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Obwohl ich damit schon gerechnet hatte, trafen mich diese Worte aus seinem Mund wie ein Faustschlag. Zusammen mit der Tatsache, dass er mit einer geladenen Waffe vor mir stand, bereit dazu, mich mit Gewalt zum Bleiben zu zwingen.

Und dann? Was würde er dann tun? Es war doch ohnehin schon alles egal.

Wenn er verhindern wollte, dass ich meinen Kollegen weiter Bericht erstattete, musste er mich ... dauerhaft zum Schweigen bringen. Mit dem Haken, dass Harry wusste, wo und bei wem ich war. Was-...

„Dein Handy." Liam streckte die Hand aus. „Her damit. Los."

Schweigend musterte ich seine ausgestreckte Hand.

Obwohl sein Tonfall hart, sein Blick unerbittlich war, glaubte ich, in seinen Augen so etwas wie Schmerz aufflackern zu sehen – ich vermochte es nicht ganz einzuordnen, aber es war definitiv eine Emotion, die ihn trotz der tödlichen Waffe in seiner Hand merkwürdig verletzlich wirken ließ.

Als ich weiterhin nicht reagierte, stieß er frustriert einen Schwall Luft aus, die Augenbrauen so fest zusammengezogen, dass sie sich fast berührten.

„Scheiße, Niall!", bellte er mich im nächsten Moment so laut an, dass ich reflexartig noch ein Stück gegen das Bett zurückwich. „Bring mich nicht dazu, mit einer geladenen Waffe auf dich zu zielen! Gib dein scheiß Handy her!"

Seine plötzliche Aggressivität in Kombination mit diesem seltsamen Hauch der Verzweiflung brachte mich dazu, mich wie in Zeitlupe in Bewegung zu setzen, noch immer wortlos. Immerhin gab es nichts, was ich ihm in dieser Sekunde mitteilen hätte können.

Meine Finger, mit denen ich das Smartphone umklammerte, waren eiskalt und gleichzeitig schweißnass und schmerzten fast bei der Intensität, mit denen sie zugriffen. Das Herz schlug mir bis zum Hals, hämmerte unnachgiebig gegen meinen Brustkorb, während ich weiter vorrückte.

Etwa eine Armeslänge von ihm entfernt kam ich schließlich zu einem Halt.

Liam ließ mich keine einzige Sekunde aus den Augen, fixierte unablässig mein Gesicht, nahm jedoch gleichzeitig aus den Augenwinkeln jede einzelne Bewegung wahr, die ich tat, und wenn sie noch so klein war.

Ich erwiderte seinen intensiven Blick, verbissen darum bemüht, mir die Panik nicht anmerken zu lassen, die tief in mir brodelte und mir das Gefühl vermittelte, kurz vor einer Explosion zu stehen.

Die Schlafzimmertür war nur wenige Schritte entfernt.

Wenn ich es schaffte, Liam zu überwältigen oder ihn auch nur für wenige Sekunden außer Gefecht zu setzen, konnte ich mich auf den Flur retten und dann sofort auf den Gang – womit die halbe Miete schon geschafft wäre.

Liam würde kaum an einem Ort, an dem jeden Moment einer seiner Nachbarn vorbeikommen konnte, einen Kampf anzetteln. Oder mich erschießen.

Abschätzend nahm ich aus den Augenwinkeln seine Statur zur Kenntnis, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. Liam war definitiv größer und muskulöser als ich und er hatte noch dazu die Waffe – und ich zweifelte nicht daran, dass er im Nahkampf durchaus einige miese Techniken auf Lager hatte. Musste man wohl an seiner Stelle.

Fakt war jedoch: Es wäre schlichtweg dumm, mich rundheraus auf ihn zu stürzen. Ich brauchte ein Überraschungsmoment. Irgendetwas, womit ich ihn überrumpeln oder unaufmerksam werden lassen konnte.

Mich von ihm hier festhalten zu lassen, war jedenfalls keine Option. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich danach nie wieder das Tageslicht erblicken würde, war viel zu hoch.

Aber was zur Hölle sollte ich denn tun oder sagen, um ihn aus der Fassung zu bringen? Er saß eindeutig am längeren Hebel und hatte diese Situation vermutlich schon mehrfach durchgeplant. Vielleicht sogar, während er neben mir gelegen und mir beim Schlafen zugesehen hatte. Eine Vorstellung, bei der sich mein Herz erneut schmerzhaft zusammenzog.

Die Rädchen in meinem Gehirn drehten sich und ratterten auf Höchststufe, Gedanken und Optionen überschlugen sich darin – bis ich mich letztendlich für den einzigen Weg entschied, der mir sinnvoll erschien. Und der noch dazu der knallharten Wahrheit entsprach, auch wenn diese Wahrheit mir selbst vermutlich mehr wehtat als ihm.

Mit einem Ruck knallte ich das Smartphone in seine ausgestreckte Hand, ließ es aber nicht sofort los, als seine Schultern in sichtlicher Erleichterung ein Stück herabsackten – es sah ganz so aus, als wäre er tatsächlich nicht so erpicht darauf, mir die Glock an den Kopf zu halten.

Stattdessen suchte ich mit den Fingern nach direktem Körperkontakt zu seiner Hand, versuchte mühsam, das wohlige Kribbeln zu ignorieren, das sich bei der bloßen Berührung seiner nackten Haut auch jetzt noch völlig unerwünscht zum Dienst meldete.

„Ich liebe dich wirklich." Die Worte waren mehr hervorgewürgt als ordentlich artikuliert und noch dazu einfach erbärmlich, aber das war mir vollkommen gleichgültig. Wenn er mich nun umbringen oder irgendwo an einen Ort verfrachten musste, an dem ich für immer verschwinden würde, sollte er es in diesem Wissen tun. „Ich hoffe, du weißt das."

Für einen kurzen Moment entgleisten seine Gesichtszüge und ich sah, wie sein Griff um das Smartphone, das ich selbst ebenfalls noch immer festhielt, leicht erschlaffte.

Er schluckte schwer, sichtlich um Fassung ringend. „Ich tue das nur, um dich zu beschützen."

„Mich beschützen. Klar."

Er öffnete den Mund zu einer hitzigen Antwort, doch ich ließ ihm keine Zeit mehr für eine Reaktion.

Stattdessen zog ich das Handy blitzschnell zurück, ließ es fallen und bevor er die Lippen auch nur zu einem überraschten Oh formen konnte, hatte ich schon in ähnlicher Geschwindigkeit sein Handgelenk gepackt und mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, mit einem Kräftigen Ruck daran gezerrt.

Er gab ein überrumpeltes Keuchen von sich, als er vorwärts gegen mich stolperte, womit er jedoch wiederum mich selbst auf dem falschen Fuß erwischte.

Eigentlich hatte ich zur Seite ausweichen, ihn aufs Bett stürzen lassen und mir dann im Moment seiner Überforderung die Waffe schnappen wollen, doch leider schien Liam diese Vorgehensweise vorhergesehen zu haben.

Ich hatte noch nicht einmal ordentlich zum Sprung angesetzt, um meinen Plan doch noch in die Umsetzung zu bringen, da hatte er im Fall schon seinen rechten Fuß um mein linkes Bein geschlungen – und sorgte damit dafür, dass wir gemeinsam in einem Knäuel aus Armen und Beinen auf das Bett fielen, ich unter ihm begraben, meine Dienstwaffe irgendwo zwischen uns.

Ich konnte einen frustrierten Aufschrei nicht zurückhalten. Das durfte doch nicht wahr sein. Das hier war vermutlich meine einzige Chance gewesen, die Taktik der Überraschung zu nutzen und ihn kalt zu erwischen

Aufgeben würde ich aber trotzdem nicht. Niemals.

Beinahe schon furios kämpfte ich gegen sein Gewicht auf mir an, wich seinen Händen aus, die nach meinen Handgelenken griffen, schaffte es irgendwie, ihn von mir und neben mich auf die Matratze zu stoßen.

Hektisch warf ich mich auf ihn und stürzte mich sofort auf seine rechte Hand, die die Schusswaffe hielt, verbissen mit meinem gesamten Körpergewicht seinen Arm niederdrückend, damit er ihn auch sicher nicht aus meiner Reichweite bewegen konnte.

Immer wieder riss ich an der Waffe, versuchte mit aller Macht, sie seinem Griff zu entwinden, schlug seinen Arm gegen die Matratze, doch in diesem Mann steckten Kräfte, wie ich es ihm trotz seiner massiv gebauten Körperstatur nicht zugetraut hätte.

Die Tränen, die mir noch dazu erblindend in den Augen standen, waren nicht gerade hilfreich. Niemals hätte ich gedacht, jemals gegen ihn um Leben und Tod kämpfen zu müssen. Oder was auch immer es war, worum wir uns hier prügelten.

Leider waren diese verhängnisvollen Tränen auch einer der vielen Gründe, aus denen ich seinen anderen Arm nur im allerletzten Moment auf mich zukommen sah – und dann schloss sich dieser auch schon von hinten um meinen Hals und hätte mich vermutlich rücklings herumgerissen und gegen seine Brust gezerrt, hätte ich nicht wie eine gottverdammte Klette an seiner bewaffneten Hand gehangen.

Das hier war alles andere als ein professioneller Nahkampf, aber immerhin war es ein Kampf, und das musste im Moment reichen.

„Niall!" Liams Stimme überschlug sich fast und war so schrill, dass meine Trommelfelle erzitterten. „Niall, hör auf! Hör auf! Ich will dir nicht wehtun!"

Inzwischen schmeckte ich Blut, so fest hatte ich auf die Innenseite meiner Wange gebissen. Ein wütender Aufschrei bahnte sich seinen Weg durch meine Kehle, als ich erneut versuchte, ihm die Waffe zu entwenden – vergeblich.

„Schieb dir das sonst wo hin und rück lieber meine Waffe raus, Payne!" Frustriert wand ich mich, um seinen Arm um meinen Nacken abzuschütteln, doch natürlich blieben auch diese Bemühungen erfolglos.

Dafür packte sich Liam nun eine Handvoll meines – nein, seines – Shirts, direkt in meinem Nacken, offenbar in der Absicht, mir damit die Luft abzuschnüren, doch irgendwie gelang es mir, ihm den Stoff zu entwinden, bevor es mir zum Verhängnis werden konnte.

Stattdessen brachte ich es nun fertig, mit einem erstaunlich wirkungsvollen Ruck seinen bewaffneten Arm in einem ungesunden Winkel unter mich zu schieben, in der Hoffnung, ihn so dazu zu zwingen, seinen Griff um die Waffe zu lockern.

Doch anstatt vor Schmerz aufzuschreien, wie ich es erwartet hatte, verzog er nur kurz das Gesicht – und dann schoss sein Knie empor, traf mich hart in die Seite. Die Wucht des Schlags katapultierte mir alle Luft aus den Lungen und zwang mich dazu, mich mit einem Keuchen zu krümmen und meinen Griff zu lockern.

Diese Gelegenheit nutzte er, den von mir beanspruchten Arm zu befreien und ebenfalls um meinen Hals zu schlingen – und das war der Moment, in dem ich begriff, dass ich nun verloren hatte.

Eine Millisekunde später hatte er mich schon mit vereinter Kraft seiner beiden Arme herumgeschleudert. Kurz stand das Zimmer Kopf, doch trotz meiner Orientierungslosigkeit schaffte ich es, den Weg der Schusswaffe zu registrieren, die ihm nun endlich entglitten, vom Bett gerutscht und irgendwo auf dem Boden gelandet war.

Das war ja wenigstens zur Hälfte genau das, was ich erreichen hatte wollen, doch nun hatte ich leider ein ganz anderes Problem, das meinen Triumph deutlich abschwächte: Seine verdammten Arme um meinen Nacken.

Instinktiv schossen meine Hände an meine Kehle empor und umfassten seine Unterarme, deren Umklammerung mir nach und nach die Sauerstoffzufuhr abzuschneiden drohte, und zog daran, doch er rührte sie nicht von der Stelle.

Wütend trat ich nach ihm, zielte nach seinen Weichteilen, versuchte, ihm mithilfe meiner Ellbogen einen Schlag in die Magengrube zu versetzen, doch Liam ließ es nicht zu.

Stattdessen rollte er uns mit einem kräftigen Ruck ein Stück herum, sodass wir in eine seitliche Position gerieten, mit beiden Armen weiterhin den unbarmherzigen Würgegriff fortsetzend, bis ich das Gefühl hatte, bald ersticken zu müssen.

Gleichzeitig hakte er einen Fuß unter mein rechtes Knie, mit dem ich eben mit aller Kraft nach ihm hatte ausholen wollen, und als er es dann mit einem Ruck herumzog, konnte ich ein schmerzerfülltes Wimmern nicht unterdrücken, unfähig dazu, mich erneut damit zur Wehr zu setzen.

Mein Hinterkopf lag an seiner Schulter und unsere Gesichter waren einander so nah, dass seine Lippen meine Schläfe berührten, als er den Kopf in meine Richtung wandte, um mir irgendetwas zuzuflüstern, das ich nicht verstand.

Seine harte, gleichzeitig warme Brust vibrierte infolge seines schnellen Herzschlags gegen meinen Rücken, sein von Anstrengung zischender Atem traf stoßweise gegen meine Wange, doch abgesehen davon regte er sich nicht. Als würde er auf etwas warten.

Was er vermutlich auch tat.

Er wartete darauf, dass meine Kräfte nachließen.

Und darauf, dass der Kampf beendet war. Zu seinen Gunsten.

Wütend blinzelte ich die Tränen weg, die mir vor Frust und Panik inzwischen dick in den Augen standen und meine Brust zusätzlich eng werden ließen. Schwach zog ich erneut an seinen Armen, verbissen darum bemüht, möglichst flach zu atmen und nicht aus Sauerstoffmangel heraus in Panik zu verfallen oder das Bewusstsein zu verlieren.

Alles vergebens.

Ich hatte verloren.

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Ein Update im 1-Tages-Rhythmus, weil ich gerade Zeit habe und nicht weiß, wie es morgen aussehen wird.

.....und weil das hier ein recht kurzes Kapitel ist & die Szene im nächsten nahtlos weitergeht, wird das nächste nachher wohl auch gleich noch kommen😇

Dankeschön für eure Kommis und eure Sternchen, ich bin mega happy🥺🎀

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