12. Kapitel
Blau umgab mich so weit ich sehen konnte. Das Wasser umhüllte mich sofort und umschmiegte freudig meinen Körper. Meine Sinnesorgane explodierten. Alles, was ich sah, hörte, fühlte, roch und schmeckte war Wasser. Und ich liebte es.
Einmal Meermädchen, immer Meermädchen. So etwas konnte man mir nicht austreiben. Meine Heimat, mein Ursprung, meine Existenz. All das war das Wasser und ich genoss es, das zu spüren.
Der Grund warum ich seit zwei Jahren wieder im Wasser war, war zwar fragwürdig, aber meinem Körper schien das komplett egal.
Ich ließ mich von der Strömung tiefer treiben. Erst als das Licht nicht mehr das Wasser durchbrach, blickte ich auf mich herab. Meine gewohnten Schuppen wiederzusehen, ließ mich vor Glück erschaudern. Meermenschen waren nicht völlig mit Schuppen bedeckt. Wir waren ja keine Fische.
Viel mehr bedeckten Schuppen in verschiedensten Größen, unsere Haut. Spielerisch verzierten sie uns von unten bis oben. Die Schuppen trugen immer die Farbe des zugehörigen Stammes. Meine waren Violett. Sie symbolisierten die unterste Stufe der Stämme. Trotzdem war ich mehr als Stolz auf meine Farbe.
Die Muster waren bei jedem unterschiedlich. Man könnte sie mit der DNA oder dem Fingerabdruck beim Menschen vergleichen.
Als eine Strömung mir meine Haare ins Gesicht wehte, unterdrückte ich nur mühsam einen freudigen Aufschrei. Das langweilige Aschblond meiner Haare, war einem strahlenden Dunkelblond gewichen. Auch hier zogen sich violette Strähnen durch meine Haare.
Mein Körper fühlte sich so wohl und so willkommen, dass mir fast schwindelig wurde. Es war als hätte man den fehlenden Puzzleteil gefunden und nun alles zusammenpasst. Vor zwei Jahren hatte ich meinem Meermenschenkörper das Schlimmste angetan, was man sich vorstellen konnte. Jetzt wieder hier zu sein, fühlte sich an wie ein Rausch. Glückshormone tanzten wie verrückt durch Körper.
Ich vollführte Drehungen, Saltos und seitliche Rollen. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, war es das beste Gefühl, das ich im Moment empfinden konnte.
Meine Euphorie verschwand allerdings, als mir wieder einfiel, wieso ich wieder hier war. Ich stoppte sofort und jedes Adrenalin war flöten gegangen. Resignation machte sich in mir breit.
Ich musste Frederick suchen. Zu nichts anderen war ich hier.
Hatte ich ernsthaft gerade durch die Strömungen getanzt? So wie ich es damals an den unzähligen Festen getan hatte?
Ich verfluchte mich, dass ich mich von dem euphorischen Gefühl dazu verführt haben lassen. Wie konnte ich nur so dumm sein?
Das machte es nicht leichter, mich jetzt zu fokussieren. Fokussieren, auf das was wirklich wichtig war. Frederick.
Ich zwang mich durchzuatmen. Die gute Stimmung auszuatmen. Bis ich nur mehr mein einziges Ziel vor Augen hatte.
Mein Ziel war, so schnell wie möglich nach Sum Adiva zu kommen. Auch wenn ich den Weg dorthin wahrscheinlich noch wusste und mich die Strömungen mühelos in die Hauptstadt führen würde, konnte ich dem nicht restlos trauen. Vielleicht wollte Marino doch nicht nach Sum Adiva. Vielleicht wollte er Frederick irgendwo außerhalb verstecken. Auch, wenn ich das nicht glaubte.
Sicher war sicher.
Aus diesem Grund griff ich seit über zwei Jahren nach meiner Magie. Ich hatte sie damals, wie alles andere, weggesperrt. In die tiefsten Winkel meines Körpers. So weit nach hinten versteckt, dass ich eine Weile benötigte bis ich sie ertasten konnte.
Magie war wie eine Blume. Wenn man sie nicht verwendete, schwebte sie wie eine Knospe zusammengefaltet im Körper. Wenn man dann nach seiner Magie greift, dann entfaltet sie sich. Sie breitet sich auf den gesamten Körper aus.
Meine kleine Knospe schwebte blass und unscheinbar. Sie sah aus als hätte sie zu lange kein Wasser bekommen. Was wohl auch stimmte.
Am Anfang glitt mir die Knospe immer wieder aus den Fingern. Sie rutschte durch als würde sie nicht mehr wissen, was sie wirklich war.
Bei meinem vierten Versuch bekam ich sie zu greifen. Sie schickte winzige Energieimpulse durch meinen Körper, ehe sie sich entfaltete. Am Anfang noch zögerlich, aber dann mit immer mehr Energie. Sie entfaltete sich und violette Magie breitete sich in mir aus. Sie erfüllte mich von den Haarspitzen bis in die Zehen.
Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Das Gefühl war großartig. Es wärmte von innen heraus. Konzentriert zog ich vor mir mit meiner Hand einen Halbkreis durch das Wasser. Sofort wurde das Wasser von verschieden farbigen Schlieren durchzogen. Manche kräftiger, manche blasser.
Aus meinem Lächeln wurde ein verhaltenes Grinsen. Ein tolles Gefühl, zu wissen, dass selbst nach dieser langen Zeit meine Magie noch funktionierte.
Meine Augen begannen sich, auf die unterschiedlichsten Schlieren zu konzentrieren. Meine Magie war es, die Spuren von allen Meeresbewohnern zu sehen. Jeder hinterließ eine Spur. Das konnte man nicht abstellen, egal wie sehr man es versucht. Jeder Taren, jeder Fisch, der Wal und jeder Krebs hatte sein ganz eignene Spur. Sie war einzigartig so wie unsere Hautmuster.
Und ich war in der Lage sie zu sehen und sie zu verfolgen. Meine Magie war zugegeben nicht sonderlich spektakulär. Ich konnte keine Druckwellen, Wasserstrudel oder Wasserskulpturen erschaffen, aber sie war durchhaus nützlich. Wie in diesem Fall.
Ich brauchte nicht lange, um Marino's Spur zu finden. Hellblau schimmerte sie in der Strömung. Sie führte immer weiter von der Küste weg. Immer weiter in die tiefe, dunkle Weite des Ozeans. Neben Marino's Spur verlief noch eine weitere. Sie war hellgrau gefärbt. Frederick's Spur. Jeder Mensch besaß eine hellgraue Spur. Meine Magie konnte hierbei nicht mehr herauslesen, außer dass es sich um einen Menschen handelte.
Egal. Ich würde ihnen jetzt einfach folgen. Marino wird schön blöd schauen, wenn ich so bald auftauche.
Und wenn ich sie gefunden habe, dann so schnell wie möglich von hier weg. Umso schneller ich wieder an Land war, umso besser.
Das wäre ja noch schöner, wenn ich hier länger unten länger bleibe.
Meermenschen bewegen sich im Grunde nur mit Fußtempo fort. Die Hände dienen nur zur Richtungssteuerung. Es gibt zwei Varianten wie man schwimmen kann. Die erste ist die klassische, die typische Meerjungfrauen-Technik. Dabei bewegt man den Körper wie eine Meerjungfrau (die es übrigens nicht mehr gibt, also alles Märchen.).
Die zweite Technik ist die modernere. Sie wird vor allem von der jüngeren Generation verwendet. Dabei bewegt man die Füße getrennt auf und ab. So ähnlich wie beim Rückenschwimmen. Deshalb wird sie von uns auch Paddel-Technik genannt.
Die erste Technik ist idealer für lange Strecken ohne Strömungshilfe. Das heißt, wenn man abseits von Strömungen schwimmt.
Bei der zweiten Technik ist man wendiger und man kann schneller die Richtung wechseln. Diese Technik war eines der Dinge, die ich in meinen Jahren in der Elitegarde perfektioniert hatte. So schnell, ruckartig und unerwartet die Richtungen zu wechseln wie nur möglich. Die Chancen, den Gegner zu überraschen oder zu verwirren waren damit bedeutend höher.
Mithilfe der Paddel-Technik tauchte ich immer tiefer ab. Vorbei an schroffen Felsen und glitschigen Algen. Wenn man sie schlau zubereitet, konnten sie ganz akzeptabel schmecken. Trotzdem wird man mich zwingen müssen, damit ich jemals wieder welche davon essen würde. Es gab viel bessere Algen. Keine Ahnung, warum diese so beliebt waren.
Meine Augen passten sich ständig an die änderten Lichtverhältnisse an. Unsere Augen funktionierten sogar dort wo längst kein Licht mehr hin kam. Ziemlich praktisch, wenn man sein ganzes Leben lang in tiefster Finsternis verbrachte.
Ich spürte wie mit steigender Tiefe auch der Druck um mich herum zunahm. Nicht das es mich aufhalten würde. Das Gefühl war nur ungewohnt. Zwei Jahre an Land gingen immerhin nicht spurlos vorüber.
Nach einer kurzen Pause gewöhnte sich mein Körper wieder an den ständigen Druck um mich herum.
Zusätzlich zu dem Druck mischte sich jetzt ein zweites Gefühl. Das Wasser wurde unruhiger. Kaltes Wasser umspielte meine Hände. Es umkreiste sie und bewegte sich wieder weiter. Die Wassermoleküle insgesamt wurden dynamischer, schneller. Die Stille der Tiefe wurde von einem gleichmäßigen Rauschen verdrängt.
Der Grund dafür lag zwei Meter vor mir.
Eine Strömung.
Und zwar keine naturellen Ursprungs.
Es war eine der tausenden Strömungen, die quer durch alle Meere der Welt verliefen. Vor Jahrhunderten entwickelten Taren die ersten magischen Strömungen und revolutionierten damit die Fortbewegung maßgeblich.
Durch diese Strömungen war es uns jetzt möglich in einem viel höheren Tempo zu reisen. Man konnte sich Strömungen wie Straßen vorstellen. Kleine Nebenstraßen, die sich zu immer größeren Straßen zusammenschließen bis zu mehrspurigen Autobahnen.
In Sum Adiva beginnt das Strömungsnetz und jede große Strömung mündet in Sum Adiva. Wenn man wollte, dann konnte man sagen, dass alle Strömungen nach Sum Adiva führten.
Schon in jungen Jahren lernt man das Stromschwimmen. So ist es eine der normalsten Dinge der Welt.
So normal, dass ich wie selbstverständlich neben der Strömung beschleunigte, mich kurze Zeit von ihrer Sogwirkung mitziehen ließ und dann vollständig eintauchte.
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