16: Und versuche keine Zeit im Gefängnis zu schinden
"Eigentlich schade, dass wir immer nur kurz an den ganzen Orten sind", seufzte Eliana und legte ihre Tasche auf das Bett, welches sie somit für sich beanspruchte.
"Wir sind ja auch nicht hier, um Urlaub zu machen", antwortete ich bloß und organisierte ein paar meiner Sachen. Eine kurze Zeit lang war es still, bis Eliana sich plötzlich zu uns drehte.
"Leute, ich hab es satt, dass es komisch läuft zwischen uns", sagte sie. Ich seufzte und sah erst zu Flavia, dann zu ihr. "Ich habe euch alles erzählt und trotzdem ist es kaum besser geworden zwischen uns!"
"Weil du eben immer noch du bist, Eliana", meinte nun Flavia. "Ich muss ehrlich sagen, dass es mit leid tut, was mit dir passiert ist, aber das ändert nicht dein ganzes Verhalten. Du bist einfach jemand, den ich nicht gerne als Freundin habe. Deine Geschichte erklärt ja nicht alles, da dein Charakter eben so ist wie er ist." Überrascht sah ich zu meiner besten Freundin. Ich wusste gar nicht, dass sie so ruhig dabei bleiben konnte.
"A-Aber-"
Mein Blick glitt wieder zu Eliana, welche nun Tränen in den Augen hatte.
"Eliana, was Flavia meint ist, dass wir wirklich froh sind, dass du uns das von dir anvertraut hast. Und es ist für unser ganzes Team schon deutlich angenehmer und ich merke auch, wie du dich versuchst zusammen zu reißen, aber wie Flavia schon gesagt hat...nicht alles, was du uns an den Kopf geworfen hast wird mit deiner Familiengeschichte erklärt. Ich sage auch nicht, dass wir ganz unschuldig sind, bei all dem, was passiert ist, aber du musst verstehen, dass wir nicht einfach so plötzlich beste Freundinnen werden, so wie du es dir vielleicht denkst. Freunde gewinnt man nicht nur durch bloßes erzählen der Vergangenheit." Eliana schniefte und nickte leicht mit dem Kopf. Wieder sah ich zu Flavia, welche meinen Blick bemerkte und leicht die Augen verdrehte, bevor sie sich wieder ans Auspacken machte.
"Ihr habt ja recht", murmelte Eliana leise und setzte sich auf ihr Bett.
"Natürlich haben wir das", meinte Flavia leise zu sich selbst und griff nach ihrer Kulturtasche. "Ich mache mich kurz frisch." Und somit verschwand meine beste Freundin im Bad. Ich atmete einmal durch und entschloss mich dann, auf Eliana zu zugehen. Ich setzte mich neben sie und war nicht sicher, was ich nun tun sollte. Ich war ja so schon nicht die Beste im Trösten, doch bei Teresa oder Flavia würde mir da wenigstens noch etwas einfallen.
"Eliana, hey", begann ich vorsichtig und berührte leicht ihren Arm. "Versteh' uns nicht falsch, aber du kannst dich echt aufführen wie die größte Zicke überhaupt und das ist einfach nicht das, was wir brauchen...du kannst nicht dein ganzes Verhalten auf deine Familiengeschichte schieben."
"Schon kapiert", nickte sie und wischte sich schnell die Tränen aus den Augen. "Ich bin weiterhin nicht erwünscht."
"Nein, so ist es ja auch nicht gemeint! Du musst auch versuchen, unseren Standpunkt zu verstehen."
"Tu' ich ja. Ihr wollt mich nicht, aber das bin ich ja gewohnt." Ruckartig stand sie auf und schnappte sich ein paar Klamotten, die sie in den Schrank räumte.
"Siehst du, das ist es nämlich!" Nun stand auch ich auf und verschränkte meine Arme. "Du führst dich immer auf wie eine Dramaqueen und jetzt spielst du die Beleidigte!" Sie drehte sich zu mir und ich ging auf sie zu, bis ich nur wenige Zentimeter von ihr entfernt war. "Man muss seinen Freundinnen vertrauen können. Man hintergeht sie nicht und redet nicht schlecht über sie. Man freut sich gemeinsam mit ihnen und hilft ihnen in jeder Situation."
"Genau so, wir ihr Teresa gerade helft?", fragte sie provozierend. Sofort verdunkelten sich meine Augen.
"Du hast keine Ahnung, wovon du da redest", zischte ich. Eliana hob ihre Augenbrauen und sah mich abwartend an.
"Ach, wirklich nicht? Ich denke schon. Schließlich habt ihr noch keine Anstalten gemacht, sie zu finden. Also wenn so eure Freundschaft aussieht, dann kann ich ja froh sein, dass ihr mich nicht in euren Kreis aufnehmen wollt." Ich ballte meine rechte Hand zu einer Faust und starrte sie böse an. "Nur zu, Alexandra", schnalzte sie provozierend mit der Zunge. "Schlag mich ruhig. Schlag mich so, wie man es als beste Freundin tut." Gerade wollte ich meine Hand heben, da wurde ich zurück gezogen und Flavia stellte sich vor mich. Sie hatte schon längst ausgeholt und man hörte ein lautes Klatschen, als ihre flache Hand auf Elianas Wange traf. Entsetzt sah Eliana in Flavias Gesicht.
"Und man ist für seine Freundinnen da. Immer", sagte Flavia gefährlich ruhig, während sie Eliana böse anstarrte. Eliana sah uns beide ungläubig und ängstlich an, bevor sie schnell zur Tür ging und auf den Flur huschte. "Jetzt rennt sie wieder zu Luca und wir dürfen das gleich wieder alles erklären", verdrehte Flavia ihre Augen.
"Wieso has du das gemacht?", fragte ich meine beste Freundin, noch immer verwundert. Flavia wickelte sich eine ihrer Korkenzieherlocken um einen Finger und sah mich mit einem frechen Lächeln an.
"Immer darfst du alle schlagen, das ist unfair." Ich sah sie mit einem Jetzt-Im-Ernst-Blick an und sie tauschte das freche Lächeln gegen ein warmes aus. "Weil ich mit ihr sowieso auf Kriegsfuß stehe und du wenigstes versuchst, ihr näher zu kommen. Jetzt stehe ich weiterhin als die Böse da, die sie geschlagen hat, nicht du."
"Ach Flavia", seufzte ich lächelnd und zog sie in meine Arme. "Du bist so verrückt!"
"Außerdem hat sie schlecht über uns geredet und dazu noch Teresa eingebracht. Wie kannst du da bitte erwarten, dass ich ruhig bleibe?" Sie rückte etwas von mir weg und grinste mich mit ihrem typischen Flavia-Grinsen an.
"Danke", sagte ich aufrichtig und sie winkte bloß ab.
Es klopfte an der Tür und ich machte mich mental schon wieder auf eine Diskussion bereit.
"Here they come", seufzte Flavia. Sofort sah ich zu ihr.
"Was?", fragte ich nach. Flavia sah zu mir.
"Was was?", stellte sie die Gegenfrage.
"Hast du das gerade auf Englisch gesagt?" Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als sich Flavias Augen leicht weiteten.
"Hab ich das? Oh...ehm...ups..."
"Zu viel Zeit mit James verbracht, was?", neckte ich sie.
"Vergiss' es!", schüttelte sie sofort ihren Kopf.
"Wirst du mir jemals erzählen, was zwischen euch vorgefallen ist?"
"Mal sehen", zuckte sie mit den Schultern und sah wieder zur Tür, als es nochmal Klopfte. Sie machte die Tür auf und vor ihr standen die Jungs mit Eliana.
"Wir wollten los", teilte uns Christian mit. Verwundert wechselte ich einen Blick mit Flavia. Sie wollten nicht klären, was mit Eliana vorgefallen war? Merkwürdig.
"Ist was?", fragte Leo nach und sah uns stirnrunzelnd an. Mein Blick glitt zu Eliana, welche ihren typischen, arroganten Blick aufgesetzt hatte.
"Nein", meinte ich und sah wieder zu Flavia. "Eigentlich ist alles klar, stimmt's?" Meine beste Freundin nickte ebenso verwirrt wie ich.
"Lasst uns los", meinte sie dann und schloss die Tür hinter uns zu. Ich lief neben Leo, welcher mich von der Seite musterte.
"Bevor du fragst", flüsterte ich ihm zu. "Ich habe wirklich keine Ahnung, was gerade passiert ist."
"Sieht man dir an", grinste er und ich schlug ihm auf den Arm. Leicht lachte er und beugte sich zu mir runter. "Trotzdem süß", wisperte er mir zu und drückte dann einen Kuss auf meine Wange.
○●○
"Also dann", klatschte Flavia in die Hände, als wir mal wieder vor dem Terminal standen, um die Fähre nach Alcatraz zu nehmen. "Entweder finden wir die Hinweisperson hier oder drüben auf der Insel."
"Wobei der Hinweis diesmal ziemlich eindeutig ist", warf James ein.
"Stimmt, ich wüsste nicht, was uns gesagt werden soll", überlegte ich. "Außer die Person hat wieder unseren nächsten Hinweis."
"Dann müssen wir diese Person aber drüben finden, dort, wo die Möwen brüten", sagte Leo. Mein Blick landete bei der langen Schlange, die mit ihren Tickets in den Händen wartete, endlich hinüber zu fahren.
"Das wird nicht funktionieren", sprach Luca meine Gedanken laut aus. "An Tickets werden wie nie im Leben kommen."
"Letztes Mal hat es doch auch irgendwie geklappt", warf Flavia ein.
"Da hatten wir Glück, dass eine Reisegruppe spontan abgesprungen ist...dieses Glück haben wir nicht noch einmal, wie ich befürchte", meinte er.
"Versuchen kann man's ja", sagte meine beste Freundin bestimmt und stapfte zum Ticketschalter.
"Sie hat echt einen gewaltigen Sturkopf", schüttelte Christian den Kopf und beobachtete Flavia, genauso wie wir alle es taten. Sie redete mit der Frau im Häuschen und man sah ihr an, dass sie mit all ihrer Überzeugungskraft versuchte, an Tickets für uns zu kommen.
"Was ist, wenn wir nicht zur Insel kommen?", fragte Eliana in die Runde, als die Frau im Häuschen nun genervt wirkte und Flavia noch immer am diskutieren war.
"Dann bekommt ihr den Hinweis eben hier", ertönte plötzlich eine unbekannte Stimme hinter uns. Sofort drehten wir uns alle um und ein junger Mann mit braunen Haaren stand dort. "Alexandra Chiara Visconti, nehme ich an." Ich nickte knapp, dann richtete sich der Blick des Mannes auf Leo. "Unfassbar", meinte er. "Man kann die Ähnlichkeit einfach nicht leugnen. Du siehst genauso aus wie deine Eltern."
"Diese blöde Kuh hat die Security gerufen und die haben mich weggeschleppt!", hörte ich Flavia meckern, als sie wieder zu uns kam. Sobald sie den Unbekannten erblickte hob sie ihren Brauen. "Jetzt war die ganze Diskussion auch noch für die Katz?"
"Erstmal würden wir gerne das Tattoo sehen", forderte Christian.
"Aber gerne doch", meinte der braunhaarige mit einem Grinsen und fasste den Saum seines Shirts. Leicht hob er es an und an seiner Seite tauchte ein M auf, welches sich hinter Gittern befand. Ob Leos Onkel diese ganzen kleinen Tattoos gestochen hatte?
"Ihr seid wirklich schnell voran gekommen", meinte der Junge vor uns.
"Danke", meinte ich. "Könnten wir aber erst noch deinen Namen erfahren?"
"Ich bin Max", grinste er. "Freut mich sehr euch kennenzulernen."
"Kannst du uns bitte verraten, was das mit den ganzen Rätseln soll?", fragte ich weiter und sah ihn hoffnungsvoll an. Allerdings schüttelte er nur den Kopf.
"Ich habe sowas von keine Ahnung. Aber selbst wenn ich etwas wüsste, ich dürfte es euch nicht sagen."
"Lass' mich raten, Louis wird uns alles erklären?", warf Leo ein und Max richtete seinen Blick auf ihn.
"Durchaus, mein Freund. Und ihr habt es auch bald geschafft."
"Stimmt", überlegte Christian. "Unser nächstes Ziel ist Las Vegas."
"Und ich glaube, mein Rätsel ist fast überflüssig." Grinsend zog Max ein kleines Stück Papier hervor und reichte es uns.
"Hätten wir uns dann auch sparen können, oder nicht?", meinte Eliana.
"Oh nein! Das wäre fatal!", schüttelte Max energisch den Kopf. "Wir müssen euch das Rätsel überreichen, wenn ihr uns erreicht. Und wenn ihr es nicht von selbst findet, dann müssen wir euch helfen, es zu finden. Ohne dieses Stück Papier dürft ihr nicht einfach so zum nächsten Ort reisen."
"Aber wieso das alles?", wollte nun Flavia wissen. "Das macht doch alles keinen Sinn!"
"Alles hat einen Sinn", lächelte Max und sah meine Freundin aufmunternd an. "Ihr dürft nur nicht aufgeben. Gebt den Dingen einen Sinn, wenn ihr keinen findet."
"Das ist mir zu philosophisch", schüttelte meine beste Freundin den Kopf, musste dabei aber leicht lächeln.
"Ihr seid schon weit gekommen", versuchte er sie aufzumuntern. "Ihr schafft es auch, das alles zu Ende zu bringen. Wir alle wissen das." Dabei sah er zu Leo und lächelte nun ihm aufmunternd zu. "Ich muss jetzt los. Meine Aufgabe habe ich erfüllt und nun liegt es an euch, alles zusammenzufügen. Aber wie ihr schon wisst, wird euch Louis mehr dazu sagen."
"Danke, Max", sagte ich ehrlich. Ich konnte nicht fassen, dass wir wirklich so nah dran waren.
"Kein Ding." Er lächelte uns zum Abschied zu und verschwand dann zwischen den Touristen.
"Was ist es diesmal?", fragte Christian an Leo gerichtet und nickte dem Rätsel zu, welches sich in seinen Händen befand. Leo faltete das Papier auseinander und las dann laut vor.
"Trumpf ist die Seele vom Spiel."
"Pah", lachte Luca auf. "Typischer Pokerspruch."
"Passt ja zu Vegas", warf James ein. Ich stimmte ihm nickend zu, bis Flavia mich plötzlich schlug. Und dies mehrmals auf den Arm.
"Was ist denn jetzt?", fragte ich sie genervt und sah sie von der Seite an, da sie wie hypnotisiert aufs Wasser starrte. Sie zeigte bloß nach vorne und ich folgte ihrem Blick. Erst verstand ich nicht, was so besonders an der Alcatraz Fähre war, doch dann entdeckte ich, was Flavia meinte.
"Du siehst sie auch, Alex, oder?", fragte mich meine beste Freundin, leicht beunruhigt.
"Ich glaube schon", murmelte ich und konnte mich einfach nicht von ihrem Anblick lösen. So lange hatten wir sie jetzt nicht gesehen und doch würde ich nie ihr Gesicht vergessen.
"Irgendwie hatte ich das jetzt nicht erwartet", meinte Flavia.
"Glaub mir, ich auch nicht...und gerade das beunruhigt mich..."
"Die Fähre legt gleich an", stellte sie fest. "Was sollen wir jetzt machen?" Ich biss mir auf die Unterlippe. Es gab eigentlich mehrere Dinge, die ich in Erwägung zog, doch nur eine schien mir für diesen Moment wirklich angemessen, da wir nicht vorbereitet waren.
"Wir sollten weg von hier. Und zwar schnell." Ich griff nach Flavias Handgelenkt und zog sie mit mir. Die Jungs hatten mittlerweile selbst alles gesehen und waren genauso überrascht wie wir, aber das war ja auch kein Wunder, bei so einer Überraschung.
"Wie hat sie es bitte hier her geschafft?!", fragte Christian ungläubig.
"Die Frage kann ich zu meinem Fragenkatalog hinzufügen, da ich aber noch keinen genauen Plan habe, wie wir das mit ihr geregelt bekommen, sollten wir erstmal rennen, bevor sie uns entdeckt. Schnell!" Ich wusste zwar nicht wohin wir sollten, aber das war mir egal. Ich wollte erstmal einen großen Abstand zwischen uns bringen. Hoffentlich konnten wir fliehen, bevor sie uns entdeckte. Das wäre sonst ziemlich fatal, so wie es Max eben nannte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top