Kapitel 7

Ivy;

"Hübsch siehst du aus", begrüßte mich Luca mit einer festen Umarmung. In seinen Armen hatte ich mich immer sicher gefühlt, er strahlte eine ruhige Wärme aus und sein Geruch erinnerte mich an entspannte Sommerabende und Sonnenuntergänge.

"Wie war dein erster Unitag, Ivy?", fragte er mich – die Art, wie er meinen Namen aussprach, war schon immer außergewöhnlich gewesen. Für mich fühlte es sich immer besonders an, als wäre das etwas, was nur wir beide hatten.

"Sehr schön", erwiderte ich mit einem Lächeln und löste mich aus seiner Umarmung. Egal, wie gut sich das gerade anfühlte, konnte ich die harten Worte von Chris nicht abschütteln. Vielleicht sahen Außenstehende doch mehr als ich. "Es ist zwar gerade alles noch echt viel, aber zum Glück haben die uns heute in der Einführungsveranstaltung echt alles erklärt", redete ich weiter und blendete die Meinung von Chris (und Kira) weiter aus.

"Ja, das glaub ich dir, aber das wird alles schnell besser werden. Einfach nicht so stressen lassen, das Studium ist auch nicht anders als die Schule", erwiderte Luca mit einem Lächeln. "Also willst du draußen sitzen? Das Wetter sieht so aus, als würde es noch gut halten und Regen ist auch nicht vorhergesagt." Gemeinsam schlenderten wir zu dem Restaurant und suchten uns draußen ein Platz. Die Sonne schien noch schwach und es war angenehm warm – ein richtiger Spätsommerabend, auch wenn es bereits Oktober war.

"Hast du dich schon im Voraus entschieden? Außerdem waren wir hier bereits, also müsstest du dich ja schon schneller entscheiden können?", ärgerte mich Luca mit einem Grinsen. "Ich habe nämlich schon etwas Hunger, also brauch bitte nicht allzu lange." Ich wusste nicht, ob ich es verdrängt oder vergessen hatte, wie es mit Luca war. Wir hatten uns schon immer blendend verstanden, konnten zusammen lachen – die Frage war, ob ich jemals vergessen konnte, wie er mit mir Schluss gemacht hatte und ob er nicht wieder weglaufen würde, wenn es schwierig werden würde.

Ein Kellner kam vorbei und brachte uns zwei Karten. Während ich die Karte sofort aufschlug, lächelte Luca mich an. "Ich denke, ich weiß eh schon, was ich möchte. Hast du schon coole Leute kennengelernt? Oder seid ihr alle so richtig stereotypische Juristen?" Mittlerweile verstand ich, was mein damaliges sechszehnjähriges Ich an Luca gefunden hatte. Er war aufmerksam und bemühte sich sehr um mich. Er fragte mich immer nach meinen Leben und zeigte wirkliches Interesse.

"Nein, überhaupt nicht. Die sind alle super nett, wie auch bei meinem Praktikum in der Kanzlei. Also bis jetzt kann ich noch nichts Schlechtes über Juristen sagen", antwortete ich und las weiter die Karte durch. Bei der Auswahl würde mir die Wahl definitiv schwerfallen. Ich schmunzelte, als ich daran dachte, wie Luca das bereits vorhergesehen hatte – er kannte mich wirklich gut. "Wie ist es bei dir? Du hast doch schon früher wieder angefangen?"

"Ja, wir fangen ja als duale Studenten immer früher an", erwiderte er mit einem Lächeln. "Welchen Wein möchtest du denn trinken? Oder lieber einen von den Cocktails?"

"Ich muss mich erstmal für was zum Essen entscheiden, aber lass uns doch zusammen erstmal ne Flasche Wasser nehmen", schlug ich vor, während ich zum zweiten Mal die Karte durchlas. Luca und ich kannten uns schon seit Jahren, waren jahrelang befreundet gewesen. Manchmal fühlte es sich so an, als hätten wir unsere Freundschaft durch die Beziehung kaputt gemacht – genauso wie unsere Gruppendynamik.

Nachdem wir die Getränke und eine Vorspeise bestellt hatten, redete wir über alles miteinander, als wäre das Eis endlich gebrochen worden. Er erzählte mir von seinem Studium, wie viel Glück er mit seiner Firma gehabt und wie nett alle waren. Ich erzählte ihm von allem, was ich während meines Auslandsjahres erlebt hatte. Das Thema 'Schluss machen' umschifften wir gut. Ich hatte vergessen, wie gut es sich anfühlte mit Luca Zeit zu verbringen. Doch war es das alles Wert? Dieses Hin und Her, das unsere Beziehung schon von Anfang an überschattet hatte.

"Meinst du eigentlich, dass wir jemals die Probleme hinter uns lassen können?", fragte ich ihn direkt, während ich weiter die Vorspeise aß, die wir uns bestellt hatten. "Jeder, den wir kennen, ist der Meinung, dass wir schrecklich zueinander passen und wir uns nicht guttun."

"Ivy, darüber denke ich jeden Tag nach. Ich will letzten Endes nur das Beste für dich. Auch wenn du das vielleicht nicht immer so siehst", erwiderte Luca. "Ich mag dich, aber ich denke, ich verstehe dich. Eine Beziehung sollte einfach sein, nicht ständig Arbeit. Bei uns passiert ständig irgendwas. Ob wir Probleme haben, weil wir beinahe unseren Freundeskreis kaputt machen oder ob ich nicht damit klarkomme, eine Fernbeziehung zu führen. Es ist immer anstrengend zwischen uns beiden. Immer kompliziert."

Ich nickte nur und wusste nicht mehr wirklich, was ich dazu noch sagen sollte. "Ich glaube, wir sollten endlich akzeptieren, dass wir als Freunde besser aufgehoben sind", meinte ich und erstaunlicherweise tat mir bei diesen Worten das Herz nicht weh.

Der Kellner unterbrach unser Gespräch, als er uns die Hauptspeise herbrachte. Schweigend begann ich zu essen, es war als wäre alles zwischen uns gesagt. Ein komisches Gefühl war es. Ich hatte mich nie weiter von ihm entfernt gefühlt – auf der einen Seite fühlte es sich richtig an, auf der anderen Seite fühlte es sich falsch an.

-

"Wer hätte gedacht, dass das so endet?", meinte Luca, als wir auf dem Weg nach Hause waren. "Ich definitiv nicht, ich dachte mal, wir wären zusammen für immer. Aber davon sind wir definitiv weit entfernt."

Ich nickte nur und wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Gefühlt wiederholte sich die Geschichte nun zum dritten oder vierten Mal. Nach unserem ersten Streit hatten wir uns auf dem Weg nach Hause schrecklich angeschrien und schließlich das erste Mal unsere Beziehung beendet, weil es besser so für alle wäre. Luca hatte sich vor dem Flughafen von mir getrennt und hier waren wir und trennten uns erneut. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr realisierte ich, wie recht alle Leute hatten, dass wir uns einfach nicht guttaten.

"Auf Wiedersehen, Ivy", verabschiedete sich Luca an der Kreuzung, an der sich unsere Wege trennen würde. "Ich wünsche dir nur das Beste." Wir umarmten uns und es fühlte sich endgültig an, als ob unsere Geschichte nun vorbei war.

"Ich bin mir sicher, wir werden beide glücklicher ohne einander werden", erwiderte ich. "Mach's gut, Luca." Wir lösten uns voneinander und ohne noch einmal umzusehen, ging ich die Straße Richtung zu Hause. Ich konnte seinen Blick noch auf meinem Rücken spüren, vielleicht hatte er noch die Hoffnung, dass ich mich umschauen würde, wie ich mich sonst immer umgeschaut hatte. Doch dieses Mal war es endgültig vorbei.

Ich wusste nicht warum, aber mir traten Tränen in die Augen. Sie verschleierten mir die Sicht und ich ließ mich einfach auf den Boden am Straßenrand fallen. Wie würde es jetzt nur weitergehen? Ich dachte an Layla, doch mit ihr fühlte es fremd an, falsch, als wäre alles nur gespielt. Dann fiel mir Chris ein. Er war in Regensburg und hatte bestimmt viel mehr neue Freunde gefunden.

Die Bäume verloren die Blätter, die Sonne war schon fast untergegangen und von dem schönen Tag war nichts übriggeblieben. Ich spürte den Wind auf meiner Haut, der einfach durch meine dünne Jacke direkt auf die Haut wehte - dann den ersten Regentropfen. Ohne wirklich darüber nachzudenken, stand ich auf und begann loszugehen, meine Schritte beschleunigten immer weiter, bis ich außer Atem vor Kira's Haus stand. Stark atmend drückte ich auf die Klingel und wartete nervös, dass die Tür aufging.

"Ivy?", fragte Andre, Kira's jüngerer Bruder, mich verwirrt, als er die Tür aufmachte. "Was machst du denn hier? Und wieso bist du bei diesem Wetter überhaupt draußen?"

"Ist Kira da?", fragte ich sofort.

Andre schüttelte den Kopf. "Nein, die ist mit Freunden unterwegs, aber sie sollte in ner halben Stunde da sein, du kannst auf sie warten", schlug er vor.

"Nein, ist schon gut, ich gehe einfach wieder, sie kann mich dann anrufen", meinte ich und wollte mich schon wieder umdrehen und mich auf den Weg nach Hause machen.

"Ivy, du kannst doch nicht bei dem Wetter so nach Hause gehen", hielt mich die Stimme von Kira's Vater zurück. "Wir geben dir mindestens einen Regenschirm und eine winddichte Jacke mit. Jetzt komm erstmal rein." Mit einem Lächeln betrat ich das Haus. "Du bist ja ganz nass, so lassen wir dich nicht einfach gehen."

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht realisiert hatte, dass es angefangen hatte zu regnen. Innerhalb weniger Minuten hatte ich von Kira's Vater eine Decke und einen Tee bekommen, während Kira's Mutter mir bereits eine Jacke und einen Regenschirm hinlegte. "Kira hat gesagt, sie ist um halb neun da, dann kann sie dir auch trockene Klamotten leihen. Ansonsten kannst du auch einfach hier warten, bis deine Kleidung trocken ist", meinte Kira's Mutter und setzte sich gegenüber von mir auf die Couch zu ihrem Mann Julian. "Möchtest du noch dein Handy laden?"

Ich war immer wahnsinnig gerne bei Kira gewesen. Ihre Familie hatte mich immer mit offenen Armen empfangen und ich fühlte teilweise beinahe wie ein weiteres Familienmitglied. "Ja, das wäre nett", meinte ich und holte mein Handy aus der Tasche hervor. Erst jetzt wurde mir langsam bewusst, wie verdammt kalt mir eigentlich gewesen war. Der Tee und die Decke halfen zum Glück dagegen.

"Es soll jetzt immer noch schlimmer regnen, wir können dich ansonsten auch nach Hause fahren, wenn du möchtest?", bot Kira's Mutter an. "Du musst dich auch nicht schlecht fühlen, wenn du dieses Angebot annimmst." Ich fühlte mich bei Clara immer sehr verbunden, sie war für mich schon relativ bald ein Art Vorbild geworden. Sie arbeitete als Anwältin und hatte sogar mittlerweile eine eigene Kanzlei, die erst vor einigen Jahren aufgemacht hatte.

"Ich warte erstmal auf Kira", erwiderte ich nur und wollte nicht zu viel von ihnen verlangen. Sie hatten mir bereits so viel angeboten. Es war für mich so bizarr, dass ich über ein Jahr keinerlei Kontakt mehr zu Kira gepflegt hatte. Ich hatte beinahe vergessen, warum ich mit ihr überhaupt befreundet gewesen bin, warum ich mich bei ihr immer am besten gefühlt hatte. Für mich war sie charakterlich einer der schönsten Menschen, die ich jemals kennengelernt hatte.

"Kira hat erzählt, dass du tatsächlich Jura studierst. Das hat uns so gefreut, dass du das so durchziehen konntest. Das war ja immer dein Traum", meinte Clara mit einem Lächeln. "Gefällt es dir denn bis jetzt?"

Ich nicke. "Ja, es ist super. Auch alle anderen sind total nett, aber viel habe ich ja noch nicht mitbekommen. Nur verlaufen tue ich manchmal noch."

"Oh ja, ich glaube davon kann Julian ein Lied singen. Er hat nie zu meinen Hörsälen gefunden und ich musst ihn immer an irgendeinem Punkt in dem Gebäude abholen", antwortete Clara darauf und Julian musste lachen. "Ja, deine Wegbeschreibungen waren aber auch nie nachvollziehbar", fügte er hinzu.

Das Klingeln an der Tür unterbrach das Gespräch. Bevor ich aufstehen konnte, war Andre bereits aus dem Wohnzimmer und an der Haustür. Er kam einige Momente später mit Kira wieder, deren Klamotten komplett durchnässt waren.

"Oh nein", sagte Julian sofort. "Du kommst mit den Klamotten nicht hier rein und tropfst auf das Packet! Am besten ziehst du das alles gleich im Badezimmer aus und ziehst dir was trockenes an."

"Hallo Papa, ich freue mich auch dich zu sehen, ja, ich bin gut von der S-Bahn nach Hause gekommen, danke der Nachfrage", erwiderte Kira und rollte mit den Augen, blieb aber brav, bevor das Packet anfing, stehen. "Oh, hi, Ivy, wolltest du zu mir?" Ihre Miene hellte sich auf, als ihr Blick auf mich fiel.

Ich nickte und stand auf. Sie lächelte mich weiter an."Komm einfach mit, dann können wir reden."

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