4. innerer Kampf

Immer wieder fielen ihm die Augenlider zu, aber er zwang sich sie offenzuhalten. Seufzend fuhr er sich über sein Gesicht und blickte zum Bett. Noch immer warf sich das Mädchen unruhig hin und her, als wolle sie sich befreien oder jemanden abschütteln, ihre flehende Stimme unverständliche Worte murmelnd. Er erhob sich ächzend aus seinem unbequemen Sessel und streckte seine verkrampften Glieder kurz, dann eilte er auf das Bett zu und setzte sich auf dessen Rand.

Lange starrte er auf ihre blasse Hand, auf der deutlich ihre blauen Lebensadern und viele Blasen zu sehen waren, während er überlegte, ob er sie in seine nehmen sollte oder nicht. Sein Verstand schrie ihm tosend wie ein Wirbelsturm zu seine Kajüte zu verlassen oder sie von Bord zu werfen damit seine Maske nicht bröckelte, aber sein Herz flüsterte sanft und doch nebst dem Kravall, den sein Verstand machte, noch hörbar, er solle sie pflegen und sie für sich behalten.

Er selbst war hin- und hergerissen. So eine Frau wie Maene war ihr wirklich noch nie unter die Augen getreten und genau das machte sie auch so gefährlich für ihn. Er hatte das Gefühl, dass sie direkt unter seine Maske schauen konnte und diese sinnlos war. Er erhob sich wieder vom Bett um einen Abstand zu kreieren, nur zur Sicherheit.

Sie bewegte sich wieder und warf ihren Kopf hin und her. Ihre dunklen Locken klebten verschwitzt an ihrem ungesund geröteten Gesicht und das Hemd, dass er ihr ohne sie anzuschauen übergezogen hatte, war nass geschwitzt und entblösste mehr, als es verhüllte. Er schluckte schwer, sein Adamsapfel hüpfte. Rasch schob er die Decken wieder über sie.

Würde er es aushalten sie ständig bei sich zu haben oder war es besser sie an einen anderen Dorfbewohner zu verkaufen? "Nein!", dachte er sich entsetzt den Kopf schüttelnd. Wenn er sie trotzdem sehen würde, dann könnte er sie genauso gut selbst behalten. Niemand würde Ansprüche an ihr erheben, schliesslich hatte er sie gefunden und sie gehörte ihm bereits. Eine andere Möglichkeit wäre sie an einen andere Sippe zu verkaufen, dann wäre sie weit weg. Diesmal übertönte sein Verstand jede andere Stimme und er nickte sich selbst zu, als wolle er sich selbst bestätigen, dass es das Beste wäre.

In der darauffolgenden Nacht wurde ihr Fieber noch schlimmer, sie glühte wie Feuer und nahm nichts mehr wahr. Ihre Augen schweiften im Delirium im Raum umher, als er seine Kajüte wieder betrat, er hatte kurz eine Mahlzeit zu sich genommen und ihr eine Suppe mitgebracht. Seine Augen weiteten sich und sein Herz hämmerte schmerzhaft gegen seine Rippen. Eilig stellte den Suppenteller auf einer Kommode am Eingang ab und rauschte zu ihr ans Bett. Als er näherkam, erschrak er gleich noch einmal. Aus ihren geöffneten, aber abwesenden Augen tropften stumme Tränen, rollten über ihre roten Wangen und tropften auf sein Kopfkissen.

All seine Vorsätze ihr nicht nahezukommen und in ihrer Gegenwart nicht die Maske fallen zu lassen lösten sich in Wind auf. Er nahm ihre Hand und strich mit seinem Daumen beruhigend über ihren Handrücken. Dabei flüsterte er ihr leise zu, dass alles gut werden würde, an seinem Tonfall merkte man, dass er ihr ein Versprechen gab. Sanft strich er ihr über ihre nassen Wangen und wischte ihre Tränen weg. Was hatte sie erlebt, dass es sie sogar im Fiebertraum heimsuchte?

Nach einigen Minuten hörte Maene auf, sich gegen das Bett zu wehren und schloss erschöpft ihre Augen. Er atmete erleichtert aus und erhob sich. Als er seine Hand von ihrer lösen wollte, klammerten sich ihre kalten Finger um seine. Er erstarrte mitten in der Bewegung, dann zog er seine Hand ruckartig weg. Sie durfte seine Gefühle nicht befreien, sie durfte nicht. Er durfte nicht wieder verletzt werden, nicht wieder. Er konnte nicht wieder fühlen, er durfte nicht.

In seinem Kopf herrschte schon Chaos genug, aber ihre kaum verständlichen, ins Kissen gemurmelten Worte warfen ihn vollends aus der Bahn. "Bleib, bitte lass mich nicht allein.", wisperte ihre Stimme im schwachen Kerzenlicht. Seine Welt stellte sich auf den Kopf und drehte sich immer schneller um ihn. Konnte er bleiben? Konnte er sie durch seine Zäune schlüpfen lassen?
Er atmete tief durch und schritt leise wieder zurück zum Bett. Er blickte in ihre fieberglänzenden Augen und wisperte zurück:"Du musst etwas essen. Oder zumindest trinken. Kannst du dich aufsetzen?"
Er wollte ihr keine Versprechungen machen, die er vielleicht brechen könnte, er hatte Angst davor.
Zuerst schien es als hätte sie nicht bemerkt, dass sie angesprochen worden war, aber dann versuchte sie sich mit ihren zitternden, schwachen Armen aufzurichten. Als er bemerkte, was sie beabsichtigte zu tun, zögerte er nur einen Bruchteil einer Sekunde, dann schlang er schnell, aber vorsichtig seine Arme um ihren glühenden Oberkörper und brachte ihn in vertikale Lage. Behutsam setzte er den Holzbecher an ihre Lippen und wartete, bis sie ihren Mund öffnete. Nachdem er davon überzeugt war, dass seine Sklavin genug Wasser zu sich genommen hatte, wollte er ihr auch die Suppe einflössen, doch sie schüttelte schwach den Kopf und lehnte ihn an seine weite Brust. Er seufzte resigniert und legte sie langsam zurück auf ihr Lager, dann atmete er tief ein und verhakte seine Finger mit den ihren.






Irik grinste in sich hinein, als er seinen Kapitän endlich aus der Kajüte an Deck treten sah. Er hatte schon damit gerechnet, dass er ihn für die nächsten Tage nicht mehr zu Gesicht bekommen würde. Wahrscheinlich hatte er Angst davor, zuviel Zeit mit ihr zu verbringen und sie vielleicht sogar zu mögen, dachte der alte Mann augenverdrehend.
"Lässt du dich auch wieder mal blicken?", fragte er sein Sorgenkind reizend und blickte ihn mit wackelnden Augenbrauen an.
Ein müdes "Mmhm" war die einzige Antwort, die er ihm entlocken konnte. Sofort erstarb sein Lachen und er schaute den jungen Mann besorgt an. Dieser sah nicht gut aus, dunkle Ringe unter seinen matten Augen zierten dein Gesicht, seine Wangen waren eingefallen und seine ohnehin schon markanten Wangenknochen stachen aus seinem Gesicht hervor.
"Junge, Junge, du musst besser auf dich Acht geben.", krächzte seine Stimme beinahe im Flüsterton damit die anderen Männer nichts mitbekamen, schliesslich durfte der Kapitän nicht krank sein. Wenn er bettlägerig würde, stritten sich die restlichen Männer machthungrig um seine Position, Meuterei wäre sehr wahrscheinlich und genau das wollte Irik vermeiden.
Der Angesprochene nickte schwach und schenkte ihm einen müden Blick. Da hatte der erfahrene Matrose, der schon auf allen Weltmeeren gesegelt war, genug. Mit einem unauffälligen Ruck zog er den jungen Mann ausser Sichtweite der Crew hinter ein paar Taue und Fässer. Dort packte er ihn an den Schultern und begann mit eindringlicher Stimme: "Du weisst, was passiert, wenn du Schwäche zeigst. Ich habe bemerkt, dass du diese Sklavin magst.", mahnend hob er den Finger, als sein Gegenüber etwas entgegensetzen wollte und sprach weiter, "Du kannst sagen, was du willst, aber mich kannst du nicht täuschen. Du magst sie und willst sie beschützen. Wenn du kein Kommando mehr über dieses Schiff hast, was denkst du, wird mit ihr passieren? Genau das, was du vermeiden wolltest. Also reiss dich bitte zusammen und schau, dass du nicht auch krank wirst. Versprichst du mir das, Vion?
Ein kleines Lächeln schlich sich auf sein erschöpftes Gesicht, als Irik ihn bei seinem Spitznamen nannte.

"Mach dir keine Sorgen, ich kriege mich schon wieder ein. Ich kann nur nicht noch eine Sklavin verlieren, die Verluste werden langsam grösser als die Einnahmen."

Ein leises Glucksen entfuhr Irik's Kehle und er fing einen finsteren Blick seines Freundes auf.

"Was? Wir haben die Kassen der ganzen Städte geleert, an denen wir vorbei gekommen sind, nicht zu vergessen die Herrenhäuser, die wir zwischendurch zum Spass geplündert haben. Wir haben ungefähr das Dreissigfache an Einnahmen als an Ausgaben."

"Trotzdem versuche ich aber keine Verluste zu machen, wenn es sich vermeiden lässt. Sie wird uns einiges an Geld einbringen, sie ist nicht hässlich."

Irik entfuhr ein ungläubiges Lachen.

"Nicht hässlich?! Hast du nicht gesehen wie deine Männer sie angestarrt haben?"

"Wer?", fragte er mit zusammengebissenen Zähnen, seine Gefühle kaum mehr im Zaum haltend, aber der alte Matrose lachte nur und antwortete frech: "Das sage ich dir doch nicht, sonst haben wir wieder eine Leiche mehr."
"Du weisst, dass ich nur Hand anlege, wenn die Person es verdient hat.", antwortete der Kapitän finster dreiblickend als wollte er, dass Irik im Boden versinken würde.

"Bei Odin, du hast ein Massaker veranstaltet, als ein paar der Engländer deiner Hildegard einen Blick zugeworfen haben. Ich will keine weiteren trauernden Witwen, zumal ich sie diesmal auch alle kenne."

Eine Hand schloss sich eisern um den faltigen Hals des Matrosen und schnürte ihm die Luft ab. Drohende Augen bohrten sich in seine.

"Wag es nicht ihren Namen in den Mund zu nehmen, hast du verstanden?"

Irik bekam keine Luft und so blieb ihm nichts anderes übrig als schwach zu nicken. Einige Sekunden blieb die Hand des jungen Mannes noch an seiner Kehle, dann zog er sie weg und er schnappte nach Luft.

"Bei Odin, was ist in mich gefahren?", vernahm er die entsetzte Stimme seines Freundes, der seine Hand anstarrte, als würde sie nicht zu ihm gehören.

Der alte Matrose trat beherzt einen Schritt auf seinen Freund zu und versuchte ihn zu beruhigen: "Du warst nicht du selbst, beruhige dich, ich bin dir nicht böse, Vion."

Verzweifelte Tränen fanden ihren weg über seine Wangen, wurden dort jedoch mit einer wütenden Bewegung weggewischt.

"Nein, nein!", schüttelte der Angesprochene verzweifelt den Kopf, "Ich wollte dir nicht wehtun, Irik, verzeih mir. Kannst du das Kommando des Schiffes noch ein bisschen länger übernehmen? Ich brauche Zeit für mich damit ich mich beruhigen kann und ich mich wieder kontrollieren kann. Meine Gefühle sind gefährlich, das weiss ich ohne Zweifel."

Mit diesen Worten stürtzte er davon. Der erfahrene Matrose nickte schweigend und warf dem verzweifelt davonstürmenden Mann einen langen Blick hinterher.


Hey meine Lieben

Neues Jahr, neue Ideen, würde ich sagen. Euch noch nachträglich einen guten Rutsch!

Zuerst einmal ist die Antwort auf meine Frage, die ich im letzten Kapitel gestellt habe, ganz klar beantwortet worden: Schiffbruch!!!
Aber was denkt ihr, ist mit "Vion" los? Warum sind Gefühle wohl gefährlich, bzw. was ist wohl passiert, dass er das denkt?;)

lg louve

PS: Da für mich bald wieder die Schule beginnt und meine Noten recht unter der ganzen Schreiberei gelitten haben, werde ich nur noch einmal in der Woche updaten, manchmal kann es auch ein bisschen länger dauern. Wie ihr sicher schon bemerkt habt, hole ich dann dafür in den Ferien nach.
Sonst kommt jeden Sonntag ein neues Kapitel:)

Danke für eure Kommis, sie haben mir wirklich geholfen:)

PS: das oben ist Vion, bald kommt der ganze Name:)

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