Kapitel 4
I know you know. I've been wondering where you go. When you never ring or come home. Ring or come home.
Viola Beach
"Wenn du mich fragst würde ich nicht so arg auf der Geschichte mit deiner Krankheit rumreiten, da dich das automatisch zu einem Außenseiter macht. Und das macht dich angreifbar, sodass dich eventuell niemand verteidigt. Ich möchte damit nicht sagen, dass du schwach bist, ich weiß, dass das nicht stimmt, aber du solltest dich ein wenig zurücknehmen. Dich anpassen. Auch wenn das nicht eine deiner Stärken ist, so wie ich dich kenne." Sie lacht, blickt mich aber trotzdem ernst an. In ihren Augen spiegelt sich mein blasses Gesicht wieder und ich bemerke, dass sie richtig mit ihren Worten liegt. Alles, was mich zur Außenseiterin macht, macht mich angreifbar. Und darauf warten gewisse Menschen, wie ich im letzten Jahr gelernt habe. Sie blickt auf ihre rote Armbanduhr und schüttelt verächtlich den Kopf. "Die Zeit, die Zeit... Nun dann. Nimm dir die Worte mal zu Herzen, denke ein wenig darüber nach und versuch dich wie vorher zu benehmen. Normal. Unauffällig. Ein ganz normales Mädchen. Ich muss jetzt leider los, eine Stunde bei einem älteren Mann, der gelähmt im Krankenhaus sitzt und droht, depressiv zu werden." Sie schiebt ihren Stuhl zurück, erhebt sich und greift nach ihrem Terminplaner, der auf dem kleinen Nebentisch seinen platz gefunden hat. Während ich zur Tür schlendere macht sie sich an ihrem Rolladen zu schaffen und schiebt ihn ächzend hinunter. Ich schlüpfe aus dem Raum hinaus auf den Flur und habe die Uhrzeit genau im Auge. Meine Mutter ist arbeiten, Dad bei einer Geburtstagsparty von seinem Chef, Mona bei ihrem Freund, angeblich Biologie büffeln, Jonas mit seinen Freunden irgendwo unterwegs und die beiden kleinen in der Kindertagesstätte, die nachmittags zum Glück wieder öffnet und meinen Eltern damit eine große Last abnehmen. Natürlich bin ich froh in meiner Familie zu leben, ich liebe alle Mitglieder von Herzen und doch bin ich dankbar für jedes Stückchen Ruhe. Ruhe - ein Fremdwort für meine anderen Geschwister. Von morgens bis Abends muss herumgetollt und diskutiert werden. Ich seufze und beginne mich auf den weg zu Samaria's vorgeschlagenem Treffpunkt zu machen. Natürlich habe ich Lust, sie näher kennen zu lernen, außerdem könnte ich jetzt einen Kaffee vertragen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich spät dran bin, also hetze ich los in Richtung Innenstadt, wo sich der Treffpunkt befindet. Fünf Minuten zu spät stürme ich durch die Tür in das gemütliche Kaffee. Samira ist schon da, sie hat sich in einer kleinen Nische am Fenster niedergelassen und war so freundlich noch nichts zu bestellen. Nachdem ich meine Jacke an den Jackenständer gehängt habe lasse ich mich auf die Bank gleiten, die neben ihrem Rollstuhl steht. "Die Bedingung vorher hat mir den Tropical-Eisbecher empfohlen, aber ich mag keine Kiwi. Und auch keine Ananas, was zum Großteil Bestand davon ist." Sie seufzt mit gekünsteltem Mitleid in Richtung Bedingung. "Irgendeinen Wunsch? Ich lade dich ein. Mein Vater hat mir gerade frisches Geld überwiesen."Sie zieht eine Kreditkarte aus ihrem Geldbeutel. Mit hochgezogenen Brauen studiert sie die Karte und legt sie schließlich mir vor die Nase. "Das kann ich nicht annehmen.", Streite ich ab und lege die Karte zurück. "Und selbst habe ich nur ein wenig Geld dabei. Es reicht gerade für einen Kaffee." Mein Versuch scheitert. Sie schüttelt den Kopf und kneift ihre rotgeschminkten Lippen fest zusammen. "Nope." Sie schiebt mir die Karte wieder hin. Ich seufze, lächele und suche mir einen Schoko-Becher mit bunten Streuseln aus. Die Bedingung kommt und Samara gibt die Bestellung auf. Ihre Wahl ist auf einen großen Becher mit Spaghettieis gefallen. Schweigend sitzen wir da, bis die Bedingung mit den gewünschten Sachen daher geschlürft kommt. Gelangweilt bekomme ich meinen Kaffee mit dem Schoko-Becher gereicht. "Danke Samira!", sage ich deutlich und sie grinst. "Kein Problem. Wo waren wir vorher stehen geblieben?"
Den ganzen Mittag quatschen wir, wie zwei alte Freundinnen, bis die Ladenbesitzerin uns ankündigt, dass wir jetzt gehen sollten, da sie bald schließen. Wir verstehen uns so gut, dass ich große Lust hätte, sie einfach mit zu mir zu schleppen. Geht nicht. Meine Familie ist darauf nicht vorbereitet. Also tauschen wir unsere Handnummern und sie verspricht, mir zu schreiben, damit wir ein weiteres Treffen arrangieren können. Als ich unsere Haustüre einige Minuten später mit meinem Schlüssel aufschließe höre ich Mum und Mona sich schon anbrüllen. "Er tut dir nicht gut. Du wirst dich nicht mehr mit ihm treffen. So ein Idiot hast du noch nie angeschleppt." "Er ist kein Idiot. Du bist ein Idiot, dass du wahre Liebe keine Chance geben willst. Ich dachte immer, dass du cool wärst, aber jetzt erst sehe ich ein, dass du Leuten, die ihre Liebe finden, sie nicht gönnen willst. Sag es Dad doch einfach, wenn du ihn nicht mehr liebst." Damit stampft jemand, den ich als Mona identifiziere durch den Gang, schmeißt die Türe hinter sich zu und lässt Mum in der Küche zurück. Leise klopfe ich an Jonas Zimmertür, der einzige, der sich in diesem Haus Mühe gibt, dass ich ihn mag. Leise öffne ich die Tür, finde das Zimmer aber verlassen vor. Sein Laptop steht aufgeklappt auf seinem Bett und ich entdecke, dass er eine eigene YouTube-Seite erstellt hat. Eigenartig, denke ich und setze mich vor das Laptop. Mit der Maus klicke ich auf hochgeladene Videos und plötzlich kommen eine Menge veröffentlichter Videos hervor. Schritte eilen den Flur entlang, ich tippe schnell den Kanalname in meinem Handy ein und lasse mich dann lautlos unter sein Bett gleiten, damit mich niemand bemerkt. Ich halte den Atem an, als die Tür auf geht und ich das Schuhpaar meines Bruders sehe, dass in eine Ecke geschleudert wird. Stille herrscht für einen Moment. "Sam?!" Mein Bruder geht in die Hocke und blickt unter sein Bett, genau in meine Augen. "Ja?!", sage ich und lächle gezwungen. "Ich wollte hier mal ein bisschen sauber machen." "sauber machen sieht mir aber anders aus.", meint der und hilft mir, hervor zu kommen. "Bitte sag es Mum nicht, ja? Und jetzt muss ich lernen, okay?" Leicht drängend schiebt er mich raus. Mir ist schlecht. Ich schleiche in mein Zimmer und ziehe mein Handy hervor. Zitternd gebe ich seinen Namen ein und warte. Als ich den Kanal sehe werfe ich mein Kissen mit aller Wucht an die Wand. Seufzend klicke ich auf das aktuellste Video und höre mir zitternd an, wie mein Bruder mit der Welt spricht.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top