Bonus: Die Trainingsmission
Aus gegebenem Anlass, da ich mich so freue, dass "Pinch" den Ria Award in der Kategorie Abenteuer gewonnen hat, dachte ich mir, dass ich auf den Beginn des Buches ein wenig näher eingehe und meinen Lesern eine etwas andere Perspektive anbiete. Vorab dazu ein paar Worte:
Der nun folgende Text ist das erste Kapitel des geplanten Buches "Unicorn Riders - Kreuzfahrt in die Hölle", der zweite Teil der eigentlichen "Unicorn Riders" Reihe ("Pinch" ist davon im Grunde ein Spin-Off). Tatsächlich ist dieses Kapitel auch der Ursprung des Charakters "Pinch" alias Vera Lippson, und es zeigt die genauen Vorkommnisse der Trainingsmission, zu der Vera in Kapitel 1 lediglich in einem einzigen Satz ein niederschmetterndes Urteil fällt. Erzählt ist dies aus der Sicht von Corporal Kate Lipinsky, der Anführerin der "Unicorn Riders", die außerdem in der eigentlichen Buchreihe die Hauptfigur ist.
Die Ausgangssituation ist hier bewusst unklar gelassen, bis zur endgültigen Auflösung am Ende des Kapitels. Da es sich um ein sehr erwachsenes und brutales Universum handelt, sollte der Leser den Eindruck gewinnen, dass hier tatsächlich viel auf dem Spiel steht. Da nun aber der Roman "Pinch" vorher fertig geworden ist, ist die Katze schon aus dem Sack - ich hoffe trotzdem, dass meine Leser dieses Kapitel zu schätzen wissen.
Ich lese und beantworte gerne Fragen und Kommentare dazu, also bitte keine Scheu!
Es war eine durchaus friedliche Gegend. In Kate Lipinskys Augen machte das die ganze Sache nur schlimmer.
Sie stand am Rand eines großen Stausees und wartete. Der Stausee versorgte die nahegelegene kleine Siedlung, die viele Einwohner des Planeten als Altersruhesitz auserkoren hatten, mit Energie undTrinkwasser und galt zudem gerade an wunderschönen Frühlingstagen wie diesem als ein beliebtes Ziel für Spaziergänger. Die Siedlung selbst war hinter einem Wald verborgen, und um Kate und den Stausee herum erstreckten sich Felder in allen möglichen Farben, so weit das Auge reichte. Die Sonne schien vom Himmel und wärmte ihren Nacken, während sie den asphaltierten Pfad hinunter blickte und wartete. Zu gerne hätte sie das Wetter und den Frieden in diesem Augenblick genossen. Doch deswegen war sie nicht hier.
Sie hatte einen Auftrag.
Sie legte den Kopf ein wenig zur Seite und drehte sich etwas vom Pfad weg, in der Hoffnung, dass niemand aus der Ferne einen genaueren Blick auf sie warf... und bemerken würde, dass sie in ihr Funkgerät sprach. „Leader an alle: Meldung!", murmelte sie leise, aber befehlend. Ihr Blick schweifte über das wundervolle Panorama, und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wo sich wohl ihre Leute verborgen hielten.
Nach einigen Sekunden bekam sie eine zögernde Antwort: „Ähm...Boss, ich möchte ja nicht allzu kritisch klingen. Aber das ist das vierte Mal in den letzten zehn Minuten, dass du fragst."
Sie seufzte. Der Auftrag zehrte an ihren Nerven, soviel war sicher. „Zur Kenntnis genommen, Gunman. Also, gibt's was Neues?"
„Seit den letzten drei Minuten nicht", kam die lapidare Antwort ihres Waffenexperten.
Wieder warf sie einen prüfenden Blick in die Runde und suchte die Umgebung ab. Sie lagen im Zeitplan, und das Treffen stand unmittelbar bevor. „Leader an Sniper: Kannst du was erkennen?"
Ihr Scharfschütze antwortete ebenfalls mit der Ungeduld in der Stimme,die jeder empfand, der für seinen Geschmack die gleiche Frage zu oft hörte: „Nein, Boss. Nichts zu sehen. Nichts Neues jedenfalls."
Das war für Kate kein gutes Zeichen. Auch wenn sie noch etwas zu früh am Treffpunkt erschienen war, die anderen hätten spätestens jetzt bereits in Sichtweite sein müssen. Und aufgehalten wurden sie bestimmt nicht – das konnte sie sich zumindest nicht vorstellen. Worauf also warteten sie?
Dann meldete sich auch ihr Aufklärer zu Wort: „Bevor die Frage kommt: Nein, auch ich habe nichts zu melden."
War dies alles nur ein Trick? Legten sie einen Hinterhalt, oder war dies einfach nur eine Finte, und der eigentliche Auftrag ging an einem ganz anderen Ort gerade in die Hose? Doch nach kurzem Nachdenken verwarf Kate beide Gedanken. Es ergab einfach keinen Sinn. Dieses Treffen war für beide Seiten von Interesse, soviel wusste sie. Und sie hatte etwas dabei, das die andere Gruppe unbedingt haben wollte. Natürlich, ein Hinterhalt wäre denkbar, und sie stand trotz ihrer idyllischen Umgebung an einem gefährlichen Ort– jenseits aller Deckung. Wäre ihr Scharfschütze auf der feindlichen Seite, er hätte sie ohne Probleme schon Dutzende von Malen erschießen können. Der Antwort von eben zu urteilen war es schon fast so weit.
Vielleicht war Kate auch nur deswegen so angespannt und nervös, weil sie die Art dieses Auftrags – besser, die Natur der gesamten Situation – verabscheute. Und obwohl sie die Hintergründe kannte, unter anderen Umständen hätte sie diesem Treffen nie zugestimmt. Sie hoffte inständig, dass dieses eine Mal auch das letzte Mal war, dass sie einen solchen Auftrag übernehmen musste.
An dieser Stelle wäre sie am Liebsten in Gedanken versunken und hätte an die Zeit vorher zurückgedacht. Es waren zwei Jahre vergangen, seitdem sie während der verhängnisvollen Mission auf Montarius Sieben das Kommando über die Unicorn Riders übernommen hatte. Zwei Jahre, in denen sie versucht hatte, über ihren bisherigen Job als Feldsanitäterin und gelegentliche stellvertretende Kommandantin hinauszuwachsen und die Führung über die Überbleibsel der Gruppe zu übernehmen. Doch eines der ersten Dinge, die sie seitdem gelernt hatte, war, stets im Hier und Jetzt zu bleiben. Ihre Wachsamkeit war ihr Schutz – wenn sie darin nachließ, konnte sie gleich ihr eigenes Grab schaufeln.
So beobachtete sie weiter, nahm ihre Umgebung mit allen ihr verfügbaren Sinnen wahr. Jedes Rauschen des Waldes, jedes Zwitschern der einheimischen Vögel, jede Brise des auffrischenden Windes nahm sie in sich auf. Und doch zuckte sie zusammen, und ihr Herz schien für einen Schlag auszusetzen, als die Stimme des Sniper in ihrem Ohr knatterte: „Habe Kontakt! Kommen den Pfad zum Stausee hinauf. Entfernung ungefähr 800 Meter."
„Bestätige", meldete auch der Scout. „Sie gehen langsam und in Formation. Ich zähle drei. Keine schweren Waffen ersichtlich"
Kate runzelte besorgt die Stirn. Drei? Es sollten vier sein. „Umgebung absuchen, Sniper! Sieh nach, ob sich noch irgendwer auf die Lauer gelegt hat. Scout, kannst du erkennen, ob sie das Paket dabei haben?"
In der Ferne, am anderen Ende des langen Pfads, nahm sie Bewegungen wahr. Doch sie waren zu weit entfernt, um Einzelheiten zu erkennen, selbst wenn sie die Augen zusammenkniff.
„Ich kann es nicht genau sagen",antwortete der Scout. „Dazu müsste ich näher heran."
Kate zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Negativ! Halte deine Position!" Sie wäre gerne auf Nummer Sicher gegangen, aber das Risiko war zu groß. Ihr Aufklärer hatte die Fähigkeit, sich nahezu unbemerkt zu bewegen, aber diesen Vorteil sinnlos aufs Spiel zu setzen, war keine gute Idee. Vielleicht würde sie noch jemanden in der Hinterhand brauchen. Kate konnte sich nicht helfen, aber das ungute Gefühl überkam sie, dass dieses Treffen nicht so wie erwartet ablaufen sollte.
„Hier Sniper", meldete sich der Scharfschütze plötzlich. „Erkenne eine verdächtige Bewegung in Waldrichtung, ungefähr 300 Meter von der Gruppe entfernt. Könnte ein Heckenschütze sein."
Und da war es auch schon. Kate unterdrückte ein triumphierendes Grinsen. Ihre Instinkte hatten sie dieses Mal nicht im Stich gelassen. Sie vergewisserte sich, dass die sich nähernde Gruppe ihre Absicht nicht erkennen konnte, indem sie mit fast geschlossenem Mund die nächsten Befehle murmelte: „Scout, untersuchen und ausschalten!"
„Bin unterwegs." Die Stimme des Scout klang bemerkenswert unternehmungslustig und voller Zuversicht. Eine Zuversicht, die Kate als gerechtfertigt empfand – ihr Aufklärer war dieser Aufgabe mit Sicherheit gewachsen. Wenn dort tatsächlich ein Heckenschütze lag, tat der ihr fast schon leid.
Aber es galt noch andere Dinge zu bedenken. Denn wenn sie tatsächlich einen Hinterhalt vorbereiteten... „Gunman, wie schaut es mit unserem Plan aus?"
„Lass es mich so ausdrücken: Die werden sich ganz schön wundern." Sie musste bei diesen Worten tatsächlich grinsen, und für einen kurzen Augenblick vergaß sie die Situation um sich herum. Die Zuversicht ihrer Leute war ansteckend. Doch dann straffte sie sich, setzte eine stahlharte Miene auf und blickte der anderen Gruppe entgegen, wie sie näherkam.
Es waren tatsächlich drei von denen. Zwei breitschultrige Männer, deren Körperbau auf viel harte Arbeit oder Dutzende von erbitterten, aber gewonnenen Kämpfen deutete, und deren Mienen bei näherem Hinsehen so finster wirkten wie der Blick in die Mündung von Skorpios Gewehr. Die massiven Körper waren in die typische Kleidung freischaffender Söldner gehüllt und mit Kampfwesten gepanzert, die außer Energiestrahlern alles abwehren konnten. Die breiten Gürtel waren mit offenen Halftern ausgestattet, in denen schwere Laserpistolen steckten – die handelsüblichen Modelle, die man nach zehn Schuss nur noch werfen oder an der Basisstation aufladen konnte. Diverse andere Ausrüstungsgegenstände, die in den Gürteltaschen, Westentaschen, Hosentaschen und Taschen-Taschen steckten und den Eindruck abrundeten, dass sich diese Männer grundsätzlich auf jede Situation vorbereiteten. Doch in einem Punkt hatte ihr Scout Recht gehabt: Keiner von ihnen trug eine größere Waffe als die Feldpistole mit sich.
Der Dritte im Bunde war schlanker, kleiner und allgemein nicht so eindrucksvoll. Auch hier konnte Kate die Söldnerkleidung nebst Panzerweste und Pistole erkennen, und die entsprechende Schusshand des Söldners lag, im Gegensatz zu der seiner Begleiter, direkt auf dem Griff der Waffe, als rechnete er mit Ärger. Aber sein Gesicht ließ eher Skepsis und Nervosität erkennen, fast so, als ahnte er, dass sie nicht alleine hier war. Als die Gruppe noch ungefähr einhundert Meter von ihr entfernt war, auf gleicher Höhe auf dem Pfad am Stausee, ließ er mit einer Handbewegung seiner freien Hand die ganze Gruppe anhalten. Sofort stellten sich die beiden Begleiter breitbeinig hin und ließen ihre Arme wie beiläufig hängen – in unmittelbarer Reichweite zu ihren Waffen. Eine unmissverständliche Geste der Drohung.
Und sie waren nahe genug, dass Kate keine Rücksprache mehr mit ihrem Team halten konnte, ohne dass sie es bemerken würden.
Die Stimme des Snipers drang an ihr Ohr – und sie klang unheilvoll:„Boss, sie haben das Paket dabei. Das... wird dir nicht gefallen..."
Kate nickte den Neuankömmlingen zu und öffnete ihreJacke. Mit vorsichtigen, langsamen Bewegungen hob sie die Jacke an und drehte sich bedächtig herum. Die Gruppe konnte sehen, dass ihr Gürtel leer war und sie keine versteckten Waffen am Körper trug. Als sie damit fertig war, zog sie aus dem Gürtel einen Datenstab und hielt ihn in die Höhe. Erwartungsvoll blickte sie den anderen entgegen, und ihr Herz raste in diesem Augenblick. Unter normalen Umständen, an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit, hätte sie diesem Treffen nie zugestimmt. Doch es ging um mehr als nur um sie selbst...
Der Anführer schien damit zufrieden zu sein. Ohne eine Miene zu verziehen, trat er einen Schritt zur Seite... und hinter ihm kam ein kleines Mädchen zum Vorschein.
Kates Herz setzte wirklich einen Schlag aus, als sie dies sah. Diese Schweine, dachte sie erbost.
Sie war zwölf, höchstens dreizehn. Ihr zierlicher Körperbau, ihr schmales Gesicht mit den großen, runden Augen und dem zu einem unordentlichen Zopf geflochtenem dunklen Haar, ihre zögerlichen Bewegungen, als sie vorsichtig nach vorne trat... Kate empfand sofort Mitleid mit dem Kind, dass es in dieser Situation war. Das Mädchen hatte Angst, das spürte sie mit jeder Faser ihres Körpers. Und die Angst war berechtigt – ihr Körper war in eine Weste gepackt, die mit Drähten, Zylindern und elektronischen Vorrichtungen bespickt war, sodass Kate unmittelbar Bescheid wusste. Die zögerlichen, ängstlichen Bewegungen sollten nichts auslösen, was sie alle bedauern würden. An einer Seite der Weste blinkte ein kleines rotes Licht.
Kates Augen suchten bei den Söldnern nach dem Auslöser, doch sie sah nichts. Wer auch immer von diesen dreien ihn hatte, er hielt ihn außer Sicht.
Und zum ersten Mal während dieser Mission wünschte sie sich nichts sehnlicher als ihre Waffe in der Hand. Doch die einzige Waffe im weitesten Sinne, die sie nun besaß, war der Datenstab.
Mit der freien Hand deutete der Anführer darauf. „Hinlegen!", donnerte er und wies mit einer Geste auf den Boden.
Entschlossen schüttelte Kate den Kopf und deutete auf die Weste des Mädchens. „Erst entschärft ihr das Ding! Vorher bekommt ihr nichts."
Es war nicht die Antwort, die der Söldner hören wollte. Mit einem schabenden Geräusch glitt die Laserpistole aus dem Halfter des Mannes, und die Mündung zielte auf Kate. „Du bist nicht in der Position, um irgendwelche Forderungen zu stellen. Leg den Stab auf den Boden!"
Kates Blicke suchten die des Mädchens, und für einen kurzen Augenblick sahen sie sich schweigend an. Sie fluchte imStillen, ließ tausend Verwünschungen durch ihren Kopf gehen – warum hatte das niemand vorher gesagt? Warum hatte man ihr verschwiegen, dass es um ein Kind ging? Die Situation war schon schlimm genug – den Auftrag, diese Übergabe durchzuführen und eine Geisel zu befreien. Doch das hier? In Kate stieg brodelnder Zorn hoch, dass es solche Leute wagten, sich an einem wehrlosen, jungen Geschöpf zu vergreifen und es zu bedrohen. Sie wandte den Blick vom Mädchen ab und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Anführer.
„Ich sagte: Entschärfen!" Ihre Stimme hätte Stahl schneiden können.So fühlte sie sich jedenfalls.
Aber dies überzeugte nicht einmal ihre eigenen Leute. Gunmans warnende Worte tönten in ihrem Funkgerät, dessen winziger Empfänger in ihrem Ohr hoffentlich nicht zu sehen war: „Boss, das ist eine ganz blöde Idee..."
Die Warnung kam einen Augenblick zu spät. Der Anführer nahm die Waffe nur ein kleines Stück herunter, und ein greller Energiestrahl bohrte sich in Kates Wade. Sie schrie auf, ihr Bein knickte weg, und einen Augenblick später lag sie auf dem Boden. Sie sah die beiden Begleiter des Anführers zusammenzucken, hörte das Mädchen erschrocken nach Luft schnappen... und in ihrem Funkgerät brach die Hölle los.
„Leader getroffen! Leader getroffen!" Der Sniper überschlug sich mit seiner Stimme.
„Unternehmt nichts!",gab der Gunman in raschem Befehlston durch. „An alle: Haltet euch an den Plan!"
„Ist alles OK, Boss?", fragte nun ihr neuer Medic – die junge Rekrutin, der wohl nicht bewusst war, dass Kate in dieser Situation nicht antworten konnte, ohne alles zu gefährden. Doch die nächsten Worte waren ein guter Ratschlag, den Kate in einer vergleichbaren Situation wohl selbst gegeben hätte: „Ruhig bleiben, tief einatmen!"
Die Schmerzen waren nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte, und der Ratschlag ihres Medic half tatsächlich. Andererseits, in dem kurzen Moment seit dem Schuss konnte es auch einfach nur der Schock des Treffers sein. Trotzig und mit zusammengebissenen Zähnen blickte sie dem Mann entgegen, der sie gerade niedergeschossen hatte.
Anscheinend traf der Ratschlag des Medic auf geteilte Meinung in ihrer Gruppe. „Tief einatmen? Bist du bescheuert?" Das kam von ihrem Sprengstoff-Meister, der sich bislang noch gar nicht zu Wort gemeldet hatte. Seinen bissigen und üblicherweise vor Sarkasmus triefenden Tonfall hätte sie fast vermisst.
„Jetzt haltet das Maul!", fuhr der Gunman dazwischen. „Funkstille! Das gilt für alle! Haltet euch an den Plan!"
Der Plan... Der Anführer der Geiselnehmer kam mit langsamen Schritten und erhobener Waffe auf sie zu, jederzeit bereit, einen zweiten Schuss abzufeuern. Kate fühlte noch immer den Datenstab in ihrer Hand, und sie blickte kurz zu den beiden breitschultrigen Söldnern, die direkt hinter dem Mädchen Stellung bezogen hatten. Noch immer hatten sie ihre Waffen nicht gezogen...
Sie nahm den Datenstab fest in die Hand, schnipste die Abdeckung hoch und drückte einen verborgenen Knopf. Sofort begann an der Spitze des Stabs ein Licht zu blinken. Herausfordernd hielt sie dem Anführer das Ding entgegen. Er sah es... und begriff. Aprupt blieb er stehen. Sie sah ihm fest in die Augen.
„Wir können das jetzt auf die ganz harte Tour regeln", erklärte sie ihm mit ruhiger, fester Stimme. „Ich lasse den Knopf los, und eure Daten sind futsch. Dann gewinnt hier keiner. Mir sind die Daten völlig egal, ich will nur das Mädchen. Also wenn ihr nicht die harte Tour wollt, dann entschärft endlich diese verdammte Weste!"
Der Anführer erwiderte ihren Blick, ohne zu blinzeln. Dennoch bemerkte sie seine Unsicherheit. „Wenn du den Knopf loslässt..." Er machte eine bedeutsame Pause. „Dann stirbst du zusammen mit der Kleinen."
„Vielleicht lasse ich es darauf ankommen", knurrte Kate entschlossen. Ihr Blick fixierte die Augen des feindlichen Söldners, und das Blinken des Datenstabs wurde zu einer Nebensächlichkeit in ihrem Blickfeld. Nur nicht blinzeln, dachte sie im Stillen. Nur nicht blinzeln...
Dann unterlief ihr ein folgenschwerer Fehler. Ihr Griff um den Stab lockerte sich um eine Winzigkeit – jedoch genug, dass der Stab in ihrer schweißnassen Hand ins Rutschen kam. Der Daumen glitt vom verborgenen Knopf ab, und es klickte. Noch ehe Kate so richtig begriff, was gerade geschah, stoppte das Blinken des Stabs endgültig. Gleichzeitig bemerkte dies auch der Anführer. Seine Augen weiteten sich vor Unglauben und Entsetzen, als auch er begriff.
Einen Augenblick später, der sich für Kate anfühlte, als würde er in einem Meer aus zähflüssigem Sirup stattfinden, blickte sie direkt in die Mündung der Laserpistole. Der Abzugsfinger ihres Gegners krümmte sich, bereit, den tödlichen Energiestrahl direkt zwischen ihre Augen zu jagen. Jeder Instinkt, den Kate früher in solchen Situationen gehabt hatte, hätte sie zu irgendeiner Bewegung veranlasst, um dem tödlichen Schuss zu entgehen oder sich in der ein oder anderen Form zu schützen.
Nicht dieses Mal. Ihr Instinkt ließ sie anders reagieren – indem er ihre Lippen und ihre Zunge zu einem einzigen vernichtenden Wort brachte, welches sie mit aller Kraft und ungeachtet aller Konsequenzen ausstieß:
„Feuer!"
Ein zweiter Laserstrahl blitzte auf. Im winzigsten Bruchteil einer Sekunde traf er sein Ziel... und schickte den Anführer der Söldner mit einem einzigen krampfhaften Zucken seines Körpers zu Boden, wo er reglos liegenblieb.
Das kleine Mädchen schrie entsetzt auf. Die beiden Söldner hinter ihr reagierten blitzartig, ihre Waffen sprangen förmlich aus den Halftern. Suchend irrten ihre Blicke umher, als sie nach der Quelle des letzten Schusses Ausschau hielten. Doch während das Kind, nun ebenfalls von Instinkten gesteuert und auf der Suche nach Schutz, sich am Boden hinkauerte und seine Hände auf die Ohren presste, traten beide Söldner auf der Stelle – und bildeten in der Schusslinie des Gunman eine schnurgerade Linie.
Ein Schuss peitschte auf. Kein Laserstrahl, keine barbarische Projektilwaffe oder gar ein Plasmawerfer – es war ein wellenartiger Energiestoß, der die beiden Kerle mit purer Kraft von den Füßen warf und sie gegen die Umzäunung schleuderte, die den Stausee umgab. Das Metall der Umzäunung ächzte protestierend und erhielt eine mächtige Delle – die beiden Männer blieben besinnungslos am Boden liegen.
Kate blieb für einige Sekunden mit klopfendem Herzen am Boden liegen. Die Laserwaffe des Anführers war bei seinem Sturz auf den Boden gefallen und in ihre Richtung gerutscht, sodass sie nun einen halben Meter von ihr entfernt lag. Mit einer Hand tastete sie danach und nahm sie schließlich an sich, bevor sie mühsam auf ihre Beine kam. Doch ihre rechte Wade wollte immer noch nicht so recht –sie stürzte nach einem Schritt wieder zu Boden. Furchtsam blickte nun auch das kleine Mädchen auf und nahm zögernd die Hände von ihren Ohren runter.
Und die Weste an ihrem Körper blinkte noch immer. „Hey, Kleine! Komm her!", bedeutete Kate ihr. Sie wäre liebend gerne freundlicher zu dem Mädchen gewesen, doch dafür blieb keine Zeit. „Komm schon!"
Das Mädchen gehorchte und kam auf sie zu. Immer noch vorsichtig und zaghaft, aus Angst vor der Bombe, aber immerhin mit genug Vertrauen... Kate sah sich die vielen Kabel und Zylinder an, und eine Unterhaltung kam ihr in den Sinn, die sie einmal geführt hatte. Hast du schon einmal eine Operation durchgeführt? Und hingen davon auch Menschenleben ab? Ist genau das Gleiche. Sie konnte immer noch nicht darüber lachen.
„Geht es dir gut?", fragte sie die Kleine, während sie an dem Funkgerät in ihrem Ohr nestelte. Das Mädchen nickte stumm. „Wie heißt du?"
„Vera", antwortete das Mädchen. Kate nickte. Zumindest hatte sie nun ein wenig Vertrauen aufgebaut. Das würde sie gleich dringend benötigen.
„Bomber, ich brauche dich", gab sie über Funk durch. „Ich habe hier eine Höllenvorrichtung vor mir, in der ein Kind steckt. Wie gehe ich jetzt vor?"
Einen kurzen Moment später wurde ihr klar, dass sie die Frage anders hätte formulieren sollen. Sie bekam auch genau die Antwort, die sie vom Bomber erwartete: „Schieß dem Kind ins Bein und renn weg! Dann hast du eine Chance."
Oh, wie sie „Tank" vermisste... „Negativ, Bomber", gab sie genervt zurück. „Wie entschärfe ich das Ding?"
„Achso!" Als hätte er dies nicht gleich beim ersten Mal verstanden... „Ich brauche einen Scan von der Bombe, sonst kann ich hier nichts sagen."
Kate schnaubte. „Ich habe kein Equipment dafür, und uns rennt die Zeit davon. Ich habe hier vier Zylinder, die wohl den Sprengstoff darstellen. Alle sind verkabelt und führen zu drei Geräten, die auf der Weste verteilt sind."
„Erkennst du irgendwo einen Zünder?", fragte der Bomber nach einigen quälenden Sekunden.
Zum Glück konnte sich Kate einigermaßen vorstellen, was er damit meinte. „Nicht wirklich, nein", gestand sie. „Aber die meisten Kabel gehen zu einer der drei Vorrichtungen, und hier blinken auch die meisten Dioden. Hilft das?"
„Klingt gut", erwiderte der Bomber. „Trenne erst einmal die Verbindungen zwischen den Zylindern und dieser Vorrichtung. Wenn das Ding losgeht, explodiert vielleicht nicht der ganze Sprengstoff."
Als Kate nach dem ersten Kabel griff, wich das Mädchen erschrocken zurück. „Bitte nicht!", jammerte sie. „Du weißt doch gar nicht, was du tust."
„Kleines, es muss sein", beharrte Kate. „Oder weißt du vielleicht, wie man das hier abschaltet?"
Angstvoll schüttelte Vera den Kopf. Da sie ebenso wie Kate keine Alternative sah, kam sie wieder einen Schritt näher und hielt still. Kate griff nach dem ersten Kabel und zog es aus der Vorrichtung. Nach und nach entfernte sie die Verbindungen, die der Bomber ihr genannt hatte.
„Das Ding hat irgendwo eine eigene Energieversorgung", erklärte er. „Die muss um jeden Preis verbunden bleiben. Wenn der Zünder keine Energie mehr bekommt, ist es aus und vorbei."
Kate folgte den verbliebenen Kabeln bis zu einer Vorrichtung. Das schien sie zu sein – unter einer hartschaligen Oberfläche schien ein sanftes Licht zu pulsieren. „Und was mache ich jetzt damit?"
„Beides zusammen vom Rest der Weste trennen",sagte der Bomber ungeduldig. Doch mit einem deutlich sarkastischeren Ton fügte er noch hinzu: „Viel Glück!"
Sorgfältig überprüfte Kate, welche Kabel wohin führten, und begann mit der Arbeit. Das Blinken an der Seite der Weste machte sie unheimlich nervös. Vera, die sie dabei ständig voller Todesangst beobachtete, ging es offensichtlich nicht besser. Es schienen unzählige Drähte zu sein, die alles mit allem verbanden und keinen rechten Sinn ergeben wollten. Wieder spürte sie, wie der Schweiß ihre Hände bedeckte, und sie zitterte leicht, als sie die Drähte entfernte. Doch dann, mit dem letzten Draht, war die Arbeit getan. Die Energiequelle und der Zünder waren nur noch mit Gurten an der Weste befestigt, die Kate nun schnell löste. Mit beiden Händen nahm sie die Geräte ab und legte sie vorsichtig auf den Boden. Vera trat auf ein Nicken von Kates Kopf hin ein paar Schritte zurück, in gebührenden Abstand zu der Maschine.
Auch Kate stand auf und betrachtete die beiden Geräte. „Kann jetzt noch was Schlimmes passieren?"
„In der Regel nicht", erwiderte der Bomber. „Es kann aber nicht schaden, wenn du dem Ding den Gnadenstoß gibst."
Kate warf einen Blick über das Geländer des Stausees. Kurzerhand hob sie die Geräte vom Boden auf und warf sie in hohem Bogen in den See. Es platschte laut, dann blitzte es unter Wasser kurz auf.
Das hatte auch der Sniper bemerkt. „Zünder ist detoniert", meldete er. „Scheint so, als hätten wir es geschafft."
Auch wenn ihr Bein immer noch den Dienst versagte, Kate gestattete sich diesen Moment ungeheurer Erleichterung. Selbst Veras Gesicht schien sich etwas aufzuhellen, als sie die größte Gefahr überstanden hatte. Ein scheues Lächeln huschte über das junge Gesicht. Kate winkte sie zu sich heran. „Na komm", sagte sie zu ihr in beruhigendem Tonfall. „Dann wollen wir mal sehen, dass wir dich von diesem furchtbaren Ding befreien."
„Äh, Boss..." Bomber meldete sich erneut über Funk – dieses Mal klang er ungewöhnlich besorgt. Doch Kate nahm dies nicht so richtig wahr, als sie nach der Weste des Mädchens griff und die Verschlüsse löste. „Ist wahrscheinlich eine blöde Frage, aber hast du daran gedacht, den zweiten Zünder..."
Der Rest des Satzes endete in einem lauten Klicken, als Kate den Verschluss öffnete. Dann blitzte grelles Licht auf und brannte sich in ihre Augenlider, während ein ohrenbetäubender Knall sie um ihre restlichen Sinne brachte.
Es dauerte eine Weile, bis sie wieder zu sich kam. Körperlich war sie tatsächlich, abgesehen von dem Beinschuss, schon nach ein bis zwei Minuten wieder fit. Aber der Schock hatte sich dermaßen in ihren Knochen festgesetzt, dass sie für die nächste Stunde keinen wirklich klaren Gedanken mehr fassen konnte.
Anders jedoch Vera. Das kleine Mädchen spazierte vor ihr in den Besprechungsraum, die Sprengweste mit den ausgelösten Blendgranaten wie eine einfache Jacke unter den Arm geklemmt, und mit einem genervten Gesichtsausdruck, mit dem sie in nichts den „Unicorn Riders" nachstand, die sich ebenfalls dort versammelt hatten.„Paps, sie haben es schon wieder vermasselt", berichtete sie dem schwarzhaarigen der beiden breitschultrigen Söldner, mit denen Kate es am Stausee zu tun gehabt hatte, und der jetzt mit einem medizinischen Kühlmittelbehälter seine Beule am Hinterkopf verarztete.
Dieser richtete einen vernichtenden Blick auf Kate und ihre Begleiter. „Habt ihr nicht behauptet, ihr wärt gut in sowas? Wie könnt ihr sowas meiner Vera antun?"
Diese Anschuldigung war Kate endgültig zuviel. „Wer zur Hölle bringt ein kleines Kind in solche Situationen?"
„Hey, wer ist hier klein?", entrüstete sich Vera und schmiss die Weste unachtsam in eine Ecke. „Ich bin zwölf!"
Eine Hand legte sich auf Kates Schulter, und Kate blickte in das Gesicht ihres Gunman. „Lass gut sein, Boss", sagte er beschwichtigend. „Es ist ja vorbei. Das Thema ist durch."
Mühsam gelang es Kate, ihre Wut zu zügeln. Ja, es war vorbei, und entgegen allem, was sie in der letzten Stunde erlebt hatte, war es nur eine Trainingsmission gewesen. Das Mädchen Vera erfreute sich bester Gesundheit – und ließ abfällige Kommentare fallen, für die sich sogar ihr Sprengstoffexperte geschämt hätte. Dennoch, ein bitteres Gefühl blieb. Es war vorbei, wie der Gunman schon richtig sagte.
Es war vorbei. Und sie hatten versagt.
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