzählte er dann. „Er bekam die Höchststrafe."
Was das bedeutete, wusste „Pinch", und sie fröstelte. Innerlich machte sie sich mehrere Notizen und ermahnte sich selbst, niemals solche schlimmen Verbrechen zu begehen, die eine solche Strafe nach sich zogen. „Den sehen wir also nicht wieder", meinte sie dann.
„Was ist mit Johnson?", fragte nun auch Jenny neugierig. „Er hat versucht, uns umzubringen. Ist das nicht auch ein Schwerverbrechen?"
„Ja, aber er wird nicht hier verurteilt", erklärte Igor und blickte düster drein. „Das Zentralius-Militär hat ihn abgeholt und verurteilt ihn nach deren Gesetzen. Allerdings unter der Auflage, dass er sofort hingerichtet wird, sollte er jemals wieder einen Fuß auf Geshtachius Prime setzen. Gleiches gilt übrigens auch für seine Partner."
Das war nun nicht gerade beruhigend, dachte sich „Pinch". Aber andererseits würden die drei zumindest auf diesem Planeten keine Leute mehr bedrohen. Ihre Familie und ihre Freunde waren somit schon mal sicher. Abgesehen davon, und sie schämte sich fast dafür, sich dies einzugestehen, war sie froh, dass Johnson nicht die gleiche Strafe erwartete. Er hatte ja gesagt, dass er gerne sehen würde, was aus ihr wurde. Und im Gegenzug war sie auch ein wenig neugierig, ob er in späteren Jahren vielleicht ein besserer Mensch wurde. Und falls nicht... dann konnte sie ihn ja persönlich zur Strecke bringen. Es wäre schließlich nicht das erste Mal.
„Übrigens, Pinch, du hast Nachrichten erhalten", unterbrach Igor ihre Gedankengänge. „Eine soll ich dir von Hank direkt geben. Er bietet ein Überlebenstraining auf New Wacken an, für angehende Söldner. Interesse?"
„Pinch" sah ihn mit verkniffener Miene an. „Ich trinke kein Bier, und ich mag keinen Metal. Was soll ich also da?"
„OK, war nur ein Vorschlag", winkte Igor ab. „Die zweite Nachricht ging verschlüsselt ein und soll nur an dich persönlich ausgehändigt werden." Er drückte ihr einen Datenstab in die Hand.
Das ließ auch Tammy aufhorchen. „Wen kennst du denn, der dir verschlüsselte Nachrichten schickt?", fragte sie misstrauisch.
„Pinch" konnte da nur mit den Achseln zucken. „Keine Ahnung", gestand sie. Jesper war es nicht. Sie hatte sich erkundigt, was aus ihm geworden war, nachdem ihn das Medizentrum entlassen hatte. Er war gemeinsam mit Thor kurz zum Institut für Unabhängige Erziehung gekommen, hatte sich aber sofort um eine Ausbildung bemüht. Dank seiner Erfahrungen mit Johnson und Whitmore hatte ihm die Planetare Sicherheit eine Chance geboten, und er ließ sich nun zum Gesetzeshüter ausbilden. Ähnliches war auch mit Thor passiert, dessen Flucht aus dem Institut doch noch andere Folgen gehabt hatte, als alle erwartet hatten. Statt ihn zu bestrafen oder unter Hochsicherheit zu stellen, hatten sich die Leiter des Instituts mit ihm zusammengesetzt und all die Probleme erörtert, die das Institut bei der Arbeit mit Waisenkindern hatte. Thor hatte sich richtig einbringen können und war danach sogar zum Auszubildenden im Institut aufgestiegen, um seine Vorschläge umsetzen zu können. Er war auf dem besten Weg, für alle zukünftigen Waisenkinder im Institut eine bessere Zukunft zu schaffen.
Blieben noch Taylor und Jenny. Dieser Aufgabe hatte sich „Pinch" selber gewidmet. Nachdem Hank ihren Vorschlag, die beiden ins Trainingsprogramm der Söldner aufzunehmen, angenommen hatte, hatte sie es übernommen, diesen Onkel Joshua aufzusuchen und ihm ins Gewissen zu reden. Das Gespräch war lang und schwierig gewesen, und natürlich war der Mann überhaupt nicht geneigt, auf die Vorschläge eines kaum dem Kindesalter entwachsenen Mädchens zu hören, ganz gleich, welches Emblem sie auf den Ärmeln trug. Doch „Pinch" hatte mit einer solchen Entwicklung gerechnet. Nachdem die nette, sanfte Tour nicht funktionierte, hatte sie ihm eindeutig klar gemacht, was ihm blühte, wenn sie von Taylor oder Jenny jemals wieder Klagen hörte. Na ja, sie und die anderen acht Söldner, die zur Unterstützung mitgegangen waren, hatten es ihm klargemacht. Sie schloss aus, dass Joshua sie in irgendeiner Form missverstanden haben konnte.
Sie wog den Datenstab mit der Nachricht in der Hand. Was auch immer es war, und sie war wirklich gespannt darauf, es herauszufinden, es würde warten müssen. Igor nahm nun Jenny behutsam bei der Hand und ging mit ihr zur Tür. „Wir sehen uns draußen", rief er „Pinch" zu, als er die Waffenkammer verließ.
„Vielleicht nicht", rief „Pinch" ihm lachend hinterher. Nicht, wenn sie ihren Job richtig machte. Die Tür glitt zischend wieder zu, und sie war mit ihrer großen Freundin alleine.
Dass Tammy sie schon seit einer Weile skeptisch ansah, bemerkte sie erst jetzt. „Bist du dir wirklich sicher, dass du das willst?", fragte Tammy dann. „Ich habe dir gesagt, wie es da draußen ist. Und du hast es jetzt sogar selber erlebt."
Wäre ihr diese Frage vor dem Abenteuer gestellt worden, hätte „Pinch" eine leichtfertige Antwort gegeben. Doch sie nahm die Frage nicht auf die leichte Schulter. Im Gegenteil, sie nahm dies zum Anlass, noch einmal in sich zu gehen. „Ich bin bereit dazu", erklärte sie dann nach reiflicher Überlegung. „Ich weiß ja, was ich zu tun habe. Das bekomme ich hin."
Tammys Skepsis wandelte sich in milde Überraschung. „Das glaube ich dir sogar", meinte sie dazu. „Na gut. Die Gruppe, die heute anrückt, kenne ich selber nicht. Deren Namen habe ich auch noch nie gehört – irgendwas mit Ogan... Sind alles Metaller, daher mach dich darauf gefasst, dass sie im Nahkampf einiges zu bieten haben." Einige weitere Erklärungen folgten, während „Pinch" sich daran machte, ihre eigene Ausrüstung zusammen zu sammeln. Der Glaskasten mit ihrer Pistole stand bereit, und als sie den Code eingab und den Deckel öffnete, konnte sie bereits sehen, dass der Laser voll geladen war. Während ihrer Erklärungen griff Tammy seitlich neben sich und holte einen etwas größeren Kasten hervor. Dieser war eher länglich und auch nicht durchsichtig, dafür war er aber auch nicht gesichert. Er diente nur dazu, seinen Inhalt zu transportieren. Dementsprechend ließ Tammy die Verschlüsse einfach aufschnappen und klappte den Deckel hoch.
Kurz hielt sie inne. Auch sie sah den Inhalt dieses Kastens zum ersten Mal. „Sehr nett", stellte sie anerkennend fest. „Die haben das gut hinbekommen."
Sie griff hinein, und kurz darauf bekam „Pinch" ein nagelneues Gewehr in die Hand gedrückt. „Eine Raptor", stellte Tammy vor. „Leichtbauweise, verkürztes Schulterstück, variables Zielvisier. Funktioniert wie das Ding, das du vom Schießstand kennst."
„Pinch" nahm das Lasergewehr prüfend an die Schulter hoch und blickte durch das Visier. „Ja, Jackson hat es mir gezeigt. Aber das hier gefällt mir sehr", fügte sie lächelnd hinzu. Es juckte ihr in den Fingern, die Waffe auszuprobieren. Das konnte Tammy ihr mühelos ansehen.
„Vera, tu mir aber bitte einen Gefallen!", bat sie. „Sei vorsichtig da draußen!"
„Hey, ich kann schon auf mich aufpassen." „Pinch" nahm empört die Waffe wieder herunter. Allmählich sollte Tammy es doch wissen.
„Gut, dann sei aber auch nachsichtig mit den Söldnern", erwiderte Tammy. „Ich meine, wenn du die armen Kerle jetzt völlig fertig machst und sie zu Tode verängstigst, kommen keine neuen Söldner mehr, um sich prüfen zu lassen. Und dann müssen wir uns alle nach neuen Jobs umsehen." Bei diesen letzten Worten konnte „Pinch" ein leichtes Augenzwinkern in Tammys Gesicht wahrnehmen. Vielleicht hatte sie sich aber auch nur getäuscht.
„Tja..." „Pinch" zupfte nachdenklich an ihrer Unterlippe. „Der Sinn eines Scouts ist doch eigentlich, dass er nicht gesehen wird. Wenn ich also rausgehe und alles richtig mache und sie alle erledige – woher wollen sie dann wissen, dass ich es war?"
Tammy starrte sie an. „Weil die Mission aufgezeichnet wird und sie hinterher alles sehen können, Dummerchen."
„Das sehe ich als Herausforderung", grinste „Pinch". „Ich bin dann mal weg." Sie nahm ihre Ausrüstung und machte sich auf den Weg zur Tür.
Ja, die Dinge änderten sich. Viele davon zum Besseren, auf jeden Fall weg von der Langeweile, die sie vorher gekannt hatte. Wenn man es richtig anstellte und das richtige Alter hatte, dann war das Leben auf Geshtachius Prime doch nicht so schlecht. Sie hatte einen Job, sie trug Verantwortung, und sie lernte jeden Tag dazu. Ihre Ausbildung lief gut, ihre Trainer hielten große Stücke auf ihre Fähigkeiten. Abgesehen davon war die Geschichte von ihrem Abenteuer in der Akademie schon fast so etwas wie eine Legende. Zumindest sahen alle Söldner dort in Vera Lippson nicht einfach nur das jüngste Mitglied ihrer Gruppe. Das war sie ohnehin nicht mehr. Nun war sie „Pinch" - das Mädchen, das im Alleingang drei Schwerverbrecher bekämpft und besiegt hatte. Und das während ihrer ersten Mission, noch vor Beginn ihrer Ausbildung. Was würde sie alles zustande bringen, wenn sie erst ein vollwertiger Söldner war?
Sie würde es herausfinden. Früher oder später.
Vielleicht würde sie es früher herausfinden, als sie gedacht hatte. Auf dem Stick, den Igor ihr gegeben hatte, fand sie am Abend zu Hause eine kurze Botschaft.
Wir haben von deiner letzten Mission gehört. Du hast die Galaxie von einem gefährlichen Kriminellen befreit. Das hat uns tief beeindruckt. Wenn du bereit bist, für die Schwachen einzutreten und für eine gute Sache zu kämpfen, dann würden wir dich gerne näher kennenlernen. Sag deinem Leiter der Akademie Bescheid, wenn du interessiert bist – er wird wissen, wie er uns erreichen kann. Bis dahin: Viel Glück auf deinem Weg.
Verwirrt blickte sie auf die Nachricht und auf den Absender. Es war kein Irrtum möglich. Niemand anderes war mit dieser Botschaft gemeint als sie, Vera Sofia „Pinch" Lippson. Trotzdem konnte sie es kaum glauben. Bis sie sich den Absender noch einmal genau ansah. Dann wusste sie Bescheid.
Unicorn Riders.
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