42. Kapitel
Harry:
Ich sehe, dass Louis mir hinterherschaut. Die Glastür der Schwimmhalle spiegelt ein wenig, aber ich glaube, das bemerkt er nicht. Er steht einfach dort und schaut mich an. Ich straffe die Schultern und öffne sie. Ich werde mich nicht umdrehen und noch einmal zu ihm schauen. Ich werde mich auf mich konzentrieren, auf meine Wettkämpfe und meinen Sport. Darauf konnte ich mich schon immer konzentrieren. Ich gehe zu meinem Hotelzimmer. Die ganze Zeit sehe ich mich um. Ich möchte weder Cayla noch Niall über den Weg laufen. Ich kenne Niall nicht gut, aber ich habe das Gefühl, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis er die Wahrheit erzählt, wenn ich weiterhin so viel Zeit mit Cayla und Louis verbringe. Vermutlich geht es nur um Louis.
Bevor ich allerdings unter die Dusche springen kann, ruft Mum mich an. Ich schiele auf die Uhr und hebe dann ab. „Hallo Harry." Ich lächle kurz und stelle das Handy gegenüber vom Bett auf die Kommode und setze mich. „Hi." – „Wie geht es dir?" – „Das Training läuft wirklich gut und das Essen hier ist toll." – „Schön. Ich habe mir die Videos angeschaut, die du mir geschickt hast, du wirst besser." – „Danke", antworte ich knapp. Besser ja, aber nicht gut genug. „Schafft ihr es herzukommen?", frage ich zögerlich. „Das wollte ich mit dir besprechen." Ich lasse die Schultern sacken. Ich kenne diesen Tonfall nur zu gut. Mum hasst es, meine Wettkämpfe zu verpassen, aber wenn es mal so sein sollte, dann spricht sie genau so mit mir. „Ich muss arbeiten, Harry. Das verstehst du doch, oder?" – „Natürlich", presse ich heraus und schweige dann. Mum seufzt. „Du weißt, ich wäre sehr gerne in Paris gewesen."
Das stimmt, das wäre sie gerne, immerhin sind es die Olympischen Spiele. „Schaust du es dir an?" – „Natürlich werde ich es mir ansehen, Harry. Es ist Olympia!" Ich lächle kurz. „Okay." Mum spricht einfach weiter: „Ich soll dir allerdings von Gemma sagen, dass sie es nicht schaffen wird. Du weißt, sie hat gerade viel zu tun." Gemma wird es sich nicht anschauen können? Nicht einmal im Fernsehen? Ich blinzle ein paar Mal. „Uhm... ja, natürlich. Das verstehe ich. Und Dad?" Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich die Antwort überhaupt hören möchte. „Du weißt doch, dass dein Vater nichts von Sport versteht." – „Ja, da hast du Recht, Mum." Sie nickt zufrieden. „Wie ist das Krafttraining im Augenblick?" – „Gut. Ich schaffe die Gewichte, die ich sollte in sauberer Ausführung. Gestern habe ich noch etwas länger trainiert als sonst. Ich fühle mich gut", fasse ich zusammen. Ich spanne mich an und hoffe, dass sie nicht merkt, dass das nicht zu 100% der Wahrheit entspricht. Ich war in der Schwimmhalle, das schon, aber wirklich trainiert habe ich nicht.
Mum würde sagen, dass ich mich habe ablenken lassen – wenn sie es denn wüsste. „Das ist gut Harry." Ich nicke wieder. „Soll ich dir morgen nochmal das Training aufnehmen?"- „Nur die Sprünge", antwortet sie mir. „Du musst an den Feinheiten arbeiten, die geben Punktabzug und das weißt du. Du willst doch nicht wegen einer Kleinigkeit nur Silber bekommen, richtig?" – „Richtig."
Eine halbe Stunde später stehe ich endlich unter der Dusche. Ich höre etwas Musik und bin allein, so richtig allein. Ich muss mit niemandem sprechen und auch nicht aufpassen, dass ich Louis über den Weg laufe. Darauf achte ich erst wieder, als ich mich zum Abendessen auf den Weg mache. Ich sehe Louis dort mit Niall und Cayla. Ich schaue wieder in mein Buch. Ich möchte es wirklich lesen, aber ich habe es auch mitgenommen, damit ich mich nicht zu ihnen setzen muss und es nicht auffällt. Sonst sitze ich auch allein, wenn ich dabei lese.
Ich setze mich bewusst einige Tische weiter weg und mit dem Rücken zu Louis. Ich möchte ihn nicht anschauen. Ich esse zügig und verschwinde wieder. An der Bar hole ich mir einen Smoothie und als ich in den Aufzug steige, beschließe ich, den Abend auf der Dachterrasse ausklingen zu lassen. Das Buch tausche ich gegen meine Wolle. Ich werde weiter an dem Cardigan arbeiten. Kurz überlege ich, meine Kopfhörer mitzunehmen, aber ich lasse es doch sein. Die kühle Nachtluft empfängt mich und bis auf die zirpenden Grillen höre ich keinen Ton. Es ist wunderbar ruhig.
Ich lege meine bereits gehäkelten Einzelteile nebeneinander und beschließe, heute den Ärmel zu machen – oder zumindest anzufangen. Ich suche mir eine fünfer Nadel aus und nehme die Wolle. Meine Gedanken schalten endlich ab. Ich verzähle mich zweimal bei den Maschen und muss ein Stück wieder öffnen, aber schließlich klappt es ohne Probleme
„Ich habe mir schon gedacht, dass du hier bist."
Ich zucke zusammen und drehe mich zur Seite. Louis steht an der Tür. „Was machst du hier?" – „Ich bin gewissermaßen geflüchtet." – „Geflüchtet?" – „Ist es okay, dass ich hier bin, oder möchtest du lieber allein sein?", fragt er, ohne mir vorher eine Antwort zu geben. „Uhm... jeder kann hier auf die Terrasse." Louis zuckt mit einer Schulter. „Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht respektieren kann, wenn du lieber deine Ruhe haben möchtest." – „Du kannst hierbleiben, wenn du magst", antworte ich und fluche innerlich. Er hat recht, ich möchte lieber allein sein, aber ich mag den Gedanken nicht, ohne jetzt wegzuschicken. Er setzt sich zu mir. „Was wird das, wenn es fertig ist?" – „Uhm... ein Cardigan", antworte ich ihm und drehe die Häkelnadel in meiner Hand. Louis nimmt sich das fertige Rückenteil. „Sieht echt gut aus." – „Danke", presse ich hervor und häkle eine weitere Masche.
„Welches Buch hast du vorhin gelesen?" Irritiert sehe ich ihn an. „Was?" – „Beim Essen." – „Oh... äh... kennst du bestimmt nicht." – „Vielleicht ja doch." – „Meintest du nicht, du hast ewig kein Buch mehr gelesen?" – „Ich habe aber nicht gesagt, dass ich noch nie eins gelesen habe", antwortet er mir nur und sieht mich abwartend an. „Uhm... Das Bildnis des Dorian Grey." – „Gibt es nicht dazu einen Film?" – „Ich mag Bücher lieber", antworte ich nur und sehe wieder auf die Wolle in meinen Händen.
„Niall hat vorhin etwas komisches gesagt." Sofort sehe ich mit großen Augen zu Louis. Irritiert schaut er mich daraufhin an. Mein Herz setzt einen schlag aus und mir wird augenblicklich kälter. Er hat es gesagt? Wieso jetzt? „Alles okay?", fragt Louis verwundert. „Uhm... keine Ahnung", antworte ich ehrlich. „Er meinte, du hättest gezögert und dich dann woanders hingesetzt." – „Was?" – „Vorhin beim Abendessen." Für einen kurzen Moment verstehe ich es nicht. Dann kommt endlich in meinem Kopf an, dass Niall nicht das erzählt hat, was ich dachte. „Oh... uhm... ich wollte euch nicht stören und in Ruhe lesen", rede ich mich heraus. Nein, falsch. Ich will nur nicht, dass Niall dir die Wahrheit erzählt.
„Du störst keinen von uns." Ich spanne mich an. Louis mustert mich. Ich mag es nicht, wenn er mich so ansieht. Er lernt mich immer besser kennen und irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem ich nicht mehr verstecken kann, was ich denke. Nicht, dass ich das generell gut könnte. „Was ist los, Harry?" Ich sehe zu ihm. Ich brauche eine Ausrede. Schnell. Ich muss irgendetwas sagen. Irgendetwas, das... „Meine Familie kommt nicht her." Perplex sieht er mich an. „Was?" – „Meine Mutter meinte, sie schaffen es zeitlich nicht. Sie haben alle zu viel zu tun", erwidere ich. Es ist keine Lüge, aber ich habe es bis gerade verdrängt. Es auszusprechen ist schlimmer, als ich dachte. Ich zucke mit den Schultern. „Es ist schon okay. Sie schauen es sich vielleicht in der Übertragung an." – „Vielleicht?!" – „Uhm... meine Mutter auf jeden Fall. Meine Schwester weiß nicht, ob sie es schafft." – „Was für eine Scheiße!", regt Louis sich plötzlich auf und ich zucke zusammen.
„Fuck, das hier ist doch nicht irgendein Wettkampf! Die Zimmer sind alle gebucht und die Flüge auch! Von allen Athleten!" – „Ich weiß", murmle ich leise. „Ich werde da sein." – „Was?" – „Bei allen deinen Wettkämpfen!", beschließt er. „Ich werde definitiv da sein!" Ich schüttle sofort den Kopf. „Nein." – „Nein? Wir haben doch schon einmal darüber gesprochen. Es lenkt mich nicht ab und ist auch meine Zeitverschwendung", stellt er klar. Mein Herz schlägt immer schneller, aber mein Kopf bekommt Panik. „Nein, bitte komm nicht. Dorthin."
Irritiert sieht er mich an. „Wieso das nicht? Es wäre doch schöner, wenn dich jemand anfeuert, oder nicht?" Oh Gott. Ich schüttle den Kopf. „Ich bin lieber allein. Ich möchte nicht... uhm..." Louis seufzt. „Niall hatte recht, oder? Du hast dich extra nicht zu uns gesetzt." Mir wird noch kälter und ich versuche das ziehende, beißende Gefühl in meinem Brustkorb zu verdrängen. Ich weiß nicht, was ich antworten soll, also sage ich gar nichts. „Ich verstehe das nicht, Harry. Wir verstehen und doch gut." – „Uhm... du... uhm...", stottere ich. Wie soll ich es ihm erklären? Ich will ihn nicht verletzen. Ich hasse das Gefühl, abgewiesen zu werden. Ich möchte diesem Gefühl niemand anderem geben, schon gar nicht Louis.
„Ich glaube, ich passe bei euch nicht rein. Ihr kennt euch schon so lange und ich... ich gehöre nicht dazu." – „Das Argument lasse ich nicht gelten." – „Was?" „Das zählt nicht", beschließt er einfach. Ich schüttle den Kopf. „Ich komme besser allein klar. Das ist alles. Tut mir leid, dass ich erst dachte, es könnte anders sein." Ich stehe auf und nehme meine Wolle. Louis sieht mich skeptisch an. Ich denke, er glaubt mir nicht. Er merkt, dass da irgendetwas nicht stimmt. „Ich werde zu deinen Wettkämpfen kommen. Es ist scheiße, dort allein zu sein." – „Spencer ist doch auch da." – „Spencer." Louis verdreht die Augen.
-- -- -- -- --
Soviel also dazu. Was haltet ihr davon? Was meint ihr, wird passieren? Wird Harry es ihm sagen oder macht das tatsächlich Niall?
Love, L
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top