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Er hatte getroffen.

Schock ließ mein Herz einen Schlag aussetzen, dicht gefolgt von lähmender Fassungslosigkeit und Unglauben.

Und das alles, obwohl mir von vornherein klar sein hätte müssen, wie verschwindend gering die Wahrscheinlichkeit gewesen war, unverletzt aus einem solchen Kampf kommen. Einem Kampf, in dem es ums nackte Überleben ging.

Das Brennen in meiner linken Seite war unmenschlich und schlimmer als alles andere, was ich jemals verspürt hatte. Tränen drohten aus meinen halb zugekniffenen Augenlidern hervorzuquellen, als ich mich in all meiner verbliebenen Verbissenheit darum mühte, meinen Körper vor weiteren Hieben abzuschirmen.

Mein Kopf war komplett irre, mein Verstand ein bedrohliches Karussell aus flimmernden und gleichzeitig merkwürdig zähen, verschmierten Blinklichtern, die in mir das Bedürfnis erweckten, mich einfach zu einer Kugel zusammenzurollen, zu heulen und die Welt um mich herum auszuschalten.

Es tat so weh.

Vielleicht sollte ich einfach aufgeben und mich erschießen lassen. Jetzt, wo ich einen Messerhieb abbekommen hatte, hatte ich immerhin sowieso keine Chance mehr, richtig?

Bei dieser Erkenntnis geriet mein Herzschlag erneut ins Stocken. Ich hatte verloren. Vielleicht-...

„HEY!"

Ich zuckte zusammen.

Die Stimme, die nun das dämmrige Halbdunkel durchschnitt, war herrisch, viel zu laut und ich selbst natürlich nicht im Ansatz in der Lage dazu, sie einer Person zuzuordnen.

Dennoch kam sie mir unfassbar bekannt vor.

„Waffe weg! Auf den Boden und die Hände hinter den Kopf!" Eine kurze Pause trat ein, gefolgt von einem dumpfen Geräusch, als hätte jemand einen Faustschlag kassiert. „Auf den BODEN!"

Am Rande meiner schwimmenden Wahrnehmung registrierte ich, wie Kahlkopf innehielt, sodass auch ich meine Verteidigungshaltung, die mir inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen war, zu unterbrechen wagte.

Reflexartig wollte ich mich aufsetzen, um einen Blick auf den Neuankömmling zu erhaschen, um zu sehen, mit welcher Seite ich es nun zu tun hatte, doch mein Körper protestierte mit kreischendem Schmerz, als ich die entsprechenden Muskelgruppen anzuspannen versuchte.

Schweratmend presste ich die Stirn gegen den nasskalten Boden, verbissen darum bemüht, mich irgendwie unter Kontrolle zu bringen.

Der Kies knirschte, als sich uns mehrere Personen zu nähern begannen.

Nur schemenhaft konnte ich die Silhouetten ausmachen, beim besten Willen nicht gut genug, um irgendjemanden zu identifizieren, doch als einen Augenblick später Kahlkopf endgültig wie von der Tarantel gestochen aufsprang, um einen Sprint hinzulegen, ahnte ich schon, um wen es sich handeln könnte.

Die Schritte, die auf mich zukamen, beschleunigten sich merkbar, bevor sie direkt neben mir zu einem Halt kamen, wo ich auf dem Boden kauerte und noch immer versuchte, zu Atem zu kommen.

„Niall?" Sanfte, wenn auch eiskalte Hände berührten mich an der Schulter, dann an der Wange und an der Schläfe. „Niall. Hey. Kannst du mich hören?"

Ein gequältes Geräusch war alles, was ich zustande brachte, doch die erleichterte Hoffnung, die mich nun durchflutete, war schlichtweg beispiellos. Natürlich kannte ich diese Stimme. Sie gehörte zu Harry.

Meine Kollegen waren hier. Meine echten Kollegen.

Harrys abtastende Hand wanderte an meiner Seite hinab, bis sie an der schmerzenden Stelle angelangt war, wo Kahlkopf mit der Klinge getroffen hatte, um dann sanft die Verschränkung meiner Arme zu lösen, die ich instinktiv fest um den Körper geschlungen hielt.

Scharfes Einatmen erklang, gefolgt von einem unterdrückten Fluch, bevor er noch nachdrücklicher als zuvor gegen meine Wangen zu schlagen begann. „Niall. Niall. Ni-all."

Und als er meinen gottverdammten Namen dann auch noch ein viertes Mal sagte, als müsste er mich daran erinnern, wie ich hieß, ging es mir dermaßen auf den Sack, dass ich ruckartig die Augen aufriss.

Im ersten Moment waren die grauen Punkte schier undurchdringlich, doch als sich mein Blickfeld einigermaßen geklärt hatte, sah ich mich prompt mit Harrys Gesicht konfrontiert, das zu einer derartigen Maske der Besorgnis verzerrt war, wie ich sie noch nie bei ihm gesehen hatte.

Mein Kollege beugte sich so tief über mich, dass mich die Spitzen seiner dunkelbraunen Locken in der Halsbeuge kitzelten und in mir das Bedürfnis weckten, sie in penibler Gestik von mir zu schieben.

Ein aus tiefstem Herzen kommendes „Fuck!" war schließlich das erste Wort, das meinen Mund verließ, als die Fähigkeit zu sprechen endlich zurückgekehrt war. Einige weitere Sekunden verstrichen, in denen ich die verbliebenen dunklen Flecken vor meinen Augen wegblinzelte, bevor ich es wagte, einen prüfenden Blick an mir hinabzuwerfen.

Obwohl ich mit einem solchen Anblick schon gerechnet hatte, verzog ich das Gesicht, als ich den tiefroten, blutdurchtränkten Fleck erspähte, der die Seite meines hellen Shirts zierte und sich farblich perfekt zu den unzähligen Schrammen an meinen nackten Armen ergänzte.

Reflexartig zog ich den Stoff empor, um freie Sicht auf die Wunde zu bekommen, wenn auch mit etwas unkoordinierten Bewegungen, die mich vermutlich wie einen Betrunkenen wirken ließen. Im Augenblick war es mir jedoch vollkommen egal, welchen Eindruck ich erweckte, ich wollte mich einfach nur davon überzeugen, keine ernsthafte Verletzung davongetragen zu haben.

Harry, der mich von Bewegungen jeglicher Art abhalten wollte, indem er wie ein Therapeut auf mich einredete, ignorierte ich daher natürlich geflissentlich.

Kurz begutachtete ich die Wunde, so gut, wie es in meiner ungünstigen, liegenden Position eben ging, bevor ich den Kopf mit einem erleichterten Seufzen ein weiteres Mal zu Boden sinken ließ.

Ich hatte mehr Glück gehabt als Verstand – und Kahlkopf offenbar zu wenig Zielwasser.

Die Klinge hatte mich nur gestreift, statt lebensbedrohlichen Schaden zu verursachen. Der blutverschmierte Anblick war zwar alles andere als schön und es brannte wie die Hölle, aber im Großen und Ganzen war die Wunde nicht unbedingt besorgniserregend.

Harry schien zu einem ähnlichen Schluss gekommen zu sein, denn seine angespannten Schultern sackten in sich zusammen, als er sich ein Stück von mir zurücklehnte und sich an die Stirn fasste.

„Horan, du bist so ein kleiner Trottel", legte er dann los, taktvoll wie immer, doch die Erleichterung in seiner Stimme strafte seinen scheltenden Wortlaut Lügen. „Du-..."

Okay, dafür hatte ich nun beim besten Willen keinen Nerv.

„Wo ist Liam?", schnitt ich ihm das Wort ab, nun deutlich gefasster als zuvor und fest entschlossen, mich nicht ausgerechnet jetzt in eine Grundsatzdiskussion mit meinem Kollegen verwickeln zu lassen. „Ist er noch drin?"

Als dieser jedoch nicht sofort zu einer Antwort ansetzte, machte ich mich fluchend daran, in eine aufrechte Position zu kommen. Wenn Harry mir keine Auskunft gab, würde ich mich selbst davon überzeugen müssen, welche Lage im Inneren des Clubs herrschte, ganz gleich, ob ich mich dabei nun ein paar Mal übergeben musste oder nicht.

Natürlich war Harry damit nur bedingt einverstanden. „Niall, bleib liegen, verdammt! Der Notarzt ist ohnehin gleich hier. Du solltest dich erst-..."

„Es ist nur ein harmloser Schnitt und mir deshalb scheißegal, Harry!", unterbrach ich ihn erneut, während ich seine Hände abwehrte, die mich zu Boden drücken wollten.

Bevor er noch etwas entgegnen konnte, hatte ich es schon erstaunlich flink auf die Reihe bekommen, mich zu erheben. Kurz musste ich mir an den pochenden Kopf fassen, um den aufkeimenden Schwindel im Zaum zu halten – offenbar hatten die wiederholten Schläge ihre Spuren hinterlassen – doch auch das interessierte mich im Moment einen Dreck.

Liam war noch im Club und ich hatte keine Ahnung, in welchem Zustand.

Was, wenn sie ihn ebenfalls zu töten versucht hatten?

Nein, das hatten sie sicherlich nicht, immerhin brauchten sie ihn noch. Aber wenn er im Kampf verletzt worden war? Wenn er womöglich irgendwo lag und verblutete?

Allein der Gedanke daran, welche Verletzungen Liam davongetragen haben könnte, dass er sterbend irgendwo liegen könnte, ließ Übelkeit in mir aufsteigen.

Erneut durchbohrte ich meinen Kollegen mit meinen Blicken, kurz davor, ihn einfach zu packen und zu schütteln. Undankbar, ich weiß, aber im Augenblick konnte ich einfach nicht aus meiner panischen Haut. „Harry, was ist mit Liam? Ist er okay?"

Harry gab ein resigniertes Seufzen von sich und schüttelte meine Hand ab, mit der ich nach seinem Ärmel gegriffen hatte, um meine Fragen unnötig zu unterstreichen.

„Deinem Drogenboss geht's blendend, keine Sorge. Ich bin mir sicher, er hält gerade einen fantastischen Plausch mit Louis und Taylor. Paul und Karen verfolgen mit den anderen Kollegen Rod und den Rest seiner Leute." Er zögerte, als wäre er sich nicht sicher, ob nun der richtige Zeitpunkt dafür war, weitere Informationen zum Fall zu vermitteln.

Mein auffordernder Gesichtsausdruck reichte offenbar aus, um ihn eine Entscheidung treffen zu lassen.

„Wir konnten den Kopf des Clans verhaften", gab er schließlich von sich.

Ich, der ich mich schon ungeduldig abwenden hatte wollen, erstarrte in der Bewegung. „Was?"

Mein Kollege nickte fast andächtig, aber das Funkeln in seinen Augen verriet seinen Stolz über den erfolgreichen Verlauf des Einsatzes. „Wir haben uns nach deinen Hinweisen an Rods Fersen geheftet. Er hatte erstaunlicherweise einen direkten Draht zum Big-Boss, war nach all den reibungslos verlaufenen Jahren ziemlich unvorsichtig und hat uns geradewegs zu ihm geführt. Die Kollegen aus den anderen Stationen haben bereits berichtet, dass in den kleineren Untergruppierungen schon heilloses Chaos ausgebrochen ist, jetzt wo kein Anführer mehr an der Spitze steht. Wenn wir Glück haben, zerstreut sich der Clan komplett und braucht eine ganze Weile, um sich wieder zu sammeln."

Er grinste, wenn auch ein wenig halbherzig. „Die Geschäfte haben heute einen ordentlichen Rückschlag erfahren."

Das alles war wie Musik in meinen Ohren, auch wenn ich noch viel zu adrenalingeladen war, um die Reichweite dieser Informationen in ihrer Gesamtheit zu erfassen.

Aber ich kannte jemanden, der vermutlich sein Leben geben würde, um diese Musik zu hören zu bekommen.

Kurzerhand schnappte ich mir meine Dienstwaffe, die ich in Harrys Gürtel gesichtet hatte (offenbar hatte dieser sie irgendeinem von Rods flüchtenden Leuten abgenommen), und machte mich daran, auf den Hintereingang des Gebäudes zuzumarschieren.

Das Stechen, das bei jedem Schritt aufs Neue heiß durch meine Seite zuckte, ignorierte ich verbissen. Es gab jetzt Wichtigeres zu tun, als mich in meinem Selbstmitleid zu suhlen.

„Verdammte Scheiße, Niall!" Inzwischen war Harry offenbar in einem Frustrationsstadium angelangt, in dem er nur noch quengelte. „Kannst du nicht einmal das machen, was ich dir sage?"

Ich beachtete ihn nicht.

Mein Herz hämmerte wie wild gegen meinen Brustkorb, als ich mich durch den verlassenen Personalraum hindurch in Richtung der Bar vorankämpfte, eine Hand verkrampft gegen die blutige Stichwunde gepresst, während die andere den Griff meiner Dienstwaffe umfasst hielt.

Noch bevor ich das Barabteil des Clubraums betreten hatte, schallte mir schon Gebrüll entgegen. Es klang, als würden sich zwei männliche Personen anschreien, und das mit einer solchen Wut, als wären sie kurz davor, einander umzubringen.

In meinem Kopf begannen sämtliche Warnsirenen zu schellen. War Rod zurückgekommen? War hier noch immer ein Kampf im Gange?

Alarmiert stürzte ich an die Bartheke und wollte gerade meine Dienstwaffe heben, doch im Bruchteil einer Sekunde vorher fiel mein Blick auf die Verursacher des Gebrülls, woraufhin sich mein Griff um die Waffe augenblicklich lockerte.

Ungläubig zwinkerte ich ein paar Mal.

Liam und Louis.

Von Taylor war weit und breit nichts zu sehen, vermutlich hatte sie sich also ebenfalls auf Verfolgungsjagd begeben, aber offen gesagt war mir das ziemlich egal. Mein Fokus galt einzig und allein meinen beiden ... nun ja, Kollegen, wenn auch recht ... verschiedenen Kollegen, die mich noch immer nicht bemerkt hatten.

Wie auch, immerhin waren sie viel zu sehr damit beschäftigt, sich anzuschreien.

Liam und Louis standen sich am Durchgang zum Bistro in Angriffshaltung gegenüber und funkelten einander an, als würden sie sich am liebsten an die Kehle gehen, während sie einander die unschönsten Dinge an den Kopf warfen.

Es kostete mich nur wenige Wortfetzen, um zu begreifen, worum sich das Drama drehte.

Offenbar wollte Liam an Louis vorbei zur Bar und zum Hinterausgang, womit Louis jedoch nicht sonderlich einverstanden zu sein schien.

Louis' Kopf war bereits hochrot angelaufen und ließ ihn wie einen überhitzten Zwerg wirken, während Liam aussah, als könnte er jeden Moment in einen Tobsuchtsanfall ausbrechen und Louis dabei versehentlich noch einen Kopf kürzer machen.

Wobei sich über das versehentlich wohl streiten ließ.

Trotz allem musste ich innehalten, um die Situation auf mich wirken zu lassen, und kam nicht umhin, ein klein wenig amüsiert zu sein.

Da hatten sich ja zwei Hitzköpfe gefunden.

Doch dann registrierte ich, dass jeder von ihnen zu allem Überfluss auch noch eine Pistole in der Hand hielt, und sofort verging mir das Lachen. Louis hatte seine Glock, wie wir sie ganz gewöhnlich im Dienst verwendeten, Liam eine Waffe, an deren Seite seine Initialen eingraviert waren, wodurch ich darauf schloss, dass es sich um seine eigene handeln musste.

Louis wedelte mit seiner Glock herum und hätte damit ganz offensichtlich am liebsten auf Liam gezielt, doch bis jetzt schaffte er es, sich unter Kontrolle zu halten. Dazu diskutierten sie weiterhin in einer enormen Lautstärke und unter Verwendung nicht gerade jugendfreier Verwünschungen, sodass es mich wunderte, dass noch keine Anwohner aufgetaucht waren.

Wunderbar.

Als Liam jedoch irgendwann seinerseits Anstalten machte, die Waffe auf Louis zu richten, erwachte ich endlich aus meiner Schockstarre. „Hey!"

Liam, der mit dem Rücken zu mir stand, erstarrte in der Bewegung, den Lauf der Waffe schräg auf den Boden zu seinen Füßen gerichtet. Louis verstummte ebenfalls, um mich mit großen Augen anzusehen.

Vorsichtig stieß ich mich von der Theke ab, um langsam die Tanzfläche zu betreten, die Finger meiner rechten Hand noch immer um den Griff meiner Pistole geschlossen, in erster Linie, um sie am Zittern zu hindern.

Der gesamte Clubraum wirkte, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Zersplitterte Gläser, umgeworfene Möbelstücke, zerfetzte Sitzkissen und andere herumliegende Gegenstände, darunter das Mischpult und der Controller für die Beleuchtung. Letzteres war offenbar mehrmals unter Mitleidenschaft gezogen und einige Knöpfe versehentlich betätigt worden, denn die Bodenscheinwerfer am Rand der Tanzfläche waren aktiviert und strahlten in grellgelbem Licht die feinen Staubpartikel an, die in der Luft umherwirbelten.

Abgesehen davon und der Beleuchtung an der Decke der Bar lag der Rest des Clubraums noch immer im Dunkeln – so, wie ich ihn vor Rods Zugriff zusammen mit Liam zurückgelassen hatte, um mich für den Feierabend fertigzumachen.

Meine Güte, schien das lange her zu sein, obwohl seitdem nur Minuten verstrichen waren.

Unfassbar, wie schnell die Zeit verging, wenn man damit beschäftigt war, nicht draufzugehen.

„Liam?" Meine Stimme klang in dem weitläufigen, fast menschenleeren Raum so dünn und so heiser, dass ich innehielt, um mich zu räuspern. „Li, bist du okay?"

Aus den Augenwinkeln registrierte mich, dass Louis mich fassungslos anstarrte, doch da er dabei wenigstens seine Dienstwaffe sinken ließ, ignorierte ich ihn.

Im Moment war es mir schnurzegal, wer von meinen Kollegen begriff, in welchem Verhältnis Liam und ich standen. Und da es sich hier um Louis handelte, gleich dreimal mehr. Die Wahrscheinlichkeit, dass Harry seinem Freund gegenüber sowieso irgendwann geplaudert hätte, war groß genug. Es grenzte an ein Wunder, dass er es bis jetzt noch nicht getan hatte.

Mir blieb keine Zeit, mir länger irgendwelche Szenarien auszumalen, die nach dieser Nacht stattfinden könnten, denn nun schien Liam endlich registriert zu haben, wer eben zu ihnen gestoßen war.

Schwindelerregend schnell wirbelte er herum, so ruckhaft, dass Louis hinter ihm zusammenzuckte und instinktiv einen Satz nach vorne machte.

Liams Augen weiteten sich, als er mich auf der verdreckten Tanzfläche entdeckte, seine Lippen formten lautlose Worte, viel zu schnell, als dass ich sie von ihnen ablesen hätte können, bevor er sich wie in Trance in Bewegung setzte.

„Niall." Louis' Stimme trug einen warnenden Unterton in sich. Sichtlich angespannt schloss er die Finger noch fester um seine Dienstwaffe, während er mit weit aufgerissenen Augen beobachtete, wie Liam zielstrebig auf mich zuzukommen begann. „Niall, Vorsicht. Was-..."

Mein Gehör hatte sich längst abgeschaltet.

Fast schon hektisch und leicht wankend stieg ich über das Mischpult hinweg und schob mit dem Fuß eine zerschellte Vase zur Seite, um Liam so schnell wie möglich entgegenzukommen – und als wir einander schließlich ziemlich genau in der Mitte der Tanzfläche trafen, verschwendeten wir keine einzige Sekunde.

Nur kurz fing ich den tobenden Blick seiner schokoladenfarbenen Augen auf, dann schlangen sich auch schon wie von selbst meine Arme um seinen Nacken, ganz ungeachtet dessen, dass meine linke Hand noch immer meine Dienstwaffe umklammert hielt.

Nur vage nahm ich wahr, wie auch seine Arme ihren Weg um meine Taille fanden und meinen Körper vorwärts zogen, bis wir einander in einer ordentlichen Umarmung umfasst hielten, so eng aneinandergedrängt, wie es nur irgendwie möglich war. Die Stichwunde spannte unangenehm und protestierte mit schmerzhaftem Pochen, doch ich ignorierte sie verbissen.

Ich hatte jetzt Wichtigeres zu tun.

Wie betäubt ließ ich den Kopf an Liams Schulter sinken und vergrub die Nase in seiner Halsbeuge, erlaubte mir, für einen kurzen Moment die Augen zu schließen und seinen vertrauten Duft in mich aufzunehmen.

Seine Arme verstärkten ihren Griff für einen kurzen Moment und ich spürte, wie sein warmer Atem in kurzen Abständen gegen meinen Nacken schlug, wobei er einzelne meiner Haarsträhnen bewegte, die mich daraufhin leicht am Ohr kitzelten und mir ein wohliges Kribbeln den Rücken hinabrinnen ließen.

Liam war okay. Ich war okay.

Rods Geschäfte hatten ein Ende gefunden, die wichtigsten Hintermänner waren verhaftet. Das LP war frei.

Und noch dazu hielt Louis hinter uns seine normalerweise unaufhaltbare Klappe, was den Moment perfekt abrundete.

Hätte ich noch die Energie dafür aufbringen können, hätte ich geheult vor Erleichterung.

Nur äußerst widerwillig schälte ich nach einiger Zeit mein Gesicht aus dem Stoff von Liams brauner Jacke, ließ zu, dass er noch für einen kurzen Moment seine Stirn an meine presste, bevor er sich ein kleines Stück zurückzog. Nur kurz kamen seine Lippen mit meiner Schläfe in Kontakt, doch die Berührung war so hauchzart, dass ich am liebsten die Augen geschlossen und mich ihr voll hingegeben hätte.

„Hey." Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, doch da unsere Gesichter noch immer direkt voreinander schwebten, verstand ich seine Worte mühelos. Seine Hände hielten meine Unterarme umfasst, wobei seine Daumen sanfte Kreise auf die Innenseiten malten. „Bist du in Ordnung?"

Prüfend glitt sein Blick über mich hinweg, nahm jede einzelne Schramme, jeden einzelnen blauen Fleck zur Kenntnis, bis er schließlich an der blutdurchtränkten Stelle an meiner Seite hängenblieb.

Panik flackerte in seinen Augen auf, als seine Hände ihre Berührung unterbrachen und von mir zurückzuckten, als hätte er sich an mir verbrannt.

„Fuck, Ni, du bist verletzt!" Mit fahrigen Bewegungen machte er sich am Saum meines Shirts zu schaffen. „Ist das ... stammt das von einer Klinge? Scheiße, ist dir schwindelig? Du musst dich hinsetzen, bevor-..."

Mit einem Kuss brachte ich ihn zum Schweigen und nutzte die Gelegenheit, um nach seinen Händen zu greifen und unsere Finger miteinander zu verschränken.

Hinter uns gab Louis ein theatralisches Grunzen von sich, doch wir schienen beide zu dem Schluss gekommen zu sein, dass es besser war, ihn einfach weiterhin zu ignorieren. Hoffentlich kam bald Harry herein, der ihn aufsammelte und davon abhielt, Liam und mich zu begaffen und dabei womöglich wie eine Diva in Ohnmacht zu fallen.

Oder vielleicht wollte er mir ja auch mal wieder eine klatschen. Aber wobei ... sollte er das wirklich tun, würde Liam ihn vermutlich töten, bevor seine Hand auch nur ansatzweise mit meinem Gesicht in Berührung gekommen wäre.

Ich war mir nicht sicher, ob mich diese Vorstellung amüsieren sollte oder nicht.

„Li, ich bin okay." Zärtlich ließ ich die Fingerkuppen an seiner Wange hinabgleiten, berührte sanft den blutigen Cut an seiner Lippe. „Ich bin okay. Der Trottel hatte keine Gelegenheit, ordentlich zu zielen." Ein Lächeln zupfte an meinen Lippen. „Anscheinend hat er nicht gedacht, dass die Prinzessin wirklich kämpfen kann."

Liam knurrte mordlüstern. „Allein für diesen Namen könnte ich diesem Dreckskerl den Hals umdrehen. Ich hoffe, deine Kollegen erwischen ihn und buchten ihn ein."

„Schon geschehen."

Wir fuhren zusammen, als unvermittelt Harrys Stimme hinter uns erklang. Unbemerkt war er neben Louis getreten, während er das Funkgerät zurück an seinen Platz in seinem Gürtel schob.

„Also ... so gut wie." Er räusperte sich. „Drei seiner Leute sind auf dem Weg ins Präsidium. Der Rest ist leider noch auf freiem Fuß, darunter auch Rod selbst, aber es besteht Hoffnung."

Ich stieß einen Schwall Atemluft von mir und umklammerte Liams Finger noch fester, als wären sie der letzte Anker, der mich noch in der Realität behielt.

Harrys Blick verweilte für einen Moment auf unseren ineinander verschränkten Fingern, bevor er fortfuhr. „Ich möchte kein empathieloses Trampel sein, aber ihr solltet euch in Anwesenheit der Kollegen ein wenig zusammenreißen. Außer Louis und mir weiß noch niemand von euch. Und ich denke, es ist besser, wenn das vorerst auch so bleibt. Vor allem für dich, Niall. Und für deine Karriere."

Verlegen schlug ich die Augen nieder, während sich verräterische Röte auf meinen Wangen breitmachte.

Dieser erste Einsatz, der ein Sprungbrett für meine Karriere hätte werden sollen, war so haarscharf daran vorbeigeschrammt, entsetzlich schiefzugehen und in eine Katastrophe auszuarten, dass der bloße Gedanke daran meine Sinne schwimmen ließ.

Und ich selbst war ganz und gar nicht unschuldig daran, dass sich alles überhaupt so entwickeln hatte können. Ich und meine Gefühle für Liam, die ich beim besten Willen nicht leugnen konnte.

Harrys Fokus wanderte weiter zu Liam. Eine undefinierbare Gefühlsregung überschattete seine Gesichtszüge. „Mr. Payne, Sie wissen hoffentlich, dass auch Sie aus dieser Sache nicht ungeschoren davonkommen werden, erzwungener Drogenhandel hin oder her. Ich bin mir sicher, dass Niall das Urteil mit seinen Aussagen definitiv zu Ihren Gunsten beeinflussen kann, aber ..."

Ich brachte es nicht über mich, Liam in die Augen zu sehen.

Seine Gegner würden der Polizei und vor Gericht eine Menge zu erzählen haben, was Liams noch nicht verjährte Vergangenheit anging.

Würde es mit einer Bewährungsstrafe getan sein? Ich wünschte es mir so sehr, aber die rationale Seite meines Gehirns, die sich an den abgespeicherten Fakten bediente, wies mich unbarmherzig darauf hin, wie unwahrscheinlich dieser Wunsch war. Viel eher hatte er mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen. Mindestens ein Jahr. Allermindestens.

Ich konnte nur hoffen, mit meinen Aussagen tatsächlich etwas bewirken und das Urteil mildern zu können, vielleicht, ganz vielleicht tatsächlich eine Bewährung herausschlagen zu können ... aber letztendlich mussten wir beide der Realität ins Auge blicken.

Fuck.

Meine Freude darüber, dass dieser Alptraum nun ein Ende hatte, war angesichts dieser wenig rosigen Zukunftsaussichten für uns längst geschwunden. Stattdessen siedelte sich nun tiefsitzende Verzweiflung in mir an, verpestete all die Positivität, die ich vorhin noch empfunden hatte.

Am liebsten hätte ich meinen Kopf zurück an Liams Brust gebettet und hemmungslos geheult.

Wieso konnte nicht ein einziges Mal etwas so laufen, wie ich es mir vorstellte? Wieso konnte nicht einfach mal etwas ... gut sein?

„Hey." Liams Hände an meinen Wangen zwangen mich mit sanfter Gewalt dazu, zu ihm aufzublicken. Auch seine Augen schimmerten verdächtig feucht, als er sie über mein Gesicht wandern ließ, doch ansonsten wirkte er erstaunlich gefasst. Als hätte er schon lange vor mir begriffen, was nun bevorstand, und sich damit abgefunden. „Es ist alles gut. Es ist besser so. Viel besser, als den Rest meines Lebens in Angst vor Rods Clan verbringen zu müssen. Glaub mir."

Ich zwang mich zu einem Nicken. Meine Kehle war so eng, dass es mir nicht möglich war, auch nur ein einziges Wort zur Erwiderung daraus hervorzubringen.

Stattdessen schlang ich erneut die Arme um ihn, so fest, dass ich Angst hatte, ihm die Luft abzuschnüren. Am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen. Nie wieder.

Das Geräusch von zuschlagenden Autotüren draußen auf dem Parkplatz des LPs setzte unserem Moment schließlich ein ziemlich rüdes Ende und brachte mich dazu, sämtliche Muskelgruppen anzuspannen.

Nicht mehr lange und ich würde ihn loslassen müssen.

Harry räusperte sich nachdrücklich. „Die Kollegen sind da."

Langsam ließ ich meine bebenden Hände von Liams Schultern gleiten, richtete in einem Anflug von Verzweiflung noch kurz seinen Kragen, bevor ich endgültig von ihm zurücktrat.

Tränen brannten hinter meinen Augenlidern, doch ich weigerte mich, sie fallenzulassen.

„Hier." Geschickt ließ Liam seine Pistole mit der edlen Gravur seiner Initialen an der Seite einen Salto beschreiben, bevor er sie mir hinhielt, den Griff in meine Richtung gewendet. „Die musst du wohl an dich nehmen."

Fast hätte ich gelacht. Aber nur fast.

„Wie aufmerksam von Ihnen, Liam James Payne." Zittrig wischte ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel. „Besten Dank."

Er zwinkerte mir zu und ganz kurz hatte ich das Gefühl, in unsere Anfangszeit zurückversetzt zu sein, in der er als Barkeeperkollege James so ungeniert mit mir geflirtet und mich ununterbrochen in Verlegenheit gebracht hatte. „Immer doch."

Langsam steckte ich die Waffe zusammen mit meiner eigenen in meinen Gürtel, bevor ich fast scheu seinen Blick auffing.

Ich wollte ihn so gern noch ein letztes Mal küssen.

Nur noch ein einziges, verdammtes Mal, bevor sich unsere Wege für weiß Gott wie lange trennen würden.

Als eine Sekunde später auch Liams Augen ganz unmissverständlich zu meinen Lippen flackerten, während sich seine Finger wie ferngesteuert nach meinem Handrücken ausstreckten, gab Harry ein genervtes Seufzen von sich.

„Meine Güte, das ist ja zum Steinerweichen." Kopfschüttelnd fasste er sich an die Stirn. „Kommt schon, knutscht noch einmal, bevor Paul reinkommt und uns allen die Hölle heiß macht. Louis und ich sehen derweil einfach weg."

„Was?" Empört versetzte Louis ihm einen wenig kollegialen Hieb in die Seite. Dieser Zwerg konnte wirklich ganz ordentlich zuschlagen. Ich spreche aus Erfahrung. „Ich soll wegsehen und zulassen, dass dieser Freak meinem Kollegen die Zunge in den Hals steckt? Vergiss es, Harold."

Harry verdrehte die Augen. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass bei den beiden schon ganz andere Dinge ganz woanders gesteckt haben. Und jetzt beweg dich, bevor ich Paul dazu überrede, seine Gnade zurückzunehmen und dich doch wieder zum Innendienst zu verdonnern."

Während Louis dramatisch keuchte und fassungslos die Arme emporriss, nutzte Harry die Gelegenheit, ihn auf den Gang zu bugsieren, um Paul und die Kollegen in Empfang zu nehmen.

Ein letzter, unmissverständlich warnender Blick ging dabei über seine Schulter in unsere Richtung, doch ich glaubte, auch so etwas wie Mitleid darin erkennen zu können. Er wusste, was das hier für uns beide bedeutete.

„Beeilt euch."

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen.

Und als sich unsere Lippen zum letzten Mal zu einem nassen, salzigen Kuss trafen und die vertraute Wärmewelle der Zuneigung über mir zusammenschlug, hatte ich für einen kurzen Moment das Gefühl, dass die Dinge womöglich doch noch eine positive Wendung hinlegen konnten.

Irgendwann später.

Wenn die Zukunft es denn zuließ.

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Die liebe Melina_Vanilla hat mal wieder ihr Talent spielen lassen und ein Wahnsinnsbild gezeichnet!🥺
Tatsächlich entstand das Bild diesmal VOR dem Geschriebenen - der Niam-Moment auf der Tanzfläche ist also zu 100% davon inspiriert!😇
DANKE DANKE DANKE dir!🥰💖

Ansonsten freue ich mich wie immer mega über Kommis und Sternchen - diesmal war es zur Abwechslung ja sogar mal ein Riesenkapitel🤭 

Liebe Grüße und einen schönen Feiertag morgen!

Andi♡

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