2 | Überraschung
S T E L L A
Mit einer Schüssel Popcorn und der Flasche Bourbon sitze ich gemütlich auf meiner Couch und schaue mir »The Walking Dead« an.
Es gibt nichts Besseres, als meine düsteren Gedanken mit einer gruseligen Zombie-Serie zu verdrängen. Den Alkohol darf ich aber ebenfalls nicht vergessen. Langsam benebelt er meinen Verstand, während mein Rachen höllisch brennt. Ich habe festgestellt, dass ich dieses Gesöff nicht unbedingt mag, aber es erfüllt seinen Zweck um einiges besser als Wein.
Mein Smartphone ist ausgeschaltet, die Türe verschlossen und die Lichter habe ich gedimmt. Niemand wird mich stören können, sodass ich mich ganz allein in meinem Selbstmitleid suhlen kann.
Draußen höre ich vereinzelt, wie die Menschen Böller knallen lassen. Wie ein Feuerwerk nach dem anderen in den Himmel hinaufsteigt und dabei in den schönsten Farben wieder erlischt. Es wird gesungen und gejohlt. Die Musik ist aufgedreht, aber ich nehme sie nur am Rande wahr. Mein Nachbar hat dieses Mal eine Gartenparty organisiert und unzählige Menschen eingeladen, was ich überhaupt nicht verstehen kann.
Wer möchte in dieser Kälte draußen sein und Silvester feiern, ohne krank zu werden?
Mich fröstelt es, sobald ich nur daran denke.
Plötzlich klopft es an meiner Tür, was mich innehalten lässt. Meine Augen wandern zur Tür und versuchen den Störenfried dahinter zu erkennen, was völlig absurd ist. Mein Verstand hat nämlich vergessen, dass ich nicht hindurchsehen kann. Vielleicht bin ich doch angetrunkener, als ich dachte.
Angestrengt denke ich darüber nach, wer es sein könnte. Meine Stirn ist in Falten gelegt, während ich mit meinem Finger an mein Kinn tippe. Ich gehe alle Menschen durch, die infrage kommen könnten.
Mein Bruder ist zum Glück außer Landes, weshalb ich ihn sofort von meiner imaginären Liste streichen kann. Meine Eltern sind ebenfalls zu Hause, wie jedes Jahr auch. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass sie diesen weiten Weg auf sich nehmen, um mich zu besuchen. Außerdem wären sie früher hierhergekommen und nicht zu dieser späten Stunde.
Ist das vielleicht Jules?
Wir haben doch miteinander telefoniert und uns geeinigt, dass wir uns am nächsten Tag treffen wollen.
Die Klingel lässt mich schockiert auf quieken. Der Störenfried hat wohl anscheinend gedacht, dass es besser ist, mir einen kleinen Herzinfarkt zu verpassen, weil ich auf sein Klopfen nicht reagiert habe. Schnell halte ich mit beiden Händen meinen Mund zu, bevor mich noch jemand hört.
»Stella?«
Nochmals klopft er an die Tür.
»Bist du da? Bitte, mach auf. Komm schon«, höre ich ihn flehen.
Mein Herz klopft brutal gegen meine Brust, während ich den Atem anhalte und nicht so recht glauben kann, was ich da höre.
Nein, oder?
Ich kenne diese Stimme und das kann nicht sein. Niemals steht er vor meiner Tür und will mich sehen. Er ist doch in Afghanistan stationiert. Er sollte nicht einmal hier sein. Wie lange habe ich ihn nicht mehr gesehen? Vier Jahre? Nicht einmal einen Brief habe ich von ihm bekommen, da er auf einer streng vertraulichen Mission unterwegs war. Trotzdem habe ich es mir nicht nehmen lassen und ihm jeden Monat einen Brief geschrieben. Ob er sie gelesen hat, weiß ich nicht.
»Stella, bitte.«
Ein dumpfes Geräusch erklingt, als hätte er seinen Kopf gegen die Tür angelehnt.
Sofort erhebe ich mich und bewege mich mit zügigen Schritten auf die Eingangstür zu. Schwungvoll öffne ich sie und bleibe angewurzelt stehen, während ich in graue Augen blicke, die mir eine Gänsehaut bescheren. Ein tobender Sturm wütet in ihnen, der mich aus der Bahn wirft, weshalb ich mich am Türrahmen festhalten muss.
Die Zeit scheint still zu stehen. Nichts anderes um mich herum nehme ich wahr. Es fühlt sich, wie eine Illusion an, die aus meiner tiefsten Fantasie entspringt. Eine Fata Morgana, die meinen sehnlichsten Wunsch aufzeigt.
Seine schwarzen Haare, die ihm früher ins Gesicht gefallen sind, hat er kurz rasiert. An seinem Kinn kann ich eine kleine Narbe erkennen, die vorher nicht da war und seine Statur ist massiv breiter geworden. Von dem unschuldigen Jungen ist nichts mehr zu sehen.
»Aiden«, flüstere ich atemlos.
Meine Hand wandert zu meiner Brust, da mein Herz nicht aufhören kann, kräftig dagegen zu schlagen. Mein Bauch-kribbeln breitet sich rasant auf meinem ganzen Körper aus und am liebsten will ich meine Arme nach ihm ausstrecken, jedoch traue ich mich nicht.
Was, wenn mir der Alkohol in meinen Adern einen Streich spielen will? Was, wenn diese Illusion verschwindet, sobald ich ihn berühre? Was, wenn das alles nicht echt ist?
Das würde mir den Boden unter den Füßen wegziehen und mich wieder in ein tiefes Loch fallen lassen. Wie am Anfang, als er sich dazu entschieden hat, der Army beizutreten.
»Meine geliebte Stella.«
Seine Worte sind so leise, sodass ich sie fast nicht gehört hätte. Sein Finger kommt meinem Gesicht näher und als er mich an der Wange berührt, sie sanft streichelt, brechen bei mir alle Dämme.
Schluchzend springe ich auf ihn und schlinge meine Arme um seinem Hals. Meine Beine sind ebenfalls fest um seinem Körper verflochten, während ich mein Gesicht in seine Halsbeuge lege und seinen unverkennbaren Duft einatme. Zitrone und Zedernholz.
Eine Erkenntnis blitzt in mir auf, da ich seinen Körper immer noch fühlen kann. Was sich zuerst als eine Halluzination angefühlt hat, entpuppt sich als Realität.
»Du bist wirklich da.«
Die Tränen fließen meine Wange hinab, benetzen seine grüne Offiziersjacke, aber das ist mir egal.
Pures Glück strömt durch meine Adern. Ich kann nicht ansatzweise beschreiben, was ich in diesem Moment empfinde. Es fühlt sich surreal an oder besser gesagt magisch, weil mein geliebter Mann endlich wieder zurück ist.
In meinen Armen, da, wo er auch hingehört.
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