58. Kapitel

Harry:

„Du und Louis?" Ich schweige und schiele Richtung Eingangstür. Gemma und ich sitzen beim Frühstück. Louis und Cayla sind noch nicht da. Zumindest glaube ich das. Gemma trinkt in Ruhe ihren Kaffee und isst ein Omelette, während ich nervös auf meinem Stuhl hin und her rutsche. Gestern Abend haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Heute Morgen stand sie dann vor meiner Zimmertür. „Ich habe dir doch gestern schon gesagt, dass ich nichts dagegen habe, dass du schwul bist. Ist mir doch egal, solange es dir dabei gut geht", wiederholt sie ihre Worte von gestern Abend.

„Uhm... ich weiß." – „Und auch, dass ich Mum nichts sagen werde. Aber das solltest du tun." – „Kann ich nicht", antworte ich direkt. Meiner Mum sagen, dass ich auf Männer stehe? Niemals. Das einzige, was wohl noch schlimmer wäre, wäre zu sagen, ich schmeiße Olympia hin und haue ab. Garantiert nicht. Ich kann mich vor ihr nicht outen. Eher friert die Hölle zu.

Gemma zögert. Ich weiß, dass sie die Frage gestern schon stellen wollte. Sie hat es nicht ausgesprochen, aber ich kenne meine Schwester. „Eine Weile", sage ich also und seufze leise. „Ich weiß es schon eine Weile." – „Und das heißt?", möchte sie wissen und sieht mich abwartend an. Ich zucke mit den Schultern. „Weißt du noch, als ich versucht habe mit dir zu reden? Am Tag nach der Party kurz bevor ich gegangen bin, wollte ich mit dir sprechen, aber dann kam die U-Bahn und ich musste los uns... uhm..." – „Moment was? „Da warst du gerade erst 18." Mit großen Augen sieht sie mich an. Ich nicke stumm. „Du wusstest es auf der Party schon? Das ist Jahre her und... nein."

Ihr ist anzusehen, dass ihr in diesem Moment ein Licht aufgegangen ist. „Sag mir nicht, du bist seitdem in Louis verknallt." Nein, länger. Irgendwie zumindest. „Ich habe mich vor ihm blamiert, deswegen bin ich um Mitternacht nicht da gewesen", fasse ich zusammen. Dabei merke ich, dass ich es nach wie vor nicht mag, mich an diesen Abend zu erinnern. „Er hat mich nicht erkannt. Niall schon und als du plötzlich hier warst... naja, da ist es aufgeflogen." – „Du hast ihm nichts gesagt?" Ich schüttle stumm den Kopf. „Das war dämlich", bemerkt Gemma und lehnt sich nach hinten. Sie nimmt ihre Tasse und trinkt einen Schluck. „War dir nicht klar, dass es früher oder später sowieso rauskommt?" – „Mir war nicht klar, dass es wichtig sein würde. Ich dachte, wenn er mich einmal vergisst, passiert das sicher wieder. Außerdem mochte er mich am Anfang nicht einmal." – „So fangen die besten Freundschaften an", wirft sie ein. Ich sehe sie skeptisch an.

„Schon klar, ihr seid mehr als Freunde." – „Uhm... keine Ahnung", stottere ich plötzlich. „Wir sind nicht... also wir haben nicht..." – „Du weißt er nicht." – „Ich bin doch so schon überfordert genug." Gemma schmunzelt. „Was du nicht sagst." – „Das ist gemein." – „Aber die Wahrheit", grinst sie. Ich verdrehe die Augen, lächle dann aber auch. „Es ist schön mit ihm." Ich spüre, wie ich erröte. Ich denke an letzte Nacht, wie könnte ich nicht? Louis hat mich zu sich gezogen und ich bin eingeschlafen. Ich bin an ihn gekuschelt eingeschlafen. Heute Morgen war er sehr früh wach. Er lag hinter mir und hatte einen Arm um mich gelegt. Es war warm und kuschelig. Ich mochte es sehr. Dann hat er meine Wange geküsst und gesagt, dass er sich in sein Zimmer zurück schleicht, bevor ihm jemand auf dem Flur begegnen wird. Irgendwann danach ist Gemma bei mir aufgetaucht.

„Ich mag ihn." – „Du bist verknallt." Ich nicke und schiele wieder zur Tür. Louis ist immer noch nicht hier aufgetaucht. Wo bleibt er wohl? Sonst ist er um diese Uhrzeit schon längst beim Frühstück. „Wir hatten ein Date. Er hat ein Dinner auf der Dachterrasse vorbereitet", erzähle ich ihr und merke, wie ich anfange zu grinsen. „Er hat sich wirklich Mühe gegeben, weißt du? Ich habe ihm mal erzählt, dass ich bei meinem ersten Date gerne selbst zahlen möchte, damit sich das für mich nicht komisch anfühlt. Er hat es sich gemerkt und es so organisiert, dass keiner von uns zahlen muss." – „Klingt, als wäre er ziemlich aufmerksam." 

Ich nicke. „Ich denke schon... es... ich führe mich wie ein Idiot auf, ständig, aber er findet das nicht schlimm." – „Du führst dich nicht wie ein Idiot auf", widerspricht Gemma mir sofort. „Nur etwas unerfahren", korrigiert sie sich kurz danach. „Macht es das besser?" – „Du machst es nicht mit Absicht" nickt sie. Dann lächelt sie und sagt etwas ruhiger: „Hör mal: Louis hat dich wohl kaum geküsst, weil er dich komisch oder nervig findet." Sofort werde ich dunkelrot im Gesicht.

„Wie hat Louis eigentlich reagiert?" – „Uhm... ganz gut", stottere ich. „Also er meinte er findest es zwar komisch, dass ich nichts gesagt habe, aber er ist nicht wütend oder so", fasse ich zusammen und versuche nicht daran zu denken, welches Gefühl er in mir ausgelöst hat, als er sich vor mich hingekniet hat. Verdammt, wie soll ich je an etwas anderes denken können? „Und?" – „Und was?" – „Ist es etwas Ernstes? Oder nur eine Olympische-Spiele-Romanze?" – „Du meinst, ob wir uns danach wiedersehen werden?" Sie nickt. „Er meint, das klappt irgendwie", erwidere ich und versuche nicht allzu schissig zu klingen. „Und du? Willst du das auch?", fragt Gemma mich. Sofort nicke ich.

„Dann wirst du es früher oder später Mum sagen müssen." Meine Augen werden groß. „Was? Wieso das? Was geht sie das an?" – „Louis lebt in Irland, du in England. Wie erklärst du es Mum, wenn du alle paar Wochen zu ihm fliegen wirst – oder er zu dir? Was wird Mum wohl dazu sagen, wenn Louis plötzlich vor der Tür steht." – „Dann ziehe ich halt aus?" Skeptisch zieht sie eine Augenbraue nach oben. „Wie willst du das denn anstellen?" – „Ich... uhm..." Scheiße. Meine Schultern sacken nach unten. „Darüber habe ich nicht nachgedacht. Ich dachte... wir bekommen das schon hin. Irgendwie. Ich will nicht schon wieder jahrelang warten, bis ich ihn wiedersehe." – „Du bist echt niedlich, wenn du verliebt bist." – „Gemma!" – „Ich meine ja nur." Sie hebt beide Hände, lacht dabei aber immer noch.

Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Ich habe dich nie so aufgezogen, als du... uhm... jemanden hattest." – „Weil du nicht einmal das Wort verliebt sein aussprichst. Geschweige denn Sex." Sie macht das mit Absicht. Ich presse die Lippen zusammen. Sie grinst amüsiert. „Wie ich sehe, hat sich das noch nicht geändert." – „Ich will nicht mit dir darüber sprechen, du bist meine Schwester." – „Du willst mit niemandem darüber sprechen", merkt sie an. „Weiß Louis es denn?" – „Ja", murmle ich und schiele schon wieder zur Tür. „Er... uhm... er meinte, er würde warten." – „Würde?" – „Ich meinte, ich will nicht so lange warten", gebe ich zu, sage dann aber schnell: „Also nicht jetzt sofort! So meine ich das nicht, aber ich will nicht... also... bald, eben", stottere ich zusammen. Gemma versteht trotzdem, was ich sagen will. „Klingt doch gut. Du musst dich nur trauen, ihm zu sagen, was du willst." – „Woher soll ich denn wissen, was ich will?", frage ich genervt. „Dann musst du ihm eben sagen, was du ausprobieren willst", korrigiert sie sich.

„Was ausprobieren?" Ich zucke zusammen. Louis setzt sich neben mich und sieht fragend zwischen mir und Gemma hin und her. „Wo ist Cayla?", möchte ich verwundert wissen. „Schon beim Training. Also? Was willst du ausprobieren?", fragt er noch einmal. Ich starre auf meine Tasse vor mir. Gemma sieht mich abwartend an. Ich antworte nicht. Meine Schwester seufzt. „Harry, du solltest gerade mit ihm darüber sprechen." – „Ja... aber... doch nicht, wenn du dabei bist." Louis sieht erst zu Gemma, dann zu mir. Dann dämmert es ihm. „Oh, darum geht es. Hast du ihr von gestern Abend erzählt, oder wieso hat sie das gesagt?" – „Gestern Abend?", fragt Gemma verwundert. Ich würde am liebsten im Erdboden versinken.

„Oh, shit", bemerkt Louis es dann auch. „Können wir bitte das Thema wechseln?" Louis schmunzelt, sagt dann aber: „Gut, meine Schwester kommt heute Abend an. Ich würde sie direkt mit zum Abendessen nehmen." – „Deine Schwester?" – „Ja, Lottie. Sie war damals aber nicht auf der Party." Ich nicke stumm. Lottie war die, die mit Gemma damals Beachvolleyball gespielt hat. Theoretisch war Louis auch dabei, aber anscheinend bin ich hier am Tisch der Einzige, der das noch weiß. Vermutlich erinnert Lottie sich auch nicht an Gemma. Wieso auch? Die beiden haben sich seit zehn Jahren nicht gesehen. Ich schweige und überlege, ob ich es Louis sagen sollte.

„Meine Mum und der Rest meiner Familie kommt erst in drei Tagen, aber Lottie wollte sich gerne noch Paris anschauen und sie ist die Einzige, die die Zeit dazu hat", erzählt Louis weiter. „Oh, Paris wollte ich auch sehen", meint Gemma dann begeistert. Na super. Ab diesem Moment drehen sich meine Gedanken um die Frage, ob ich es Louis sagen sollte. Wir haben auf Ibiza nicht einmal miteinander gesprochen. Ist es seltsam, dass ich mich seitdem an ihn erinnere und ihn wiedersehen wollte? Ein bisschen komisch ist es schon. Er hat mich nicht einmal wahrgenommen. Und es ist zehn Jahre her!

„Alles okay, Curly?" – „Alles gut", antworte ich etwas zu schnell. Fragend sieht Louis mich an. Ich stehe auf und schnappe mir meine Sachen. „Ich muss zum Training. Dringend. Ich bin zu spät. Bis später", sage ich schnell und gehe aus der Kantine. Super, ganz große Klasse. Ich fluche leise und gehe über die Anlage zur Trainingshalle. Damit habe ich es bestimmt nicht besser gemacht. Das war ein Paradebeispiel dafür, wie man nicht einen unauffälligen Abgang hinlegt.

-- -- -- -- --

Lottie kommt also nach Paris. Meint ihr, Harry wird Louis von Ibiza erzählen? Oder fällt es niemandem auf?

Love, L

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top