10. Kapitel

Harry:

Begeistert schaue ich mich um. Die Altstadt ist wunderbar. Heute ist der letzte Tag auf Ibiza. Die Burg sitzt auf der Spitze des Hügels, zu dessen Fuß der Hafen liegt. Yachten überall. Und Fischerboote. Und natürlich die Fähren, die rüber nach Formentera fahren. Wir werden als erstes in die Altstadt gehen. Die Innenstadt ist belebt. Neben bekannten Modemarken reihen sich kleine Läden von Einheimischen aneinander. Alles ist unterschiedlich und doch ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild, dass pure Lebensfreude ausstrahlt. Immer wieder mache ich einige Fotos. Ich werde sie nirgendwo posten, aber vielleicht ausdrucken. Ich habe kein Social Media, wieso auch? Bevor wir tatsächlich und ein Altstadt hochgehen, stöbern wir durch einige der kleinen Läden. Mum holt sich eine neue Kette. Sie ist handgemacht. Ich hingehen entdecke in einem der Läden einen grünen Papagei. Ich weiß nicht, was er sagt, aber er sagt irgendetwas. Grinsend sehe ich im Geschäft zwischen den Tischen und Regalen und sehe hoch zu dem großen Ast in der Ecke.

„Tiere in Läden gäbe es bei uns nicht", meint Mum und sieht abwertend zum Laden, als wir wieder rausgegangen sind. „Ich fand es ziemlich cool", gebe ich zu. In dem Geschäft gab es allerlei Krimskrams. Von Schmuck über Geschirr über Kleidung und Möbel. Alles war dabei. Alles Einzelstücke. Wir laufen weiter über eine breite Straße. Es ist eine Fußgängerzone mit vielen Cafés und zwei Baumreihen in der Mitte. Von dort gehen wir weiter in Richtung Altstadt. Wir kommen an einem kleinen, offenen Gebäude an. Es ist der überdachte Marktplatz. Drum herum sind Restaurants und ein Café von dem Gemma bereits gesprochen hat. „Holen wir uns hier Croissants?", möchte sie wissen. Sie hat es mir online gezeigt, hier gibt es dutzende verschiedene Croissants zu kaufen. „Nachher", antwortet Mum nur und wendet sich der großen Rampe zu, die zum Tor der Altstadt führt.

Ich könnte den ganzen Tag hier verbringen. Die alten Gassen und Straßen passen perfekt zur Atmosphäre. Hier gibt es nur kleine Läden und Lokale, kaum neue Gebäude. „Können wir noch in das Museum?", frage ich, als ich sehe, dass es sich fast direkt hinterm Stadttor befindet. „Jetzt noch? Harry, du weißt, wir wollen noch in den Hafen und etwas essen. Das schaffen wir zeitlich nicht mehr", antwortet Mum. Sie sieht dabei nicht einmal auf die Uhr. Ich seufze und nicke. Natürlich könnte ich widersprechen, aber Mum läuft bereits entschlossen in die andere Richtung. Es würde nichts bringen, eine Diskussion anzufangen. Dad sieht mich entschuldigend an, ehe er Mum hinterher läuft.

„Hier gibt es doch genug zu sehen", meint Gemma schulterzuckend. „Mhm, ja", murmle ich. Wir treten an die Stadtmauer heran. Von her kann man über den ganzen Hafen blicken, es ist ein Fantastischer Ausblick. Wieder mache ich ein paar Fotos. „Harry, bist du fertig? Wir möchten weiter zur Kathedrale." – „Ja, ich komme sofort", antworte ich sofort und stecke mein Handy wieder weg. Wir müssen durch einen alten Tunnel der zwischen den Häusern durch nach oben führt. „Das Geländer könnten sie ja auch mal ausbessern. Und die Lampen sind viel zu dunkel", merkt Mum an, geht aber weiter. „Ich finde, es hat Charme", antwortet Gemma. „Ich finde es halsbrecherisch", widerspricht Mum. Ich schweige.

„Spielst du heute Nachmittag wieder Beachvolleyball?", frage ich Gemma irgendwann. Sie zuckt mit den Schultern. „Weiß ich noch nicht, wieso?" – „Heute ist unser letzter Tag." – „Ich weiß. Na und?" – „Ich dachte, du hättest Freunde gefunden. Du spielst doch immer mit ihnen", antworte ich zögerlich, Verwundert sieht sie mich an. „Wir verstehen uns gut, wieso?" – „Uhm... ich dachte, vielleicht könnte ich mal dabei sein. Also mitspielen... vielleicht", stottere ich unbeholfen. Immer wieder in den letzten Tagen hat Gemma mit dem blöden Mädchen und ihrem Bruder gespielt. „Du wirst doch eh wieder springen üben oder im Gym sein", antwortet sie irritiert. „Ja, aber vielleicht heute ja nicht", versuche ich es weiter. „Das wird Mum eh nicht zulassen, das weißt du ganz genau", blockt sie ab. Ich beiße mir auf die Unterlippe und sehe kurz weg.

„Was ist, wenn Mum heute nichts sagt?" Skeptisch sieht sie mich daraufhin an. Ich weiß genauso gut wie sie, dass die Chancen dafür sehr gering sind. Aber unmöglich ist es doch nicht, oder? Immerhin ist heute unser letzter Tag auf der Insel, was spricht dann dagegen, dass ich mitspiele? Außerdem ist Beachvolleyball Sport. Ich würde mich bewegen und nicht faul auf der Liege mein Buch lesen. „Wenn wir noch einen Spieler brauchen, kannst du mitmachen. Ich weiß aber nicht, ob Lottie und so heute überhaupt noch am Strand sein werden. Ich glaube, sie wollten sich die Insel anschauen", erzählt sie. Die Blonde, die mich im Wasser angesprochen hat, ist bestimmt Lottie. Meine Hoffnung schwindet, aber ganz weg ist sie noch nicht. „Oh, ach so." Ich zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen. „Das werden wir ja sehen, wenn wir dort sind."

Wir bleiben immer länger. Tatsächlich essen wir in dem Croissant-Café eine Kleinigkeit, bevor wir zum Hafen gehen. Es wird immer später und später. Zwischendurch kann ich nicht anders, als auf die Uhr zu schauen. Ob sie noch am Strand sind, wenn wir dort ankommen werden?

Nachdem wir durch den Hafen geschlendert sind, landen wir auf der Terrasse einer Bar. Gemma und ich trinken alkoholfreie Cocktails, Mum und Dad trinken Wein. Es ist wirklich schön hier, man könnte sich hier bestimmt gut die Zeit vertreiben, aber ich habe nur im Kopf, dass der Nachmittag langsam, aber sicher zum Abend wird. „Mum, gehen wir noch zum Strand?" – „Wie kommst du darauf?", fragt sie verwundert und sieht auf die Uhr. Wir brauchen etwa 40 Minuten zurück zum Hotel. „Uhm... es war nur so eine Frage." – „Möchtest du nochmal springen heute, Harry?", fragt sie überrascht und lächelt dann. „Wir schauen einfach, wann wir zurück im Bungalow sind, okay?" Ich nicke stumm.

Gemma sieht mich wissend an. Sie sagt es nicht laut, aber ich weiß genau, was sie denkt. Ihr war klar, dass es nicht klappen wird. Sie war sich sicher, dass selbst wenn wir noch zum Strand gehen, ich nicht Volleyball spielen werde. Ich trinke mein Glas aus und lehne mich nach hinten. Möwen kreischen und der Himmel wird immer dunkler. Hier sieht man den Sonnenuntergang nicht, wir sind auf der falschen Seite der Insel. Dort, wo unser Hotel ist – im Westen – geht die Sonne flimmert und wunderschön im Meer unter.

Wir brechen auf, als die Sonne garantiert schon nicht mehr zu sehen ist, auch hinter den Hügeln in der Mitte der Insel nicht. Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster. „Wir gehen uns nur kurz umziehen. Harry, hörst du? Heute gehen wir nicht mehr zum Strand. Wir gehen danach direkt ins Restaurant." – „Mhm." – „Harry", ermahnt sie mich. Sie mag es nicht, wenn ich nicht vernünftig antworte. „Ja, okay." Sie scheint zufrieden zu sein.

Meine Gedanken kreisen auch am nächsten Morgen noch. Wir fliegen Vormittags und müssen entsprechend früh aufstehen. Ich stehe früher auf als der Rest, ich kann nicht mehr schlafen. Mum ist gerade im Bad. Ich bin schon fertig und mein Koffer ist geschlossen. „Ich bin in fünf Minuten wieder da!", sage ich laut und schnappe mir eine Schlüsselkarte. Mum steht unter der Dusche, sie bekommt es sowieso nicht mit. Ich jogge durch die Hotelanlage. Bis auf einige wenige Hotelgäste und ein paar Mitarbeitern sehe ich niemanden. Es ist noch ziemlich leer. Ich überquere die Promenade und schlüpfe aus meinen Schuhen. Dann stehe ich barfuß da. Meine Zehen graben sind in den Sand und ich rieche das Meer. Der Strand ist so gut wie leer, kein Wunder, die meisten schlafen wahrscheinlich noch.

Es ist wunderbar hier. Ich gehe weiter und das kühle Mittelmehr umspült meine Füße. Bis auf das Rauschen der Wellen höre ich gar nichts. Eine Minute stehe ich da. Vielleicht auch zwei. Am liebsten würde ich den ganzen Tag hierbleiben, aber ich weiß, dass ich gleich zurück joggen muss. Wir wollen zeitig zum Frühstück, bevor wir abgeholt werden. Ich sehe aufs Meer hinaus, blicke über den Strand und bleibe am Volleyballnetz hängen. Das wird schon nicht unser letzter Urlaub gewesen sein. Ich straffe die Schultern und drehe mich um. Ich muss zurück.

Als ich meine Schuhe an der Promenade wieder anziehe, entdecke ich einige Meter weiter eine Gruppe, die mit Fahrrädern dort stehen. Eine Frau trägt ein Shirt mit dem Logo des benachbarten Hotels. Der Rest sind bestimmt Gäste. Ich möchte einfach zurück in unser Hotel gehen, als mein Blick an dem Jungen hängenbleibt. Es ist der Junge mit den braunen Haaren, der mit Gemma Volleyball gespielt hat. Es ist Lotties Bruder. Ich sehe ihn an, er bemerkt mich nicht. Ich kann ihn nicht ansprechen, das kommt nicht in Frage. Außerdem reisen wir gleich ab, ich werde ihn so oder so nie wieder sehen.

Ich schließe meine Schuhe und ignoriere den Sand zwischen meinen Zehen. Ich hoffe, ich bekomme davon keine Blasen an den Füßen. Auf einmal sieht er zu mir. Er sieht mich nicht an, er sieht nur zu mir. Ich kann mich kaum bewegen, ich müsste längst wieder im Bungalow sein, aber es geht nicht. Ich bin sicher, er beachtet mich nicht, aber der Blick reicht, damit ich seine Augen sehen kann. Sie sind blau, denke ich. Sie sehen wie das Meer hinter mir aus. Dann steigt er aufs Fahrrad und die Gruppe fährt los. Sie fahren direkt an mir vorbei und ich kann einen weiteren Blick auf ihn werfen.

Und dadurch sehe ich das Shirt, was er trägt. Es ist von einem Irischen Verein – nicht, dass ich den Verein kennen würde, aber ich kenne die Flagge Irlands und das Kleeblatt ist auch nicht zu übersehen. Irland. Natürlich, wie blöd bin ich eigentlich? Lottie meinte doch, sie ist Irin.

„Scheiße!", entfährt mir, sobald er aus meinem Blickfeld ist. Ich muss zurück. Ich muss ganz schnell zurück. Ich springe auf und renne durch die Hotelanlage. Dabei stolpere ich fast über einen Gartenschlauch der Gärtner. Ich hetze zurück zu unserm Bungalow und gerade, als ich dort ankomme, öffnet Gemma die Tür. „Wo warst du?", fragt sie sofort. „Äh... kurzdraußen. Frische Luft schnappen." Sie mustert mich kritisch. „Ah, ja." Bevor ich etwas antworten kann, steht Mum vor mir. „Ah, Harry, da bist du ja endlich. Wir gehen Frühstücken, hast du alles eingepackt?" Ich laufe in den Bungalow und schnappe mir meinen Rucksack. „Jetzt ja."

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Harry konnte Louis nochmal sehen. Und Louis hat ihn wieder nicht bemerkt. Was denkt ihr, wie es weitergeht? 

Love, L

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