6: Albträume

Die Tür knallte ins Schloss.
"Warum warst du zu spät?", fragte Lia. Dank Leonardo und seinem Zettel sind wir doch 15 Minuten zu spät gekommen, dazu kam noch, dass wir die Fahrräder wieder wegstellen mussten. Problem: Vor dem Schuppen hatten sich Hugo und Bruce, zwei Sicherheitsmänner, unterhalten und da wir uns offiziell nicht abgemeldet hatten, mussten wir unbemerkt hineinkommen.
"Du warst zu spät und Amadeo auch", meldete sich jetzt Aurora zu Wort.
Ich ging auf mein Bett zu und setzte mich auf die Bettkante.
"Warum seid ihr jetzt noch mal alle mitgekommen? Soweit ich weiß wohnen nur Leana und ich hier." Ich hatte wirklich keine Lust auf ein Verhör von den Fünf. Zumal Mädchen sehr gute Informationsbeschaffer waren, wenn sie unbedingt etwas wissen wollten.

Leana, Lia, Aurora, Luna und Francesca stellten sich vor mich und verschränkten ihre Arme oder stemmten sie in ihre Hüfte.
"Also, warum warst du zu spät?", fragte jetzt Luna.
"Wie gesagt, ich war spazieren! Wird das jetzt ein Verhör oder was?"
"Aber du wolltest pünktlich zurück sein", meinte Francesca.
"Hab' die Zeit vergessen, was ist schon dabei?", versuchte ich sie abzuwimmeln.
"Du hast dich vorher sehr beeilt mit umziehen", erinnerte Leana.
"Ja und? Ich wollte halt noch genug Zeit haben. Ist ja ebenfalls nichts dabei." Cool bleiben, Alex! Du wurdest geschult zu lügen.
"Du beeilst dich, dich umzuziehen. Du kommst zu spät zum Abendessen und zufälligerweise auch Amadeo. Und du leugnest ernsthaft einen Zusammenhang? ", fragte Lia skeptisch. Ich sprang auf und warf meine Arme in die Luft.
"Ihr glaubt doch wohl nicht ernsthaft, dass ich etwas mit Amadeo zu tun habe?!" Ich war fassungslos. Alle wechselten einen Blick. Dann zuckte Leana mit den Schultern.
"Na ja...also alle Hinweise deuten darauf hin, Maria. Was wäre denn schon dabei, hm?" Argh!
"Okay. Jetzt merkt euch das mal für immer: Amadeo und ich, wir waren nie Freunde, wir sind keine Freunde und werden auch nie Freunde sein! Verstanden? Er ist ein Idiot und ich möchte nichts mit ihm zu tun haben!" Bitte, bitte kauft es mir ab!
"Aha....und du bist dir sicher?", hakte Francesca nach und beäugte mich genauestens. Ich verdrehte meine Augen.
"Ja okay. Ist ja gut. Wir glauben dir", gab Aurora endlich nach.
"Halleluja!" Ich hob meine Arme wieder in die Luft und verschränkte sie danach in meinem Nacken.
"Gut. Lia, du kannst ihn dir schnappen!", lachte Leana und auch wir anderen musste anfangen zu lachen, wobei Lia nur leicht rot wurde. Das komische Gefühl tief in mir drin machte sich wieder bemerkbar. Ich hoffte wirklich, dass ich nicht krank wurde. Ich hatte keine Zeit dafür.

Nachdem die drei Mädchen, die nicht auf unser Zimmer gehörten, in ihre eigenen gegangen waren, machten Leana und ich uns Bett fertig. Ich lag in meinem Bett und starrte an die Decke. Irgendwie konnte ich nicht einschlafen.
Wo steckte Roberta? Warum um Himmels Willen wurde sie entführt? Werden Leonardo und ich noch rechtzeitig kommen? Werden meine Eltern stolz auf mich sein? Die Organisation? Die Schule?
Fragen über Fragen flogen mir durch den Kopf und ließen mich nicht schlafen. Ich lag auf dem Rücken und schloss meine Augen. Ich versuchte meine Atmung zu beruhigen. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Wo bist du, Roberta? Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Hat Leonardo die Handschrift wohl schon ermittelt? Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.

Ich rannte. Einfach geradeaus. "
Bleib stehen!", rief er hinter mir.

"Nein! Sicher nicht!", rief ich über meine Schulter. Seine schon dunklen Augen verdunkelten sich noch mehr und sein Griff ums Messer wurde noch stärker. Scheiße! Ich wurde schneller. Seit wann hatte ich eine so gute Ausdauer? 
Plötzlich stand ich vor einer Wand. Einer sehr, sehr hohen Wand. Hinter mir wurde böse aufgelacht. Ruckartig drehte ich mich um.
"Jetzt kannst du mir nicht mehr entkommen! Jetzt hab ich dich!" Der Mann im dunklen Anzug kam auf mich zu. Ich presste mich an die Mauer und starrte auf das Messer in seiner Hand. Bitte, bitte nicht! Irgendwie musste ich doch fliehen können!
"Jetzt gehörst du endlich mir!" Er hob seine Hand mit dem Messer. Schützend hielt ich meine Hände vors Gesicht und schrie. Das konnte einfach nicht sein. Es durfte nicht passieren!

"Psssscht! Ganz ruhig, Maria, ganz ruhig!" War das nicht Lia? Ich nahm meine Hände vom Gesicht und blickte hoch zu Lia. Sie reichte mir liebevoll eine Hand und zog mich hoch. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich in die Hocke gegangen war.

Nun stand ich vor ihr. "Süßer? Komm mal bitte, sie ist verletzt! Kannst du sie bitte verarzten?", rief sie. Wen meinte sie denn mit "Süßer"? Seit wann hatte sie denn einen Freund?
Wer auftauchte, ließ mich den Atem anhalten. Diese hellen blauen Augen... das konnte doch gar nicht sein!
Er kam zu ihr und sie küssten sich. Das wiederum ließ mich würgen. Lachend nahm mich Leonardo an die Hand und führte mich durch einen langen Gang. Ich sah zu ihm hoch und stellte fest, dass nun Fabio neben mir lief?! Was ging hier vor sich?
Wir betraten einen alten Raum. Es gab einen Flügel voller Staub und Dreck, einen alten Tisch mit den passenden Stühlen und alte, zerfetzte Vorhänge an den Fenstern. Die Tür ging zu und ich erblickte Roberta. Was machte sie denn hier? Gefesselt auf einem Stuhl? Ich blickte an mir herunter und musste feststellen, dass ich jetzt auch gefesselt auf einem Stuhl saß. Was zur Hölle ging hier vor sich? Ich wollte schreien. Um Hilfe. Doch ich hatte keine Stimme mehr. Sie war weg. Ängstlich versuchte ich mich zu befreien, als hinter mir geklatscht wurde. Langsam und ironisch. Der Mann im dunklen Anzug zeigte sich.
"Gut gemacht. Sehr gut gemacht, Alexandra Chiara Visconti! Du wolltest vor mir fliehen und nun sitzt du doch vor mir. Gefesselt und ohne jegliche Hilfe. Wie fühlt es sich an? So hilflos zu sein? Ohne Freunde? Ohne PARTNER? Hm? Wurde dir denn nicht gesagt, dass es riskant wird?" Ich blinzelte ein paar mal und plötzlich tauchte das Gesicht von Herrn Romano auf.
"Habe ich Ihnen denn nicht gesagt, dass Sie mit ihrem Partner auskommen müssen? Dass es zu gefährlich und riskant ist, alleine zu arbeiten? Nun sehen Sie, was passiert ist! Sie sitzen hier und niemand weiß wo Sie sind. Niemand wird Ihnen helfen! NIEMAND!"
Ich schrie. Meine Stimme war also zurück. Ich schrie wie noch nie zuvor. Ich musste hier weg, war denn niemand mehr da? Lia? Leonardo? Fabio? Waren denn alle weg? Wieso ließen sie mich im Stich? Meine Freunde und mein Partner! Einfach alle waren weg!

"Hey! Maria! Alles ist gut!" Erschrocken, schwer atmend und noch leicht schreiend setzte ich mich ruckartig auf. Mit meinen Händen fuhr ich mir ein paar mal übers Gesicht und strich mir nasse Strähnen von der Stirn. Warum wurde ich in letzter Zeit immer von Albträumen geplagt? Ich ließ mich zurück auf mein Kissen fallen und versuchte meinen Atem wieder zu beruhigen. "Was ist denn mit dir los? Gestern Nacht hattest du doch auch schon schlecht geträumt, oder?", fragte mich Leana besorgt. Ich sah sie an und nickte noch ein wenig benommen.
"Keine Ahnung was mit mir los ist, aber ich träume immer so komische, unlogische Dinge. Die nichts miteinander zu tun haben und doch irgendwie zusammen passen...ich versteh' es nicht!"
"Hm...das es an Logik fehlt ist kein Wunder, denn im Schlaf arbeiten die Regionen für Vernunft und Logik nicht. Deshalb macht sich die Fantasie breit."
"Woher weißt du das denn?", fragte ich interessiert nach.
"Hab ich mal gelesen. In einem Buch über Träume vom Traumexperten Stefan Klein. Ist ein Wissenschafts-Journalist."
"Ah, okay. Hast du dieses Buch und könntest es mir ausleihen?" Vielleicht bekam ich dann einen ausführlichen, wissenschaftlichen Grund für meine Albträume und nicht nur meine eigene Theorie.
"Nee, sorry. Ich hatte es mir aus der Stadtbibliothek geliehen." Entschuldigen sah sie mich an.
"Schade. Na ja, dann muss mir das Internet weiterhelfen."
"Gut. Versuch noch ein wenig zu schlafen. Zwei Stunden noch, dann können wir auch offiziell aufstehen."
"Geht klar. Ich kann nur hoffen in diesen zwei Stunden Ruhe zu haben!"

Was natürlich nicht der Fall war.

"Aber...Teresa....Flavia...Fabio...! Wir sind doch beste Freunde! Jetzt helft mir doch!" Wieso hörten sie mich nicht? Ich saß gefesselt in einem Raum mit einer riesigen Glasscheibe als eine Wandseite. Auf der anderen Seite standen meine drei Freunde und unterhielten sich ganz normal und in Ruhe.
"HILFEE!!" Ich schrie schon seit gefühlten drei Stunden. Dann kam mir eine Idee. Ich versuchte mich ein wenig auf die Beine zu stellen um mich dann nach hinten fallen zu lassen. Der Stuhl brach unter meinem Gewicht zusammen. Hm...also entweder war der Stuhl nicht sehr stabil oder ich hatte zugenommen...egal, Hauptsache ich konnte fliehen.

Schnell suchte ich die Tür und fand sie...nicht. WAS?! Wo war diese verdammte Tür? Ich wollte hier raus! Ich lief zu jeder Wand und suchte nach der Tür. An der Glasscheibe klopfte ich sogar, doch meine Freunde beachteten mich gar nicht und gingen einfach weg. Na super, danke auch! Panisch sah ich mich um. Kam es mir nur so vor oder bewegten sich die Wände wirklich auf mich zu? Jap! Sie bewegten sich AUF JEDEN FALL auf mich zu!
"Ich muss hier raus! Hilfe!!", schrie ich panisch und schrill. Die Wände kamen immer näher und näher. Irgendwann passte nur noch ich gerade so in den Raum, doch die Wände bewegten sich weiterhin. Nein! Nein, dass konnte nicht sein! Ich wollte nicht erdrückt werden!

Blitzschnell setzte ich mich schwer atmend auf. Okay, mir reicht's jetzt! Ich konnte nicht mehr vernünftig schlafen!
Schnaufend stand ich auf und ging duschen. Irgendwie musste ich diesen Albtraum beenden. Schließlich konnte ich nicht jede Nacht schlecht schlafen. Ich brauchte auch ruhigen Schlaf.  

Das Wasser prasselte auf mich ein. Ein schönes Gefühl. Ich werde gleich mal über Albträume und seine Gegenmittel recherchieren. Das musste definitiv aufhören!

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Infos Träume:
Quelle:
Geolino Heft Nr. 3 März 2016
Artikel:
Träume - Kino im Kopf (von Nicole Röndigs)

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