10.
„Brooke!" Entsetzt machte Fallon einige Schritte nach hinten. Brooke lief knallrot an und versuchte vergeblich, dem verwirrten Blick ihrer Nachbarin auszuweichen. Sie hatte Fallon geküsst. Nichts würde diese Handlung jetzt noch rückgängig machen können. Was geschehen war, war geschehen. „Ich...es tut mir leid. Ich weiß...auch nicht...was...", stotterte Brooke. Fallon atmete hörbar aus. „Schon...schon okay. Am besten vergessen wir das Ganze hiereinfach, okay?" Sie nickte erleichtert. Fallon schien ihren Ausrutscher wohl doch nicht ganz so schlimm gefunden zu haben. Etwas verloren standen die beiden Frauen auf dem in Dunkelheit gehüllten Bürgersteig, während der kalte Septemberwind nach und nach an Fahrtaufnahm. Angespannt biss Brooke sich auf die Unterlippe. Das hier war keine angenehme Stille mehr, keine Geräuschlosigkeit, in der jeder seinen eigenen Gedanken nachging. Nein. Die Luft schien förmlich von Spannung erfüllt. „Ich...ich denke, wir sollten zurück in meine Wohnung gehen." Fallons Stimme durchbrach die Lautlosigkeit und nahm der Situation das Unbehagen. Ohne auf eine Antwort zu warten, setzte Brookes Nachbarin sich in Bewegung und die junge Frau musste ihr wohl oder übel folgen.
„Wo kommt ihr denn her?", begrüßte Beverley Brooke und Fallon, kaum dass sie die Wohnung betreten hatten. „Wir haben uns nur ein wenig die Füße vertreten.", berichtete Fallon. „Ach so. Okay." Brookes Schwester lächelte. „Ich leg mich dann wieder hin. Die Reise hierher hat mich wirklich sehr müde gemacht. Gute Nacht." Beverley verschwand und Fallon wandte sich an Brooke: „Ich gehe auch schlafen. Du kommst doch alleine zurecht, oder?" „Klar." Brooke nickte und wenige Minuten später befand sie sich ganz alleine im Flur. Seufzend ging die junge Frau ins Wohnzimmer und ließ sich auf das gelbe Sofa fallen. Verdammt. Brooke vergrub das Gesicht in den Händen. Warum hatte sie Fallon bloß geküsst! Diese hatte ihr ja ganz klar vermittelt, dass sie nichts von Brooke wollte. Und jetzt? Konnten sie ihre Freundschaft einfach so fortsetzen, als wäre nichts geschehen? Fallon konnte es anscheinend. Brooke sah auf. Doch war sie selbst auch dazu in der Lage? Sie wollte ihre Nachbarin unterkeinen Umständen verlieren, auch wenn sie dafür ihre Gefühle für Fallon verdrängen musste. Brooke biss sich auf die Unterlippe. Warum warf ihr das Leben nur so viele, unendlich schwere Steine in den Weg. Felsbrocken die sie sie niemals alleine beiseite räumen konnte. Verdammt! Die junge Frau erhob sich vom quietschgelben Sofa und lief unruhig in dem großen Zimmer umher. In dieser Nacht würde sie mit Sicherheit kein Auge zubekommen. Wie auch? Nachdem was vor nicht einmal zwanzig Minuten geschehen war. Eine Träne löste sich aus Brookes Augenwinkel. Wütend wischte sie jenes Zeichen der Trauerfort. Mit Weinen kam sie jetzt wirklich nicht weiter. „Na? Bemitleidest du dich selber?" Erschrocken fuhr Brooke herum. Hinter ihr stand erneut ihr letztes Mordopfer, die Frau mit den grünen Augen. Brookes Magen zog sich zusammen. Nein. Bitte nicht. „Du verdienst kein Mitleid, weißt du." Die Frau spielte mit einer ihrer blonden Locken. „Du bist hier nicht das Opfer." Brooke versuchte, die sich allmählich heran schleichende Angst aus ihrem Körper zu vertreiben. Die Frau vor ihr war tot. Tot. Sie konnte also gar nicht hier sein. „Du bist die Täterin, hörst du. Eine Mörderin, ein Monster." Brooke ging zur Couch zurück und ließ sich in die Polster sinken. Siemusste einfach abwarten, irgendwann würde die Blonde verschwinden, das war sie beim letzten Mal ja auch. „Monster!" Der plötzliche Schrei ließ Brooke zusammenzucken. „Sie werden kommen." ,flüsterte die Frau. „Sie werden kommen und dich holen, sich rächen für das, was du getan hast. Du wirst leiden, fürchterlich leiden." Brooke presste ihre Hände auf die Ohren. Warum konnte die Frau nicht endlich verschwinden! „Verrecken wirst du! Jämmerlich krepieren! Und niemand wird um dich weinen, keiner wird trauern!" „Nur in meinem Kopf.", flüsterte Brooke. „Das ist alles nur in meinem Kopf." „Jeder wird nur mit Hass im Herzen an dich denken." Die Blonde kam zeitlupenartig näher, Brooke hob den Blick und sah ihr direkt in die grünen Augen. Einen Wimpernschlag später war sie verschwunden. Spurlos. Nein. So konnte das nicht weitergehen. Brooke holte zitternd Luft. Sie musste sich jemandem anvertrauen. Unbedingt. Koste es, was es wolle.
16 September 2012
Unruhig wälzte Brooke sich von der einen auf die andere Seite. In der Ferneschlug laut die Kirchturmuhr. 1 Uhr. Sie verdrehte die Augen. Nachdem Verschwinden der Blonden hatte Brooke sich schlafen gelegt. Das war kurz vor 23 Uhr gewesen. Nein. Die junge Frau setzte sich auf. Sie konnte nicht schlafen, nicht mit diesem Gedankenkarussell im Kopf. Unvermittelt erklangen Schritte im Flur und Brooke kniff rasch die Augen zu. Wer war das? Beverley? Oder Fallon? Das Licht im Wohnzimmer wurde angeschaltet und automatisch öffnete Brooke die Lider. „Brooke! Oh mein Gott, das tut mir so leid!" Fallon stand im Türrahmen, in einen blassrosanen Seidenmantel gehüllt und hielt sich erschrocken eine Hand vor den Mund. „Ich...ich hatte ganz vergessen, dass du hier schläfst. Sorry, ich wollte dich wirklich nicht wecken." „Schon...schon okay." Brooke strich sich eine Strähne aus der Stirn. „Nein." Fallon schüttelte den Kopf. „Ich hätte daran denken müssen. Ich...ich hole mir nur kurz ein Glas Orangensaft, okay?" Brooke nickte. Warum fragte Fallon sie überhaupt? Es war ja ihre Wohnung. Aber...bewahrte man Getränke sonst nicht in der Küche auf? „Möchtest du auch ein Glas?", erkundigte ihre Nachbarin sich, während sie die Orangensaftflasche aus einem kleinen Wandschrank holte. „Eigentlich bewahre ich meine Getränke ja in der Küche auf, aber als ich diesen Wandschrank vor einem Jahr geschenkt bekommen habe, wusste ich einfach nicht, was ich darin aufbewahren soll und so hat er jetzt wenigstens eine Aufgabe. Er ist sozusagen ein Schrank nur für Orangensaft.", lachte Fallon und sofort strömte eine angenehme Wärme durch Brookes Inneres. „Weißt du was, ich habe jetzt keine Lust Gläser zu holen, wir trinken einfach aus der Flasche." Brookes Nachbarin reichte ihr eine Flasche. „So, ich gehe dann mal wieder und lass dich weiterschlafen. Gute Nacht." Fallon lief, mit ihrer Orangensaftflasche bewaffnet zur Tür zurück. „Fallon." Dieses Wort war einfach so aus Brooke herausgerutscht und die junge Frau wusste selbst nicht genau warum.
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