Berührung
Langsam öffnete ich meine Augen. Es war Tag und ich lag frierend auf dem Boden. Mir fiel es schwer meine Lieder zu heben um ausreichend zu sehen. Das erste mal in meinem Leben, hatte ich mir die Augen bis zur Explosion ausgeheult. Nicht einmal bei meinem Verlobten musste ich so trauern, wie über meinen Schutzengel. Wieder sammelten sich Tränen und ich rappelte mich eher widerwillig auf um mich zu duschen.
Nach der heißen dusche und der anschließend kalten Spülung in meinem Gesicht, um gegen die Schwellungen anzukämpfen, betrachtete ich mich im Spiegel und erschrak schon fast über meine verheulte Miene.
Wie auch immer ich es geschafft hatte mir neue Schminke zu kaufen, war ich unendlich glücklich, in diesem moment welche im Haus zu haben.
Ich öffnete die Mappe und wollte mir gerade Makeup herausnehmen, als diese Tasche im hohen Bogen erneut direkt in der Toilette landete.
Ich sah dem geschehen nur ungläubig hinterher. Mein Puls beschleunigte sich Augenblick und ich traute mich nicht, mich zu bewegen. Wieder verschwomm meine Sicht und ich starrte unaufhörlich mein Schminktäschchen im Klo an.
"Shin?".
In Gedanken sprach ich tausend Gebete, dass ich eine Antwort bekommen würde. Doch es blieb still.
Wie in Trance stand ich im Bad, noch immer nur mit einem großen Handtuch bedeckt und hoffte auf ein Wunder.
Ein Windzug an meinem Rücken, riss mich aus meinem Tagtraum.
"Das Zeug brauchst du nicht. Du bist hübsch so wie du bist".
Augenblicklich wurden meine Knie weich und ich zitterte am ganzen Körper. Mit einem Schwung drehte ich mich zu der Stimme um, die mir nur zu gut bekannt war.
Meine Gesichtsmuskeln setzten zum heulen an bei dem Anblick meines Geliebten Geistes und mein Herz entflammte zum neuen Leben.
"Ich weiss was du vor hast. Aber tu es nicht. Du würdest durch mich durch fliegen".
Er hatte recht. Dran gedacht hätte ich jetzt wirklich nicht mehr. Beinahe wäre ich ihm erfolglos um den Hals gefallen und mit hämmernden Kopfschmerzen in der Badewanne gelandet. Allein bei der Vorstellung musste ich anfangen zu grinsen. Shin schien zu wissen woran ich dachte und grinste mit mir mit.
"Verstehe mich nicht falsch, aber warum bist du hier?".
"Ich kann auch wieder gehen".
"NEIN NEIN NEIN... bleib bei mir".
"Das war ein Scherz".
"Nicht witzig. Ich hab dich einmal verloren. Ein weiteres mal verkrafte ich nicht".
Traurig sah ich zu boden und merkte wie Shin sich neben mich setzte.
"Glaub nicht das du die einzige warst die durch die Hölle gegangen ist".
Überrascht funkelte ich ihn an wärend er mir über seine Schulter zugrinste.
"Wie meinst du das?".
"Ich denke du warst so dumm und hast dich als lebende in einen Geist verknallt".
Mir schoss das Blut in die Wangen und ich schleuderte meinen ganzen Körper vor scharm richtung Wand.
"Aber... mir geht es nicht anders".
Wie war das?
Dieses Bauch kribbeln. Seit einer Ewigkeit hatte ich dieses Gefühl nicht mehr gespürt. Ihm ging es wie mir?
Fühlte er wirklich wie ich?
Ich musste ihn angesehen haben wie ein parkendes Auto.
"Wie... wie...meinst du... das?".
"Wie soll ich das schon meinen dummchen. Ich mag dich. Sehr sogar".
Sein Blick wurde ernst und er sah mich eindringlich an.
"Ich würde alles dafür geben wieder lebendig zu sein und bei dir zu bleiben".
Wieder kullerten mir tränen aus den Augen. Zumal ich wusste das wir uns niemals näher kommen könnten als jetzt und weil es so ziemlich das schönste war, dass ich jemals gehört hatte.
"Bitte weine nicht. Du brichst mir jedesmal damit das Herz. Ich kann nur neben dir sitzen und nichts weiter tun als dir gut zuzureden".
Langsam schüttelte ich den Kopf und grinste ihn liebevoll an.
"Das war das schönste was ich seit langem gehört habe. Scheiße ist nur das du ein Geist bist".
Endlich hörte ich sein wunderschönes lachen, was auch noch ansteckend war. Warum nur konnte ich nicht in seiner Zeit geboren worden sein und mit ihm alt werden.
"Du hattest mich vorhin gefragt, warum ich noch hier bin. Um ehrlich zu sein, ich weiss es nicht".
"Aber du hast deine Aufgabe doch erfüllt und mir das Leben gerettet".
"Das stimmt schon. Vielleicht bin ich noch nicht fertig dich zu retten".
"Aber ein weiterer Kontakt ist doch nicht möglich um mir zu helfen".
Grübelnd saßen wir noch immer im Bad und konnten uns nicht erklären, weshalb Shin noch immer in meiner Wohnung rum geisterte.
"Vielleicht... Muss ich dir irgendwie anders helfen".
"Eigentlich ist mir das total egal. Hauptsache du bist bei mir".
"Ich will die Stimmung jetzt echt nicht kaputt machen, aber mir wird kalt".
Ich stand auf, doch Shin blieb am Wannenrand sitzen. Wartend sah ich ihn an, doch er rührte sich nicht vom Fleck.
"Kann ich mich eben umziehen?".
"Keine Ahnung ob du kannst".
"Würdest du eben raus gehen damit ich mich in Ruhe und ALLEINE umziehen kann?".
"Wie jetzt. Erst gestehst du mir deine liebe und jetzt schmeißt zu mich raus?".
"Man... Du bist gemein...".
Lachend stand er auf und begab sich zur Tür.
"War nur Spaß. Ich geh ja schon. Allerdings... ist da nichts, was ich nicht schon gesehen hätte".
Zwinkernd verließ er den Raum und ließ mich, rot wie eine Tomate, allein im Bad zurück. Das Blut sprudelte mir über und ich schrie ihm nur ein "Du hast ja doch hingesehen" hinterher.
Als ich aus dem Bad kam, kochte ich mir noch etwas zu Essen, wobei Shin mir bei der Zubereitung zur Hand ging. Gemeinsam am Tisch, redeten wir noch über dieses und jenes. Wir stellten fest, dass es doch schon wieder sehr spät geworden war und so ging ich ins Schlafzimmer, blieb allerdings im Türrahmen stehen und schaute zu Shin rüber.
Dieser sah mich nur fragend an.
"Schon gut. Gute Nacht".
Schnell ließ ich die Tür ins schloss fallen und hechtete, wie ein schüchterner verliebter Teenager, ins Bett.
Leise ging die Tür wieder hinter mir auf und ich hörte Schritte.
"Ayumi?".
"Was denn?".
"Das frage ich dich".
"Es ist nichts".
"Sieh mich an".
Zögerlich tat ich wie mir gesagt, doch meine Wangen waren zu rot als das ich weiter so tun könnte als wäre nichts. Shin kam immer näher zu mir, was meine Situation nicht leichter machte.
"Und jetzt sagst du mir, was du mich eben fragen wolltest".
"Ich wollte dich nichts fragen".
"Ayu...".
"Ich...".
"Ja?".
Peinliches schweigen betrat den Raum. Shin blieb eisern und wartete auf meine Frage.
"Ich... Ich wollte dich nur fragen... Ob du... dich neben mich legst bis ich eingeschlafen bin. Dann dachte ich, dass du mich warscheinlich zu nervös machst und ich gar nicht einschlafen könnte".
Mit einem Ruck lag er in meinem Bett gleich neben mir und sah mich liebevoll an.
"Nichts lieber als das".
"Aber wird dir das nicht zu langweilig hier zu liegen und nicht einschlafen zu können?".
"Ich darf dich ansehen. Wie könnte mir da langweilig werden?".
Wir wussten beide das die Worte mehr als schmalzig waren, weshalb wir anfingen zu lachen.
"Spanner".
"Durch und durch".
Wir legten uns gemütlich mit den Gesichtern zueinander gewand hin und sahen uns noch eine ganze Weile an, bis ich schließlich fest einschlief.
Als ich aufwachte, sah ich direkt zur Seite. Natürlich war Shin nicht mehr da. Warum sollte er auch etliche Stunden neben mir liegen und mir beim schlafen zusehen.
Wieder nahm ich den Geruch von Kaffee wahr, der mich aus meinem Bett lockte. Ich stand auf und sah an mir runter. Da stand ich nun und überlegte, ob ich meinen Schutzengel etwas ärgern sollte oder nicht. Mein Schlaf shirt ging mir nur bis knapp über den Hintern. Außerdem wäre es nichts ungewöhnliches, einfach nur im Schlafdress in die Küche zu gehen. Bevor ich von meinem Poltergeist wusste, tat ich es schließlich auch immer so. Also warum nicht heute.
Entschlossen betrat ich die Küche und tat so, als wäre ich mir keiner Schuld bewusst an seinem erschrockenen und hinterher gaffenden Blick.
"Ayu?".
"Shin?".
"Machst du das mit absicht?".
"Natürlich!".
"Warum?".
"Weil ich es kann?".
"Ok... Was du kannst, dass kann ich auch!".
Niemals hätte ich mit dieser Antwort gerechnet, weshalb ich mich schnell umdrehte und mich selbst davon überzeugen musste.
Scheiße... er stand nun oben ohne vor mir, was mir den Speichel in meinen Mund schießen ließ. Was hatte ich da nur angerichtet?
Ich wollte ihn nur ein wenig ärgern und was hatte ich nun davon. Einen unbezahlbaren, unerreichbaren Anblick eines perfekten Adonis.
"Touché Shin, Touché.Jetzt würde ICH alles dafür geben das du lebendig wärst".
Sein Blick wurde zu heiß den er mir zuwarf, als dass ich ihn länger hätte ertragen können.
"I-ich muss... mich ablenken".
Also flüchtete ich buchstäblich vor meinem Geist weil er zu gut aussah.
Ein Satz, womit ich nie im leben gerechnet hätte, ihn mal in dieser Zusammenstellung auch nur denken zu können.
"Ayu. Komm wieder zurück. Ich ziehe mich auch wieder an".
Aus dem Flur rief ich ihm meine Antwort, wie in einem gesang entgegen.
"Brauchst du nicht. Ich nutze nur eben diesen trieb aus, um meine Wohnung auf Vordermann zu bringen. Bleib da und so heiß wie du bist".
Ich musste die Gelegenheit nutzen und etwas putzen, was ich schon seit einer Ewigkeit vor mich her schob.
Nach dem Vorfall von gestern, hatte ich heute noch frei und wollte, durch jetzige Umstände, die Gelegenheit ausnutzen meine Fenster zu putzen.
Nach einiger Zeit, war ich am letzten Fenster angekommen und war fürchterlich stolz auf mich, endlich dieses Jahr das erste mal meine Fenster geputzt zu haben.
Beinahe wäre mir der Putzlappen herunter gefallen. Dann hätte ich noch sorge tragen müssen, dass ihn jemand hätte auf den Kopf bekommen können. Aus dieser Höhe wäre alles was runter fällt, ein unaufhaltsames Geschoss.
Ich drehte mich um und wollte gerade den, mit bis zum Rand, mit dreckwasser gefüllten Eimer ausschütten gehen, als Shin auf mich zugerannt kam. Er sah besorgt aus. Ich fragte mich nur wieso. Ich schaute erneut aus dem Fenster. Ich fiel.
Erst jetzt realisierte ich, dass ich aus dem Fenster gefallen und Shin um mich besorgt war. Er streckte mir seine Hand entgegen und ich ergriff sie. Dachte ich.
Mein rettender Griff ging einfach durch seine transparente Hand hindurch und ich verstand. Ich würde hier und jetzt sterben. Seine Chance mir zu helfen, war verbraucht.
Die Fenster des gebeudes brausten nur an mir vorbei und ich sah den Boden immer näher kommen. Ob es wohl weh tun würde? Niemals hätte ich gedacht, auf diese Art und Weise das zeitliche zu segnen. Wie dumm von mir, wegen einem Putzlappen zu sterben. Der wäre mit Sicherheit heile unten angekommen.
Leise hörte ich Shin noch nach mir schreien. Mein Shin. Mein lieber Shin...
...
...
...
"Ayu?...Ayu!...".
Shin? Warum hörte ich ihn rufen?
Warum hörte ich überhaupt noch irgendetwas. Mir fiel es schwer die Augen zu öffnen. Neben Shin's rufe war noch etwas anderes zu hören. War das ein Defibrillator? War ich noch gar nicht Tod?
"Ayumi bitte wach auf".
Ich genoss seine sanfte und liebe stimme und die zärtlichen streicheleinheiten an meinen Wangen. Ich fühlte mich wohl und geborgen in seiner Nähe. So wie in der ganzen Zeit, die uns geschenkt wurde.
"Ich weiss das du wach bist. Du grinst".
Er hatte mich erwischt, also öffnete ich meine Augen, da sie sich mittlerweile nicht mehr anfühlten, als würden meine Lider zehn Tonnen wiegen. Zu meiner Überraschung sah ich einen Mann in Farbe vor mir. Erwartet hatte ich meinen transparenten Geist.
"Wer... Bist du?".
Der Mann lächelte mich Herzlich an und hielt meine Hand fest.
"Drei mal darfst du raten".
Er zwinkerte mir zu und ich brauchte ein paar Sekunden um du begreifen, dass er die Stimme hatte, die ich so sehr liebte.
"Shin?".
Schmunzelnd hockte er sich zu mir hin und strich mir sanft durch mein Haar. Perplex sah ich ihn bei seiner Bewegung zu und griff hektisch nach dieser Hand, welche ich ansah als wäre sie der heilige Gral. Meine Sicht verschwomm, denn ich hatte mir nichts sehnlicher gewünscht, als ihn endlich berühren zu können.
"Weinst du?".
"Nein... ich... Vielleicht".
Augenblicklich lag ich in seinen Armen, in welchen ich mich förmlich festkrallte und meinen Freudentränen freien lauf ließ.
Nach einer Weile öffnete ich meine Augen und sah dem geschehen hinter uns zu.
"Was ist da los?".
"Du bist aus dem Fenster gefallen... und... Ich konnte dich nicht festhalten. Tut mir leid".
In seiner Stimme lag Reue und seine Umarmung wurde fester.
"Bedeutet das...".
"Ja. Du bist gestorben. Darum können wir uns jetzt klar sehen und anfassen".
"Ouh".
"Es tut mir wirklich leid Ayumi das ich dir nicht helfen konnte...".
Seine stimme stockte. Ich löste mich von ihm, nahm sein Gesicht in meine Hände und sah ihn überwältigt an.
"Ich liebe dich".
Er riss seine Augen weit auf, denn auf diese Worte schien er so gar nicht vorbereitet zu sein. Sein anblick war zu schön.
Mit voller Leidenschaft warf ich mich ihm entgegen und nahm mir den Kuss auf den ich die ganze Zeit gewartet hatte, der auch augenblicklich, mit der gleichen Leidenschaft, erwidert wurde.
"Und ich liebe dich".
"In Farbe siehst du irgendwie ungewohnt aus".
"Du hast die Ewigkeit um dich dran zu gewöhnen".
Wir lachten und fielen erneut übereinander her.
Das ich nicht mehr unter den lebenden weihte, war zwar auf der einen Seite traurig, aber andererseits war ich nun endlich glücklich.
"Ich glaube, ich weiss jetzt warum ich noch nicht gehen konnte".
Fragend sah ich ihn an.
"Meine Aufgabe bestand warscheinlich gar nicht darin, dich zu beschützen, sondern dich mitzunehmen".
"Egal wohin du gehst. Ich würde dir überall hin folgen".
Hätte mir jemals jemand gesagt, ich würde mich in einen Geist verlieben, später zu einem werden und mit ihm im Jenseits glücklich werden, wäre ich warscheinlich schreiend vor dieser Person weggelaufen. Doch hätte dieser jemand recht behalten.
Denn nun, war ich endlich Glücklich.
ENDE
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top