⬩🍃 Zwei 🍃⬩

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In meinem Kopf herrschte Chaos. Meine Gedanken rasten und ich konnte sie nicht zur Ruhe zwingen. Sie lebte. Doch wäre sie fast meinetwegen gestorben. Hätte ich mich nicht nach Sonnenuntergang draußen rumgetrieben, wäre das alles nie passiert. Ich konnte nicht mal dem Verbot meiner Eltern die Schuld dafür geben. Sie hatten mich ja gewarnt, was passieren würde. Sie hatten mir mehrmals eingebläut, dass mich die bösen Menschen früher oder später finden würden. Ich war einfach nur dumm und egoistisch gewesen. Nie hatte ich daran gedacht, dass ich mit meinem Verhalten auch das Leben meiner Eltern herausforderte.

Vater hatte meine Wunden verbunden, nachdem ich mir unter Dusche das ganze Blut abgewaschen hatte, und mich dann ins Bett geschickt. Er war sauer. Zwar hatte er nichts diesbezüglich gesagt, doch ich spürte es. Wie ein schwerer Vorhang hing diese Wut über uns und drohte mich zu ersticken. Mehr als bereitwillig war ich in mein Zimmer geflüchtet. Aber ich konnte einfach nicht einschlafen, selbst als das Adrenalin sich aus meinem Körper verflüchtigt hatte. Wenigstens Brownie schaffte es, mich etwas abzulenken. Ihr Schnurren beruhigte meine zittrigen Hände und meine unruhigen Gedanken.

Fast hätte ich wieder einen Elternteil verloren. Der Beinahetod meiner Adoptivmutter ließ mich unwillkürlich an den Verlust meiner leiblichen Eltern denken, als ich fünf Jahre alt gewesen war. Meine Erinnerungen an sie waren spärlich.

Ein strahlendes Gesicht.
Eine sanfte Umarmung.
Eine Weide.
Feuer.

Mehr war da nicht und mehr würde nie zurückkommen. Einerseits war ich traurig darüber, nicht mehr Momente mit ihnen gesammelt zu haben. Doch war ich auch froh, mich nicht an ihren Tod erinnern zu können.

Brownies feuchte Nase stupste gegen meine Wange und brachte mich somit wieder zurück in die Gegenwart, ehe ich mich in der Vergangenheit verloren hätte.

„Danke", murmelte ich. Es war an der Zeit, es nochmal mit schlafen zu probieren, auch wenn die Sonne vermutlich bald wieder erwachen würde. Ich schaltete das Licht aus und deckte mich und Brownie zu. Ich war verdammt froh über Brownies zutrauliche Seite, die es sogar erlaubte, dass sie die ganze Nacht an mich gekuschelt seelenruhig schlafen konnte. Das Schnurren und das weiche Fell beruhigten meine Nerven und langsam spürte ich, wie meine Augenlider schwerer wurden.

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„Komm mit uns."

Es war nur ein Flüstern und trotzdem wurde ich aus meinen Schlaf gerissen. Erschrocken fuhr ich hoch und weckte damit auch Brownie. Durch das Fenster sah ich die dunkle Farbe des Himmels, als wäre dieser in schwarze Tinte getränkt worden. Die Tatsache, dass meine Haare noch immer feucht von der Dusche waren, bedeutete wohl, dass ich nicht lange geschlafen hatte.

„Komm."

Brownie kroch aus der warmen Höhle hervor, ihr Fell sträubte sich gen Zimmerdecke. Ihr Fauchen konkurrierte mit der flüsternden Stimme. Nun war ich es, die Brownie mit Streicheleinheiten beruhigen wollte. Doch solange sich selbst bei mir die Haare auf meinen Armen aufstellten, konnte das Unterfangen nur scheitern. Vorsichtig stand ich auf, der Boden war kalt unter meinen nackten Fußsohlen. Schmerz zog durch meinen Oberarm, als ich mich darauf abstützte, und ich sog scharf die Luft ein. 

„Komm mit uns."

Ich erkannte die Stimme. Es war dieselbe, die ich auch im Wald gehört hatte. Dasselbe Flüstern, das mich gebeten hatte, zu warten. Trügerischer Honig in meinen Ohren. Hätte ich gewartet, hätte mich der fremde Mann eher gefunden und mich gleich an Ort und Stelle getötet. Oder mich entführt und mein Blut für sich missbraucht. Menschen waren egoistisch und grausam, wer weiß, was er mit mir vorgehabt hatte.

Die Stimme wollte mich ablenken.

Ich war versucht, nach Vater zu schreien. Vielleicht waren weitere Männer gekommen. Vielleicht hatten sie sich Hilfe geholt. Hilfe, an die gewöhnliche Menschen nur in ihren Albträumen dachten. Doch als Halbnymphe wusste ich, dass das Übernatürliche existierte. Und es raubte mir meinen Schlaf, meinen Frieden, meine Sicherheit.

Ein Kratzen an der Fensterscheibe ließ mich zusammenzucken. Doch in der Finsternis erkannte ich nichts. Was, wenn es nichts zu erkennen gab? Mein ängstliches Gehirn schickte mir einen Gedanken. Geister. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich wagte es nicht, mich zu bewegen. Brownies Fauchen wechselte zu einem tiefen Knurren, das in meinen Knochen vibrierte. Die Kräfte einer Nymphe beschränkten sich grob gesagt auf heilendes Blut und das Gedeihenlassen von Pflanzen. Nichts, was einem Geist standhalten könnte. Das Kratzen hörte schlagartig auf, nur damit die Wesen lauter in meinem Kopf schreien konnten.

„Komm mit uns!"

„Nein", hauchte ich, erstaunt darüber, dass meine Stimme Klang gefunden hatte. Ich blickte mich im Zimmer um. War irgendetwas brauchbar im Kampf gegen einen Geist? Konnte ich irgendetwas davon nutzen, sollten plötzlich wieder die Männer aufkreuzen? Doch ein Hausschuh oder eine Lampe würde meinen Gegnern mit Schusswaffen nur ein Lachen entlocken. Ich war geliefert.

Ich wollte nach meinem Vater rufen, aber eine eisige Kälte legte sich über den Raum und ließ mich verstummen. Die Stimmen wurden lauter, hallten in meinem Kopf nach.

„Nein. Nein. Nein!"

Die Kälte schlang sich wie Fesseln um meinen Körper, selbst Brownies Knurren ebbte ab. Ich öffnete den Mund, um zu schreien. Meine Widerworte hatten die Geister wütend gemacht, dem war ich mir sicher. Mein Entschuldigungsversuch blieb mir im Hals stecken.

Nein. Nein! Komm mit uns!", riefen sie mit einer gemeinsamen Stimme. Hohl und falsch, kälter als die Fesseln, die Süße des Honigs verschwunden. Meine Haut fühlte sich an, als würde sie vereisen. Alles in mir schrie, doch ich konnte mich nicht wehren, mein Körper war taub. Mein Blick wurde schwarz. Und endlich war ich mit Ruhe gesegnet.

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„Darla! Wach auf!" Jemand schüttelte mich wach. Die Berührung. Ein Gefühl von furchteinflößender Vertrautheit durchströmte mich und ich riss die Augen auf.
Es war bloß Dad, der mich mit besorgter Miene musterte. Doch was hatte dieses Gefühl zu bedeuten?

„Warum liegst du auf den Boden? Ist alles okay?" Von der gestrigen Wut war nichts mehr zu spüren. Ich war heilfroh darüber. Nach letzter Nacht brauchte ich jemanden, der mich in den Arm nahm, der mich verstand und mich beschützte. Ich brauchte meinen Vater. Ich blinzelte meine aufkommenden Tränen weg und nickte.

„Ja, ich schätze, ich hatte bloß einen sehr lebhaften Traum", antwortete ich ihm, meine Stimme wieder fest und melodisch. Dennoch war ein Rest Kälte in meinen Knochen zurückgeblieben. Verstohlen blickte ich zum Fenster.

Nichts. Nur ein wolkenverhangener Himmel und zahlreiche Apfelbäume. Ich stand unter Dads blauen Argusaugen auf.

„Bist du dir sicher?"

„Ja. Wie geht es Mum?", fragte ich stattdessen, um das Thema zu wechseln. Dad fuhr sich durch seine zotteligen schwarzen Haare. Das machte er immer, wenn er über etwas nicht sprechen wollte.

„Ihr geht es gut, dank dir. Aber wegen gestern-"

„Es tut mir leid!", unterbrach ich ihn. „Ich weiß, ich hab einen Fehler gemacht. Es wird nicht noch einmal vorkommen!"

„Darla, beruhig dich. Niemand gibt dir die Schuld für das, was gestern passiert ist. Wir wussten, dass uns jemand früher oder später finden würde. Ich hätte nur gehofft, dass wir noch mehr Zeit hätten. Dass es noch nicht notwendig wäre."

„Was meinst du?"

Vater blieb stumm. Sein Blick richtete sich auf etwas hinter mich. Brownie kroch unter der Decke hervor und fing zu schnurren an, als sie mich erblickte.

„Wir reden später darüber, okay?"

Ich wollte nicht zustimmen. Nicht wie immer. Ich wollte wissen, was Dad damit gemeint hatte. Dennoch nickte ich, wenn sich auch mein Brustkorb zusammenzog.

„Wo ist Mum?"

„Sie ist bei den Apfelbäumen. Vielleicht kannst du ihr ja helfen?" Dad blickte mich fragend an. Er erwartete ein Ja, während ich Antworten ersehnte. Ich wusste bereits, wer den Kürzeren ziehen würde.

Wieder nickte ich.

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