⬩🍃 Drei 🍃⬩
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Er hatte sich nicht nach meinen Verletzungen erkundigt. Vielleicht setzte er darauf, dass mein Blut auch meine Wunden heilen würde. Kratzer bewohnten meine Haut nie lange. Blaue Flecken lösten sich bereits nach ein paar Stunden in Luft auf. Mein Vater mochte Recht damit behalten, dass meine Schusswunde morgen vielleicht nur mehr eine Narbe war. Und in ein paar Tagen würde sie wieder makellos strahlen. Selbst die Schnittwunde in meiner Handinnenfläche war heute nur noch ein schwacher roter Streifen. Doch hätte die Kugel mein Herz getroffen, wäre ich tot gewesen. Hatte ich von ihm mehr Sorge um seine Adoptivtochter als um seine Frau erhofft?
Bäume spendeten mir Kraft, für eine Waldnymphe nichts Ungewöhnliches. Ich genoss großteils die Momente, die ich hier verbringen konnte. Momente, die nur mir und der Natur gehörten. In denen die Verbindung zu den Bäumen durch meinen Körper rauschte, als würde sanfte Elektrizität durch mich hindurchströmen, als würden kleine Ameisen in mir erwachen und meine Lebensgeister wecken. Und ich fühlte mich stolz, wenn ich ein Teil dieser Kraft an die Apfelbäume abgeben konnte. Wenn ich sah, wie sie prächtig wuchsen, wie saftig das Grün ihrer Blätter im Herbstlicht strahlte und wie die glänzenden Äpfel süßlich dufteten. Ich wagte zu behaupten, dass hier die besten Äpfel im Land wuchsen, doch ich verlangte nicht nach Anerkennung. Nicht nach allem, was mir meine Adoptiveltern geschenkt hatten. Ein zweites Leben.
Ich entdeckte Mum in der vorletzten Baumreihe am Boden kniend. Neben ihr stand ein großer, grüner Eimer, welcher sich kaum von der Wiese abhob. Meine Schritte beschleunigten sich, ehe sie abrupt zum Stillstand kamen.
„Willow."
Kalter Wind wirbelte meine Haare auf. Es war bloß ein Hauch, der an meine Ohren drang. So leise, wie es gestern begonnen hatte. Ein Name, den ich nicht kannte, mich aber trotz dickem Mantel zu zittern brachte. Warum war ich stehen geblieben? Ich hätte nicht darauf reagieren sollen, nicht zeigen sollen, dass sie mir Angst machten. Ich zwang mich, weiter zu gehen. Die Stimme zu ignorieren, die ein Echo in meinen Kopf erzeugt hatte.
Willowwillowwillow
„Mum, wie geht es dir?" Ich ließ mich neben sie fallen und ebenso die Gedanken an die Geister in meinem Kopf. Mum legte den makellosen Apfel behutsam in den Eimer, ehe sie sich zu mir zuwandte und mich in eine Umarmung zog.
„Oh, mein Schatz. Es geht mir gut", murmelte sie in meine Haare. Ich hatte nicht vorgehabt, in Tränen auszubrechen, doch ihre Stimme zu hören, ihre Umarmung zu fühlen, löste einen festsitzenden Schmerz in meiner Brust. Mum zog mich fester an sich und strich mir sanft über den Rücken.
„Es geht mir gut. Du bist bei uns in Sicherheit. Du musst mir nur versprechen, nie mehr ohne Erlaubnis rauszugehen. Versprichst du mir das?"
Ich nickte, ohne zu zögern. Mum hielt mich so lange fest, bis ich wieder ruhig atmete. Ohne Worte zu verschwenden, machten wir uns an die Arbeit, die Äpfel in den Eimer zu klauben. Die Tätigkeit hatte etwas Meditatives und bald würden wir einen zweiten Behälter brauchen. Dad presste die Äpfel dann und verkaufte den Saft an verschiedenste Supermärkte. Mum backte mit besonders süßen Äpfel Kuchen, stellte Apfelringe, kandierte Äpfel und sonstige Leckereien her und verkaufte diese dann jeden Donnerstag am Wochenmarkt. Das Geschäft lief hervorragend. Nach mehreren Jahren Geldsorge war es ihnen auch vergönnt. Ich war nicht so anmaßend, zu behaupten, dass das nur an mir läge. Das Wetter konnte auch ich nicht beeinflussen und Hagel hatte auch vor zwei Jahren fast die gesamte Ernte zerstört. Ich konnte nicht mehr viel retten. Vater hatte ebenfalls viel dazu beigetragen, dass das Geschäft florierte. Er verbrachte viele Abende bei Geschäftsessen und Verhandlungen, um die Supermärkte von seinem Produkt zu überzeugen. Und irgendwann hatte es geklappt. Irgendwann hatte sich rumgesprochen, dass unsere Äpfel köstlicher als alle anderen waren.
Natürlich hatte es seinen Preis. Die Schusswunde in meinem linken Arm war der beste Beweis dafür.
Irgendwann brach ich das Schweigen.
„Ist es zu gefährlich, so weiterzumachen?"
In meinem Augenwinkel bemerkte ich einen Schatten und es erforderte all meine Kräfte, mich nicht umzudrehen. Ich spürte eine Präsenz, ich wollte sie nicht auch noch sehen. Der Wind frischte auf und lenkte dunkle Wolken über uns. Mum griff nach einem Apfel. Ihre Hand zitterte leicht.
„Was meinst du?", stellte sie dieselbe Gegenfrage, die auch ich Vater gestellt hatte.
„Ziehen wir zu viel Aufmerksamkeit auf uns? Vielleicht haben sie uns wegen der Äpfel gefunden? Vielleicht haben sie an ihnen etwas gesehen?"
Ich musste Mum nicht erklären, was ich damit meinte. Sie sah es ebenfalls. Sie erkannte das Besondere an den Äpfeln, so wie sie an mir das Besondere erkannt hatte. Es war wie ein schwach leuchtendes Flimmern. Das behauptete sie zumindest, ich selbst sah die Magie nicht, ich fühlte sie bloß.
„Wir können damit nicht aufhören. Wir haben vor zwei Jahren zu viel Einnahmen eingebüßt. Wir müssen weitermachen." Mum stockte. „Natürlich nur, wenn du bereit dazu bist."
Ich bemerkte, wie ihre Stimme leiser wurde. Bemerkte, dass sie mit ihren Fingernägel spielte. Bemerkte, dass sie mich nicht anblicken konnte. Ich drängte sie nicht, weiterzureden. Mum nahm einen Apfel in die Hand und reichte ihn mir. Sofort erkannte ich eine kleine faulige Stelle neben dem Stängel. Das Kribbeln in meinem Körper setzte augenblicklich ein und erfüllte mich mit Kraft. Mit geschlossenen Augen fuhr ich mit dem Daumen über die braune Fläche. Als ich sie wieder öffnete, war der Apfel makellos blutrot.
Mum seufzte.
„Du gibst so viel für uns. Wie können wir von dir so etwas verlangen?"
„Ich tue das freiwillig", setzte ich dagegen. „Ihr habt mich nie um etwas gebeten."
„Aber ich sehe doch, wie es dir zusetzt. Wie du dich jeden Abend mit Kopfschmerzen in dein Zimmer verkriechst. Du gibst zu viel zurück." Mum schüttelte den Kopf. „Wir werden einen anderen Weg finden."
„Vielleicht könntest du mir einfach mal sagen, was ihr vorhabt?", versuchte ich es. Erneut kratzte Mum an ihren Fingernägeln.
„Es gäbe eine Möglichkeit, die Angreifer von ihrer Spur abzulenken. Ein Schutzkreis. Ich hab davon gelesen, es ist mit deiner Magie machbar. Doch die Barriere müsste lang genug aufrecht erhalten werden, bis die Männer verschwunden sind und das kann dauern. Ich will dir das nicht zumuten."
Seit ich mich erinnern konnte, war dieses Haus für mich zugleich Gefängnis als auch ein Gefühl von Sicherheit. Ohne Erlaubnis durfte ich das Grundstück nicht verlassen, mir war es verboten, ohne Begleitung in den Wald zu gehen, obwohl ich mich gerade mit diesem so verbunden fühlte. Zu meinem eigenen Schutz und zum Schutz meiner Familie. Gerade anfangs war ich sehr einsam gewesen, sodass mir meine Eltern zum Trost eine braun getigerte Katze geschenkt hatten. Ich war glücklich über meine beste Freundin auf vier Pfoten, doch die Einsamkeit blieb bestehen.
Aber jede Faser in meinem fast erwachsenen Körper sträubte sich gegen die jugendliche Rebellion. Ich hatte meinen Adoptiveltern alles zu verdanken. Ohne sie wäre ich neben meinen leiblichen Eltern verbrannt. Ein Hotel war damals, vor zwölf Jahren abgebrannt und das Schicksal hatte uns alle zusammengeführt. Meine Adoptiveltern hatten im Nebenzimmer übernachtet, als sie den Rauch gerochen und mich schreien gehört hatten. Ab da ging es schnell, aber nicht schnell genug für meine leiblichen Eltern.
Das Feuer suchte mich noch heute in meinen Albträumen heim, nur wich diese Hitze gerade der Kälte der Geister.
Ich würde alles für meine Eltern tun, die mich all die Jahre aufgezogen hatten. Das Mindeste war, sie vor den Folgen meiner eigenen Fehler zu schützen.
Sie hatten mich nie danach gefragt, meine Kräfte für sie einzusetzen. Im Gegenteil. Sie hatten mich unterstützt, zu akzeptieren, wer und was ich war. Sie hatten mich gelehrt, was es bedeutete, eine Nymphe zu sein. Sie wollten, dass ich mich schone, eins mit der Natur wurde, aber sie hatten mich nie um Hilfe gebeten. Zu groß war die Sorge, dass ich mich verausgabte. Ein Schutzkreis klang nach viel Energieaufwand, aber auch nach der Lösung unseres Problems.
„Sag mir was ich tun muss."
Mum lächelte mich zaghaft an. Wind verfing sich in ihren langen braunen Haaren. Kalte Luft blies in meinen Mantel und ich bekam eine Gänsehaut. Ich fühlte mich beobachtet. Mir entging nicht, wie Mum kurz hinter mich blickte und ihr Lächeln für einen Bruchteil der Sekunde gefror, ehe es wieder die sanfte Wärme aufnahm, die ich von ihr kannte und liebte.
„Willow."
Sie waren immer noch hier. Und ich wusste, dass auch Mum sie sehen konnte.
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