4. Kapitel

Mit lautem Gepolter kam das Tablett am Boden auf. Tassenscherben stoben auseinander und Kaffeespritzer spritzten durch die Gegend. Von dem Krach aufgeschreckt, drehte sich jeder einzelne im Raum zu mir um. Aufmerksamkeit. Ganz toll. Genau meine Stärke.
Ich versuchte Haltung zu wahren und versuchte zu lächeln. Allerdings entglitt es mir sofort wieder.

Fahrig wischte ich meine Hände auf meiner Schürze ab.
Unschlüssig stand ich vor dem Massaker.
"Tja, also ich ... ich mach dann mal sauber. Lasst euch nicht stören." Ich drehte mich um und wollte mir einen Putzeimer plus Lappen holen, als ich hinter mir ein Kratzen eines Stuhles wahrnahm.

Eine warme Hand umfasste meinen kalten zittrigen Arm. Ich zuckte zurück.
"Hey, alles gut. Ich bin es nur." Frederick's Stimme drang zu mir durch. Toll. Jetzt war ich seit gestern auch noch schreckhaft geworden. Hoffentlich verschwindet das bald wieder.
Ich blickte in sein besorgtes Gesicht. "Ja natürlich. Alles Gut.", wiederholte ich seine Worte wie hypnotisiert.

Er wirkte ernst.
"Du bist die ganze Zeit schon so durcheinander. Du machst erst mal eine Pause."
Was? Nein!
Ich öffnete protestierend den Mund, aber Frederick unterbrach mich einfach. "Keine Widerrede Niara. Du setzt dich jetzt hier hin." Er führte mich zu einem leeren Tisch. "Und wir räumen alles zusammen."

Ergeben setzte ich mich auf den Sessel, den er für mich bereitstellte. "Warte kurz, ja?"
Was könnte ich sonst tun, als zu nicken?
Frederick verschwand hinterm Tresen und seine Freunde fingen an mit Spitzen Fingern die Scherben einzusammeln.
"Das braucht ihr wirklich nicht zu machen. Ihr seid doch meine Gäste."
Eine brünette Schönheit lächelte mich an. "Aber das macht uns doch nichts aus. Wir helfen dir doch gerne."
Hieß sie Laura? Oder doch Lana? Vielleicht sollte ich mir neue Namen aufschreiben und ihre Merkmale dazu. Möglicherweise merkte ich mir sie dann besser.

Stumm saß ich auf meinem Sessel und beobachtete wie sie Taschentücher hervorholten, um damit den Kaffee aufzuwischen. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte es selbst getan.
Aber ich konnte es nicht. Eine noch nie dagewesene Müdigkeit packte mich. Erschöpft ließ ich meinen Kopf in die aufgestützten Arme sinken.
Was würde ich jetzt für ein Bett geben? Ein wunderbares Wellenbett. Das wäre es jetzt. Die Matratzen von hier sind zwar nicht schlecht, aber nichts kommt gegen die sanften Wellen an, wenn du schlafend in der Strömung liegst.

"Du siehst echt k.o. aus." Ich blickte auf. Frederick kam mit einer dampfenden Tasse Kaffee zu mir zurück. Anscheinend war leugnen zwecklos.
"Ja. Keine Ahnung. Heute ist irgendwie ein komischer Tag." Meine Hände umschlossen die warme Tasse. "Danke für den Kaffee." Ich lächelte dankend. "Und dass ihr hier zusammenräumt. Das ist echt cool von euch."
Frederick winkte bloß ab. "Keine Ursache. Wir helfen doch gerne."

Der gegenüberliegende Stuhl kratzte leicht über den Boden, als er sich darauf setzte. Er wirkte wieder ernst. So wie vorhin, als er mich am Arm zurückhielt. Ich fürchte, ich wusste, was jetzt kommen wird.
"Möchtest du darüber reden?"

Okay, huch. Zumindest fragte er freundlich. Er hätte mich auch direkt konfrontieren können. Hat er aber nicht.
Ich presste die Lippen zusammen. Auch, wenn ich wollte. Was soll ich sagen? Dass mich gestern zwei Typen aus meiner Heimat verschleppen wollten? Dass das bedeutet, dass ich wohl möglich hier nicht mehr sicher war?
Wenn man ehrlich war, klang das ziemlich krank. Und niemand würde mich ernst nehmen.
Also sagte ich nichts. Wie immer. Erstaunlich, dass sich gewisse Dinge nie ändern.

Frederick musste meine Zurückhaltung bemerkt haben. "Du musst natürlich nicht. Ich meine, so gut kennen wir uns auch wieder nicht. Ich dachte nur..."

Er rieb sich verlegen über den Nacken.
Die Geste machte mich unsicher. Machte er sich ernsthaft Gedanken über mich?

"Nein also. Ähm. Es ist alles etwas schwierig zurzeit. Das ist alles. Also du kannst nichts dafür, oder so.", versuchte ich mich zu erklären.

Ich wusste nicht, was ich noch sagen könnte und Frederick wusste es offenbar auch nicht. Betretene Stille trat zwischen uns.
Schließlich ergriff Frederick wieder das Wort. "Na ja, also falls es einmal etwas weniger schwierig bei dir ist, dann kannst du vielleicht mit mir reden." Er warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu.
"Klar, ich meine, wieso nicht?" Mir entkam ein unsicheres Lachen. Was war bloß los mit mir? So war ich doch sonst nie. So verunsichert in jemandem's Nähe. Reiß dich zusammen Niara! Das ist nur Ricky. Der Ricky, den du schon seit deiner Ankunft kennst.

Der besagte Ricky ergriff wieder das Wort, weil mir anscheinend mein Wortschatz ausgegangen war. Er deutete auf den Kaffee. "Geht es wieder besser?"
"Ja danke." Erfreut über den Themawechsel, lächelte ich. "Ich denke, es passt wieder." Mein Blick fiel zu der Stelle, wo das Tablett, den Boden geküsst hatte. Alle Scherben und jeder Klecks war weg. Frederick's Clique saß bereits wieder an dem Tisch und ... Moment. Ernsthaft? Sie beobachteten uns? Besonders die Mädels aus seiner Truppe blickten uns mit einem wissendem Gesichtsausdruck an.

Schnell wandte ich wieder den Blick ab.
Nur um in Frederick's Gesicht zu schauen. Toll. Ähm. Hilfe. Wo soll ich jetzt hinsehen? Beobachtet zu werden, konnte ich noch nie leiden. Mein Favourite war eher der Still-im-Schatten-beobachtende. Aufmerksamkeit. Würg.

Entschieden stellte ich die Tasse auf den Tisch. Wenn das so ist, würde ich wohl weiterarbeiten müssen. Dabei fällt es mir wenigstens nicht auf, dass ich beobachtet wurde. Ähm.
"Danke, dass ihr hier zusammengeräumt habt. Das wäre wirklich nicht notwendig gewesen." Laura/Lana winkte wieder ab.
"Und danke für den Kaffee." Frederick nickte mir zu. "Gerne doch."

Frederick stand auf. Er nahm die leere Tasse und streckte mir die Hand hin. Ich kniff fast schon beleidigt meine Lippen zusammen. "Also so gebrechlich bin ich nun auch wieder nicht."
Frederick schmunzelte und bewegte seine ausgestreckten Finger einladend.

Theatralisch seufzend ergriff ich seine Hand. War seine Hand schon immer so warm gewesen?
Moment. Was dachte ich schon wieder?
In dem Augenblick spannte Frederick seine Hand an und zog mich auf. Da mein Gehirn allerdings immer noch bei seinen warmen Händen feststeckte, waren meine Füße etwas überfordert. Erst im letzten Moment spannte ich sie an. Der linke Fuß knickte etwas ein und der rechte blieb beim linken hängen. Ein ausgezeichnetes Beispiel, wie man nicht aufstehen sollte. Dadurch stolperte ich nämlich nach vorne, riss überrascht meine Augen auf und krachte mit beiden Händen nach vorne weggestreckt auf Frederick's Brust.

Ups. Das war so nicht geplant. Ich riss den Kopf nach oben und wäre beinahe mit dem von Frederick zusammengestoßen. Der sah mich ebenso überrascht an, wie ich ihn wohl in diesem Moment. Mit großen Augen blickte ich in seine.
Karamell mit Haselnuss. Das war das erste, was mein Gehirn denken konnte. Hitze breitete sich von der Hand aus, die noch immer in seiner lag. Unsere verschränkten Hände und die Kaffeetasse waren das einzige, was sich zwischen uns befand. Das zweite was ich registrierte war der angenehme Geruch nach frischer Wäsche und Wasser, den er ausstrahlte. Über Wasser gilt der weitverbreitete Glaube, dass Wasser geruchs- und geschmacklos war, aber wir Meermenschen bemerkten jede feine Nuance eines Wassers. Die Tatsache, dass er nach dem salzigen Atlantik roch, verstärkte die Hitze in meiner Hand nur noch.
Ich war sicher, dass er meinen Herzschlag hören konnte. Es schien, als hätte die Zeit, für einen Moment zu ticken aufgehört.

Jemand räusperte sich und die Welt drehte sich energisch wieder weiter.

Mein Kopf schnellte zur Seite und ich sah, wie uns die Clique wieder so ansah. So wie vorhin. Die Mädchen wissend. Die Jungs anerkennend.
Was zum...?
Meinen die etwa, dass das hier so ein "special moment" war. Das war es definitiv nicht.

Aber du klammerst dich immer noch an Frederick's Hand fest...
Tja, also...
So schnell konnte man nicht sehen, da war ich schon einen Sprung von Frederick quasi weggesprungen. Ich zuckte als Ganzes zurück, als hätte ich einen Stromschlag bekommen. Hastig schnappte ich mir die Kaffeetasse aus seiner anderen Hand. Bemüht darauf, dass ich seine Finger nicht noch einmal berühren musste. Keine Ahnung, was dann wieder passieren würde. Ich war im Moment sehr unvorhersehbar. Und das gefiel mir überhaupt nicht.

Hastig strich ich mir eine Strähne zurück und ging mit steifen Schritten zum Tisch der Clique. Ich konnte nicht schnell genug von einer gewissen Person wegkommen.
Als ich den Mund aufmachte, kam nur ein Krächzen heraus. Peinliich *räusper*
"Danke nochmal für das Zusammenräumen und die heutige Bestellung geht aufs Haus." Ich hob mahnend den Zeigefinger, als die ersten Beschwerden aufkamen. "Keine Widerrede."

Mit diesen Worten dreht ich mich um und beeilte ich mich, schnellstens wegzukommen. Eilig marschierte ich aus dem Raum. Ich brauchte Abstand. Ganz viel Abstand.

Ich stoppte meine Schritte nicht, ehe ich die Türe der Abstellkammer hinter mich geschlossen hatte. Erschöpft lehnte ich mich an die Tür. Ich war sowas von fertig mit der Welt.

Einatmen.
Ausatmen.
Okay.


Ging schon etwas besser. Hilfesuchend presste ich meine Handflächen an das raue Holz. Gedankenverloren strich ich darüber. So ein Gefühl. Besser gesagt Gefühlschaos hatte ich schon ewig nicht mehr erlebt. Seit Marino hatte ich so etwas nicht mehr erlebt. Und das war nicht besonders gut ausgegangen.

Es muss im Grunde nichts bedeuten. Da war einfach nur dieses Kribbeln. Vielleicht verschwindet es einfach wieder. So wie es gekommen ist. Schnell und schmerzlos. So wird es sein. So wird es sein müssen.
Ich werde in einfach ignorieren. Nichts geht leichter als das.
Oder?

Mein Blick fiel auf die gegenüberliegende Wand. Der quadratische Raum war an drei Wänden mit raumhohen Regalen ausgestattet. Hier lagerten die trockenen Lebensmittel. Kaffee, Zucker, Schokolade und zahlreiche Dekorationsblümchen für Törtchen. Als ich das Mehl entdeckte, kam mir wieder in den Sinn, dass ich ein Café besaß und wahrscheinlich draußen hungrige Studenten Reihe standen. Wenn ich also meinen Ruf als schnellste Kaffeemacherin behalten möchte, dann sollte ich vielleicht jetzt hinter den Tresen zurückkehren.

Alibi mäßig schnappte ich mir zwei Kaffeepackungen. Bei dem Gewicht zuckten meine Hände wieder. Sie erinnerten mich schmerzhaft an das, was passiert war.

Bevor ich meine Hand auf die Klinke legte, atmete ich noch einmal tief durch. Du schaffst das. Go Niara!

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