⚡︎ neunundfünfzig ⚡︎


Taehyung

Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr einfach glücklich seid? Rundum zufrieden und die Harmonie so perfekt ist, dass es fast schon zu perfekt ist? Wenn es keine Steigerung mehr gibt und ihr wisst, dass es irgendwann zusammenbrechen muss? Das Gerüst aus Glück, Liebe und Zufriedenheit. So etwas kann nicht dauerhaft bestehen.

Langsam laufe ich mit Jungkook händchenhaltend durch die Straßen. Die laue Abendluft müsste mich eigentlich beruhigen, aber irgendwie ist sie heute getränkt mit dem Gefühl des Unwohlseins. Irgendetwas stimmt nicht und damit meine ich nicht die abwertenden Blicke der Menschen, als sie unsere verschränkten Hände erblicken.

Für Werwölfe ist Homosexualität nichts verwerfliches, auch wenn nicht alle sofort oder jemals Erfahrungen mit dem gleichen Geschlecht machen. Aber die Gefährtenverbindung scheint einen wesentlich höheren Stellenwert zu haben, als das Geschlecht des Mates. Warum Menschen so abwertend auf Liebe reagieren, verstehe ich daher nicht.

„Hey, den kennen wir doch!" Jungkook deutet auf einmal mit dem Kinn in Richtung eines viel zu großen Mannes, der ein Stück neben uns versetzt mit zwei Einkaufstüten in der Hand die Straße entlangläuft. Ich runzele die Stirn und überlege woher ich sein Gesicht kenne, bis es mir wie Schuppen von den Augen fällt.

„Das ist doch einer von Jiyongs Leuten! Der Fahrer!"
Mein Gefährte nickt zustimmend und wirft dem Mann einen grummeligen Blick zu. Ganz klar, Jungkook mag ihn nicht und ich bin mir sicher, dass beruht auf Gegenseitigkeit.
Trotzdem ziehe ich meinen Gefährten hinter mir her an der Hand zu dem Fahrer. Ich habe keine Ahnung, wie es Jiyong im Moment geht und das ist die perfekte Gelegenheit um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.

„Entschuldigung?" Wir holen den Mann ein und ziehen seine Aufmerksamkeit auf uns. Verwirrt sieht er zu uns und scheint uns erst nicht zu erkennen, bis sein Gesicht auf einmal Verzweiflung ausstrahlt.
„Oh Gott, was wollt ihr?"
Er sieht es nicht ein seine Schritte zu verlangsamen und so laufen wir ein Stück schneller, um mit ihm mithalten zu können.

„Lasst mich bitte in Frieden!"
„Wir wollen nur über Jiyong reden! Wie geht es ihm?", antwortet Jungkook an meiner Stelle, da ich aufgrund der viel zu großen Schritte ein wenig am japsen bin. Dämliches Omega-Dasein. Kurzerhand packe ich den Mann also am Ärmel und zwinge ihn stehen zu bleiben. Angewidert schüttelt er meine Hand ab.

„Das geht euch nichts an." Kurzangebunden wirft uns der Mann einen vernichtenden Blick zu und ich beginne fast automatisch zu schmollen, während ich mich gleichzeitig gekränkt fühle. Schnippisch antworte ich: „Jiyong und ich haben eine gute Beziehung zueinander, ich denke, ich darf wohl wissen wie es ihm geht."

Jungkooks Griff um meine Hand verstärkt sich bei dem Begriff „Beziehung" und sofort streichele ich kurz mit meinem Daumen über seine weiche Haut, damit er ja keine Eifersuchtsattacke bekommt. Mittlerweile sollte er wissen, dass Jiyong für mich nicht den selben Stellenwert hat, wie er.

„Halte dich einfach aus seinem Leben raus, Winzling. Turtelst skrupellos hier herum, obwohl du jemanden auf dem Gewissen hast. Du bringst nur Unglück", knurrt mich der Mann jetzt wütend an und ehe wir reagieren können, hat er sich schon zwischen die Menschenmassen auf der Straße geschoben. Fassungslos starrt Jungkook ihm nach und in mit macht sich ein kaltes Gefühl breit.

„Der... was erlaubt der sich?!" Aufgebracht starrt Jungkook dorthin, wo der Mann bis vor wenigen Sekunden gestanden hat. Ich reagiere gar nicht, sondern blinzele wie verrückt, um die Tränen zurückzuhalten.
Ganz klar, der Mann hat von der Leiche gesprochen, die aus Jiyongs Anwesen geborgen wurde - nachdem er wegen mir angegriffen worden ist.

„Er hat recht. Es ist wirklich meine Schuld", flüstere ich und lasse Jungkooks Hand los, da sich meine eigene eiskalt anfühlt. Bevor ich mich aber weiter distanzieren kann, hat mein Gefährte schon nach meiner Taille gegriffen und mich an sich gezogen, ungeachtet dessen, dass wir noch in aller Öffentlichkeit stehen.

„Jetzt hör mir mal zu, du Idiot, ja? Das ist ganz sicher nicht deine Schuld! Du hast dich nicht dazu entschieden, als Omega geboren zu werden und genauso wenig hast du gewollt, dass Jiyong etwas Böses widerfährt. Er hat zuerst Interesse an dir gezeigt, obwohl er weiß wie begehrt du bist. Er war sich der Gefahr bewusst, in welcher er sich und sein Personal bringt, wenn er weiterhin guten Kontakt zu dir hält. Du kannst nicht beeinflussen, was zwischen ihm und unseren Feinden passiert. Also glaube niemals, dass du Schuld hast!"

Ernst sieht mein Gefährte mich an und ich schniefe einmal kläglich. Seine Worte sind wie Balsam für meine Seele, auch wenn ich ihnen keinen Glauben schenke.
„Okay", winsele ich dann leise - obwohl gar nichts okay ist.

Der rationale Teil meines Körpers weiß genau, dass Jungkook recht hat, aber dennoch fühle ich mich genauso schuldig wie zuvor.

„Weist du was, Taeby? Essen soll glücklich machen, Süßes ganz besonders. Also kaufe ich dir jetzt ein kleines Eis!"

Jungkook sieht mich entschieden an und ich reiße die Augen auf.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wir haben kaum Geld, gib das doch nicht für so etwas unnützes aus!"  Hektisch schüttele ich über den dämlichen Vorschlag den Kopf, aber mein Gefährte bleibt stur.

„Keine Widerrede. Ich habe genug gebettelt und genug Pfandflaschen gesammelt, um meinem traurigen Lebenssinn eine Freude zu machen."
Ich werde feuerrot um Gesicht als mir klar wird, wie er mich da bezeichnet hat, aber bevor ich noch etwas sagen kann, hat Jungkook mir bereits einen schnellen Kuss auf die Stirn gegeben.

„Warte hier, Taeby, ich gehe da vorne in den Supermarkt und gebe mein Geld für dich aus!"
Stolz grinst er mich an und dann dreht er sich einfach weg. Entgeistert blicke ich ihn hinterher und kann nicht fassen, dass er ernsthaft losläuft um Geld für mich zu verschwenden.

Mein Herz rutscht mir in die Hose als ich daran denke, wie das Rudel wohl reagieren wird, wenn sie erfahren das Jungkook Geld für etwas unwichtiges wie Eis ausgeben hat, nur weil ich mal wieder traurig war.

Frustriert seufze ich und hoffe, dass das Ganze nur ein schlechter Scherz war. Gleichzeitig kann ich aber auch nicht leugnen, dass sich ein immer größer werdender Teil in mir über diese süße Geste meines Gefährtens verdammt dolle freut. 

Ungeduldig wippe ich mit meinem Fuß auf und ab und beobachte die Menschen bei ihrem Gang durch die Straße. Alle scheinen sie ein gutes Leben zu haben, aber gleichzeitig wirken sie so unerfüllt und unzufrieden. Sie scheinen mehr anzustreben und mehr zu wollen, aber nie endgültig befriedigt zu sein. Menschen erinnern mich an unersättliche Monster, die ihren eigenen Magen auffressen würden um diesen scheinbar immer wütenden Hunger in sich zu stillen.

„Wo bleibt er nur?"
Ich besitze keine Uhr, aber mein untrügliches Zeitgefühl und meine schwerer werdenden Beine sagen mir, dass ich hier schon länger stehe. Die Sonne geht immer weiter unter und ich bezweifele, dass der Kauf eines kleinen Eis so lange dauert.

Oder ist Jungkook etwas dazwischen gekommen? Hat er jemanden kennengelernt? Eine schöne Werwölfin vielleicht, die ihm mehr geben kann als ich?
Sofort schüttele ich hektisch den Kopf, mein Gefährte würde mich nicht betrügen. Ich vertraue Jungkook und hoffe, dass er dieses Vertrauen nicht missbraucht.

Ein plötzliches Stechen in meiner Brust und das rasante Pulsieren meiner Tattoos lassen mich schmerzerfüllt aufjapsen.
Verdammt, da stimmt etwas nicht!

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