33: Der Kuss

Als wir dachten, dass alles in Ordnung war und er noch schlief, wollten wir weiter gehen, doch hinter uns ertönte eine laute, böse Stimme, die uns sofort wieder stehen bleiben ließ.
"Wehe eine verlässt das Zimmer, ohne mir vorher einen glaubwürdigen Grund genannt zu haben, weshalb ihr hier seid!" Mit einem verlegenen Lächeln drehten wir uns um. Sofort fiel sein Blick auf meine linke Hand. Besser gesagt, auf das in meiner linken Hand. Sein Blick wanderte wieder zu meinen Augen und er schien so gar nicht erfreut.
"Wo dachtest du, bringst du meinen Hefter hin?", fragte er sauer.
"Also eigentli-"
"Du wolltest ihn nicht an seinen Platz legen und das reicht mir auch schon! Lässt wohl gerne Dinge anderer mitgehen, was?", ließ er mich nicht einmal ausreden und sofort stemmte ich meine Hände empört in die Hüften.
"Was soll das denn jetzt bitte heißen?"
"Nun, das Büchlein von der Königin hast du doch auch!" Ich stockte und sah ihn verwundert an. Woher wusste er das denn?

"Ganz recht, Alexandra! Ich weiß, dass du das Büchlein besitzt!"
"Aber woher willst du das wissen?", fragte ich ertappt. Er grinste fies und trat einen Schritt auf mich zu.
"Ehrlich gesagt waren wir uns nicht sicher, aber du hast es gerade bestätigt. Du hast es auf jeden Fall!" Ich war fassungslos. Ich war auf einen der ältesten Tricks reingefallen, die es gab und wäre am liebsten im Erdboden versunken. "Bist wohl doch nicht die tolle Spionin, von der immer alle reden", fügte er noch hinzu und ich wurde sauer.
"Ach, aber selber bist du auch nicht gerade der Hit, du Idiot! Wer denkt denn die ganze Zeit, dass Flavia wirklich etwas von dir will?" Anstatt eines wütenden oder schockierten Gesichtsausdrucks, vernahm ich ein selbstgefälliges Grinsen. Er hob einen Arm und legte ihn um Flavia, die näher gekommen war. Was zum..?

"Flavia?", fragte Teresa fassungslos.
"Dachtet ihr wirklich, ich habe das nicht bemerkt? Dachtet ihr wirklich, dass ich nicht wüsste, dass Flavia mir nur etwas vorspielt?" Er blickte uns herablassend an. "Ich wusste es sofort und gab ihr etwas, was sie umstimmen ließ. Also hat sie eigentlich euch die ganze Zeit etwas vorgespielt." Entsetzt sah ich zu Flavia, die bloß ein arrogantes Lächeln auf den Lippen hatte. Das konnte doch nicht wahr sein! Alles war verloren! Flavia war zum Feind übergegangen, wenn auch nicht ganz freiwillig und Fernando wusste über alles Bescheid!

"Außerdem, liebe Alexandra, brauchst du jetzt nicht eifersüchtig auf deine Freundin zu sein. Ich weiß, wie gerne du mich küssen willst und dein Traum damals, das war nicht bloß ein Traum. Ich habe dir im Schlaf etwas gegeben, damit du nicht aufwachst, aber ich war da. Ich habe dich geküsst." Mein Unterkiefer fiel mir gefühlt bis zum Boden, als mein Mund vor Entsetzen aufklappte.
"Nie im Leben", brachte ich hervor.
"Oh doch, meine Liebe. Ich weiß auch, dass du dich sehr wohl dabei gefühlt hast."
"Nein", flüsterte ich und wurde dann lauter. "NEIN!"
"Doch und deinem Leo wird das alles bestimmt sehr gefallen", sagte er ironisch und hielt ein Handy hoch, auf dem er das wohl gefilmt hatte. Dieser Mistkerl!
Flavia kam jetzt auf mich zu und schubste mich stark an den Schultern, sodass ich zu Boden fiel.

Mein Gesicht verzog sich vor Schmerz und ich schloss automatisch die Augen.
"Alex! Alles in Ordnung?", fragte Teresa besorgt und ich öffnete meine Augen wieder. Ich sah mich um und wunderte mich, wo ich war. Hä? Ich war eben doch noch im Zimmer von Fernando gewesen. Teresa musste meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn sie fragte mich noch einmal, ob alles in Ordnung sei. Verwirrt sagte ich nichts und versuchte einfach zu realisieren, wo genau ich war. Auf einmal ging ein kleines Licht an und Christian musterte uns von seinem Bett aus.
"Was ist los?", fragte er.
"Sie ist aus dem Bett gefallen und scheint sehr verwirrt", meinte Teresa achselzuckend und musterte mich etwas besorgt. Christian hingegen schnappte sich ein Kissen und warf es auf Leo. Dieser drehte sich grummelnd um und stützte sich verschlafen auf.
"Was ist denn?" Christian nickte in unsere Richtung und ich vernahm Leos Stimme wieder. "Lagst du nicht eben noch neben mir?", fragte er mich verwirrt. Ich zuckte bloß mit den Schultern und wusste nicht mehr, was hier vor sich ging.
"Ich war gerade noch in Fernandos Zimmer, weil er uns erwischt hat und er erklärte mir, dass Flavia nun zu ihnen gegangen ist und mein Traum gar nicht nur ein Traum war, sondern dass er mich wirklich geküsst hat und irgendwie bin ich jetzt hier gelandet", brabbelte ich vor mich hin. Es war eine kurze Zeit lang still, bis Leo sich komplett aufsetzte und mich entsetzt ansah.
"Er hat bitte was getan?!" Im ersten Moment wusste ich nicht, was er meinte, doch als ich realisierte, was ich da gesagt hatte, schlug ich mir die Hand vor den Mund und weitete meine Augen. Schnell stand ich auf und rannte ins Bad und bevor er mir folgen konnte, schloss ich es ab und stützte mich verzweifelt an dem Türrahmen ab. "Mach sofort die Tür auf, Alex!", rief er von der anderen Seite. Whoops! Das hätte ich für mich behalten sollen.

"Was macht ihr hier für einen Krach?", vernahm ich Lucas Stimme, doch ich konzentrierte mich nicht weiter auf meine Freunde auf der andern Seite der Tür. Jetzt fiel mir auch wieder alles ein! Fernando hatte uns nie erwischt, es musste ein Traum gewesen sein. Ein verdammt realer Traum! Ich wusste, dass es eine schlechte Idee war, Leo davon zu erzählen und jetzt hatte ich es auch noch ausgeplaudert. Mit der flachen Hand schlug ich mir vor die Stirn.

"Beruhig dich, Leo", hörte ich Teresa sagen. "Es war bloß ein Traum, von dem sie da redet!"
"Aber sie sagte doch gerade noch, dass es kein Traum war!"
"Es war ein Traum, Leo!", versuchte ich ihn zu beruhigen. "Es war beide Male ein Traum!" Er schwieg und ich fragte mich, ob ich mich aus dem Bad trauen sollte, doch irgendwie hatte ich Angst. Ich hatte Angst ihn verletzt zu sehen. Ich seufzte, als keiner mehr etwas sagte. "Ich habe geträumt, dass er uns erwischt hat, als wir aus dem Zimmer wollten. Der Traum war verdammt real, dass ich wirklich nicht wusste, dass es nur einer ist und es fühlt sich immer noch so an, as wäre ich eben dort gewesen. Er hat gemeint, dass er von dem Büchlein in meinem Besitz wüsste und dann kamen wir auf die Sache mit Flavia. Ich habe ihm gesagt, wie dumm er ist, weil er das nicht bemerkt hat, dass sie nur spielt. Allerdings war Flavia dann auf seiner Seite und er erklärte, wie er ihr etwas gegeben hat. Darauf meinte er, ich solle nicht eifersüchtig sein und wir kamen auf den Traum zu sprechen, den ich hatte. Er hatte mich geküsst und wollte mir weiß machen, dass er mir dafür auch etwas verabreicht hatte, damit es so schien, als wäre es weiterhin nur ein Traum. Leo glaub mir, wir haben uns nie wirklich geküsst, nur im Traum." Es war grauenvoll. Die Stille war einfach grauenvoll. Er sagte nichts und ich fragte mich, ob er überhaupt noch da war. Ich wollte nachsehen gehen, aber ich hatte Angst.

Jetzt hörte ich wie die Zimmertür geöffnet und kurze Zeit später wieder geschlossen wurde. War er gegangen?
Langsam drehte ich den Schlüssel um und es ertönte ein Klacken, was mir zeigte, dass die Tür entriegelt war. Ich legte meine linke Hand auf den Griff und drückte diesen vorsichtig hinunter. Ich schluckte einmal schwer, bevor ich sie langsam aufdrückte und mein Kopf ins Zimmer lugte. Als ich ihn auf dem Bett sitzen sah, blieb ich sofort stehen. Nicht er hatte das Zimmer verlassen, sondern die anderen. Ich seufzte leise und trat nun komplett ins Zimmer. Die Badezimmertür schloss ich hinter mir zu. Vorsichtig sah ich zu Leo, doch er sah mich nicht an.
Einen Schritt nach dem anderen machte ich auf ihn zu und setzte mich ans andere Ende des Bettes.

"Bist-", ich schluckte. "Bist du jetzt sehr verletzt?" Er seufzte einmal laut, bis er endlich anfing zu reden und mich anzusah.
"Alex...ich-ich kenne dich und ich weiß, du würdest mir nicht fremdgehen. Außerdem glaube ich dir, dass es bloß ein Traum war und dieses Video gefälscht ist. Trotzdem trifft es mich irgendwie schon ein bisschen." Ich nickte schwer. Er rückte näher an mich heran und zog mich in eine Umarmung. Selbst wenn er jetzt von dem Traum wusste, ich trug weiterhin etwas in mir und ich musste es ihm einfach auch noch sagen.
"Aber du musst noch eins wissen", fing ich an und er drückte mich leicht von sich weg, um mir in die Augen zu sehen. Auf einmal fiel mir etwas auf, worauf ich vorher nie gekommen war. Es beruhigte mich ungemein und es erlöste mich von meinem schlechten Gewissen.

"Was ist denn noch, Alex?", fragte er.
"Versprich' mir, erst bis zum Schluss zuzuhören und nicht sofort auszuflippen", seufzte ich und er nickte knapp.
"Ich versprech's."
"Gut, also...du musst wissen, dass ich...nun, eigentlich mein Traum-Ich, es gut fand, als er mich küsste..." Ich machte eine kurze Pause, um durchzuatmen. Er hatte sich angespannt, was auch verständlich war. "Aber ich weiß wieder, warum es so war! Er hatte mir so eine komische Spritze gegeben, die jeden dazu brachte, ihn gut zu finden und auf seine Seite zu kommen. Das selbe hat er wahrscheinlich an dem Tag gemacht, als er mich versucht hat dann wirklich zu küssen, ich hab ihn nämlich gesehen, wie er aus der Küche kam, als ich mich hinein begab und etwas getrunken habe. Bestimmt hat er etwas in mein Getränk getan. Doch glaube mir, ich finde nichts an dem Typ und würde ihn nie lieben! Ich habe nur Gefühle für dich!", beteuerte ich und fand das total kitschig, aber es ging nicht anders.
Er sah mich noch eine Weile bloß an, bis er schließlich sagte: "Lass' uns das am Besten alles vergessen, es bringt ja nichts, sich darüber zu streiten. Den Gefallen tun wir ihnen nicht." Ich nickte erleichtert und er zog mich wieder in eine feste Umarmung. Plötzlich wurde die Tür ohne Klopfen geöffnet und sofort löste ich mich von Leo. Gerade wollte ich mich bei einen meiner Freunde beschweren, bis ich sah, wer hier eigentlich ins Zimmer geplatzt war.
"Eure Freunde haben wir schon", sagte er ernst und ein fieses Grinsen schlich sich auf seine Lippen. "Wir brauchen nur noch euch!"

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