Einbildung?

Jeden Tag das gleiche.
Aufstehen. Anziehen. Frühstück. Zur Arbeit. Arbeiten. Feierabend. Nachhause. Essen. Langweilen. Frustfressen. Irgendwo einschlafen.
Mein Leben bestand nur aus Arbeit und ließ mir nur selten Freiraum für Aktivitäten und Freunde. Eigentlich gab es nur noch Arbeitskollegen, da mein Ex, den ich beinahe geheiratet hätte, meinen Freundeskreis auf mich hetzte und mich im schlechten Licht dastehen ließ. Wer auf Seite eines Betrügers stand, konnte auch gleich dort bleiben. Zumindest wusste ich jetzt woran ich war.

Ich dachte wirklich wir würden glücklich werden und irgendwann eine Familie gründen. Doch wie hätte ich auch ahnen können, dass mein Verlobter sich in meiner Abwesenheit mit meiner Schwester vergnügte.
Mit der Begründung, ich sei ihm zu Fett geworden, suchte er Rechtfertigung für seinen Vertrauensbruch. Als Fett hatte ich mich nie gesehen und fühlte mich auch nicht so. Um Bauchfrei rum zulaufen, hatte ich wohlwissend zuviel Rundung um die Hüften, aber mich störte es nicht. Bauchfrei war eh nie mein Ding.
Meine Schwester war dagegen das totale gegenteil. Groß, schlank, blond und zum Glück dumm.
Da stand ich nun wie jeden morgen vor dem Spiegel und dachte über die Vergangenheit nach und darüber, wie ich die Augenringe loswerden würde. Wie konnte ich mit 27 nur aussehen wie 72?

Das geschehene war schon einige Monate her und ich hatte den Versuch gestartet meinem Singleleben ein Ende zu setzen, indem ich mich mit ein paar Männern traf, welche aber anscheinend nur einen Mutti ersatz suchten. In Sachen Liebe hatte ich einfach kein Glück.
Somit verlor ich meinen Elan mir ein männliches Wesen zu eigen zu machen und schwör mir selbst, es einfach auf mich zukommen zu lassen.

Frisch geduscht und angezogen, bändigte ich mein orange-rotes Haar zu einer Hochsteckfrisur und wollte mir gerade Schminke auftragen, als das ganze Mäppchen vom Waschbecken, direkt ins Klo fiel. Wie zum Geier konnte das passieren. Ich hatte es nur auf dem Becken abgelegt und im nächsten Moment flog es im hohen Bogen in die ca ein Meter entfernte Toilette.
Nervös drehte ich mich um und suchte einen Schuldigen, der sich definitiv nicht in meiner kleinen Zweizimmer Wohnung befinden konnte, da ich wie immer allein war.

Ohne meinen Frust an jemand anderen auslassen zu können, wagte ich einen fluchenden Blick ins Klo und überlegt, wie ich meine Kosmetik Utensilien aus der Schussel rausbekommen sollte, welche sich ordentlich darin verteilt und verkrochen hatten. Es war zwar meine Toilette aber dennoch hatte ich eine riesige Hemmschwelle einfach dort hinein zu greifen und alles einzusammeln.
Mit der Idee einen Einweghandschuh anzuziehen und ihn im Nachhinein zu verbrennen, fischte ich meine Kosmetika aus dem Pott und nahm mir vor, nach der Arbeit für neue zu sorgen.

Mir blieb nicht mehr viel Zeit um zur Arbeit zu kommen. Also hetzte ich mich noch etwas ab, bevor ich entgültig zur Tür rausging, um im Nachhinein wieder rein zu gehen da ich mein Handy vergessen hatte. Ohne dieses Ding war ich aufgeschmissen.
Kurzerhand nahm ich das Smartphone an der Tür entgegen und schloss hinter mir ab.
Nun wurde es wirklich knapp. Wenn ich keine grüne Ampelwelle erwischte, würde ich definitiv zu spät kommen.

Ich rannte schon fast zu meinem Auto und wollte gerade losfahren, als mir erst jetzt bewusst wurde, dass mir jemand das Handy an der Tür angereicht hatte. Wie in Schockstarre saß ich da und ließ das Letzt geschehene Revue passieren. Hatte ich mir das nur eingebildet? Niemand außer mir war in der Wohnung. Einbrecher konnten es nicht sein. Die Wohnung war entschieden zu klein um sich irgendwo für längere Zeit zu verstecken. Diebe würden mir auch nicht meine Wertsachen entgegenstrecken. Tausend Gedanken kreisten in meinem Kopf. Aber egal wie absurd die Situation erschien, ich wusste, dass sie genau so abgelaufen war.

Mit zitternden Knien quälte ich mich aus meinem Wagen und begab mich erneut zu meiner Wohnung.
Erst lauschte ich an der Tür ob etwas verdächtiges zu hören war. Doch das war nicht der fall. Alles war ruhig.
Leise schloss ich auf und wagte einen zaghaften Blick in meine Räumlichkeiten. Alles war so wie ich es hinterlassen hatte. Mit einem, schon fast flusterndem "Hallo?" Beschallte ich als einzige den Raum. Als ob jemand antworten würde.
Anscheinend hatte ich mich wirklich geirrt, denn es war niemand da.
Zumindest hatte ich jetzt die Gewissheit, dass mein hab und gut noch an Ort und Stelle sein würde, wenn ich Heim käme.

Nun war ich sicher, ich würde den Anschiss meines Lebens bekommen, da ich mit meinem Hirngespinst unendlich viel Zeit verplempert hatte.
Mein Chef war ein Arsch und wartete nur auf eine Gelegenheit, seine Morgenmuffellaune an jemanden auszulassen.
Auf alles eingestellt, begab ich mich in mein Büro, welches leider unweit von dem meines Chefs entfernt war. Einen Funken hoffnung hatte ich jedoch noch, dass mein zu spätes erscheinen nicht auffallen würde. Doch dieser Funken verglühte, als ich ein wütendes, erbostes und langgezogenes "AYUUMIIII" hinter mir hörte.
"IN MEIN BÜRO. SOFORT".
Mein Herz rutschte mir in die Hose und ich sah in die Gesichter meiner Kollegen.
Sie sahen mich mitfühlend und mit ernstem Ausdruck an. Wir wussten alle was es bedeutete, wenn unser Chef so reagierte. Ich müsste mich wohl oder übel darauf einstellen, mir einen neuen Job zu suchen. Egal. Dann wäre ich diesen Sklaventreiber zumindest los.

Wie auf dem weg zum Schafott, begab ich mich langsam zu meinem Henker.
Mein Chef saß in seinem übergroßen Sessel und fletschte die Zähne.
"TÜR ZU".
Ich tat wie mir gesagt, traute mich aber nicht, mich weiter zu bewegen.
"HINSETZEN".
Auch dieser Anweisung kam ich nach.
"NENNEN SIE MIR EINEN GUTEN GRUND WARUM ICH SIE NICHT FEUERN SOLLTE".
Verständnislos sah ich ihn an.
"Ich habe mich doch nur einmal verspätet. Es tut mir leid".
"INTERESSIERT MICH NICHT. SIE HABEN DANN HIER ZU SEIN WANN ICH ES SAGE UND KEINE SEKUNDE SPÄTER".
"Entschuldigen sie bitte. Es wird nicht wieder vorkommen".
"NATÜRLICH NICHT. SIE SIND GEFEUERT".
Wie von selbst sprang ich auf und schlug mit den Händen erschrocken auf den Tisch. Meine Augen füllten sich mit Tränen und starrten meinen Chef ungläubig an.
"Das können sie nicht machen. Ich habe nichts schlimmes getan".
"SICHER KANN ICH. ICH SITZE AM LÄNGEREN HEBEL. ES SEI DENN SIE WOLLEN SICH BEI MIR REVANCHIEREN".

Das konnte unmöglich sein ernst sein.
Mit selbstgefälligem grinsen saß er mir gegenüber und fummelte an seinem Gürtel rum. Panik stieg in mir auf und ich setzte gerade zur Flucht an, als er mich am Arm festhielt.
"WENN DU JETZT GEHST, WIRST DU ES BEREUEN DU KLEINE SCHLAMPE. ICH BEKOMME IMMER DAS WAS ICH WILL".
Was hätte schlimmer sein können als das?
"NIEMALS. Lassen sie mich los..."
Er stand vor mir mit runter gelassener Hose und drängte mich immer weiter runter auf die Knie. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Das konnte doch unmöglich wirklich passieren. Ich war in einem Albtraum. Egal wie. Ich musste hier weg und zwar jetzt.

"WAS IST HIER LOS?".
Wie auf's Komando sprang die Tür auf und der Geschäftsführer betrat den Raum, indem sich ein eindeutiges Scenario abspielte.
Ich war gerettet. Schnell rückte ich von meinem, beinahe, Peiniger ab und begab mich schützend zu meinem Geschäftsführer.
"ABTEILUNGSLEITER? NUN NENNEN SIE MIR EINEN GUTEN GRUND WESHALB ICH SIE NICHT FEUERN SOLLTE".
Schweigen hüllte den Raum. Nur das Geräusch meines Schnäuzen war zu hören, da gerade alle Dämme in mir brachen.
Noch immer kämpfte mein Chef hektisch damit, sich so würdevoll und schnell wie möglich wieder einzupacken.
Ein lauter Schrei ertönte und der Abschaum von Mann sackte ungebremst zu boden. Anscheinend hatte er sich etwas, für ihn wertvolles, eingeklemmt. Geschah ihm recht. Er sollte büßen für sein widerliches vorhaben. Da war das einklemmen seines Gemächts eher die harmlose Strafe.

Mein Chef bagann zu sprechen, nachdem er sich von seinem leiden einigermaßen erholt hatte und versuchte mir die Sache in die Schuhe zu schieben.
"DAS IST ALLES IHRE SCHULD. SIE HAT MICH ERPRESST".
Der Geschäftsführer zog die Augenbrauen hoch.
"Ich habe alles gehört was hier vorgefallen ist. DIE GANZE FIRMA HAT ES GEHÖRT. Zum Glück haben sie Idiot den Lautsprecher eingeschaltet".
Nun war mein Chef derjenige der die Augenbrauen hoch zog.
"Das kann nicht sein. Das Mikro war nicht angeschlossen. Ich hatte es extra ausgesteckt".
"Danke für Ihr Geständnis. SIE SIND FRISTLOS ENTLASSEN".

Endlich schlug das Karma mal dem richtigen mitten ins Gesicht. Sein Blick war unbezahlbar und eine Genugtuung der letzten Jahre.
"DAS KÖNNEN SIE NICHT MACHEN".
"UND OB. ICH SITZE AM LÄNGSTEN HEBEL DER FIRMA. ICH ENTSCHEIDE WER HIER ARBEITEN DARF. UND JETZT VERSCHWINDEN SIE AUF DER STELLE SONST RUFE ICH DIE POLIZEI".
Nach noch einer längeren Auseinandersetzung, verschwand mein ehemaliger Chef schließlich.
Aber eine Sache blieb mir im Hinterkopf. Er war Felsenfest der Überzeugung, er habe das Mikro ausgeschaltet. Ich hatte heute schon zu viel zu seltsames erlebt, als dass ich das hätte ignorieren können.
Irgendwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht.

Wie schon erwartet wurde mir nicht gekündigt und der Arbeitstag verlief nahezu wie jeder andere, nur das den ganzen tag über gefeiert wurde, dass unser Chef nicht mehr da war. Das machte uns allen das leben um einiges leichter.
Als der Tag sich dem Ende neigte, begab ich mich zu meinem Auto und nahm mir vor auf dem Heimweg etwas zu essen zu besorgen.
Doch als ich den Wagen erreichte, knallten meine Knie ohne halt auf die Steine. Mein Auto war ein Totalschaden. Komplett zertrümmert und zerkratzt. Ich konnte mir schon denken wer es gewesen war.
Ohne zu zögern rief ich die Polizei, die zu meinem Glück auch noch lange auf sich warten ließ. Nass bis auf die Knochen, stand ich mit den Beamten im Regen am Tatort und gab die Anzeige auf.

Total deprimiert und niedergeschlagen, machte ich mich später auf den Heimweg. Erst zu fuß, dann mit dem Bus.
Als ich an der Haltestelle auf den Bus wartete, sah ich mich etwas nervös um. Mich plagte ein leichter Verfolgungswahn. So ein Mensch, der soetwas schon mit meinem Fahrzeug machte, was würde er mit mir anstellen?
Da saß ich nun allein an der Haltestelle und starrte Löcher in die Luft. Es war mittlerweile dunkel geworden und die Leuchtreklame lockte unzählige Motten an. Ich bemerkte den Bus der gerade um die ecke bog und ich stellte mich an den Rand des Bürgersteigs. Aus dem Augenwinkel herraus, sah ich in der Leuchtreklame jemanden neben mir stehen und machte aus Reflex etwas Platz um nicht zu dicht an der Person zu stehen. Ich konnte es noch nie leiden wenn jemand in meinen Privatsphäre Bereich kam. Verwundert darüber das ich anscheinend doch alleine an der Haltestelle stand, da ich als einziges eingestiegen war, schaute ich mich verwirrt im bus um und stellte fest, dass ich auch hier die einzige war. Echt gruselig.

Gelangweilt sah ich aus dem Fenster und schaute den vorbei fahrenden Lichtern nach. Doch. Im Fenster spiegelte sich eine weitere Person, die direkt hinter mir saß. Erschrocken drehte ich mich um, denn ich war der Meinung, der einzige Fahrgast gewesen zu sein. Wie erwartet war niemand zu sehen. Vorsichtig suchte ich das Spiegelbild der Person hinter mir. Es war weg. Das Spiegelbild war weg! Was ging hier ab. Dieser Tag war der kurioseste in meinem leben. Ich wollte einfach nur noch nachhause. Mittlerweile war mir zum heulen und ich konnte meine Tränen kaum noch zurück halten.
Aus dem Bus ausgestiegen, ließ ich meinen Emotionen freien lauf und lief mehr als erschöpft Heim.

An der Wohnungstür angekommen, erinnerte ich mich daran, was heute morgen geschehen war und öffnete mit Vorsicht und auf alles gefasst die Tür. Ich spähte hinein und sah...
Nichts. Alles war wie immer. Alles stand an seinem Platz und es war ruhig.
Total hinüber fiel ich ins sofa, schloss die Augen und genoss den Kaffeeduft der aus der Küche...
Mit neuer Energie sprintete ich dem Duft entgegen und sah die noch dampfende Tasse Kaffee auf der Anrichte stehen.
Das konnte doch nicht sein.
Ängstlich Schritt ich von der Tasse weg, als hätte sie mir etwas getan.
Irgendwer spielte Psychospielchen mit mir.
"WER WAR DAS...WAS SOLL DAS... WO BIST DU?".
Vor Panik und Angst sackte ich zu boden, hielt mir mit geschlossenen Augen die Ohren zu und heulte mir die Seele aus dem Leib.
"HÖR AUF DAMIT... GEH WEG".

"Bitte weine nicht. Ich möchte dir nur helfen".

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