7. Gestrandet

Zwei Körper lagen auf dem steinigen Grund, immer wieder von den Wellen umspült, die sich langsam beruhigten. Auf einmal regte sich der kleinere von beiden.

Maene schlug ihre Auge auf, nur um sich in einer unbekannten Umgebung wiederzufinden. Sie hatte aber keine Zeit, diese genauer zu betrachten, stattdessen spürte sie, dass ein schmerzhafter Druck auf ihren Lungen lastete, sie bekam keine Luft. Deshalb stützte sie sich mit einem Arm auf und würgte. Ein grosser Schwall salziges Meerwasser wurde aus ihren Lungen gedrückt und sie konnte endlich wieder atmen. Langsam setzte sie sich auf. Ihre Muskeln schmerzten und sie fühlte sich, als wäre sie gegen unzählige Felsen geknallt. Vielleicht war sie das ja auch, dachte sie sich und stöhnte leise auf.

Als sie ihren Kopf nach rechts drehte, erschrak sie. Jemand lag neben ihr. Vorsichtig ging sie auf den Bewusstlosen zu und beugte sich zu ihm hinunter. Er war mit Seetang bedeckt und blutete aus mehreren Wunden. Sie zog das grüne Seegras von seinem Gesicht und schrak abermals zurück. Es war der Kapitän. Warum um Himmels willen musste sie ausgerechnet mit dem Kapitän stranden? Warum wurde sie vom Schicksal so gehasst? Sie warf wütend ihre Hände in die Luft und lief rastlos im Kreis.

Sollte sie ihn aufwecken? Oder einfach hier liegenlassen? Schliesslich hatte er sie auch nicht besser behandelt.
Ja, das würde sie jetzt tun, entschied sie sind und ihre Füsse trugen sie vom Strand weg.
Als sie bereits die vielen Baumgruppen erreicht hatte, die zusammen einen dichten Wald bildeten, schaute die noch einmal zurück.
Er lag noch immer da, so, wie sie ihn zurückgelassen hatte.
Ihr schlechtes Gewissen meldete sich und sie blieb unbeweglich stehen, nicht fähig, weiterzulaufen.
Sie seufzte tief auf.
Egal, was er ihr getan, oder in ihrem Fall eben nicht, hatte, sie konnte ihn nicht dort liegenlassen und ihn dem Schicksal überlassen.
Auch wenn ihr oft vorgeworfen wurde, ein Herz aus Stein zu haben, sie fühlte trotzdem. Im Verborgenen litt sie, während sie äusserlich völlig unberührt schien. So war sie eben.
Ihre Beine eilten wieder zum Wasser, zu ihm. Sie kniete neben seinen leblosen Körper und betrachtete ihn genauer.
Er hatte kalt, sein Lippen waren blau und bluteten. Auch sonst hatte er einige Verletzungen. Ein Schnitt am Oberschenkel, eine Schürfung an Ellenbogen und Kinn. Vielleicht waren auch einige Knochen gebrochen, das konnte sie jetzt noch nicht sagen.
Ihr schien es beinahe wie ein Wunder, dass sie beinahe unversehrt aus dem Schlamassel rausgekommen war. Sie hatte also doch einen Schutzengel. In der letzten Zeit hatte sie dies immer wieder bezweifelt, schliesslich würde ein Schutzengel nicht zulassen, dass sie von einem Unglück ins nächste rennen würde, aber wenn sie zurückblickte, so machte es irgendwie Sinn. Wenn sie nicht geflohen wäre, wäre sie jetzt nicht hier. Sie wäre nicht...frei. Sie war frei! Auch wenn der Kapitän hier war, sie war nicht länger seine Sklavin. Sie war endlich frei. Und sie kümmerte sich nur um den Kapitän, damit er ihr erklären konnte, wo sie waren, sagte sie immer wieder zu sich selbst.
Vorsichtig hob sie seinen Kopf in ihren Schoss und strich ihm seine nassen Haare aus der Stirn. Er war hübsch, das musste sie zugeben. Während der gesamten Schiffsreise hatte sie ihn nie richtig betrachtet. Jetzt schoss ihr das Blut in die Wangen und sie blickte mit geröteten Wangen hinaus aufs Meer.
Sie durfte nicht so denken, nicht nach der Tortur der letzten Wochen, an der er schuld war. Maene seufzte wieder.
Die Sache war kompliziert. Als sie merkte, dass sie in ihrem Kopf nur ein noch grösseres Chaos anrichtete, wenn sie weiter darüber nachdachte, schüttelte sie entschlossen den Kopf und richtete ihren Blick wieder auf den Mann in ihrem Schoss. Seine Augen waren noch immer geschlossen. Grau waren sie, das wusste Maene. Ein wunderschönes grau.
Ihren Mut zusammennehmend rüttelte sie ihn sanft an seiner Schulter.
Er reagierte nicht.
Immer ungeduldiger werdend rüttelte sie ihn fester an der Schulter und rief: "Wach auf!"
Als sie ihn schon beinahe auf ihn einschlug, bewegte er sich endlich ein wenig. Er stöhnte und riss seine grauen Augen auf. Sie starrten direkt in Maene's grüne.
Diese sagte nichts. Ihr war die Situation unangenehm, schliesslich lag sein Kopf noch immer auf ihrem Schoss. Auch wenn sie nicht viel von den Anstandsregeln zuhause gehalten hatte, so wusste sie trotzdem, dass diese Nähe alles andere als ziemlich war. Aber was galten hier Anstandsregeln? Er war schliesslich ein Wikinger!
Er schwieg ein paar Sekunden, genau wie sie. Dann versuchte er sich aufzurichten, sackte aber sogleich zurück. Laute Flüche, die sie nicht verstand, drangen an Maene's Ohr und sie zuckte zurück. Musste er auch seine Stimme so sehr erheben? Sie war doch direkt bei ihm.
Sie blickte ihn wieder ein paar Sekunden an, dann fragte sie zögernd: "Kannst du aufstehen?"
Er nickte schwach und biss seine Zähne zusammen.
Offenbar musste er starke Schmerzen haben.
Sie half ihm, seinen Oberkörper aufzurichten, indem sie mit aller Kraft gegen seinen Rücken drückte. Als sie es beinahe geschafft hatten, rutschten Maene's Hände ab und sie knallte mit ihrem Oberkörper gegen seinen Rücken.
Beide schrien schmerzerfüllt auf, der Laut wurde von den nun trügerisch ruhigen Wellen verschluckt.
Die junge Frau versteifte sich. Verdammt, sie klebte mit ihrer Brust praktisch an ihm, hoffentlich kam er nicht noch auf falsche Ideen. Zu ihrer Erleichterung reagierte er nicht und sie stand auf, um ihn mit beiden Händen hochziehen zu können. Als er schliesslich auf wackeligen Beinen neben ihr stand, keuchten beide, völlig verschwitzt und mit schmerzendem Körper. Maene bemerkte, dass er Schwierigkeiten hatte stehenzubleiben und sie legte beherzt seinen Arm über ihre Schultern. Sie hatte schon damit gerechnet, dass er ihn wegziehen würde, aber stattdessen stützte er sich beinahe mit seinem ganzen Gewicht ab.  Er war schwer, das bemerkte sie nach ein paar Sekunden. Er war nicht dick, aber auch Muskeln wogen und sie selbst war noch ein wenig geschwächt.
"Wohin?", waren ihre einzigen Worte und der Kapitän zeigte mit einem Kopfnicken auf den Wald. Maene sah ihn eindringlich an und versuchte zu erkennen, was er wohl vorhatte. Sie wäre lieber am Ufer geblieben, sie wusste nicht, wohin der Wald führte. Trotzdem vertraute sie ihm, nachdem sie tief durchatmete und ihn noch einmal genau analysierte. Das Einzige, was sie sah, war Schmerz. Deshalb wollte sie ihn nicht länger quälen und begann einen Fuss vor den anderen zu setzen. Er humpelte angestrengt neben ihr her, lautlos fluchend und angestrengt die Zähne zusammenbeissend.
Es schien ihnen wie eine Ewigkeit, als sie endlich die ersten Bäume erreichten. Der Kapitän keuchte schwer und lehnte sich völlig entkräftet gegen den Stamm einer grossen Tanne. Maene schnaufte ebenfalls heftig, ihre Hände in ihre Hüften stützend. Er blickte mit halb geschlossenen Augen zu ihr und sagte plötzlich: "Maene?"
"Ja?", fragte diese zögerlich zurück.
"Ich heisse Terrivion."
Maene war für einen Augenblick sprachlos. Er hatte ihr endlich seinen Namen verraten. War das jetzt gut oder schlecht?, fragte sie sich, doch sie kam zu keinem Schluss.
Terrivion hatte seine Augen nun ganze geschlossen und war auf den von Tannennadeln übersäte Waldboden gesunken. Schweissperlen rannen ihm die Stirn hinab, seine Kleidung war nassgeschwitzt.
Maene eilte besorgt zu ihm und ihre Sorge erwies sich als berechtigt. Sein ganzer Körper war glühend heiss, er hatte ganz offensichtlich Fieber. Komischerweise war ihr das vorhin nicht aufgefallen.
Wie konnte sie ihn jetzt hier wegbringen?
Sie wusste ja nicht einmal, was ihr eigentliches Ziel gewesen wäre. Wo waren sie überhaupt? 
Sie wusste, dass sie von Terrivion keine Antwort erwarten konnte und seufzte abermals tief.
Es war frisch, immer wieder brachte sie ein Luftzug zum Frösteln. Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper und sie zitterte, doch sie wusste, dass sie jetzt die Zähne zusammenbissen und etwas suchen musste, mit dem sie den Kapitän fortbewegen konnte.
Ihr fiel nur eine Möglichkeit ein und so band sie mit Schnüren aus ihrem sowieso schon demolierten Kleid so viele Zweige zusammen, wie sie finden konnte und formte die zu einer Art Netz, auf das sie Terrivion hinauflegte. Er stöhnte nur leise auf, ansonsten reagierte er nicht. Maene brauchte erst einmal eine Verschnaufpause, als sie ihn endlich auf dem Geflecht aus Ästen platziert hatte. Dann riss sie noch ein paar Schnüre aus ihrem Kleid, das ihr nun nur noch knapp bis über ihre Knie ging und band deren Enden ebenfalls an den Zweigen fest. So bildeten sie zwei Schlaufen, durch die sie ihre Arme strecken konnte. Sie begann zu ziehen und zu ihrer Überraschung funktionierte ihr selbstgebautes Transportmittel ganz gut, es genügte für ihre Zwecke.
Der Wald wurde immer dichter und es war schwierig, sich irgendwie durch die eng beieinanderstehenden Bäume zu schlängeln. Immer wieder stolperten ihre Füsse über eine Wurzel oder sie blieb mit ihrer Kleidung an einem Strauch hängen. Maene's Muskeln brannten, doch sie lief weiter.
Schliesslich waren sie schon ein paar Stunden unterwegs gewesen, als die Sonne langsam verschwand. Es wurde rasch dunkel und Maene entschied sich, Terrivion unter einem Felsvorsprung abzulegen und nach Kräuter zu suchen, die ihm helfen würden mit seinen Verletzungen. Vielleicht würde sie auch ein paar finden, die fähig waren, Fieber zu senken. Sie wusste, dass sie im Moment nichts ausser dies und positives Denken tun konnte.
Als Maene ein paar Schritte gegangen war, sah sie schon die erste Pflanze, die sie benutzen konnte und lächelte stolz. Pflanzen hatten sie schon immer fasziniert, Kräuterkunde war nebst dem Jagen ihre Lieblingsbeschäftigung geworden. Noch ein paar Schritte und wieder eines. Maene verlor sich völlig in der Pflanzenvielfalt des Waldes und vergass alles um sich herum. Inzwischen war die Sonne ganz untergegangen und es war dunkel. 

Sie hörte plötzlich ein leises Geräusch und blickte alarmiert auf. Jetzt sah Maene nur noch unheimliche Schatten, die die grossen Tannen auf den Boden warfen. 

Wo war sie? Wo war Terrivion?
Es war still. Zu still.
Kein Laut war zu hören.
Sie drehte sich hektisch im Kreis.
Gänsehaut überzog ihren Körper.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken und ihre Nackenhaare stellten sich auf. Stille.

Hallo lovelies:)
Wieder ein Kapitel Unexpected Twist, es wird spannend:) was denkt ihr, wird passieren?
Bitte voten/kommentieren/Feedback
Danke...
Lg louve

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