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Wie ich schon vermutet hatte, kamen James und ich auf Anhieb gut miteinander klar.

James hatte mich vor offiziellem Schichtbeginn in die üblichen Gepflogenheiten eingeweiht, mir das Hauptlager im Keller gezeigt, ebenso die Funktionsweise der erstaunlich modernen Zapfhähne und natürlich auch, wo ich an der Bar den restlichen nötigen und unnötigen Kram finden konnte.

Ich hatte ihn die ganze Zeit über von der Seite her forschend gemustert, immer auf der Suche nach einem Zeichen, dass sich hinter seiner zuvorkommenden, sympathischen Fassade möglicherweise ein gewaltbereiter Dealer versteckte, der an Paynes Geschäften beteiligt war. Erfolglos.

Und außerdem ... nun ja, was sollte ich sagen.

James war nicht nur freundlich. Noch dazu flirtete er mit mir, was das Zeug hielt.

Am Anfang wäre ich am liebsten vor Verlegenheit im Erdboden versunken, doch mittlerweile war ich ebenso schamlos in sein Spielchen eingestiegen – immerhin beruhte die Sympathie auf Gegenseitigkeit. Ich müsste lügen, um zu sagen, dass ich mich nicht wenigstens ein bisschen nicht zu ihm hingezogen fühlen würde.

Dabei waren solche Gedanken hier vollkommen fehl am Platze. Ich war dienstlich hier. Als Polizist. Verdeckt ermittelnd. Ich hatte einen Job, einen verdammt ernsten Job, auf den ich mich konzentrieren musste.

Meine Hormone waren da offenbar andere Meinung.

Wenn ich nicht gerade irgendwelche Getränke mixte, Biere zapfte oder Flaschen und Gläser über die Bar hinweg an die Clubbesucher reichte, hielt ich Augen und Ohren offen. Mein geübtes Augenmerk galt verdächtig wirkenden Einzelpersonen, Gruppen oder herrenlos herumliegenden Taschen oder Jacken.

Konzentriert verfolgte ich sämtliche Interaktionen zwischen den Gästen und verabschiedete mich zwischendurch ganz zufällig mal auf die Toilette, um eine verdächtige junge Frau überprüfen, die die ganze vergangene halbe Stunde ausschließlich damit verbracht hatte, mit einem Drink an der Tür zu lehnen und die Leute zu beobachten.

Am Ende hatte sie sich jedoch lediglich erst neben die Kloschüssel und dann ins Waschbecken übergeben. Das war zwar ärgerlich und wenig appetitlich, aber nicht unbedingt strafbar. Aber natürlich wäre es auch zu viel des Guten und noch dazu äußerst unrealistisch gewesen, an meinem allerersten Tag im LP schon über irgendwelche zwielichtigen Machenschaften zu stolpern.

Abgesehen von alldem unterhielt ich mich mit meinem teddybäräugigen Barkeeper-Kollegen über die wummernden Bässe der Musik hinweg hochmotiviert über alles Mögliche. Zwar mussten wir einander die ganze Zeit über anschreien und uns beim Reden nicht selten ziemlich nahe auf die Pelle rücken, doch das war es mir definitiv wert.

Zumal es mich nicht wirklich störte, wenn er mir auf die Pelle rückte. Nicht im Geringsten.

Ich mochte ihn. Selten war mir ein Mensch auf Anhieb so sympathisch gewesen. Er vermittelte mir ein merkwürdiges Gefühl des Vertrautseins, fast so, als würden wir uns schon ewig kennen. Noch dazu war er locker, humorvoll, empathisch, auch den Clubgästen gegenüber zuvorkommend und, um der ganzen Beschreibung noch das Sahnehäubchen aufzusetzen, natürlich auch noch so unfassbar attraktiv.

Befände ich mich nicht in der Position, in der ich mich eben befand, würde ich ihn wohl ganz kitschig als Traummann bezeichnen. Der Gedanke, aufgrund des Distanzgebots, das mein Job nun mal mit sich brachte, definitiv nichts mit ihm starten zu dürfen, nicht einmal eine ernsthafte Freundschaft, versetzte mir einen Stich aufrichtigen Bedauerns.

Angesichts dessen wäre es absolut vernünftig, mich deutlich von seiner Flirterei zu distanzieren und klares Desinteresse zu symbolisieren. Was mir nicht gelang.

Aber nun gut. Meine Kollegen mussten ja nichts davon wissen. Es war ja nicht so, als wäre James automatisch ein Krimineller, nur weil er für Liam Payne arbeitete. Natürlich konnte ich nicht wissen, was sich alles hinter diesen hübschen, schokoladenfarbenen Augen verbarg, aber im Moment sah es noch ganz so aus, als wäre James vollkommen harmlos. Zumindest hoffte ich das insgeheim.

Wie auch immer.

Jedenfalls war es inzwischen vor Mitternacht und noch nichts Außergewöhnliches hatte sich ereignet. Die Musik wurde immer lauter, die Lichter irritierender, die Luft stickiger und die Leute betrunkener.

Alles normal.

„Gute Nacht zusammen!"

Ich unterbrach meine nur bedingt appetitliche Tätigkeit an der Spüle, um mich beim Klang einer gut gelaunt klingenden, männlichen Stimme neugierig umzusehen.

Ein recht muskulöser Mann mit tiefschwarzer Kurzhaarfrisur, schätzungsweise ebenfalls Mitte bis Ende zwanzig, gesellte sich zu uns hinter die Bar. Er trug so wie James und ich selbst das mittlerweile vertraute schwarze LP-Hemd, also schloss ich darauf, dass er ebenfalls hier arbeitete.

Kurz war ich verwirrt, doch dann schlug ich mir innerlich mit der flachen Hand an die Stirn.

Natürlich. James hatte sich ja zu Beginn als einer der Barkeeper vorgestellt, folglich hätte mir klar sein müssen, dass eventuell noch jemand hinzustieß – was dieser Jemand offenbar eben getan hatte.

Aus den Augenwinkeln verfolgte ich, wie der Neuankömmling sich mit James unterhielt, doch die Musik war viel zu laut, um ihre Worte über eine Distanz von knapp drei Metern hinweg noch auffangen zu können.

James gestikulierte knapp in meine Richtung, wobei er mir ein breites Lächeln schenkte und mir (wieder einmal) zuzwinkerte – offenbar hatte er seinen Kollegen gerade in das Geheimnis meiner Präsenz eingeweiht.

Während James wieder in den Arbeitsmodus überging, kam der Schwarzhaarige nun mit einer Plastikkiste voll benutzter Gläser auf mich zu, die er neben mir auf die Arbeitsplatte knallte. „Hi. Ich bin Zayn."

Ich verzichtete auf einen höflichen Handschlag, da meine behandschuhten Hände gerade im schmutzigen Spülwasser steckten. „Niall. Ich bin ..."

„...der potenzielle neue Kollege, ich weiß." Zayns Gesichtsausdruck war undefinierbar, machte aber nicht gerade den Eindruck, als wäre er sonderlich zugetan von meiner Anwesenheit. Sein Tonfall klang jedenfalls alles andere als begeistert. „James hat mich darüber schon ins Bild gesetzt."

„Okay?" Das eigentlich bestätigende Wort verließ meinen Mund wie eine Frage.

Der Typ verwirrte mich mit seiner offensichtlichen Abneigung, wo wir einander doch vor ungefähr zehn Sekunden erst kennengelernt hatten.

Zum Glück erwartete Zayn offenbar keine Antwort mehr von mir, denn er wandte sich ohne ein weiteres Wort ab, um sich der langen Schlange an Gästen zu widmen, die ungeduldig auf ihre Drinks warteten. Anscheinend hatte er auch kein Interesse daran, das schmutzige Geschirr, das er eben angeschleppt hatte, in die Spülmaschine zu räumen.

Ich starrte ihm einen Moment lang verstört hinterher, bevor ich schulterzuckend meine Arbeit fortsetzte.

Wer auch immer dem ans Bein gepinkelt hatte, ich war es jedenfalls nicht gewesen. Und da ich sowieso nur übergangsweise hier war, bis sich die Sache mit den Drogengeschäften geklärt hatte, interessierte es mich nicht sonderlich, ob einer meiner Kollegen mich hasste.

Zayns kalkulierende Augen verfolgten mich die gesamte Nacht über und als die Security schließlich die letzten stockbesoffenen Gäste gegen 5 Uhr aus den Toiletten zog und wir die Bar gesäubert und damit die Schicht beendet hatten, würdigte er mich keines Blickes, sondern dampfte ohne ein Wort des Abschieds aus dem Gebäude. Lediglich James klopfte er kurz auf die Schulter.

„Mach dir wegen ihm keinen Kopf." Lautlos war James neben mich getreten und lehnte sich nun mit der Hüfte seitwärts gegen die Bartheke. Seine braunen Augen musterten mich aufmerksam, mit einem Hauch Sorge, als befürchtete er, ich könnte wegen Zayns Verhalten sofort die Flucht ergreifen. „Zayn gibt sich gerne als unnahbares Mysterium, aber im Inneren ist er ein lieber Kerl. Ein richtiger Softie, um genau zu sein, auch wenn er das natürlich nie zugeben würde. Ähm ..."

Erwartungsvoll sah ich auf, als James zu einem Satz ansetzte, nur um dann wieder abzubrechen und sich scheinbar verlegen im Nacken zu kratzen. Schließlich entschied er sich zu einem leisen Lachen und schüttelte den Kopf, offenbar belustigt über sich selbst.

„Wie auch immer. Also, Niall, wie sieht es aus? Kann ich heute Abend wieder mit dir rechnen?"

Erneut hätte ich um ein Haar über mich selbst die Augen verdreht.

Stimmt. Das hier war ja nur der Probearbeitstag gewesen. Wie hatte ich das nur vergessen können?

Dann erst ging mir auf, was James' Frage bedeutete. „Heißt das, ich hab den Job?"

James legte den Kopf schief, ein warmes Lächeln auf den Lippen. „Natürlich. Wie könnte ich jemanden wie dich einfach so gehen lassen?"

Ich überging den zweiten Satz, tunlichst darum bemüht, das geschmeichelte Flattern in meinem Inneren zu ignorieren. „Aber was ist mit einem persönlichen Gespräch mit eurem Chef? Muss er nicht ..."

„Die Personalangelegenheiten der Bar überlässt er mir", fiel mir James ins Wort, klar und deutlich viel angespannter als vorhin.

Aufmerksam richtete ich mich ein wenig auf. Genau das hatte er ganz zu Beginn auch schon getan: Mir das Wort abgeschnitten, sobald ich auf Liam Payne zu sprechen kam. Anscheinend war sein Boss ein wunder Punkt, über den er nicht gern sprach.

Hieß das womöglich, dass er mit seinem Chef Probleme hatte, weil der ein gewaltbereiter Krimineller war? Setzte Payne seine Belegschaft mit irgendwelchen Mitteln unter Druck, damit sie über die illegalen Machenschaften im LP dichthielten? Oder zwang er sie vielleicht sogar zur Beihilfe? Vielleicht war Payne ja- ...

Eine sanfte Berührung an meiner Wange riss mich aus meinen Gedanken.

„Hey. Wohin bist du denn abgeschweift?" Dann schien James aufzugehen, was er da gerade tat, denn er zog schnell die Hand zurück. „Sorry. Ich konnte nicht widerstehen."

Mit großen Augen sah ich ihn an, während mein Magen einen Salto nach dem anderen vollführte.

„Kein Problem", antwortete ich tonlos, während meine eigene Hand unwillkürlich an Stelle wanderte, wo eben noch die von James gelegen hatte.

Es war definitiv kein Problem.

Nun ja, eigentlich sollte es eines sein, aber es fühlte sich nicht wirklich wie eines an. Im Gegenteil.

Fuck.

Wir standen so nahe beieinander, dass ich den herben Duft seines Deos riechen, sogar den faszinierenden Farbverlauf seiner braunen Iris aus nächster Nähe erkennen konnte. Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte mein Blick unfreiwillig zu seinen rosigen, vollen Lippen, mir unwillkürlich ausmalend, wie es wohl sein mochte, sie küssen zu dürfen.

Okay, stopp.

Ich war dienstlich hier. Nicht, um mir den Barkeeper zu angeln.

James hatte von den Vorgängen in meinem Kopf glücklicherweise nichts mitbekommen. Er biss sich lediglich auf die Lippe (womit er die Situation beim besten Willen nicht besser machte), bevor er sie zu einem schiefen Grinsen verzog. „Also ... nimmst du den Job nun oder nicht?"

Ich nickte lachend und betastete reflexartig meinen etwas chaotischen, blond-braunen Quiff, als mir infolge der etwas zu heftigen Kopfbewegung eine einzelne Strähne daraus in die Augen fiel. „Natürlich nehme ich ihn. Ich bin ein armer Student, schon vergessen? Arme Studenten brauchen immer Geld. Wenn es dir nichts ausmacht, musst du mich noch länger aushalten."

James betrachtete mich eingehend, was meine Körpertemperatur erneut um einige Grade in die Höhe schnellen ließ. „Das ist schön."

Die Ehrlichkeit, die in diesen drei simplen Worten mitschwang, ließ meine Fingerspitzen kribbeln.

Verdammt, ich mochte diesen Typen viel zu sehr. Nach nur wenigen Stunden der Zusammenarbeit. Mir musste wirklich geholfen werden.

„Alles klar, dann hau ich mich noch ein wenig aufs Ohr und melde mich heute Abend wieder offiziell zum Dienst." Bevor ich mich zurückkalten konnte, hatte ich Vollidiot einer Eingebung folgend schon die letzten Zentimeter zwischen uns überbrückt und James prompt einen Kuss auf die Wange gedrückt. „Bis später."

Lächelnd und mich innerlich für meine dummen Reflexe schlagend drehte ich mich um und wandte mich zum Gehen, einen sprachlosen James hinter mir erstarrt an der Bar zurücklassend.

Meine Ohren rauschten.

War mir eigentlich noch zu helfen? Vermutlich nicht.

Bei meinem Fahrrad angekommen (das sich glücklicherweise noch immer dort befand und nicht geklaut worden war) musste ich erst ein paar Mal die kühle Morgenluft in mich aufnehmen, um meinen Verstand zu klären.

Professionell hatte ich in dieser ersten Nacht wie erwartet nichts leisten können.

Aber dafür war ich nun drauf und dran, vollkommen unprofessionell etwas mit einem der Mitarbeiter anzufangen. Das größte No-Go aller Zeiten. Und ich konnte nicht einmal von mir behaupten, mich ernsthaft um Distanz bemüht zu haben, wie ich es eigentlich tun hätte sollen. Diese verdammte Anziehungskraft, die von James ausging, ich konnte sie einfach nicht ignorieren. Es ging nicht.

James war einfach so ... naja. Er war eben James.

Und ich war eine Niete, die drauf und dran war, ihren ersten Einsatz zu vergeigen. Ich konnte nur hoffen, dass mir diese emotionale Komponente im weiteren Verlauf des Falls nicht in die Quere kam. Der kurz aufkeimende Gedanke, dass ich sie mir ebenso gut auch zunutze machen könnte, sorgte dafür, dass ich mich im nächsten Moment vor mir selbst ekelte.

Nein. Das war die unterste der untersten Schubladen, die ich absolut nicht zu öffnen gedachte. Ich musste die Sache langsam und unauffällig angehen, wenn ich Liam Payne überführen wollte.

Auch wenn ich ihn dazu erstmal finden musste.

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As I said, hier passiert alles ziemlich schnell. Fast ein bisschen so wie in meinem peinlichen alten Kram. Oops.

Vielen lieben Dank fürs Lesen an euch alle und wie immer freu ich mich total über Sternchen und Kommis!😇

Liebe Grüße und bis zum nächsten Kapitel💖

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