5. Pläne und Zähneklappern
Das grosse Holzschiff lag bewegungslos im Wasser, die See war ruhig. Zu ruhig. Keine Welle berührte den Bug des Schiffes, nichts bewegte sich. Sämtliche Passagiere des hölzernen Kolosses schliefen, nur ihre sich hebenden und sinkenden Oberkörper verrieten, dass sie noch Leben in sich hatten.
In dieser Ruhe, in der Starre der Nacht riss Maene ihre Augen auf, nachdem sie lange in erschöpftem Schlaf versunken und von wirren Fieberträumen heimgesucht worden war. Das glaubte sie jedenfalls, sie konnte sich nicht mehr genau erinnern. Mit Schwung setzte sie sich auf und blickte sich mit wilden Augen um. Beinahe im gleichen Augenblick merkte sie, dass Schwäche sich ihres Körpers bemächtigte und sie dazu zwang sich wieder hinzulegen. Warum befand sie sich in einer Kajüte? Gerade eben war sie doch noch auf dem Deck gewesen und hatte die Planken geschrubbt. Und dann...dann war alles schwarz geworden. War sie etwa in Ohnmacht gefallen? Sie wusste es nicht, denn obwohl ihre Mutter sie immer dazu gezwungen hatte Korsagen anzuziehen,hatte sie nie wie all ihre Freundinnen ihr Bewusstsein verloren. Immer hatte sie einen Weg gefunden der Einschnürung zu entgehen, ob durch Durchtrennen der Korsagenbänder oder Bestechen der Zofen. Sie war nie eines der Mädchen gewesen, die sich über die neuste Mode aus London oder die Männer aus Bath interessiert hatte, es war ihr alles immer ziemlich gleichgültig gewesen. Ihre Mutter hatte sich oft beschwert und sie gescholten, ihr Vater degegen hatte ihr nur einen enttäuschten Blick zugeworfen und sie danach wie Luft behandelt. Bis er sie verheiraten wollte. Geld war schon immer das Wichtigste für die Menschen, die Maene's Meinung nach die Bezeichnung "Eltern" nicht verdient hatten. Sogar wichtiger als ihre Tochter. Aber die war ihnen sowieso egal gewesen, sobald sie gemerkt hatten, dass Maene ihre Erwartungen nicht erfüllen würde. Sie wollten eine Marionette, die alles tat, was sie verlangten. In Maene's Fall hatte die Marionette die Fäden gekappt und sich befreit. Und nun war sie hier. Sie drehte sich auf die Seite mit dem Rücken zur Wand. So konnte sie das gesamte Zimmer in Augenschein nehmen. Es war nicht gross, aber sie fand es trotzdem wunderschön. Ausser dem Bett befanden sich ausserdem ein geräumiger Schrank, eine Kommode, eine Truhe und ein Bücherregal in der Kajüte. Maene stütze sich auf ihrem linken Arm auf und versuchte die Titel der vielen Wälzer zu lesen, aber es gelang ihr nicht. Sie war sehr wohl des Lesen und Schreibens mächtig, aber nachdem sie genauer hinschaute, bemerkte sie, dass die Bücher in einer anderen Sprache geschrieben sein mussten. Was sprachen diese Männer wohl? Bestimmt kein Englisch, das war klar. Nun bereute sie es nie mehr über die Wikinger erfahren gewollt zu haben. Ihre Eltern hätten es ihr zwar nicht erlaubt, aber sie hatte schon lange aufgehört sich deren Willen zu beugen. Man konnte behaupten, Maene beugte sich nur ihrem eigenen Willen. Sie hatte es auch hier auf dem Schiff bewiesen, obwohl sie anders empfand. Sie fühlte sich schwach, da ihr Körper der Tortur nicht entgegenzuhalten vermochte und ärgerte sich darüber. Eigentlich hatte sie schon Übung darin, ihre Eltern hatten ihr oft tagelang das Essen verweigert, wenn sie etwas zu deren Missfallen getan hatte, aber sie hatte es immer geschafft aus dem Haus zu entwischen und im Wald etwas Essbares zu finden. Egal ob Wurzeln, Kräuter, Beeren oder Rinde, Maene wusste beinahe von jeder Pflanze den Namen. Seit sie mit einem Jungen der Stadt befreundet war, der Sohn des Waffenschmieds, hatte sie sogar einen Bogen. Auf ihren Ehrgeiz war Maene sehr stolz. Auch mit Pfeil und Bogen hatte sie anfangs ihre Schwierigkeiten, sie verfehlte ihr Ziel oft meterweit. Doch ein knurrender Magen und ihr Ehrgeiz verbesserten ihre Treffsicherheit schnell. Nun konnte sie ohne Probleme selbst kleinere Tiere wie Eichhörnchen oder Vögel erlegen. Ein Gedanke keimte in ihrem Kopf, ihre Augen leuchteten auf und ihre Laune hob sich blitzartig.
Wenn sie einen Bogen hätte, dann könnte sie sich verteidigen. Dann könnte sie, sobald ihre Füsse wieder auf festem Boden standen, türmen. Mit dem Bogen könnte sie im Wald überleben, sie könnte neu anfangen, weit weg von jeglicher Zivilisation. Frei. Sie würde endlich frei sein.
Von diesem Gedanken aufgemuntert schloss sie hoffnungsvoll die Augen und schlief mit einem Lächeln auf ihren Lippen ein.
Eine Hand rüttelte unsanft an seiner Schulter. Der Rücken wurde dem Rüttler zugedreht, eine Antwort bekam er nicht, doch trotzdem hörte er nicht auf. Der Schlafende wurde immer genervter, schliesslich öffnete er ein Auge und drehte seinen Kopf zu dem Störenfried, der ihn gerade um seinen Schlaf gebracht hatte?
"Was?", blaffte seine Stimme mürrisch und er rieb sich müde die Augen.
"Ein Sturm braut sich zusammen, Kapitän, wir erwarten Anweisungen, natürlich nur, wenn Ihr dazu gewillt seid, natürlich, wer sind wir denn, dass wir euch etwas fragen dürfen." erklang eine unterwürfige Stimme, dessen Besitzer bei jeder Bewegung, die der Angesprochene machte, zusammenzuckte. Der Matrose stand schief auf seinen Beinen, den Oberkörper demütig gebückt und die Hände auf dem Rücken verschränkt. "Er hat Angst vor mir.", dachte Vion belustigt und tauschte einen Blick mit Irik, der nun auch hinzugetreten war.
Kurz dachte er an nichts, aber dann fiel ihm die Gefangene unten in seiner Kajüte wieder ein und er fluchte vor sich hin. Der Matrose, der sowieso schon einen Diener machte, sah aus. Als würde er sich gleich in seine Hosen machen. "Lächerlich.", dachte Vion, doch er verkniff sich eine spöttische Bemerkung, der Matrose wäre nur noch angsterfüllter.
"Lasst die Segel so, wie sie sind. Ich will so schnell wie möglich nach Hause. Wir haben schon einmal einen Sturm ausgehalten, wir werden auch einem zweiten standhalten. Bringt die Sklaven unter Deck, ich will keine weiteren Verluste!", bellte er über das Schiff, alle hatten seine Worte vernommen. Sofort kam ein "Aye, aye, Kapitän" zurück und die Sklaven wurden unter Deck gezerrt. Sobald wieder Ruhe einkehrte und nur noch die Matrosen und er auf dem Deck standen, holten ihn seine Gedanken wieder ein. Was sie wohl machte? Ob es ihr besser ging? Ob sie vielleicht schon wach war? Ein paar Mal war er nahe daran, in seine Kajüte hinunterzusteigen und sich zu vergewissern, dass sie noch lebte, doch er verbot es sich. Er würde sich noch früh genug mit ihr beschäftigen müssen.
Immer stärker werdender Wind pfiff ihm um die Ohren, seine eigenen Worte wurden ungehört von ihm davongetragen. Das Schiff steuerte direkt auf eine schwarze Wolkenwand zu. Vion erstarrte kurz, dann schrie er noch lauter eine Vielzahl an Befehlen über das nun vom herabfallenden Regen und den immer höheren Wogen patschnasse Deck . Hoffentlich hörten sie ihn, dachte er sich und atmete erleichtert auf, als seine Männer die Befehle ausführten. Der Sturm wurde heftiger und heftiger, bald war er weitaus schlimmer als der letzte, den sie überstanden hatten. Dieses Mal schlugen die Wogen höher und mehr Regen schoss vom Himmel. Ausserdem verschleierte eine dicke Nebelwand die Sicht, man konnte nicht einmal die Gallionsfigur am Bug des Schiffes erkennen.
Sein ganzer Körper triefte von Wasser, aber Vion stand neben dem Steuer wie eine Statue. Das Schiff würde sie sicher nach Hause bringen, schoss es ihm wie ein Gebet durch den Kopf. Die Wellen wurden noch höher und das Schiff schaukelte auf dem Wasser hin und her wie eine Schaukel, die sich beinahe überschlug. Nicht mehr viel und sie würden kentern. Gerade jetzt war dies kein guter Zeitpunkt, da sie sich auf der Höhe von Ingjaldr's Landen befanden. Man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass Ingjaldr und Vion's Vater keine Freunde waren. Sie waren zwar auch keine expliziten Feinde, aber trotzdem wollte niemand austesten, ob sie ihnen gut gesinnt waren oder nicht, denn Ingjaldr war für seine Kampftruppen bekannt. Niemand wusste, ob überhaupt irgendein anderer Herrscher eine annähernd schlagkräftige Truppe besass wie Ingjaldr. Oft munkelte man, dass Vion's Stamm Konkurrenz machen könnte, gleich noch ein Grund Ingjaldr fern zu bleiben.
Es war kalt. Sehr kalt. Gänsehaut zierte seinen Körper und er zischte genervt. Jetzt war wirklich nicht der richtige Moment um Schwäche zu zeigen, doch es half alles nichts. Mit jeder neuen Welle, die ihn traf und durchnässte, klapperten seine Zähne noch mehr aufeinander. Irik warf ihm einige Blicke zu und sagte schliesslich in einem Befehlston, er solle sich gefälligst eine Jacke holen. Jeden anderen hätte er zurechtgewiesen, aber Irik war aufrichtig um seine Gesundheit besorgt, das wusste er. Deswegen wartete er seufzend, bis sein Freund die glitschigen Stufen hinauf aufs Oberdeck erklommen hatte, um das Steuer zu übernehmen und machte sich dann auf den Weg in seine Kajüte.
Mit einem gewaltigen Knall flog die Tür an die Wand und brachte das schlafende Mädchen dazu, aus ihren verwirrenden Träumen aufzuwachen. Sie hatte keine Zeit auch nur eine Sekunde nachzudenken, denn der Kapitän trat ein. Maene wandte ihr Gesicht ab und fluchte. Was wollte er hier? Er sollte doch oben sein und das Schiff steuern. "So ein Feigling!", dachte sie spöttisch und blickte ihn mit gerunzelter Stirn an. Was tat er denn jetzt? Ihr Peiniger kniete vor der Holztruhe und fischte einen Pelz heraus. Sie stand langsam auf und bemerkte erleichtert, dass ihr beinahe nicht mehr schwindelig war.
"Jetzt ist aber nicht gerade die günstigste Zeit sich fein rauszuputzen, findest du nicht? Nicht dass man bei dir noch was retten könnte, aber....."
Maene hatte keine Gelegenheit mehr, ihren Satz zu beenden. Während sie gesprochen hatte, waren Runzeln auf der Stirn des Kapitäns aufgetreten und als sie ihren zweiten Satz angefangen hatte, kam er blitzschnell auf sie zu, und drückte sie gegen die Wand hinter ihr.
Keine Worte wurden gesprochen, nur eine beinahe unerträgliche Spannung lag im Raum. Heftig hebend und senkend lagen ihre Oberkörper aneinander, er konnte ihre sanften Rundungen unter ihrem Hemd spüren und musste sich sehr beherrschen, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Maene hingegen spürte nur stahlharte Muskeln und sie schluckte schwer. Sie wünschte, er würde aufhören sie so an die Wand zu pressen, es war ihr unangenehm so nahe bei einem Mann zu stehen. Graue Augen hatten sich in grüne verhakt und liessen sich nicht mehr los.
Wenn nicht auf einmal ein lauter Schrei ertönt wäre, der sie beide dazu brachte heftig zusammenzuzucken, wären sie wohl noch einiges länger so verharrt, schweigend aber trotzdem so viel sagend.
Hallöchen meine Lieben
Hier ist nochmal ein Kapitel, zugegeben ein Füllerkapitel, aber ich kann es nicht weglassen. Ich verspreche euch jedoch, dass im nächsten Kapitel endlich was passiert, ihr wisst schon was, oder?;)
Danke für de Votes, Kommis, allgemein fürs Lesen. Ich bin euch ungeheuer dankbar, wenn ihr mir irgendwelche Feedbacks gebt, was ich besser machen könnte.
Lg louve
PS: ich weiss, es ist noch nicht Sonntag, aber ich hatte schon ein Kapitel fertig, es stört euch ja nicht, oder?:)
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