[31] • Keine Antwort
»Auf uns!«, rief Cleo euphorisch und reckte ihr Glas in die Höhe. Der Rest der Truppe tat es ihr gleich. Wir ließen die Gläser klirren, verschütteten dabei ein bisschen Sekt und nahmen alle einen großen Schluck von der goldenen Flüssigkeit. Die feine Säure prickelte auf meiner Zunge und ich nippte noch ein weiteres Mal, bevor ich mein Getränk zurück auf dem Sofatisch abstellte.
»Ich kann's immer noch nicht ganz glauben, dass wir wirklich gewonnen haben«, verkündete Mel daraufhin. Ihr Blick glitt verträumt über den Rand ihrer braunen Brille und in ihren Augen lag ein Glitzern, als wäre ihr der Alkohol direkt zu Kopf gestiegen. Sie wirkte heute anders, weniger energiegeladen, sondern losgelöst und entspannt, was angesichts unserer Auszeichnung auch nicht sonderlich verwunderlich war. Aber vor allem erlebte ich sie heute in einem Umfeld, in dem sie nicht bereits vier Tassen Kaffee intus hatte.
Heute Abend ging es nicht darum, die nächsten Ausgaben zu planen und Brainstorming zu betreiben. Stattdessen wollten wir mal allesamt richtig faul sein und uns feiern, denn das hatten wir uns mehr als verdient. Und so wie der Abend bisher geplant war, gab es meinerseits auch keinen Grund, Einspruch zu erheben. Einige Filme stapelten sich vor dem Fernseher, die darauf warteten, abgespielt zu werden, und in der Küche backte die Pizza mit Extrakäse vor sich hin. Es sollte ein gemütlicher Abend werden und insgeheim freute ich mich schon darauf, mich in eine Decke einzumummeln. Wobei auch ein Funken Vorfreude mit dabei war, wenn ich daran dachte, wer mich später in der Nacht noch erwarten würde.
Dabei verdrängte ich die Gedanken, die ich mir die letzten Tage über gemacht hatte, weil ich immer noch nicht zu meiner altgewohnten Kontrolle zurückgefunden hatte, die ich besonders seit dem letzten Wochenende sichtlich vermisste. Ich mochte diese Unsicherheiten nicht, die mich seitdem bedrängten, besonders nachdem auch Cleo mich so in die Mangel genommen hatte. Seitdem plagte mich der Zwiespalt. Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Glück mit Jasper, das ich so lange auskosten wollte, wie ich nur konnte, und dem Bedürfnis, einen Schlussstrich zu ziehen, da der Abschied eh nicht mehr lange auf sich warten ließ. Durfte ich so egoistisch sein und so lange an Jasper festhalten? Dachte er nach all der Zeit vielleicht jetzt anders über uns? Und was würde das für mich bedeuten, würde er es aussprechen? Die Antworten dazu konnte ich mir nicht selbst geben und um ehrlich zu sein, wollte ich sie gerade generell nicht herausfinden. Ich schob es auf, mir darüber Klarheit zu verschaffen. Vielleicht wartete ich nur darauf, dass mir die Entscheidung abgenommen wurde. Das zeugte nicht gerade von meiner Willensstärke, andererseits war mir viel zu sehr bewusst, wie fremdbestimmt sich mein Leben manchmal verhielt.
»Ohne den Glow Up hätten wir das sicher nicht geschafft!« Cleos Stimme erreichte mich und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Unterhaltung, die Mel angestoßen hatte. Sie strahlte erst Lars, der ihr daraufhin liebevoll seinen Arm um die Schultern legte, und dann mich an. »Ohne euch wäre das Dagobert niemals so weit gekommen.«
»Ach, hör doch auf.« Ich winkte ab, als könnte ich damit das Kompliment abwehren, bevor es in mir zünden und mich in Verlegenheit bringen konnte, was natürlich nicht klappte.
»Also von mir aus kannst du mit den Lobeshymnen gerne noch ein bisschen weiter machen.« Dafür, dass Lars bei unserer ersten richtigen Unterhaltung noch sehr zurückhaltend war, was seine künstlerischen Fähigkeiten betraf, zeigte er seit seiner Mitarbeit bei der Zeitung doch einiges mehr an Selbstbewusstsein. Eventuell auch manchmal einen Ticken zu viel.
»Bloß nicht, Cleo. Sonst schwebt sein aufgeblasenes Ego gleich wieder irgendwo da oben.«
Ich hatte nach all den Monaten immer noch nicht vergessen, wie abgehoben Lars sich seinerzeit während des Basketballmatches verhalten hatte. Zwar hatte ich ihm die ganze Sache längst verziehen, aber dafür hatte ich Gefallen daran gefunden, ihn zwischendurch daran zu erinnern und ihn damit aufzuziehen. Allerdings war er irgendwann dazu übergegangen, mir Konter zu liefern, weshalb unsere Gespräche nun meistens in einer kleinen Kabbelei endeten.
»Keine Sorge, wenn ich dich sehe, hält es mich immer am Boden.«
Ich wusste genau, wie er das meinte, und musste lachen. Tatsächlich hatte es mich damals überrascht, dass es mich so gar nicht gejuckt hatte, als er das erste Mal zurückgeschlagen und mich scherzhaft als talentlos dargestellt hatte. Es war, als hätte mir die Arbeit beim Dagobert ebenso Zuversicht eingeflößt und mir gezeigt, wie gut ich eigentlich mit Worten umgehen konnte. Lars und ich hatten auf komische Art und Weise etwas gemeinsam. Wir hatten unsere Stärken erkannt und uns war bewusst geworden, dass uns das keiner mehr so schnell nehmen konnte.
»Also ihr beide seid wirklich komisch drauf«, schaltete sich Cleo dazwischen, bevor ich mich bei ihm revanchieren konnte. Dennoch knisterte die Herausforderung zwischen uns, die Cleo schlussendlich zunichtemachte, indem sie ihren Kopf inmitten unseres Blickduells schob.
»So, ich glaube die Pizza ist fertig. Leonie-« Cleo griff über den Tisch hinweg nach meiner Hand. »-du kommst mit mir.«
»Hoppla!« Energisch zog Cleo mich vom Sofa, sodass ich fast über Markus' Füße stolperte, die sich neben mir in die Länge streckten. Ich ließ mich von ihr aus dem Wohnzimmer führen, jedoch nicht ohne Lars noch mit einem Handzeichen verstehen zu geben, dass diese Schlacht noch keinen Sieger gekürt hatte. Mit Eintritt in die Küche vernebelte mir dann der Pizzageruch die Sinne und Lars war vergessen.
»Magst du mir mal die großen Teller aus dem Schrank geben? Ich glaube, die stehen da ganz oben rechts.« Cleo deutete mit ihrer Nasenspitze in besagte Richtung und drehte sich dann dem Backofen zu.
»Wie gut du dich hier schon auskennst«, kommentierte ich in einem Ton, der sonst meist von ihr zu hören war. Wir waren bei Lars zu Hause. Es war komisch, das Haus in einem Nicht-Party-Zustand zu erleben, da es jetzt, wo es nicht aus allen Nähten platzte, so groß und geräumig wirkte. Und so leer.
»Zumindest in der Küche. Lars' Eltern sind ja kaum zu Hause, da machen wir uns immer gemeinsam etwas zu essen, wenn ich hier bin.«
»Zwischen euch läuft es gut?« Cleo und Lars bezeichneten sich jetzt schon eine recht lange Zeit als Paar und doch sprachen wir so wenig darüber. Falls wir Beziehungsthemen anschnitten, was ich generell zu vermeiden versuchte, hingen wir uns zu sehr an der Sache zwischen mir und Jasper auf, dass ich schon ein schlechtes Gewissen verspürte. Cleo war ich allerdings sehr dankbar dafür, dass sie dieses Thema seit unserer kleinen Auseinandersetzung in der Mensa ruhen gelassen hatte.
Eine Dunstwolke stieg auf, als Cleo den Backofen öffnete und mit Handschuhen bewaffnet das Blech heraushob, um es auf der Kücheninsel abzustellen. Der angebräunte Käse blubberte verführerisch. »Ja«, sagte sie und lächelte noch ein wenig mehr. »Ja, sehr gut.«
»Jetzt ehrlich, ich hatte zu Anfang wirklich meine Zweifel an ihm.«
»Er hatte sich damals ja auch echt nicht von seiner besten Seite gezeigt«, gab sie zu und begann die Pizza in Vierecke zu teilen, derweil ich die großen Teller bereithielt. »Aber jetzt bin ich mir sicher, dass er die zweite Chance verdient hatte. Klar, weiß man das nicht im Voraus, aber ich hätte ihn dann ja immer noch in den Wind schießen können, wenn es sich als falsche Entscheidung herausgestellt hätte.«
»Ich hatte ihm damals Prügel angedroht für den Fall, dass er es sich mit dir noch einmal verscherzt.«
»Das war sicher der richtige Ansporn.« Cleo lachte. Dann wurde sie wieder ernster. »Hätte er sich noch einmal so scheiße verhalten, es hätte sicher noch mehr wehgetan als beim ersten Mal.«
»Oh, ihm auch«, warf ich ein und diesmal mussten wir beide laut lachen. Das Lächeln, das sich daraufhin auf Cleos Lippen abzeichnete, war ansteckend schön. Dass sie so glücklich wirkte, machte mir das Herz federleicht wie bleischwer zugleich. Es war ein seltsames Gefühl.
»Aber jetzt ist es so viel schöner, als ich es überhaupt für möglich gehalten habe.« Ihre Stimme war leise geworden. Die Worte standen so klein im Raum, dass ich vermutete, sie könnte das, was in ihr vorging, selbst noch gar nicht richtig begreifen. Diese Welle an Gefühlen, die man sich anfangs irgendwie kleiner vorgestellt hatte. »Puh, das klingt ausgesprochen doch ganz schön kitschig.«
»Du magst ihn wirklich, wirklich sehr, oder?«
Sie presste die Lippen aufeinander und nickte. Das reichte mir als Antwort. Die dazugehörigen Worte waren nicht für meine Ohren, sie waren für Lars bestimmt. Ich lächelte sie an, hätte sie vielleicht sogar vor Freude in den Arm genommen, hätte ich nicht beide Hände voll gehabt. Zudem unterbrachen die Rufe der anderen aus dem Wohnzimmer unsere Zweisamkeit. Der Appetit hatte sie ungeduldig werden lassen.
Als wir mit beladenen Tellern wieder zurückkehrten, hockte Lars bereits mit der Fernbedienung vor dem Fernseher und drückte auf Play.
»Wofür habt ihr euch entschieden?«, fragte ich in die Runde, während ich mich auf meinen vorherigen Platz niederließ.
»Mel hat uns im Schere, Stein, Papier geschlagen, also gucken wir jetzt einen Horrorfilm.«
Lars klang wenig begeistert, was mich wiederum zum Grinsen brachte. Hatte da jemand Angst? Persönliche Bedenken brachte er natürlich nicht an. Lars war nicht der Typ dafür, Blöße zu zeigen. Lieber spielte er den Unerschrockenen. Das hielt allerdings nur bis zum ersten Jumpscare, woraufhin er in Cleos Arme abtauchte und sich die Decke bis zur Nasenspitze hielt. Zugegeben, der Film war wirklich nichts für schwache Nerven. Auch ich hatte mehr als einmal vor Schreck fast mein Pizzastück durch die Gegend geworfen. Nur Mel und Markus blieben vollkommen ruhig und machten sich stattdessen über uns Angsthasen lustig.
Nachdem der Film dann endlich sein schreckliches Ende gefunden hatte, schrieb ich Jasper eine kurze Nachricht und informierte ihn über unseren Zwischenstand. Danach ging es mit einem Thriller weiter, mit dem sich Markus durchgesetzt hatte. Speziell für Lars gab es also kein langes Aufatmen, da der Film ähnlich viele Schreckmomente zu bieten hatte wie jener zuvor. Im Laufe des Abends vergrub er sich immer tiefer in Cleos Arme. Immerhin schien er dort gut aufgehoben, während ich mich mit meinen Beinen zufriedengeben musste, die ich fest an meine Brust gezogen hatte.
»Also beim nächsten Mal gibt's 'ne Runde Disneyfilme«, entschied ich, als schließlich der Abspann über den großen Flachbildschirm flimmerte.
»Da bin ich dafür«, kam es von Lars, der sich allmählich von seiner Decke befreite.
»Ich hätte nicht gedacht, dass ihr euch auch mal einig sein könnt.« Cleos amüsierter Blick sprang zwischen Lars und mir hin und her. Wir hingegen schauten uns an und zogen direkt darauf eine Grimasse. Und so schnell hatten wir die gemeinsame Wellenlänge auch schon wieder verlassen.
Daraufhin kümmerte sich Lars um Getränkenachschub, derweil Markus das nächste Gespräch anstieß. Ich konnte nicht genau sagen, über was sich die anderen gerade unterhielten, da ich schon wieder mein Handy gezückt hatte und nachdenklich meinen Chat mit Jasper betrachtete. Auf meine Nachricht, die ich ihm vor knapp zwei Stunden geschickt hatte, hatte er noch nicht reagiert. Dennoch informierte ich ihn darüber, dass es vermutlich nicht mehr lange dauern würde, bis sich unsere Gruppe auflöste. Mel gähnte nun bereits zum sechsten Mal innerhalb der letzten zehn Minuten. Ihre Energiereserven schienen aufgebraucht und um diese Uhrzeit würde Lars ihr hoffentlich keinen Kaffee mehr anbieten. Bevor ich mein Handy wieder wegsteckte, blieb ich kurz an den Worten Ich freue mich auf dich hängen, die ich von Jasper erhalten hatte, bevor ich mich zu unserer kleinen Feier aufgemacht hatte. Bereits dieser eine Satz fühlte sich an wie ein süßes Versprechen, das er auf meinen Lippen einlösen wollte. Und ich konnte nicht anders, als dem entgegenzufiebern.
Danach versuchte ich das Gespräch der anderen zu verfolgen und hakte mich mit kurzen Bemerkungen ein, bevor mich jemand fragen konnte, was es mit dem dämlichen Grinsen auf sich hatte, das sich nicht unterdrücken ließ. Mel war schließlich diejenige, die das Ende unserer kleinen Runde einleitete, da ihre Müdigkeit nicht mehr zu ignorieren war. Ihre Lider hingen schwer hinter den dicken Gläsern ihrer Brille. Symbolisch klopfte sie zweimal auf das Sofakissen und streckte sich. »So, ich glaube langsam muss ich echt ins Bett, Leute.« Ein weiteres herzhaftes Gähnen folgte, bei dem diesmal auch Markus einstimmte. Langsam stemmten wir uns aus den Tiefen der Couch hoch, brachten das dreckige Geschirr in die Küche und ordneten die Kissen und Decken auf dem Sofa wieder ordentlich an. »Ich hoffe, so einen Abend können wir schneller wiederholen, als wir den nächsten Preis gewinnen«, sagte Mel und ging uns voraus in den Flur, um sich Jacke und Schuhe anzuziehen.
»Solange ich danach nicht mit Albträumen zu kämpfen habe, soll es mir recht sein.«
»Ich würde heute Nacht die Kellertreppe abschließen. Wer weiß, was dort unten so lauert«, merkte ich an, um Lars zu ärgern, und warf ihm einen unheilvollen Blick zu.
»Ha, wir haben gar keinen Keller«, konterte Lars triumphierend, sprang aber vor Schreck fast an die Decke, als Markus im nächsten Moment aus Versehen seinen Schuh fallen ließ. »T'schuldigung.«
»Verdammt nochmal!«, stieß Lars aus, während wir anderen herzlich lachten.
»Pass gut auf den kleinen Schisser auf«, sagte ich zu Cleo und schloss sie zum Abschied in die Arme. »Wird gemacht«, antwortete sie und grinste. Lars schüttelte nur den Kopf, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen, als Cleo sich daraufhin an seine Seite schmiegte.
Zu dritt traten Mel, Markus und ich hinaus ins Freie und ich nahm einen tiefen Atemzug frischer Nachtluft. »Kommt gut nach Hause!«, rief uns Cleo hinterher, ich winkte noch einmal und dann schloss sich die Haustür.
Gemeinsam liefen wir den schmalen Weg durch den Vorgarten bis zum spärlich beleuchteten Bürgersteig und ich zog nachdenklich mein Handy aus der Hosentasche. Langsam war es doch etwas komisch, dass Jasper auf meine Nachrichten nicht reagierte. Nach den grauen Häkchen nach zu urteilen, hatte er sie noch nicht einmal gelesen. Dabei antwortete er sonst so schnell, wenn ich ihm schrieb. Zudem hatten wir schließlich ausgemacht, dass wir uns hiernach noch treffen wollten. Ob er es vielleicht vergessen hatte? Ein unangenehmes Ziehen vermischte sich mit einem Anflug von Nervosität und machte sich in meiner Magengegend breit.
»Soll ich dich mitnehmen, Leonie?« Mel war vor mir stehengeblieben und kramte in ihrer Tasche umher, aus der sie dann ihren Autoschlüssel hervorzog.
»Nein, schon gut. Ich-« Unschlüssig huschte mein Blick noch einmal über meinen Handybildschirm. Nichts. Keine Nachricht. »Ähm, ich bin noch verabredet.«
Vielleicht würde ich ihm einfach am üblichen Treffpunkt begegnen können. Der Zebrastreifen wäre vermutlich eh wieder unser Ziel gewesen. Und wenn er dort nicht war, konnte ich auch immer noch nach Hause fahren. Mein Bedürfnis, ihn zu sehen, war größer, als dass ich die Möglichkeit auf eine gemeinsame Nacht einfach so verstreichen lassen wollte.
»Oho, noch ein Nachtprogramm.« Die Worte in genau der Tonlage hätten auch aus Cleos Mund stammen können. »Kann ich dich denn noch irgendwo absetzen?«, fragte Mel weiter.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein, alles gut. Ich nehme den Bus, aber danke dir.« Vielleicht hatte ich ja auch Glück und Jasper meldete sich auf dem Weg. Ich verabschiedete mich von Mel und Markus und stapfte in die entgegengesetzte Richtung davon.
Und wieder landete mein Blick auf dem Handybildschirm, der im Vergleich zu dem sanften Licht der Straßenlaternen viel zu grell wirkte. Doch das änderte nichts an meinem gebannten Starren, als wollte ich meinem Handy durch Hypnose einen Ton entlocken wollen. Doch nichts ploppte vor meinen Augen auf. Ob Jasper unser Treffen wirklich vergessen hatte? Ich konnte es mir eigentlich nicht vorstellen. Wer vergaß denn eine Verabredung, der man nur wenige Stunden noch entgegengesehnt hatte? War sein Handy kaputt? Oder er vielleicht eingeschlafen? Oder war etwas anderes dazwischengekommen?
Plötzlich nervte mich meine eigene Unsicherheit. Was war denn mit mir los, dass ich mir gleich solch ein riesiges Gedankengerüst zusammensteckte? Sicher gab es irgendeine simple Erklärung dafür, dass er sich nicht meldete, und dann würden wir uns einfach wann anders treffen. Da war doch nichts dabei. Es war schließlich nicht das letzte Mal, dass wir uns sehen würden. Ach, verdammt! Schnell schob ich diesen Gedanken beiseite, denn darum wollte ich jetzt erst recht nicht meine wirren Fäden spinnen.
Dennoch ich konnte nicht anders, als durchgehend auf meinem Handy herumzutippen. Ich öffnete und schloss die App, überprüfte Jaspers Status und schrieb ihm eine erneute Nachricht.
Meine Daumen schwebten immer noch über der Tastatur und mir kribbelte es in den Fingerspitzen, noch etwas zu schreiben. Etwas, das ihn erreichte. Worte, die über den Handybildschirm hinaus wirkten. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich beinahe mein Handy fallen ließ, als es hell aufleuchtete und anfing, zu vibrieren. In großen schwarzen Buchstaben las ich seinen Namen.
Jasper rief mich an.
Überrumpelt von der Situation hätte ich fast den Anruf weggedrückt, ehe mein Daumen auf der grünen Taste landete. Lächelnd hob ich das Telefon ans Ohr.
»Ich hatte schon gedacht, ich höre heute nichts mehr von dir«, eröffnete ich das Gespräch, doch auf der anderen Seite der Leitung blieb es zunächst ungewöhnlich still.
»Hallo, Leonie?« Irritiert hielt ich inne. Das war nicht seine Stimme und mit einem Mal fühlte sich das Lächeln auf meinen Lippen ganz falsch an. Sofort fiel es in sich zusammen.
In einiger Entfernung sah ich die Haltestelle, an der gerade ein Bus zum Stehen kam. Es war die Linie, die mich in Jaspers Richtung bringen sollte. Doch ich fing nicht an zu rennen, ich blieb atemlos stehen und sagte nichts. Lauschte nur, das Handy fest ans Ohr gepresst.
»Leonie, bist du dran? Hier ist Lora.«
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