chapter 3

Nach ungefähr einer halben Stunde räusperte sich Eliza. Ich blickte zu ihrem Bett und bemerkte, dass sie mich ansah.Wie lange sie mich wohl schon betrachtete? Dann endlich, redete sie:"Das, was ich vorhin gesagt habe, war nicht unfreundlich gemeint. Aber nunja" Sie wirkte fast schon peinlich berührt in dem Versuch sich zu rechtfertigen. „ Ein halbes Jahr Klinik härten einen doch schon ab. Ich schätze, ich hab einfach die Hoffnung verloren." Nachdem sie das gesagt hatte, öffnete sie noch einmal kurz den Mund, als ob sie etwas hinzufügen wollte, blieb dann aber doch still. Ich antwortete nicht und richtete den Blick einfach wieder an die Decke. Ich verstand sie schon, aber irgendwie hatte ich mir doch etwas mehr von meiner Zimmernachbarin erhofft. Jemand der mich herzlich begrüßte, mich in den Arm nahm und mir hier drinnen weiterhalf, denn ich hatte doch noch niemanden sonst. Aber stattdessen kam ich mir so alleingelassen vor. Ich wandte meinen Blick von ihr ab, rollte mich auf die Seite und schlief langsam ein.

Eine Glocke schrillte laut durch das Zimmer und ich schreckte hoch. Ich sah mich verschrocken um, brauchte kurz Zeit um zu realisieren wo ich war. Dann begriff ich und sah Eliza hilflos an.

"Es gibt Essen. Du hast eine Weile geschlafen." Ich nickte und stand schließlich auf. Essen. Ich musste nun tatsächlich essen, musste mit diesen ganzen dünneren, schöneren Mädchen in einem Raum sitzen und tun, wovor ich am meisten Angst hatte. Ich blickte Eliza panisch an. "Ich will nicht." Sie nickte nur. "Ich weiß." entmutigt setzte ich mich erneut auf meine Bettkante, starrte meine blassen Oberschenkel an. Sie waren zu fett, eindeutig. Wenn ich so saß, sah man eine kleine Lücke, wenn ich aufstand, war sie doch schon ganz beträchtlich. Auch eine der Sachen, auf die ich unglaublich stolz war: Endlich eine Lücke zwischen meinen Beinen. Eliza stand schon an der Tür und sah mich auffordernd an. „Komm schon. Du packst das. Es kann zwar einschüchternd sein, aber... Jedensfall bin ich sicher, dass du das schaffst" Besonders ermutigend klang sie zwar nicht, aber mir war bewusst, dass ich früher oder später essen werden müsse. Also stand ich erneut auf und lief zur Tür. Eliza nickte mir noch einmal zu und lief dann hinaus.

Ich saß am Esstisch um mich herum sieben andere Mädchen, dünnere Mädchen, schönere Mädchen. Wir alle hatten eine Portion Spaghetti vor uns stehen, ein paar hatten begonnen langsam zu essen, andere stocherten noch wahllos herum, ein Eliza hatte die Gabel noch nicht einmal angerührt, genau wie ich. In der Mitte des Tisches lag ein Zettel "Regeln beim Essen." Die Regeln wurden mir schon vorgelesen bei meinem Beratungsgespräch bevor ich hierherkam, genauso beim Tag meiner Ankunft.

Beim Essen wird nicht über das Gewicht geredet

Brot darf in nicht mehr als 3 Stücke zerteilt werden

Die Patienten haben eine halbe Stunde Zeit zu essen.

Die Portionengröße und -anzahl wird durch den individuellen Essvertrag bestimmt

Bei vollständiger Essensverweigerung müssen die Patienten einen Nährstoffersatz zu sich nehmen

Am schlimmsten war die dritte Regel. Eine halbe Stunde war so verschwindend wenig, ich würde nicht einmal einen Bruchteil meiner Portion schaffen. Vor allem, weil diese riesig wirkte.

Als ich mich noch einmal umsah hatte sogar Eliza mittlerweile zögerlich angefangen zu essen. Damit ich nicht direkt am ersten Tag Nährstoffersatz runterwürgen musste, nahm ich ein paar Spaghetti auf meine Gabel und steckte sie kurzerhand in den Mund. Sie waren unglaublich aromatisch, schmeckten einfach zu gut. Ich hatte seit Ewigkeiten keine Nudeln mehr gegessen. Viel zu viele Kohlenhydrate. Und jetzt saß ich hier, umringt von diesen ganzen anderen Mädchen, die es eigentlich viel mehr verdient hatten hier zu sein, sollte ich einen ganzen Teller vollgeladen mit Kohlenhydraten essen? Ich legte die Gabel schnell wieder hin. Als ich zurück zu Eliza sah, lächelte sie mir leicht zu. Sie sagte nix und begann immer wieder eine Gabel mit Spaghetti anzuheben, nur um diese doch wieder fallenzulassen.

Ein paar Mädchen unterhielten sich mittlerweile angeregt über die Schule und den Abschluss und Ausbildungen. Auf einmal sah ein blondes Mädchen zu mir. "Was ist mit dir? Was willst du später mal machen?"

"Ich... äh. Weiß nicht. Ich muss wahrscheinlich die 11. wiederholen. Ich bin erstmal froh, wenn ich irgendwann meinen Abschluss mach."

Das Mädchen lächelte,drehte sich zu den anderen zurück und redete weiter.

Abschluss. Zukunft. Ich hatte Angst vor der Zukunft. Ich war doch viel zu zerbrechlich für alles was mir bevorstand. Alle anderen hier schienen so überzeugt davon, dass sie ihre Krankheit überwinden würden und dass eine glänzende Zukunft vor ihnen gab, ich jedoch hatte überhaupt keinen Halt

Ich nahm die Gabel wieder in die Hand und nahm zielstrebig ein paar Spaghetti, betrachtete sie gründlich und steckte sie schließlich voller Wiederwillen in meinem Mund. Ich zählte beim Kauen mit, bei 34 hatte ich alles hinuntergeschluckt und fühlte mich schuldig.

Ich war es gewohnt manchmal tagelang nichts zu essen und auch wenn diese paar Spaghetti wirklich nicht viel waren, war es für mich, als würde ich mich vollstopfen. Ich fühlte mich krank und ekelhaft, wollte am liebsten all das Gewicht, das zu viel war, die Kilos, die mir wie Lasten auf den Schultern saßen und mich herunterzogen rauskotzen. Erbärmlich war ich. Einfach erbärmlich. So viele hatten den Platz hier wirklich verdient, Mädchen die wirklich zu dünn waren und wirkliche Probleme hatten, ich war nur ein naives, moppeliges Mädchen, das keine Selbstkontrolle hatte.

Ich sah auf meine Armbanduhr, noch 16 Minuten hatte ich um den riesigen Berg Spaghetti runterzuwürgen. Also nahm ich zielstrebig noch eine Gabel voll, führte sie an meinen Mund und hielt dann inne, zögerte kurz, senkte die Gabel wieder.

Klar wollte ich wieder gesund werden, aber gleichzeitig wollte ich nicht wieder so fett werden, wie ich war, bevor ich einfach aufhörte zu essen. Wenn ich mir jetzt meinen Körper ansah, war da einfach überall zu viel, viel zu viel. Zu viel Fett, zu viel Gewicht, dass ich mit mir herumtrug.
Es war erschöpfend. Alles, diese ganze Krankheit, mich selbst so zu hassen, und deshalb wollte ich es ja auch besiegen, aber dann müsste ich wieder viel zu viel zunehmen. Und das war eins der Dinge, die mir am meisten Angst machten.


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