33. Kapitel

Louis:

Ich seufze. Ich könnte lügen, aber ich bezweifle, dass er es mir abkaufen würde. „Es ist nicht schlimm, dass du das denkst. Das tun alle." – „Es ist aber nicht gerade nett. Und Cayla denkt das nicht", antworte ich ihm. „Mag sein. Ich komme schon damit klar." Harry lächelt kurz. „Du musst übrigens nicht mit mir hier sitzen. Ich bin gerne allein." – „Soll ich gehen?", frage ich spaßend, merke aber sofort, dass ich mit dieser Art Humor bei Harry aufpassen muss. Er zuckt mit einer Schulter und sieht mich unsicher an. Ach verdammt. „Das war nicht ernst gemeint", schiebe ich schnell hinterher. „Okay." – „Möchtest du lieber allein sein?", frage ich diesmal ehrlich, ohne Sarkasmus in der Stimme.

„Ich weiß es nicht. Uhm... ich möchte nicht der Grund sein, wieso du zu wenig schläfst." Bei jedem anderen hätte dieser Satz vermutlich zweideutig geklungen, bei ihm nicht. „Du sollst nicht denken, dass du hier bleiben musst, um freundlich zu mir zu sein." – „Ich denke nicht –" – „Nicht?", unterbricht er mich skeptisch. „Erst sagst du mir, wir sind keine Freunde, dann stehst du plötzlich vor meiner Zimmertür und behauptest das Gegenteil. Und jetzt sitzt du hier? Was soll das?" – „Es..." Jetzt fehlen mir die Worte. Es ist, als wären unsere Rollen auf einmal vertauscht worden. „Es ist offensichtlich, dass ich nicht viele Freunde habe, Louis. Genaugenommen habe ich gar keine Freunde, aber das bedeutet nicht, dass ich mich verarschen lasse. Ich mag Cayla und ich mag auch dich irgendwie, aber ich möchte nicht, dass du mich weiterhin ab und zu als ein Freund bezeichnest und mir dann sagst, ich soll mich fernhalten." Er atmet tief durch. Das auszusprechen, scheint ihn viel Kraft gekostet zu haben.

„Tut mir leid", bringe ich heraus. „Du hast recht, das war nicht okay von mir." – „Schon okay. Ich möchte keine Probleme machen." – „Was, Probleme?" Er nickt. „Jeder hier möchte sich auf die eigene Disziplin konzentrieren, wenn ich das bei dir und Cayla verhindere – " – „Tust du nicht", unterbreche ich ihn sofort. „Werde ich aber." – „Was?" – „Werde ich garantiert irgendwann", antwortet er mir. „Sobald ich das Gefühl bekomme, Freunde zu finden, fange ich sehr schnell an, zu viel zu tun. Zu oft da zu sein, zu viel zu sprechen, zu viel von mir zu erzählen", erklärt er. „Ich möchte nicht, dass das wieder passiert, aber manchmal merke ich das einfach nicht. Ich werde euch früher oder später nerven, deswegen weiß ich, dass du recht hattest. Und du hast damit recht, dass wir uns wahrscheinlich hiernach nicht wiedersehen werden." – „Aber gerade das ist doch gut, oder?", frage ich spontan. Harry sieht irritiert zu mir. Dann ändert sich sein Gesichtsausdruck und ich verstehe, das ich ihm gerade gesagt habe. Er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, aber darin ist er offenbar nicht besonders gut. „So meinte ich das nicht", sage ich schnell. „Schon gut, Louis. Du musst nicht –" – „Nein, so meinte ich das nicht!", wiederhole ich. Harry sieht mich mit großen Augen an. Man könnte meinen, er ist erstaunt darüber, dass ich ihn nicht loswerden will. Ich kann nicht sagen, ob ich damit gerechnet habe, dass Harry keine Freunde hat. Ich bin davon ausgegangen, dass er nicht so viele Freunde hat, aber dass er davon ausgeht, dass man freiwillig keine Zeit mit ihm verbringt – nein, das dachte ich definitiv nicht.

„Und wie meinst du es dann, dass es gut ist, dass wir uns ins ein paar Wochen nicht mehr wiedersehen werden?", will er von mir wissen. „Es ist ungezwungener." Fragend sieht er mich an. „Wir sind jetzt Freunde, fangen wir damit einfach mal an." – „Aber auf Zeit?" – „Genau. Und wenn du etwas Seltsames sagst, ist es egal." – „Weil wir eh nicht befreundet bleiben", schlussfolgert er. „Du willst, dass ich hier übe, wie ich Freunde finde?" – „Du sagst das, als wäre das eine schlechte Idee." Er steht auf und schnappt sich die Decke. „Wieso gehst du jetzt?" – „Ich will nicht üben, wie man Freunde findet, Louis. Ich hätte gerne ein oder zwei Freunde, die meine Freunde sind, weil ich bin wie ich bin. Ich bin nicht blöd, okay? Ich werde mich nicht verstellen, um zuhause Freunde zu finden, ich bin kein Teenager mehr. Ich habe vor Jahren schon begriffen, dass das auch nichts bringt."

Perplex möchte ich antworten, aber ich weiß nicht was. So war das nicht gemeint, aber es klingt richtig, was er sagt. Fuck. „Ich wollte nicht..." – „Hast du aber." Er atmet tief ein und wieder aus. „Tu einfach nicht noch einmal so, als würdest du mit mir befreundet sein wollen, okay? Das ist viel schlimmer, als es einfach nicht zu sein." – „Also soll ich ehrlich sein?" – „Das macht es für mich besser, ja." – „Ich weiß nicht, ob ich mit dir befreundet sein will." – „Weil ich so seltsam bin?" – „Ja!", feuere ich ihm entgegen und könnte mich selbst ohrfeigen. Wie blöd bin ich eigentlich? „Wir sind so... unterschiedlich." – „Weil ich keinen Alkohol trinke? Weil ich keine Freunde habe? Weil ich... uhm...", er fängt an zu stottern. Ich bin mir nur zu 70% sicher, dass ich weiß, was er sagen wollte. Er setzt sich wieder, lässt die Decke aber auf seinem Schoß zusammengeknüddelt liegen. „Sagst du es Cayla bitte nicht?" – „Was soll ich ihr nicht sagen?" Fragend sehe ich ihn an, aber ich erkenne nicht, was er meinen könnte.

„Das, was ich dir vorhin erzählt habe." – „Was?" Harry zögert und spielt wieder mit der Decke. „Tu nicht so, als wäre es dir nicht aufgefallen." – „Was denn? Ich kann dir nichts versprechen, wenn ich nicht weiß, worum es geht." Harry presst sie Lippen zusammen, eher er antwortet: „Die Geschichte, weswegen ich nicht gerne Bier trinke." – „Weil du einen Korb bekommen hast?" – „Weil es ein Kerl war." Oh, alles klar. Ich nicke verstehend. „Das werde ich nicht erzählen, wenn du das nicht möchtest." – „Aber Cayla ist deine beste Freundin." – „Und? Ich muss ihr nicht alles erzählen, vor allem nicht, wenn es nicht um mich geht. Es ist deine Sache, vor wem du dich outest." – „Du sagst das, als wäre da nichts dabei." – „Für mich ist es das auch nicht." Mir kommt der Gedanke, dass er es mir gesagt hat, weil er weiß, dass ich ebenfalls auf Männer stehe. Ich weiß, dass es immer leichter ist, sich vor jemandem zu outen, der nicht hetero oder cis ist.

„Ich werde nichts sagen. Das ist deine Entscheidung." Harry nickt. „Ich... uhm... ich habe das noch nie jemandem gesagt." – „Noch nie?" Perplex sehe ich ihn an. „Was? Niemand?" Er schüttelt den Kopf. „Seit wann weißt du es, dass du... labelst du dich?" – „Ich glaube, ich stehe nur auf Männer...vielleicht. Keine Ahnung." Ich bin nicht sicher, ob er sich unwohl dabei fühl, darüber zu sprechen, oder ob er nur deswegen so unsicher scheint, weil er noch nie darüber gesprochen hat. „Seit wann weißt du es?" – „Uhm... keine Ahnung, wie findet man das denn normalerweise raus?" Ich schmunzle. „Ich hatte einen Crush auf einen Jungen aus meiner Schule und hab in der Umkleidekabine einen Ständer bekommen." Er sieht mich geschockt an. „Das klingt furchtbar!" – „Du bist nicht der Einzige, der sich schon einmal blamiert hat", lache ich. Damals habe ich mich in Grund und Boden geschämt.

„Ich... uhm... es war schon immer so, schätze ich", sagt er schließlich. „Aber dann auf einer Party vor ein paar Jahren war da ein Kerl und..." – „Das war der Kerl, vor dem du dich blamiert hast?" Er nickt. „Willkommen im Club", grinse ich. Harry lächelt verhalten. „Du wirst schon irgendwann jemanden finden, der zu dir passt." Harry antwortet nicht. „Vielleicht solltest du nur deine Erwartungen etwas herunterschrauben." – „Meine Erwartungen?" – „Du liest diese Bücher, da müssen deine Erwartungen hoch sein." – „Du kennst solche Bücher?", fragt er verwundert. „Nein, aber eine meiner Schwestern und sie meckert darüber, dass Kerle nie so sind, wie in diesen Büchern. Nicht so romantisch, nicht so aufmerksam, nicht so intelligent und einfühlsam. Sowas alles." Er sieht auf sein Buch. „Vielleicht stimmt das, aber eigentlich möchte ich meine Erwartungen nicht verringern. Ich bin bisher auch allein klargekommen und dann bin ich lieber allein, als mich mit jemandem zufrieden zu geben, der mir nicht gut tut." Krass. Damit hatte ich nicht gerechnet.

„Wie ist es, verliebt zu sein?" – „Das brauchst du mich nicht zu fragen", antworte ich ihm kopfschüttelnd. Einen kurzen Moment habe ich mich über die Frage gewundert, dann habe ich daran gedacht, dass er vermutlich noch die so ein Gespräch geführt hat und schlichtweg niemanden kennt, der er so etwas fragen könnte. „Ich war noch nie so richtig verliebt", gebe ich dann zu. „Und ich bin nicht scharf darauf, es zu sein. Liam, ein Freund von mir, ist es ständig und es ist super nervig." – „Ich stelle es mir schön vor." – „Aber nur, wenn es erwidert wird." Er seufzt und nickt. „Ja, anders ist es nicht schön." Ich frage nicht, aber ich bin sicher, dass er genau weiß, wie es sich anfühlt.

„Das wird schon noch. Und sonst kannst du dich auch einfach so ausprobieren. Dafür braucht es nicht die große Liebe." Harry nickt nur, nimmt sich sein Buch und verschwindet von der Terrasse. Die Lampe hat er mitgenommen und die Dunkelheit hüllt mich wieder ein.

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Harry opens up. Und Louis hört sogar zu. Was haltet ihr von dieser Begegnung? Und was meint ihr, wann wird Louis verstehen, dass Harry und er sich schon vor Olympia begegnet sind?

Love, L

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