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Wie erwartet blieb die Arbeit an der Bar zunächst absolut ereignislos - jedenfalls aus dienstlicher Perspektive.
Natürlich war der Club hoffnungslos überfüllt, eine typische Samstagnacht eben, aber abgesehen von den besoffenen Leuten, zahlreichen ausgeschütteten Getränken und der angepissten Security, die nach Mitternacht noch eine beachtliche Anzahl Minderjähriger ohne Aufsichtsperson aus dem Gebäude treiben musste, war alles ruhig. Mein innerer Ermittlungsnotizblock blieb demnach leer.
Was jedoch die Barkeeper-Perspektive anging, war das genaue Gegenteil der Fall, denn James und ich waren mit dem überrannten Club gefordert ohne Ende. Offen gesagt war es mir ein Rätsel, wie er und Zayn diese Bar zuvor auf regulärer Basis zu zweit hatten stemmen können.
James, ganz der Profi und seinem Ruf als Chef an der Bar gerecht werdend, schlug sich natürlich fantastisch, war zwar ein wenig hektischer als sonst, aber ansonsten noch immer koordiniert, ordentlich und noch dazu ununterbrochen die Freundlichkeit in Person.
Für ihn war das hier natürlich überhaupt kein Problem.
Ich hingegen kämpfte inzwischen mit aufkeimender Panik, nachdem ich schon mehrmals beinahe ein Glas zerdeppert oder aus purer Hektik heraus fast einige Drinks falsch gemixt hätte. Von meinem vermutlich nicht sehr einladenden Gesichtsausdruck ganz zu schweigen, mit dem ich sicherlich mindestens die Hälfte der Clubgäste abgeschreckt hätte, wären die nicht schon so besoffen gewesen.
Es war eine Katastrophe.
Zum Glück war nicht James derjenige, der fehlte. Müsste ich heute allein mit Psycho-Zayn arbeiten, hätte mich dieser seine Schadenfreude über meine Verzweiflung längst spüren lassen – und ich hätte zusätzlich zu allem anderen auch noch mit dem Bedürfnis kämpfen müssten, eine Schlägerei zu initiieren.
Und dann war da noch eine Sache, die mich allmählich fertigmachte:
Obwohl James und ich unsere Unterhaltung vorhin nicht unbedingt positiv beendet hatten, wurde mein Kollege dennoch nicht müde, mir immer wieder ermunternd zuzunicken, hin und wieder einen Handgriff für mich zu machen und bei Gelegenheit meine Schulter zu drücken.
Ich war gerührt und zugleich von meinem schlechten Gewissen geplagt.
James hätte jeden Grund dazu, mir zur Abwechslung mal seinerseits die kalte Schulter zu zeigen, nachdem ich ihn ständig hinhielt, nach außen hin ja so unentschlossen mit dem, was ich von ihm wollte – auch wenn ich natürlich genau wusste, was ich von ihm wollte, oder wollen würde, wenn ich es denn dürfte.
Aber er tat es nicht. Im Gegenteil.
Ich fragte mich in aller Aufrichtigkeit, was das Schicksal für ein verdammtes Problem hatte, dass ein so gutmütiger Mensch wie James ausgerechnet hier landete und mit all diesem Mist, der hier lief, konfrontiert wurde. All dieser Mist inklusive mir selbst.
Wie auch immer.
Nach knappen zwei Stunden schlauchenden Höchstbetriebs war uns nun seit einigen Minuten eine erholsamere Phase vergönnt, die ich dazu nutzte, das von mir verursachte Chaos auf der Arbeitsfläche zu beseitigen.
Ich hatte in meiner Hektik wirklich mächtig gekleckert und das nicht nur auf der Anrichte, sondern auch ziemlich großzügig auf mein LP-Shirt, das glücklicherweise schwarz war und Flecken gut kaschierte. Was man zwar von meiner blauen Jeanshose nicht unbedingt behaupten konnte, aber immerhin blieb die hinter der Bar vor den Blicken der Gäste verborgen.
Ich sehnte mich geradezu danach, meine Ersatzhose aus dem Spind zu ziehen, die ich auf einen Ratschlag von James hin dort aufbewahrte. Offen gesagt war es ohnehin ein Wunder, dass ich sie noch nicht viel früher gebraucht hatte, bei meinem Geschick, was das Mixen von Getränken anging. Ich an James' Stelle hätte mich schon längst gefragt, was zur Hölle ich hier eigentlich wollte.
„Hey, Kleiner."
Flüchtig sah ich auf, als sich jemand direkt vor mir auf einen der Barhocker schob.
Gleichzeitig versuchte ich mit zusammengebissenen Zähnen, mir die Verärgerung über die recht fragwürdige Anrede nicht anmerken zu lassen. Unzählige Male war ich schon mit Kleiner oder Blondchen angesprochen oder auf ziemlich schmierige Weise angeflirtet worden, was mich in manchen Fällen durchaus ein wenig zur Weißglut brachte.
Aber nun gut, damit musste man wohl klarkommen, wenn man einen solchen Job arbeitete, also hatte ich beschlossen, es einfach über mich ergehen zu lassen und keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
„Kann man sich von dir einen Drink wünschen?"
Ich seufzte innerlich. Die Aufmerksamkeit von diesem neuesten Gast vor mir, wurde ich offenbar leider nicht so schnell los.
Der Typ, der nun das Gespräch suchte, war schätzungsweise Mitte dreißig und mit kräftiger Statur gesegnet. Seine Haare trug er bis zur Glatzköpfigkeit rasiert, sodass die Ansätze eines Tattoos zu sehen waren, die in seinem Nacken unter dem Kragen seines Shirts hervorragten.
Im Kontrast zu diesen eher groben äußeren Komponenten besaß er jedoch ungewöhnlich sanfte, weiche Gesichtszüge, warme braune Augen und eine auffallend hohe Stimme – doch die unverhohlen anzügliche Art und Weise, mit der er mich gerade von oben bis unten musterte, ließ die vermeintliche Sanftmütigkeit restlos ins Nichts verschwinden.
Es war nur zu offensichtlich, was in seinem Kopf vorging.
Erneut musste ich ein Seufzen unterdrücken. Ein Typ, der mir an die Wäsche wollte, hatte mir ja gerade noch gefehlt.
Doch wie auch schon bei den letzten Malen, in denen ich hier in eine solche Situation gekommen war, ließ ich es mir abprallen, ohne eine Szene darum zu machen, wie ein Stück Fleisch hungrig beäugt zu werden. Man kam nicht weit, wenn man sich über solche Leute aufregte oder sich zu einer schnippischen Erwiderung provozieren ließ. Gleichgültigkeit und Abgebrühtheit waren Dinge, die man sich definitiv aneignen musste, wenn man länger als zwei Tage hier arbeiten wollte.
Demnach zuckte ich nur ungerührt die Schultern. „Dafür bin ich hier."
Ich beendete die unterdessen ganz bewusst fortgeführte Putzaktion, um ihn dann erst fragend anzusehen. Wenn dieser Typ auch nur ein Fünkchen Talent in Sachen Körpersprache hatte, dürfte er spätestens jetzt begriffen haben, dass er hier nicht weit kommen würde. „Ich höre?"
Der Mann legte den Kopf schräg. Ein fragwürdiges Grinsen umspielte seine Lippen, als er mich erneut eine Spur zu eingehend musterte. Aus den Augenwinkeln stach mir seine auffällig schwarz-rot gemusterte Jacke ins Gesicht, die er über einen Arm geschlungen bei sich trug – warum er sie nicht einfach vorne an der Garderobe abgegeben hatte, war mir ein Rätsel.
„Na, bei dir kommt man mit Charme ja nicht weit, was?" Seine Lippen kräuselten sich amüsiert. „Dürfte man denn wenigstens wissen, mit welchem Namen sich dein hübsches Köpfchen angesprochen fühlt?"
Oh Mann.
Darauf hatte ich jetzt echt keinen Bock.
Ich seufzte und schielte zu James hinüber, der eben volle Getränkekisten hereintrug und sicherlich ein wenig Hilfe brauchen könnte. Das tat er zwar höchstwahrscheinlich nicht, aber ich war beizeiten recht gut darin, mir Dinge einzureden, wenn sie mir gut in den Kram passten.
„Sorry, Mann, ich habe keine Zeit für ein ausgedehntes Gespräch." Mich nun doch ein wenig unwohl in meiner Haut fühlend spielte ich mit dem Saum des Geschirrtuchs. „Wünsch dir einfach deinen Drink."
In übertriebenem Bedauern hob der Typ die Hände. „Na schön, Prinzessin. Kein Grund, zickig zu werden."
Meine Augen wurden schmal.
Prinzessin?!
Hatte der Typ Todessehnsucht?
Doch dann beugte er sich auf fast verschwörerische Art und Weise ein Stück vor, so nah, dass mir sein üppig aufgetragenes Parfum in die Nase stieg, bevor er noch etwas hinzufügte.
„Dann hätte ich gerne einen Whisky. Mit extra Eis."
Ich erstarrte in der Bewegung.
Wo ich bei der Sache mit der Prinzessin um ein Haar doch noch meine Prinzipien über den Haufen geworfen und ihn verbal angefallen hätte, wich der aufkeimende Ärger nun ganz schnell bodenloser Verwirrung.
Heute ... wurde definitiv nichts verkauft. Zumindest nicht das, worauf er gerade anspielte. Und ganz offiziell wusste meine studentische Wenigkeit ja auch von nichts, daher würde ich den Teufel tun und mich in irgendwelche dummen Missverständnisse verstricken lassen.
„Das-..."
„Whisky ist aus", klinkte sich in dieser Sekunde so unvermittelt James' Stimme in die Konversation ein, dass ich zusammenzuckte.
Mein Kollege hatte nun offenbar doch Wind von dieser Konversation bekommen und war ganz klammheimlich neben mich getreten, um meinen neuesten Gesprächspartner mit einem derart finsteren Blick zu durchbohren, wie ich ihn noch nie bei ihm gesehen hatte.
„Sorry, Rod." James' Schultern waren sichtlich angespannt, sein Kiefer malmte. „Ein andermal wieder."
Endlich nahm der unsympathische Typ, Rod, seinen raubtierhaften Blick von mir, um sich James zuzuwenden.
„Kumpel, altes Haus!" Viel zu überschwänglich breitete er die Arme aus. „Was für eine Freude, dich mal wieder zu Gesicht zu bekommen. Ist schon eine ganze Weile her, was? Hast du mich vermisst? Wo ist denn dein treuer Kollege, der liebe Zaynie, heute? Hat er dich etwa im Stich gelassen?"
James verzog keine Miene. „Hör auf zu labern, sondern sag einfach, was du willst."
Mit einem Hauch von Entsetzen starrte ich meinen Kollegen an. So kannte ich ihn ja gar nicht. Rod war offenbar ein alter Bekannter, den er wohl am liebsten nie wieder zu Gesicht bekommen hätte – beziehungsweise nur, um ihm einen Kinnhaken zu verpassen.
Rods darauffolgender übertriebener Flunsch war eine Mischung aus Belustigung und Schadenfreude. „Na sowas. Bei unserer letzten Begegnung warst du nicht so frech, L-..."
„Schon gut, Mann", schnitt James ihm in weiterhin abweisendem Tonfall kurzerhand das Wort ab, bevor er sich in etwas besänftigter Form mir zuwandte. „Niall, können wir kurz mal Seite tauschen? Dort drüben warten Leute."
Nur widerwillig wollte ich seiner Aufforderung nachkommen – dieser Rod-Typ schien definitiv seine Finger im Geschäft zu haben, da hätte es sich gelohnt, der Konversation länger beizuwohnen – aber zu meinem Erstaunen war es Rod selbst, der mich innehalten ließ. Natürlich nicht mit einer sonderlich geistreichen Bemerkung.
„Ach! Die Prinzessin hat ja doch einen Namen." Er grinste mir zu, nun noch ein ganzes Stück dreckiger als vorhin, falls das überhaupt noch möglich war. „Niall. Passt zu dir."
Ich widerstand dem Drang, ihm eine mürrische Grimasse zu schneiden. Dieser Trottel wusste wirklich nicht, wie eine Grenze aussah.
Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie James um ein Geschirrtuch herum die Hände zu Fäusten ballte, doch bevor einer von uns wirklich eine Reaktion zeigen konnte, hatte Rod erneut fortgefahren.
„Ist das etwa deine neueste Flamme?" Er pfiff durch die Zähne. „Guten Geschmack hast du ja, das muss man dir lassen. Auch wenn du leider nicht wirklich gut darin bist, dich anständig um deine Angebeteten zu kümmern, hm? Ein Jammer." Er nickte in meine Richtung. „Vor allem um jemanden wie ihn."
Ich wusste zwar nicht, worauf er anspielte, aber angesichts dessen, wie James' Wangen schlagartig an Farbe verloren hatten, konnte es sich nur schwer um etwas Gutes handeln.
Eigentlich sollte ich meinen Mund halten und so versuchen, dem Streit als stummer Zuhörer so viel wie möglich zu entnehmen, aber allmählich wurde es mir zu bunt, wie dieser Typ James in einem fort verbale Schläge versetzte und ihn bewusst verletzte und provozierte, indem er in irgendwelchen alten Wunden herumstocherte.
„Ey, was ist dein Problem?" Die angesäuerte Bemerkung hatte meinen Mund verlassen, bevor mein Gehirn Gelegenheit bekam, sie zu überdenken. „Hast du nichts Besseres zu tun, als hier abzuhängen und Reden zu schwingen?"
Fantastisch.
So viel zum Thema Nicht-auffallen.
Im Schatten der Theke griff James beschwichtigend nach meiner Hand und bedeutete mir erneut, mich anderen Gästen zu widmen, doch ich blieb, wo ich war. Jetzt war es ohnehin schon zu spät, um einen Rückzieher zu machen.
Und wenn dieser Typ dachte, dass ich ein hilfloses Jungchen war, das seinen blöden Sprüchen stumm beiwohnte und klein beigab, hatte er sich geschnitten.
In einem Ausdruck vager Verblüffung zog Rod die Augenbrauen hoch, bevor er ein gerührtes Gurren von sich ab, um James dann bedeutungsvoll anzusehen. „Wie süß. Er verteidigt dich sogar. Mal sehen, ob er das immer noch tut, wenn er weiß, was-..."
„Niall, bitte geh jetzt." James' Ton war eisig, seine Mimik stählern. „Sofort."
Am liebsten hätte ich mich getreten. Ich war so bescheuert. Garantiert hätte ich hier ordentlich mein Hintergrundwissen füttern können, wenn ich nur meine vorlaute, empörte Klappe im Zaum gehalten hätte.
„Aber-..."
„Jetzt, Niall!"
Reflexartig trat ich einen Schritt zurück, als James mir den Befehl mehr oder weniger hinschleuderte, in einem harten, fast drohenden Tonfall, wie er ihn mir gegenüber noch nie angeschlagen hatte.
Seine sonst so warmherzigen braunen Augen loderten förmlich, als sie meinen Blick auffingen und mir unmissverständlich zu verstehen gaben, dass jetzt nicht die Zeit war für große Diskussionen.
„Schön. Bis nachher."
Ich wollte wirklich keine beleidigte Diva sein, aber in Moment konnte ich nicht anders, als meinen Unmut kundzutun, indem ich mich ruckartig abwandte und seiner Anordnung energischer als nötig Folge leistete, die stumme Entschuldigung in seinen Augen ignorierend.
„So ist's gut", hörte ich Rod beim Weggehen mit halbem Ohr noch spotten. „Vertreib ihn lieber gleich, bevor es wieder ein unschönes Ende nimmt."
Ich zwang mich dazu, einfach weiter meinen Job zu tun und nicht so auszusehen, als würde ich nur auf eine Gelegenheit warten, ordentlich die Ohren spitzen zu können.
Dass ich eigentlich dringend Harry kontaktieren musste, hatte ich in all dem Durcheinander schon wieder komplett verdrängt.
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Well. Rod entered the chat.
(hehehe.)
Dankeschön für all die Sternchen und die Kommis, die ihr mir immer dalasst!🥺💖 Die Story nimmt jetzt langsam Fahrt auf, I promise.
Ansonsten hoffe ich, euch geht es allen gut und könnt euch je nach Gemütslage wenigstens ein bisschen über das Wochenende freuen😇
Liebe Grüße!
Andi🥰
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