Helfer
"Bitte weine nicht. Ich möchte dir nur helfen".
Augenblicklich stand ich wieder auf meinen Beinen und sah mich um. Wo kam diese Stimme her? Wer war das?
"Wo bist du?".
"Hör zu. Du darfst nicht ausflippen und du musst wissen, ich KANN und MÖCHTE dir nichts tun".
Diese Stimme schien überall zu sein. Ich konnte nicht ausfindig machen woher sie kam.
"Ja du scheinst mir ein echt liebenswerter Psycho zu sein. Geh einfach weg".
"Kann ich nicht".
"Warum nicht?".
"Weil ich irgendwie... noch was zu erledigen habe".
Was zu erledigen? War er ein Geist? SPUKTE ES IN MEINER WOHNUNG???
"Sag mir nicht du bist ein Geist".
"Ich sagte doch du darfst nicht ausflippen".
"OH GOTT!!!".
Ich fing an wie wild durch die Wohnung zu rennen als würde es etwas bringen. Aber meine Beine bewegten sich von ganz allein.
"LEICHTER GESAGT ALS GETAN".
"Bitte beruhige dich".
"Kann ich nicht. Ich hyperventiliere gleich".
"Tu das nicht. Ich kann dir nicht helfen.
"Warum nicht? Ich dachte du bist hier um mir zu helfen".
"Ich will dir ja auch helfen. Aber bei sowas kann ich nix machen".
Schwer Atmend setzte ich mich auf den Boden und versuchte meine Atmung zu regulieren, als ich aus dem Augenwinkel etwas langsam näher kommen sah.
"KOMM NICHT NÄHER".
Er blieb anscheinend stehen, denn an meiner Seite bewegte sich nichts mehr.
"Ich sagte doch, ich kann und möchte dir nichts tun".
Eins musste ich zugeben. Seine Stimme war unglaublich schön und ich verspürte den drang mich zu ihm umzudrehen und ihn anzusehen. Nur hatte ich die Sorge in ein grausiges Gespenster Gesicht zu sehen und den Schock meines Lebens zu bekommen.
"Du musst wissen, ich bin an dieses Haus und an meine zu Schutz beföhlene Person gebunden. Ich kann nicht einfach verschwinden. Wenn du hier wohnen bleiben möchtest, müssen wir irgendwie miteinander auskommen".
Gespannt hörte ich ihm zu und zu meiner Überraschung, beruhigte ich mich auch ein wenig.
"Wenn wir miteinander auskommen wollen, sollten wir einiges voneinander wissen".
"Frag mich was du möchtest. Ich werde dir jede Frage beantworten die ich kann".
"Kannst du mir wirklich nichts tun?".
"Ich werde ehrlich zu dir sein. Ich hätte eine Möglichkeit frei, dir etwas anzutun. WAS ICH ABER WIRKLICH WIRKLICH WIRKLICH NICHT VORHABE. Sehe mich als eine Art Schutzengel. Ich habe nur eine körperliche Aktion zur Verfügung um dich vor Gefahr oder Tod zu schützen.
Das bedeutet, wenn ich dich jetzt berühren sollte, was ich durchaus machen könnte, wäre es mir unmöglich dich ein zweitesmal anzufassen um dich zu schützen".
"Und wenn du mir ein Messer in den rücken rammen würdest?".
"Ich sagte doch, ich werde dir kein leid zufügen. Aber, dass wäre genauso eine körperliche Aktivität".
"Was bringt es dir, mir zu helfen?".
"Ich hoffe Frieden. Im wahrsten Sinne des Wortes, Geistere ich hier schon eine gefühlte Ewigkeit rum. Aber als du eingezogen bist, überkam mich das Gefühl, dass du diejenige bist auf die ich achten müsste".
Ohne es zu merken bewegten sich meine Augen von ganz allein in seine Richtung. Scheiße... sah der geil aus. Ich konnte meinen starren Blick gar nicht von ihm wenden. Meine Ängste waren total unbegründet. Warum waren alle heißen Männer vergeben, schwul oder Tod?
Da fiel mir ein...
"Du bist hier seitdem ich eingezogen bin?".
Mittlerweile tiefenentspannt, rückte ich näher an ihn heran und setzte mich zu ihm hin. Meinem Hausgespenst entging mein Annäherungsversuch keineswegs und ich bemerkte ein leichtes schmunzeln.
"Hast du dich jetzt an mich gewöhnt? Gar nicht so schlimm oder?".
"Nein. Ganz im gegenteil. Zurück zur Frage. Bitte".
"Wie lange ich hier bin weiss ich ehrlich gesagt gar nicht. Aber ich habe sehr viele Leute kommen und gehen sehen in dieser Wohnung".
Meine Augen weit aufgerissen starrte ich ihn geradewegs an.
"Du bist die ganze Zeit hier und beobachtest mich?".
"Naja, nicht mit absicht...".
"Ich habe hier Privatsphäre".
"Ich weiss aber...".
"Wenn ich duschen war, laufe ich nackt ins Schlafzimmer um mich umzuziehen".
"Ich weiss, da drehe ich mich auch immer weg...".
"Und im Bett, in stiller Einsamkeit... Wenn ich... Du weisst schon. Dann bist du auch hier?".
"Da versuche ich ja nicht hin zu hören. Was mir ehrlich gesagt sehr schwer fällt. Aber wie gesagt. Ich kann hier nicht weg".
"ICH VERSINKE HIER GERADE IN SCHARM UND DU...?".
"ICH BIN EIN GEIST. ICH WERDE NICHT ROT".
"MAN IST MIR DAS PEINLICH".
"BRAUCHT ES DIR ABER NICHT".
"ICH DACHTE ICH WÄRE ALLEINE".
"WARUM SCHREIEN WIR?".
"WEIL DU PERVERS BIST".
Augenblicklich beugte er sich zu mir rüber und sah mir eindringlich in die Augen.
"Das sagt die richtige".
Ich wollte ihn von mir weg stoßen, doch meine Hände griffen ins leere.
Als ich zu ihm hinsah bemerkte ich, dass ich meine Arme durch ihn hindurch gestoßen hatte. Sofort zog ich sie wieder zurück. Das war unheimlich.
Ihn schien es wenig zu kümmern. Er zuckte derweil nicht einmal mit der Wimper.
"Hast du es jetzt verstanden? Wir können uns gegenseitig nichts tun".
Peinlich berührt drehte ich mich zur Seite.
"Wie heisst du eigentlich?".
"Shin".
Zumindest wusste ich jetzt seinen Namen.
"Shin also... Ich bin Ayumi".
Ein kurzes kichern war zu hören.
"Ich weiss".
Die nächste Frage brannte mir auf der Zunge, doch ich wusste nicht ob es angebracht wäre sie zu stellen. Ach was solls.
"Darf ich dich fragen wie du gestorben bist?".
Mit seinen hell blau schimmernden Augen funkelte Shin mich an. Sein ganzer Körper war Pastellfarbend blau, schon fast weiß und leicht durchsichtig. Selbst seine Haar Farbe konnte ich nicht ausfindig machen, da wirklich alles an ihm hell durchsichtig war. Was seiner Schönheit allerdings keinen Abbruch tat. Shin besaß eine absolut betörende Statur und sah sehr gepflegt aus. Und diese Stimme. Ich hätte ihm ewig zuhören können.
"Darauf würde ich dir gerne eine Antwort geben. Aber ich kann es dir nicht sagen, weil ich es nicht mehr weiss. Warscheinlich eins der Dinge die man vergisst, wenn man gestorben ist. Ich habe auch keine erinnerungen an mein vergangenes Leben".
"Hört sich einsam an".
"Du hast ja keine Ahnung wie froh ich bin, mich mit dir unterhalten zu können".
"Übrigens. Du fragst mich ja gar nichts".
Verlegen kratzte sich Shin am Kopf.
"Schon vergessen? Ich kenne dich seitdem du hier eingezogen bist. Durch deine Telefongespräche und Unterhaltungen mit bekannten, weiss ich nahezu alles von dir".
"Ach ja... stimmt ja".
Nun war ich diejenige, die verlegen wurde.
"Aber wenn dir noch etwas einfällt, dann frag mich bitte einfach".
Es war schon sehr spät und die Müdigkeit überrollte mich.
"Solltest du nicht schon längst schlafen?".
Ich sah auf die Uhr, welche mir zeigte das ich in 4 Std wieder aufstehen musste. Na toll.
"Oh ja, das sollte ich. Und wann schläfst du?".
"Gar nicht. Ich habe keinen Körper der Erholung bräuchte".
"Aber was machst du denn die ganze Zeit wenn ich schlafe?".
"Wenn ich dir nicht gerade zusehe, schaue ich leise und heimlich Fernsehen, lese bücher oder denke mir selbst eins aus oder so".
"Moment. Du schaust mir beim schlafen zu?".
"Na klar. Warum nicht. Ich bin halt neidisch".
Lachend stand ich auf und begab mich ins Schlafzimmer.
"Dann geh ich dich mal wieder neidisch machen. Tue was du tun möchtest. Brauchst dich ja nicht mehr verstecken. Gute Nacht".
"Schlaf gut Ayumi".
Ich winkte Shin nur noch hinterher und schloss die Tür meines Schlafzimmers. Lange dauerte es nicht bis ich einschlief. Doch vorher dachte ich mir noch, dass es ein seltsam schönes Gefühl war, nicht mehr alleine in dieser Wohnung leben zu müssen.
Der Duft von frisch aufberühtem Kaffee stieg mir in die Nase und ich hörte Bewegung in der Küche. Leise schlich ich, noch in meinem Schlafdress, in besagtem Raum um zu sehen was dort vonstatten ging. Shin stand am Herd und schien Frühstück zuzubereiten.
Ausnahmsweise drehte ER sich mal erschrocken um und sah mich von oben bis unten an.
Sofort riss er seinen Blick wieder nach vorne und stotterte einige Worte.
"G-Guten M-Morgen".
"Guten morgen. Was machst du da?".
"Ähm... Frühstück? Ich hoffe es schmeckt dir".
Na wenn das mal keine Überraschung war. Mein Hausgeist machte mir Frühstück.
"Was? Du bist im wahrsten Sinne des Wortes ein Engel".
"Freu dich nicht zu früh. Ich hab bestimmt seit jahren nichts mehr zu essen gemacht".
"Ach was. Das ist nur Rührei und Speck. Da kann nicht viel schief gehen".
"Ha... Wenn du wüsstest".
"Noch nie hat mich jemand mit Frühstück überrascht. Ich danke dir. Ich könnte dich knuddeln".
"Ähm... ja... Bevor du den Versuch startest, könntest du dir bitte was anderes anziehen?".
Ich sah an mir herunter.
"Bin ich schmutzig?".
"Ha..tja... nicht ganz das was ich sagen wollte, aber irgendwie zutreffend. Ich bin zwar ein Geist. Aber immernoch ein Männlicher. Du verstehst?".
Peinliches schweigen betrat den Raum bevor ich mich ins Bad begab um mich frisch zu machen und umzuziehen. Er war doch ein Geist und besaß keinen Körper der nach verlangen hätte schreien können. Begreifen konnte ich es nicht, aber was wusste ich auch schon von Geister.
Putzmunter, aufgetakelt und gut gelaunt lief ich zurück in die Küche, wo Shin auf mich wartete.
"Guten Appetit".
"Danke. Aber irgendwie komisch das ich dir einen vor kaue".
"Das macht nichts. Ich verspüre keinen Hunger oder verlangen danach".
"Ach ja. Wo wir gerade bei verlangen sind...".
Er verstand worauf ich hinaus wollte und er sah mich etwas verlegen an.
"Naja, bei gewissen anblicken wünschte ich mir eben kein Geist zu sein".
"Tut mir leid. Das wird nicht wieder vorkommen. Ich dachte nur es würde dich nicht stören".
"...so war das nun auch wieder nicht gemeint... gönne mir doch wenigstens die Aussicht".
Mit beleidigter miene neigte er den Kopf zur Seite und verschränkte die Arme ineinander.
"Perversling".
Er stützte sein Kinn auf seine Hand ab und sah mich lüstern an.
"Wenn du wüsstest".
Sirenen rot lief mein Kopf an. Denn wie oft hatte er mich splitternackt gesehen und sich an meinem Anblick ergötzen können? Diese Vorstellung war mir zu unangenehm, weshalb ich aprubt aufstand, um mich auf den weg zur Arbeit zu machen. Da fiel mir ein. Ich musste ja mit dem Bus dorthin fahren. Verdammt.
An der Haltestelle angekommen, standen Shin und ich auf den Bus wartend am Bürgersteig. Ich fragte mich schon die ganze Zeit warum er für mich sichtbar war, aber jedoch nicht für die anderen.
Nur sprechen konnte ich nicht mit ihm. Die Leute würden mich sonst für verrückt halten.
Zum Glück mussten wir nicht lange auf den Bus warten. Als er um die ecke gerollt kam, stellte ich mich als erste in die Reihe an um eine Fahrkarte zu kaufen.
Plötzlich merkte ich eine Hand auf meinem Rücken und wie diese mich ruckartig nach vorne schubste. Mit einem Blick nach links, ließ mein leben, binnen Bruchteil von Sekunden, vor meinen Augen wie in einem Film ablaufen. Die Windschutzscheibe des Busses kam immer näher. Dies war mein Ende.
Etwas zog an meinem Arm und ich landete, überraschenderweise unsanft, auf meinem Hintern.
Ich hatte mit schmerzen oben-links gerechnet und nicht mit Mitte-unten. Moment. Ich verspürte schmerzen. Ich war am Leben.
Hektisch schaute ich mich um, denn ich ahnte wer für meine Rettung verantwortlich war.
"NICKE EINFACH WENN ES DIR GUT GEHT AYUMI!!!".
Ich nickte wie in Trance. Mir ging es wirklich gut. Er hatte mich vor dem sicheren Tod bewahrt. Ich verdankte ihm mein leben.
Zu gern hätte ich mich an ihn gekrallt und den Schock ausgeheult, doch ich wusste ja, nach jüngster Erfahrung, dass dies nicht möglich war. Die Tränen kullerten mir ungebremst aus den Augen und ich brachte ein flüsterndes "Danke dir" hervor.
Shin hockte sich vor mich hin und lächelte mich an.
"Nicht dafür. Meine Aufgabe ist wohl hiermit getan".
Traurig und mit schmerzen in der Brust sah ich ihn an.
"Wage es nicht jetzt zu verschwinden".
Mir war egal ob die Leute um mich herum mich für verrückt hielten weil ich mit mir selbst sprach. Viel schlimmer wäre die Vorstellung, meinen Schutzengel nicht mehr an meiner Seite zu haben. Wir kannten uns zwar erst seit kurzem, aber er wurde mir wichtig. Sehr wichtig.
"Tut mir leid. Das liegt nicht in meiner macht".
Vor meinen Augen wurde Shin immer durchsichtiger.
NEIN NEIN NEIN
"Tu mir das nicht an".
Meine Welt und mein Herz zerbrach in tausend teile. Tränen der Trauer sammelten sich in meinem Sichtfeld, welche langsam aber schwer meine Wangen hinunter liefen.
"Lebe wohl meine liebe Ayumi".
"...neiiin... geh niiicht...".
Er löste sich immer weiter auf genau wie meine stimme, die nur noch gebrochene Worte hervor brachten. Aus Reflex versuchte ich nach ihm zu greifen, um ihn daran zu hindern aus meinem Leben zu verschwinden, was natürlich nicht funktionierte. Und mit einem Windzug hatte er sich gänzlich vor meinen Augen aufgelöst.
Ich saß auf den kalten Steinplatten des Gehwegs und wusste nichts mehr mit mir anzufangen. Ich hatte meinen guten Geist verloren. Meinen Schutzengel. Meinen Lebensretter.
Was auch immer mich dazu geritten hatte, Gefühle für einen Geist zu entwickeln, empfand ich eben genau das für Shin. Und nun hatte sich meine Liebe direkt vor meinen Augen aufgelöst.
Natürlich war ich froh noch am Leben zu sein. Auch die Menschen um mich herum kümmerten sich rührend um mich. Doch wie konnte ich mein Leben nun weiter genießen, mit diesem riss in meinem Herzen.
Nachdem ein Krankenwagen eingetroffen war und Ersthelfer mich durch gecheckt hatten, wollte ich einfach nur noch nachhause. Meinen Kollegen gab ich Bescheid was geschehen war und erwarteten mich für die nächsten zwei Tage nicht. So hatte ich Gelegenheit, etwas in mich zu gehen und das geschehene in ruhe sacken zu lassen.
In der Wohnung angekommen, brachen alle Dämme dieser Welt in mir zusammen und meine Kehle erzeugten Töne, wie ich sie noch nie von mir gehört hatte. An Ort und Stelle brach ich in mich zusammen und wartete, bis ich einschlafen würde, nachdem ich sämtliches Wasser aus meinen Augen ausgedrückt hätte.
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