Kapitel 9
Ivy;
"Layla und ich haben miteinander geschlafen", hörte ich Kira sagen, konnte mit den Worten aber nichts anfangen. Ich wusste nicht, was es bedeutete, was das letztendlich hieß. Bevor ich die Worte überhaupt wirklich greifen konnte, redete sie bereits weiter. "Es tut mir so leid, Ivy! Ich wollte dir das eigentlich sofort sagen, aber auf der anderen Seite konnte ich es auch nicht. Wir haben geschworen, dass wir es niemanden erzählen und jetzt hab ich es schon drei Leuten erzählt."
Langsam verstand ich, was Kira mir sagen wollte. Ich dachte zurück an Layla's komisches Verhalten, dass Kira und sie sich mieden, dass es unmöglich war, sie in den gleichen Raum zu bekommen. "Warum wolltet ihr das denn nicht erzählen? Wirke ich etwas so intolerant?", fragte ich Kira verwirrt, während ich darüber nachdachte, ob ich jemals etwas Schlechtes gesagt hatte, doch mir fiel nichts ein. Ich hatte nicht mal einen Witz gemacht.
"Nein, nein, definitiv nicht", meinte Kira sofort und ich konnte sehen, wie ihre Wangen rot wurden. Sie biss sich auf die Lippe, als wüsste sie nicht, was sie sagen wollte. "Es ist nur... Wir wollten einfach nicht, dass es awkward wird." So wie sie das sagte, fühlte es sich an, als wäre mehr zu der Geschichte, doch ich wollte auch nicht nachbohren.
"Alles ist gut, Kira", antwortete ich stattdessen und umarmte sie fest. "Ich bin hier für dich." Kira erwiderte meine Umarmung und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Vielleicht war ich doch nicht so allein, wie ich dachte, immerhin hatte ich Kira. "Das muss nichts verändern zwischen uns, wir können immer noch Freunde sein." Kira nickte nur leicht und befreite sich aus der Umarmung.
"Ja, danke, Ivy", sagte sie eher kalt.
Ich schaute sie an und nahm ihre Hand in meine. Ihre Haut war wahnsinnig weich und fühlte sich gut auf meiner an. "Ich kann mir vorstellen, dass das wahnsinnig verwirrend für dich ist und wenn du mit mir über irgendwas reden willst, kannst du das gerne machen." Ich wusste nicht, ob das, was ich gesagt hatte, das Richtige war. Das war das erste Mal, dass ich in dieser Situation war, eine Situation, die ich nur aus Filmen kannte. "Und keine Ahnung, was das Richtige ist in dieser Situation, aber du wirst immer eine Freundin von mir sein, egal in wen du dich verliebst. Nichts ist mir egaler."
Kira sah mich an und an ihren Augen konnte ich sehen, dass sie sich mit einem Lachen zurückhalten musste. "Keine Sorge, Layla war nicht, weil ich verwirrt war. Ich weiß schon lange, dass ich auf Frauen stehe. Kein Mann hat jemals meine Aufmerksamkeit so geweckt. Ich dachte nicht, dass es wichtig ist, das zu erzählen." Gefühlt war der letzte Satz gelogen, aber es spielte keine Rolle, warum sie es mir nicht früher gesagt hatte.
"Alles gut", meinte ich nur. "Ich will nur, dass du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst. Auch gerne über deine Freundin oder einen Crush."
Kira nickte nur und senkte den Blick, dann schaute sie wieder zu mir. "Du kannst mit mir auch über alles reden, ja? Besonders auch mit Luca, ich weiß, ich war nie sein größter Fan, aber ich kann dir trotzdem gut zuhören."
Ich schüttelte den Kopf. "Ich hab genug über ihn nachgedacht und geredet, jetzt ist auch langsam mal gut. Können wir einen Film schauen? Oder sonst irgendwas?"
Kira nickte und setzte sich zum Ende ihres Bettes hin, sie klopfte auf den freien Platz neben und gab mir ein Nackenkissen. "Keine Ahnung, Netflix möchte mir die ganze Zeit Kissing Booth 3 andrehen, den können wir anschauen?"
Ich nickte nur. "Ich möchte nur vorwarnen, dass ich sowohl während dem ersten als auch während dem zweiten eingeschlafen bin", erwiderte ich.
"Mir würde etwas Schlaf definitiv gut tun", erwiderte Kira mit einem Lachen und schaltete den Film ein. Während den ersten Szenen spürte ich schon wie ich bereits müde wurde und machte meine Augen zu.
-
Geweckt wurde ich von einem Klopfen an Kira's Zimmertür. Mein Kopf lag auf Kira's Schulter und sie war definitiv bequemer als manche Kissen. "Also ich wollte euch nur sagen, Mama und Papa wollen, dass Ivy jetzt mal nach Hause geht, weil es offiziell eine Schulnacht ist und ja. Sorry, Ivy", meinte Andre und schloss danach die Tür wieder. "Hab es ihnen gesagt", hörte ich ihn draußen auch unten schreien.
"Wie viel Uhr ist es?", murmelte Kira neben und öffnete verschlafen die Augen. "Oh, sorry, wenn ich schlafe, bekomme ich immer ein Kuschelbedürfnis", entschuldigte sie sich.
"Kein Stress, das bekommen wir doch alle", erwiderte ich nur mit einem Lächeln. "Meinst du, ich muss jetzt wirklich nach Hause?"
Kira nickte. "Meine Eltern sind da ziemlich streng, das ist so ziemlich die einzige Regel, die wir noch wirklich haben." Sie brachte mich nach unten zur Tür und gab mir eine Regenjacke und einen Schirm. "Es sieht so als würde es immer noch Regnen, da solltest du definitiv vorsichtig sein."
Ich umarmte sie zum Abschied und fühlte mich in ihrer Umarmung wahnsinnig geborgen. "Danke für alles, Kira, wir müssen uns definitiv noch öfters treffen, am besten nicht so spontan."
"Ja, gerne, schreib mir, wenn du gut nach Hause gekommen bist, ja?", erwiderte sie und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. "Und immer dran denken, es gibt noch viele andere tolle Menschen auf dieser Welt, die auch besser zu dir passen."
Ich lächelte sie nochmal an und machte mich dann auf den Weg nach Hause. Dort angekommen wurde ich als erstes von Mila umarmt. "Ich hab dich vermisst, warum kommst du erst jetzt nach Hause?", fragte sie mich mit einem Schmollen.
"Ich hab noch Kira besucht", antwortete ich ihr und umarmte sie fest zurück. Ich erinnerte mich noch daran, dass ich am Anfang ganz und gar nicht begeistert gewesen war, dass ich noch eine Schwester bekommen sollte, aber nach dem ersten Tag hatte sie mich bereits vollständig um den Finger gewickelt.
"Kommt Kira mal wieder zu uns zu Besuch? Ich will sie mal wieder sehen!", meinte Mila nur nickend und verständnisvoll. Das erste Mal, als ich Kira zu mir zu Hause eingeladen hatte, war Mila hin und weg gewesen und wollte seitdem ständig, dass sie bei uns vorbeikam.
"Ja, bestimmt, wir können sie ja mal gemeinsam fragen", antwortete ich mit einem Grinsen. "Lässt du mich jetzt mal rein?" Mila nickte und zog mich bis ins Wohnzimmer, wo meine Eltern auf mich warteten.
"Wie war's in der Uni?", fragte mein Vater mich, während Mila auf die Couch zu ihm kletterte. "Wenn du möchtest, kannst du deine neuen Freunde gerne mal bei uns nach Hause einladen."
"Jetzt fall doch nicht immer gleich mit der Tür ins Haus, Adam", erwiderte meine Mutter und rollte mit den Augen. "Lass Ivy doch erstmal von ihrem Unialltag erzählen."
"Ja, ich will sie auch kennenlernen, sind sie genauso cool wie Kira?", warf Mila ein und kuschelte sich an meinen Vater. Mila war bereits seit ihrer Geburt ein absolutes Papakind gewesen und das hatte sich bis jetzt nicht geändert.
"War sehr schön und bis jetzt sind alle wahnsinnig nett", antwortete ich endlich. "Jetzt muss ich erstmal mein Zeug loswerden und noch was für morgen packen." Mit diesen Worten machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer.
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Chris [22:03]: Sorry, dass ich jetzt erst antworte, ich war noch bis jetzt unterwegs
Chris [22:04]: aber voll cool, dass dein erster Tag schön war und... das soll jetzt nicht blöd klingen, aber endlich ist das mit dir und Luca mal zu Ende, du hast das so verdient, endlich mal frei zu sein
Ich hatte schon den ganzen Abend das Bedürfnis mit Chris oder irgendjemanden über Kira und Layla zu sprechen, jedoch hat sie es mir im Vertrauen gesagt und ich fühlte mich nicht befugt mit jemand anderem darüber zu reden.
Ivy [22:06]: Was war bei dir heute so los?
Ivy [22:07]: und denk dir nichts dabei, Kira hatte ja auch immer die gleiche Meinung und jetzt langsam verstehe ich es auch... aber ich wollte einfach so sehr, dass es funktioniert
Chris [22:08]: ganz ehrlich, wir müssen wirklich mal was mit Kira machen, sie klingt nach jemanden mit Verstand ;)
Chris [22:09]: haha, ich wollte heute einfach bisschen aufräumen, drei Staffeln später kann ich stolz sagen, es sieht genauso aus wie vorher
Chris [22:09]: ansonsten fast gar nichts... irgendwie war heute bisschen meh
Ich schrieb über den Abend noch ein bisschen mit Chris hin und her, bis ich schließlich irgendwann einschlief.
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Am nächsten Tag klingelte mein Wecker bereits um sechs Uhr. Definitiv deutlich früher als noch in der Schulzeit, in der ich nie so früh aufstehen musste. Noch etwas blind tastete ich nach meinem Handy und schaltete erstmal den Wecker aus. Aus unserem erst gegründeten Gruppenchat von der Uni stichen mir 34 neue Nachrichten ins Auge.
Mit einem Gähnen klickte ich auf den Chat, während ich nach meiner Brille tastete, um endlich scharf zu sehen. Ich überflog die Nachrichten grob. Definitiv nichts wichtiges war in den über dreißig Nachrichten passiert. Mit einem Seufzen quälte ich mich aus dem warmen Bett und schleppte mich mit einem weiteren Gähnen ins Bad.
Dort angekommen holte ich als aller erstes meine Kontaktlinsen raus und tat sie mir in meine Augen. Nach einem Blinzeln konnte ich nun auch endlich wieder sehen. Ohne Brille cremte ich meine Haut ein und schminkte mich schnell fertig.
Ein Blick auf die Uhr: 6:30. Wer genau wollte nochmal eine Vorlesung um viertel nach acht veranstalten? Genau eigentlich niemand. Ich griff nach meinem Handy und ging nach unten, um zu frühstücken.
In der Küche angekommen holte ich mir mein Müsli aus dem Schrank und schüttete es zusammen mit Mandelmilch in einer Schüssel zusammen. Gleich unter dem Chat unserer Unigruppe sah ich den Chat mit Kira. Bei dem Gedanken an sie musste ich kurz schlucken. Ich konnte die Ereignisse von gestern noch nicht vollständig einordnen und meine Gefühle dazu erst recht nicht. Sollte ich mich betrogen fühlen, hintergangen oder enttäuscht? Aber wovon oder weshalb? Es war nicht so, dass die beiden währenddessen in Beziehungen gewesen waren.
Sollte ich Layla davon erzählen? Oder würde das Kira nur in ein schlechtes Licht rücken? Während ich mein Müsli fertig aß, dachte ich weiter darüber nach und kam aber zu keinen logischen Erklärung, warum die beiden es mir nie erzählt hatten. Ich musste definitiv dringend mit jemanden darüber sprechen, nur mit wem? Schließlich hatte ich Kira mein Wort gegeben mit niemanden jemals darüber zu sprechen. Oder sollte ich direkt mit ihr nochmal drüber sprechen?
In gewisser Weise fühlte ich mich wie eine schlechte Freundin, wie konnte ich solange nichts gemerkt haben? Und warum hatte mir Kira nie erzählt, dass sie lesbisch war? Ich machte mir extreme Vorwürfe, hatte ich jemals etwas schlechtes gesagt? Mit einem Seufzen räumte ich meine Schüssel in den Geschirrspüler und machte mich auf dem Weg in die Uni.
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"Ich bin so müde, alter", meinte Maximilian, der heute neben mir in der Vorlesung saß. "Ich hätte einfach länger schlafen können, wenn das heute nur wieder so ne Einführungsveranstaltung ist."
"Boah, ja, same", erwiderte Simon mit einem Augenrollen und gähnte. "Und dann war es das halt nicht mal wert."
"Was hast du gestern noch gemacht, Ivy?", fragte Marina mich. "Du hast uns gestern gar nicht mehr geantwortet, wir wollten doch heute noch was machen."
Ich zuckte kurz zusammen. Irgendwie konnte ich ja nicht direkt sagen, dass ich gestern erst mit Luca irgendwie Schluss gemacht hatte und dann zu Kira gefahren bin, weil mich die gesamte Situation so fertig gemacht hatte. "Nichts mehr wirklich, bin glaub ich relativ schnell eingeschlafen."
"Oh, ja, lass nach der Vorlesung frühstücken gehen", schlug Olivia vor. "Meine Mitbewohner haben mein Müsli aufgegessen und deswegen konnte ich einfach gar nichts essen."
"Ja, mega, lass das mahen", stimmte Isabella sofort zu. "Aber wartet, lass später nochmal reden, ich glaub jetzt wird gleich was über die Klausur gesagt."
Nachdem die Vorlesung endlich zuende war und außer einem Klausurtermin nichts wichtiges gesagt wurde, gingen wir zusammen in ein Cafe zum frühstücken. Marina bestellte sich einen veganen Obstsalat und Olivia eine ganze Portion Rührei, während der Rest von uns nur einen Kaffee, beziehungsweise einen Tee trank.
"Leute, wir müssen definitiv mal zusammen feiern gehen", meinte Maximilian. "Aber wir haben die Ersti-Woche verpasst, oder?"
Bei dem Gedanken an die Ersti-Woche musste ich lächeln und dachte daran, wie ich bei der Party Kira wieder getroffen hatte. "Ja, die ist schon durch", antwortete ich mit einem Grinsen. Erstmal wollte ich auch nicht die schöne Erinnerung von Kira und mir bei der Ersti-Woche mit einer anderen überschreiben.
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