9.Stimmen
Maene riss die Augen auf und rappelte sich auf, ihre Hände abwehrend von sich gestreckt. Sie brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es nur ein Traum gewesen war.
Es schien ihr so real. Wie damals. Sie konnte jetzt noch die Flammen auf ihrer Haut spüren und die Schreie hallten noch immer in ihren Ohren nach. Sie hatte schon lange nicht mehr davon geträumt und jetzt tat sie es wieder. Dabei hatte ihre Nacht eigentlich gut angefangen. Ihr Traum hatte sich um den Kapitän gedreht, und auch wenn die Handlungen verwirrend gewesen waren, so waren sie trotzdem nicht angsteinflössend gewesen. Aber dann war sie plötzlich wieder in jenem Haus gewesen, mit jenen Leuten und dann war plötzlich überall Feuer. Unbewusst strich sie sich über ihr linkes Handgelenk, an dem die Flammen geleckt hatten und wo nun eine zartrosa Haut die verkohlte ersetzt hatte. Sie war noch glimpflich davongekommen, äusserlich war dies die winzige Narbe, die sie erlitten hatte. Aber die Anderen nicht. Ihre Schreie waren furchtbar gewesen, als sie bei lebendigem Leib verbrannten.
Tief atmete sie durch, um sich zu beruhigen, doch ihr Herz schlug immer noch hart gegen ihre Rippen, als würde es versuchen, sich zu befreien und davonzuflattern.
Es war still. Ein nebliger Herbstmorgen, die bereits aufgegangene Sonne vermochte es nicht, den Nebel zu vertreiben und so blieb er, dick und schwer über dem Boden und deckte alles zu.
Maene liess ihren Blick über die Lichtung schweifen und langsam hörte sie auf zu zittern. Das Gras stand still in der Kälte, kein einziger Windhauch bewegte es. Auch der Mann zu ihren Füssen lag bewegungslos da. Sie runzelte die Stirn und trat einige Schritte auf die Stelle zu, wo er lag. Als sie näher kam, bemerkte sie zu ihrer Erleichterung, dass sich sein Oberkörper hob und senkte. Er lebte also noch.
Auch das Fieber schien nicht mehr ganz so schlimm in ihm zu wüten, das kalte Wetter war vielleicht gar nicht so schädlich gewesen. Maene streckte ihre schmerzenden Glieder aus und seufzte, als einige ihrer Gelenke knackten. Ihr Körper war ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden, die stundenlange Arbeit auf dem Schiff und der Wald waren ihrer Verfassung nicht gerade förderlich gewesen. Sie spürte, dass sie wohl auch bald krank werden würde, doch sie wusste auch, dass sie sich das nicht leisten konnte. Zwei Kranke alleine in der Wildnis. Ein gefundenes Fressen für hungrige Tiere.
Maene richtete sich vollends auf und setzte sich in Bewegung. Sie hatte Hunger und Durst, aber bevor sie diese stillen konnte, musste sie erst einmal Wasser und etwas Essbares finden. Mit einem letzten Blick auf Terrivion, der noch immer unbeweglich am Boden lag, verliess sie die Lichtung und trat in den dichten Wald. Nach ein paar Schritten war sie vollständig von Bäumen umgeben und eine eigenartige Ruhe befiel sie. Sie konnte sogar die Vögel zwitschern hören. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht.
Es war Freiheit. Sie war frei. Sie hatte gewusst, dass ein Leben in Freiheit nicht einfach werden würde und schalt sich selber, dass sie sich trotzdem nie bewusst gewesen war, dass sie jeden Tag darum kämpfen musste, ihre Grundbedürfnisse zu decken. Hinzu kam, dass sie mit Ballast unterwegs war. Aber sie konnte den Kapitän nicht einfach zurücklassen, zum einen war sie nicht so kaltherzig und konnte einen Menschen dem sicheren Tod überlassen und zum anderen brauchte sie sein Wissen. Sie hatte noch immer keine Ahnung, wo sie überhaupt war. Nur, dass sie sich irgendwo im Norden befinden musste. Aber wo? Ausserdem würde sie nicht einmal um Hilfe bitten können, man würde sie nicht verstehen, schliesslich sprachen die Leute hier anders als bei ihr in England. Die junge Frau ging raschen Schrittes durch den Wald, sie wusste, dass sie nicht lange wegbleiben konnte und ausserdem quälte sie der Durst. Sie war tief in den Wald gelaufen, überall nur noch Grün. Grünes Moos, grüne Farne, grüne Blätter, grüne Blätterdächer. Alles grün, so weit das Auge reichte. Ihre Schritte verlangsamten sich und sie musste lächeln. Es sah aus wie in einem Zauberwald, auf jeden Fall war ein solcher in ihren Märchenbüchern immer so beschrieben worden.
Doch dann stoppte sie plötzlich und ihr Atem ging schneller. Sie stöhnte frustriert auf und warf ihre Hände in die Luft. Sie hatte sich wieder einmal verlaufen. Würden die weissen Lichtkugeln wieder erscheinen?, fragte sie sich und hielt nach diesen Ausschau, doch sie erschienen nicht. Resigniert setzte sich die junge Frau wieder in Bewegung, aber sie blickte zu Boden und nahm ihre Umgebung nicht mehr wirklich wahr. Sie wusste ja sowieso nicht, wo sie war.
Die Kälte kroch in ihre Glieder und liess sich nicht mehr abschütteln. Sie würde wohl ihr ständiger neuer Begleiter werden. Plötzlich vernahmen Maene's Ohren etwas und sie schaute verwirrt auf. Dann schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Rauschen. Hier musste irgendwo Wasser sein. Sie wurde schneller und rannte schliesslich in die Richtung, in der sie den Ursprung des Geräuschs vermutete. Voller Schwung bog sie um den letzten Felsen, der ihr noch den Weg versperrte und hielt abrupt. Beinahe wäre sie in den kleinen Bachlauf getreten und nasse Füsse konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen, sie waren auch so schon genug kalt.
Gierig schlürfte sie das kalte Wasser und kümmerte sich nicht um die Wassertropfen, die ihre Kleidung durchnässten. Als sie ihren Durst endlich gestillt hatte, wurde sie sich bewusst, dass sie ein Problem hatte. Wie sollte sie das Wasser zu Terrivion bringen? Sie hatte unglücklicherweise kein Gefäss und auch sonst nichts, in dem sie das Wasser hätte transportieren können. Sie verdrehte die Augen und setzte sich wieder in Bewegung. Wenn sie das Wasser nicht zum Kapitän bringen konnte, dann musste dieser halt zum Wasser kommen. Hoffentlich war dieser noch nicht wach geworden und hatte versucht sich aufzurichten.
Maene eilte durch den Wald und vertraute darauf, dass ihr Instinkt sie zurückbringen würde, es hatte schliesslich bis jetzt jedes Mal geklappt.
Viele Bäume, viele Gräser, viel Moos. Es sah alles gleich aus und sie liess ihre Füsse einfach laufen.
Plötzlich hörte sie komische Laute und stoppte abrupt, wäre jemand hinter ihr gestanden, er wäre mit voller Wucht in ihren Rücken geknallt. Auf der Hut schlich Maene nun weiter, vorsichtig einen Fuss vor den anderen setzend und versuchend, so wenig Geräusche wie nur irgendwie möglich zu machen.
Unglücklicherweise standen die Bäume um sie herum sehr dicht, sie sah nur ein paar Meter weit, bevor alles zu einem verschwommenen grünen Mus wurde. Sie schlängelte sich also um die dicken Baumstämme und näherte sich den Lauten. Diese verwandelten sich zu tiefen Stimmen, ihre Besitzer mussten höchstwahrscheinlich männlich sein.
Maene schlich weiter und wäre fast auf die Lichtung gelaufen, von der die Stimmen kamen, so sehr war sie darauf bedacht gewesen, keinen Laut zu machen.
Sie ging rasch ein paar Schritte rückwärts und trat dabei prompt auf einen kleinen, trockenen Ast. Das Knacken hallte über die Lichtung und die Stimmen verebbten abrupt. Es war totenstill abgesehen von den Vögeln, die noch immer fröhlich vor sich hinpfiffen.
Für einen Bruchteil eines Moments stand Maene da wie eine eingefrorene Statue, dann sprang sie so leise wie möglich hinter den nächstgelegenen Baum, der zu ihrem Glück einen recht dicken Stamm besass. Sich dicht an den Stamm pressend kniff sie ihre Augen zusammen und hoffte inständig, man würde sie nicht entdecken oder für ein Tier halten. Ihre Hoffnung erhielt einen gewaltigen Dämpfer, als eine der Stimmen rief:
"Wer ist da? Komm raus!"
Sie verpuffte ganz, als sie plötzlich ein schweres Paar Schuhe durch das trockene Laub rascheln hörte.
Sie hielt erschrocken ihren Atem an und spannte ihre Muskeln bis zum Zerreissen an.
Muahahaha, ich bin gemein! Ich weiss, ich weiss, es ist nicht gerade fair von mir hier aufzuhören, aber ich kanns nun mal nicht lassen;)
Wahrscheinlich wird das nächste Kapitel im Laufe der nächsten Woche kommen, mal schauen..
lg louve
PS: es ist heute ebenfalls win Kapitel Hide und Seek rauagekommen, dürft gerne reinschauen;)
PPS:
Ich hab ein neues Buch veröffentlicht! Es heisst Lebensspuren und ist ein Mischmasch aus Poesie und Kurzgeschichten. Ich wäre froh, wenn ihr mir eure Meinung dalassen würdet.
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