3. tanzendes Schwarz
Das grosse Holzschiff war bereits über eine Woche auf hoher See, um genauer zu sein neun Tage. "Neun ganze Tage", dachte Maene resigniert. Die Hoffnung, etwas zu essen zu bekommen, hatte sie schon lange aufgegeben. Seit neun Tagen hungerte sie. Seit neun Tagen bewältige sie das doppelte Pensum Arbeit auf dem Schiff, bei jedem Wind und Wetter. Aber seit neun Tagen hatte sie ein neues Leben. Verbissen schrubbte sie weiter, sie wollte nicht aufgeben, sie wollte keine Schwäche zeigen. Es war noch früh am Morgen, die Sonne streckte erst ihre Strahlen aus und liess sie über das deswegen glitzernde Wasser tanzen, aber die junge Frau hatte keinen Blick für ihre atemberaubende Umgebung. Sie war erschöpft, hungrig und kraftlos. Immer wieder musste sie sich zwingen weiterzumachen und sich nicht einfach auf die harten Planken zu legen und die Augen zu schliessen. Ihr Stolz war ihr dabei sehr hilfreich, immer wieder spornte sie sich selber an nicht klein beizugeben, aber mit jedem Tag, mit jeder Stunde merkte sie, wie auch dieser langsam verschwand und bleierner Erschöpfung Platz machte. Wie jeden Morgen hier auf dem Schiff war sie bereits komplett nassgeschwitzt bis die restlichen Gefangenen nach ihrem ausgiebigen Frühstück ebenfalls anfingen zu arbeiten. Maene hatte das Gefühl, der Kapitän würde den anderen Sklaven absichtlich so vielseitge Mahlzeiten verabreichen um sie noch weiter zu quälen.
Der Mangel von Nahrung und vor allem von Wasser machte sich bemerkbar. Es hatte bereits zwei Tage nicht mehr geregnet und da ihr ebenfalls Wasser verwehrt wurde, hatte sie keine anderweitige Möglichkeit um etwas zu trinken zu kriegen. Ihr Mund fühlte sich an wie ausgetrocknet und ihre Lippen wiesen immer mehr Risse auf. Ein ironisches Lächeln hüpfte über ihr Gesicht. Wenn ihre Mutter sie so sehen würde, sie würde einen Herzinfarkt erleiden und sie danach als Geist heimsuchen, um sie zu schelten, sie solle gefälligst auf ihr Aussehen achten.
Trotzdem währte das Lächeln nur kurz. Wegen der Hitze spürte das erschöpfte Mädchen den Mangel von Grundbedürfnissen nur noch mehr, sie war am Ende ihrer Kräfte. Doch machte sie weiter und schrubbte, obwohl ihre Muskeln brannten und die Sicht vor ihren Augen immer wieder verschwand. Schwarze Punkte nahmen ihr Blickfeld ein, doch durch ihre Sturheit konnte sie diese immer wieder vertreiben.
Plötzlich erklang ein Ruf quer über das Deck. Maene beachtete ihn gar nicht erst, sie war viel zu sehr damit beschäftigt ihr Bewusstsein zu erhalten und weiterzumachen. Plötzlich stiess ihr Putztuch gegen zwei sehr mitgenommene Lederstiefel und sie schaute auf.
Über ihr stand ein älterer Mann, einer der Matrosen, der schon viel durchgemacht hatte und sich durch nichts so schnell beirren liess. Gelbe Zahnstummel hielten sich verzweifelt in seinem übriggebliebenen Zahnfleisch fest, als er den Mund öffnete. Stinkender Atem überschwemmte die junge Frau und liess sie den Kopf wegdrehen. Dadurch hatte sie den daraus kommenden Worten keine Achtung geschenkt und hatte nun keinen blassen Schimmer, was er von ihr wollte. Nachdem keine Reaktion von ihr kam, runzelte er seine Stirn und zog seine Augenbrauen zusammen. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie gesagt, er sei besorgt um sie. Er beugte sich zu ihr herunter und packte sie am Arm. Maene hatte keine Kraft mehr sich gegen ihn zu wehren, ihre letzten Reserven waren in den letzten Tagen für Aushalten der Qualen draufgegangen. Sein Arm zog sie unsanft hoch um sie auf die Füsse zu stellen, aber er vermochte es nicht. Ihre Beine knickten sofort wieder ein und die schwarzen Punkte, die vor ihren Augen tanzten, vermehrten sich schnell. Sie sass keuchend auf dem Boden, ihre Beine an den Körper gezogen und ihre Arme darum geschlungen. "Du bist stark, du schaffst das!", flüsterte sie zu sich selber, sich nicht bewusst, dass der Matrose noch immer neben ihr stand. Durch ein Räuspern schreckte sie zusammen und blickte mit müden Augen zu ihm auf.
"Kommst du jetzt? Du wirst erwartet.", erreichte seine kratzige Stimme ihre Ohren nur leise. Ein lautes Piepen übertönte alles und auf eine Art war es angenehm, da sie ihre Umgebung so nicht mehr wahrnehmen musste, auch wenn es ihr selbst starke Kopfschmerzen verursachte.
Maene stellte keine Fragen, sie hatte es aufgegeben. Vermutlich würde er ihr sowieso nicht antworten. Langsam erhob sie sich, stütze ihre Hände auf ihren Oberschenkeln ab und stand schliesslich auf wackeligen Beinen da. Instinktiv hatte sie sich mit einer Hand am Arm des Matrosen neben ihr abgestützt und klammerte sich dort verzweifelt fest, während sie hoffte, dass die schwarzen Punkte wieder verschwinden würden. Er sah sie abwartend an und machte einige langsame Schritte. Sobald sich ihre Stütze bewegte, schwankte Maene noch mehr und versuchte ihm hinterherzulaufen, doch die Punkte wurden immer mehr und mehr, bis sie schliesslich völlig ihr Blickfeld einnahmen und sie aufgebend ihre Augenlider schloss. Sie konnte wirklich von sich behaupten, dass sie so lange wie möglich durchgehalten und nicht aufgegeben hatte, aber ihr Stolz konnte nun auch nichts mehr ausrichten und das wusste sie. So liess sie sich in die einladende Schwäre hinabfallen und hoffte, dass, wenn sie ihre Augen wieder öffnete, alles nur ein böser Traum war. Das Einzige, was sie noch sah, war das nun alarmierte Gesicht des Matrosen, sein hilfesuchender Schrei drang nur noch ganz leise und weit entfernt an ihre Ohren.
Ein Schrei holte ihn aus seinem Buch, in dem er in den letzten Stunden völlig versunken gewesen war und er lauschte aufmerksam. Wenn das wieder ein Streich war, den sich die Matrosen gegenseitig gespielt hatten, dann würde er sie zu Putzdienst in einem Rüschenkleid der Engländer verdonnern, schwor er sich ärgerlich. Aufgeregte Stimmen riefen über ihm hin und her. Er runzelte die Stirn. Offenbar musste es doch etwas Ernsteres sein als nur ein Streich, wenn sie einen solchen Wirbel darum machten. Seufzend senkte er das Buch, klappte es zu und erhob sich von seinem Bett, auf dem er bäuchlings gelegen hatte. Er wusste, dass seine Frisur vermutlich völlig verstrubbelt war, aber er scherte sich nicht darum. Schlurfend lief er den Gang entlang, stieg die Treppe hinauf und öffnete die Luke. Mit einem Knall schlug sie auf die Planken und ungefähr zwei dutzend Augenpaare richteten sich auf ihn. Seine Stiefel machten jeden seiner Schritte hörbar. Er musste sich beherrschen nicht abfällig zu schnauben, als einige der Sklaven wegen diesem Geräusch zusammenzuckten wie verschreckte Hasen. Leute wie diese hatten es schwer seinen Respekt zu verdienen, er sah sie praktisch für immer als oberflächliche Personen ohne Rückgrat an. "Vielleicht erwarte ich auch zuviel. Nicht einmal meine Männer können unter meine Maske sehen und mein wahres Ich erkennen. Ich sollte nicht so streng sein.", dachte er sich, doch im gleichen Augenblick durchzuckte ihn der Gedanke, dass er sich geschworen hatte nie wieder verletzlich zu sein und so liess er seine Maske angeklebt auf seinem Gesicht, wie schon die gesamte Zeit hier auf dem Schiff. Nur in Gegenwart seiner Familie und weniger Freunde konnte er sie abnehmen, sonst war sie immer da und schützte ihn. Er seufzte und verscheuchte den Gedanken aus dem Kopf. Stattdessen fragte er: " Was ist hier los?" Seine dunkle, aber melodiöse Stimme dröhnte über das Deck und wieder zuckten einige zusammen.
Lange Zeit rührte sich nichts und schon zerrte Ungeduld an seinen Nerven.
Nach ein paar Sekunden, die ihm wie eine Ewigkeit schienen, trat jemand vor. Es war Irik, sein bester Matrose und Problemeabhorcher, wenn man ihn so nennen konnte. Der schon etwas ältere Mann hatte ein Gesicht aus brauner Erde, gezeichnet vom Leben und grüne Augen, die daraus hervorstachen. Erlebt hatte er vermutlich mehr als alle anderen Personen auf diesem Schiff zusammengezählt.
"Eine der Sklavinnen ist zusammengebrochen."
"Welche?", fragte er unwirsch, er schätzte es nicht, wenn Sklaven nicht taten, was sie sollten und sogar noch die Frechheit hatten zu simulieren.
"Das Mädchen, das ihr zu doppelter Putzarbeit und Nahrungsentzug bestimmt habt."
Für einen kurzen Augenblick nahm ein schockierter Ausdruck sein gesamtes Gesicht ein, dann zog er sich sofort wieder die Maske über.
Schuld befiel ihn. Er hatte völlig vergessen, dass er verordnet hatte ihr kein Essen zu geben und doppelte Belastung aufzuhalsen.
"Wo ist sie?", fragte er kälter als gewollt, aber er konnte nicht anders. Innerlich überschwemmten ihn seine Gefühle gerade. Sorge, Schuld, Wut auf sich selbst und eine Zuneigung, die ihn selbst verblüffte, stritten sich um seine Aufmerksamkeit und versuchten die Maske von seinem Gesicht zu schieben, doch diese klammerte sich um seine Haut und blieb eisern an ihrem Platz.
Irik lief wortlos über das Deck und blieb am gegenüberliegenden Ende der Reling stehen. Sie lag ruhig auf den harten Planken, ihre Lippen blau von der Kälte, aber mit Schweissperlen auf der Stirn. Ihre Augen waren geschlossen, die bleiche Haut bildete einen starken Kontrast zu den dunklen Wimpernkränzen. Diese verliehen ihr ein unschuldiges Aussehen und liessen nicht von der sturen Persönlichkeit ihrer Besitzerin erahnen.
Sein Herz stoppte bei ihrem Anblick. Er hätte nicht gedacht, dass es ihr wirklich so schlecht ginge, vor drei Tagen hatte er ihre Gestalt das letzte Mal genau betrachtet, danach hatte er seinen Augen verboten sie anzuschauen, da der Gedanke seine Maske abzuziehen und sie unter diese blicken zu lassen immer stärker geworden war. Nun bereute er, dass er sie so sehr gequält hatte und überlegte keine Sekunde mehr. Aus einem Impuls heraus befahl er Irik: "Bring sie in meine Kajüte!" Dann eilte er rasch voraus unter Deck, in seine Kajüte, zu seinem Bett. Achtlos fegte er das Buch von den Decken und hielt die Tür offen. Dort nahm er einem schweratmenden Irik die junge Sklavin ab und bat ihn einen Eimer voll kaltem Meerwasser und einige Tücher zu bringen. Vorsichtig legte er sie auf sein Bett und runzelte besorgt die Stirn, als er ihre glühende Haut berührte. Sie hatte Fieber und das war seine schuld, dachte er reuemütig. Sie durfte nicht sterben, war sein einziger Gedanke und er schwor sich alles zu tun, was nötig war um ihr Leben noch irgendwie zu retten.
Zuerst zögerte er noch, als er das verschwitzte und nasse Kleid öffnete, aber dann gab er sich einen Ruck und zog es ihr aus. Er musste sich zusammenreissen um nicht auf ihren nackten Körper zu blicken und legte rasch seine Decken darüber. Einige Sekunden später betrat auch Irik die Kajüte schon wieder, die gewünschten Dinge mit sich schleppend. Ihm dankend zunickend entliess er den Matrosen und übertrug ihm das Kommando über das Schiff, solange er sich um seine Sklavin kümmerte. Sie könnten nicht noch mehr Verluste machen, sonst wären die Ausgaben grösser als die Ausgaben, meinte er erklärend zu dem alten Matrosen und wandte sich wieder der jungen Frau zu, die im Fieberschlaf unzusammenhängende Worte murmelte. Der Matrose drehte sich um und schlüpfte aus der Tür, ein wissendes Lächeln auf dem Gesicht.
Ein grosses HALLO an alle meine lieben Leser...
Das Kapitel ist ein bisschen länger geworden, aber das habt ihr euch mehr als nur verdient;)
Danke für die lieben Kommis, ich bin grad ein paar Zentimeter gewachsen:)
Ich hätte da noch eine Frage an euch: Schiffbruch oder nicht? *teuflisches Gegrinse*
Lg louve
PS: oben sehr ihr das Wasser, dem Maene keinen Blick zugeworfen hat. Sie hat was verpasst, findet ihr nicht?😜
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