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Jona Thompson
Grübelnd starre ich das Foto vor mir an, ohne das Motiv wirklich zu sehen. Kelvin ist wieder einmal viel zu spät dran.
Vor zwei Wochen hat er in dem Club ein Mädchen kennen gelernt und sie gehen jetzt miteinander aus, oder schlafen zumindest miteinander. Da er deshalb kaum im Studio ist und unser Chef nur alle paar Wochen vorbei schaut, muss ich alles selbst machen und ich bin es müde.
Ich liebe meinen Job, aber ich bin völlig überarbeitet. Nachts bekomme ich kaum ein Auge zu, weil ich ständig Angst habe, dass am nächsten Tag jemand kommt, um sich zu beschweren, weil ich schlechte Arbeit geleistet habe. Und so ein Tattoo zu korrigieren ist beinahe unmöglich. Zumal ich noch nicht so viel Erfahrung mit solchen Sachen habe, wie ich es gern hätte.
Dazu kommt, dass Erika hin und wieder bei mir oder im Studio vorbei schaut um zu reden, aber es gibt nichts mehr zu besprechen. Sie hat mir gesagt, was angeblich passiert ist, wie unglaublich leid es ihr tut und das ganze Zeug. Ich kann es nicht mehr hören.
>Hey, Jona. Wach auf!<, Erschrocken fahre ich hoch und sehe zu Kelvin auf. Wann bin ich eingeschlafen? Meine Wange fühlt sich taub an, weil ich damit auf einem Stift gelegen habe, darum reibe ich sie mir. >Warum schläfst du hier im Studio? Was sollen denn die Kunden denken?< Ich könnte an die Decke gehen, so unschuldig sieht er mich an. Langsam stehe ich auf und sehe auf ihn herab. Er ist nur ein winziges bisschen kleiner als ich, aber das reicht mir.
>Das könnte ich genauso dich fragen, Mr. Ich-vögle-eine-Frau-und-habe-es-nicht-nötog-meine-Termine-abzusagen-wenn-ich-schon-nicht-arbeiten-gehe! Ich arbeite seit zwei Wochen Tag und Nacht, weil du mit dieser blöden Tussi zusammen klebst und dich einen Scheiß um deinen Job kümmerst! Was erzählst du denn deinen Kunden, warum ich deine ganze Arbeit machen musste?< Er sieht mich an, als wäre meine Wut völlig unbegründet und hebt die Schultern.
>Du weißt doch, wie das mit den Frauen ist. Die brauchen Aufmerksamkeit.< Den Mist kann er sich schenken.
>Dann hoffe ich Mal, dass sie es wert ist. Ich bin für den Rest der Woche durch, viel Spaß noch<, wünsche ich ihm so freundlich wie möglich, werfe ihm den Schlüssel für das Studio auf den Tisch und ziehe mir meine Jacke über.
>Alter, lässt du mich jetzt die Woche hier hängen oder was? Es ist Montag.<
>Nein, ich gebe dir nur Gelegenheit, deine versäumte Arbeit aufzuholen.< Bevor er mir gleich noch mehr Vorwürfe macht verlasse ich das kleine Büro, durchquere das Studio und eile so schnell wie möglich nach draußen. Wer kann so einen Mist gebrauchen? Da verbiegt man sich, um irgendwie alles handhaben zu können und das ist der Dank.
Mein schlechtes Gewissen meldet sich, weil ich ihn eigentlich nicht so stehen lassen will, aber ich ignoriere es. In den letzten gefühlten hundert Jahren habe ich mehr als genug für Kelvin getan, jetzt kann auch er einmal in den sauren Apfel beißen. Außerdem habe ich heute keine Termine zum Stechen, also muss ich mich auch nicht schlecht fühlen, wenn er irgendetwas vergeigt.
In letzter Zeit passiert eine Sache nach der Anderen und ich habe einfach keine Lust mehr. Erst geht mir meine Freundin fremd, dann lässt Kelvin mich hängen, mein Vater ist wieder in der Stadt und will sich angeblich mit mir versöhnen und zwischendurch habe ich mir auch noch eine Erkältung eingefangen, die aber immerhin schon wieder fast überstanden ist.
Warum kann denn nicht zur Abwechslung auch Mal wieder etwas Normales, oder sogar Schönes passieren? Es muss ja nicht gleich Geld regnen oder alles ausgemerzt werden, was mich stresst, aber so ein winzig, kleines Bisschen Entspannung würde mir wirklich gut tun.
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Viel Spaß :)
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