[23] • Heimlichkeiten

Es war vielleicht schwer zu glauben, aber ich mochte Weihnachten. Ich mochte auch die Zeit davor und die alljährlichen Weihnachtsmärkte. Die Lichterketten, die Dekoration und der Geruch nach Bratkartoffeln, der sich mit dem der gebrannten Mandeln vermischte. Doch eins konnte ich absolut nicht ab: Die Menschenmassen, die genauso empfanden wie ich, aber ihre Begeisterung übermäßig zur Schau stellen mussten. Die stehen blieben, wenn ich vorangehen wollte, und von hinten drückten, sobald ich mir einen Stand genauer ansah. Es war schön, aber gleichzeitig ungemein stressig. Mein letzter Nerv hing an einem seidenen Faden und derjenige, der mich als Nächstes anrempeln würde, hatte die Schere in der Hand.

»Oh, sieh dir den mal an, Leonie!« Cleo hielt mir einen Ring mit einer sternförmigen Fassung, in der kleine, blaue Steine eingelassen worden waren, unter die Nase. Ich nickte zustimmend. »Ja, der ist ebenfalls hübsch.« Bereits volle fünfzehn Minuten standen wir vor dem vollbepackten Tisch und betrachteten jedes einzelne Schmuckstück, während uns die Verkäuferin argwöhnisch im Auge behielt und wahrscheinlich innerlich darauf drängte, dass wir endlich etwas kauften oder Platz für andere potenzielle Kunden machten. Doch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für ihre Mutter ließ sich Cleo nicht hetzen. Sie hatte aber auch im Übrigen keine Ahnung, wonach sie eigentlich auf der Suche war. Immer wieder schwankte sie zwischen Ketten, Ringen und Ohrsteckern hin und her, ließ sich von jeder Farbe faszinieren oder stellte zwischendurch generell in Frage, ob Schmuck überhaupt das Richtige war. So fokussiert sie auch in der Schule war, im Geschenkeaussuchen war sie eine Niete.

»Und habt ihr's?« Mel wurschtelte sich von hinten zwischen uns, Sprachlos-Markus im Schlepptau und eine dampfende Glühweintasse in beiden Händen. Ich schüttelte vielsagend mit dem Kopf, während Cleo den zigsten Ring beiseitelegte und zu einer weiteren Kette griff. »Ich glaube, du kannst dich gleich nochmal bei der Schlange vom Glühweinstand anstellen.«

»Oh, guckt mal, hier gibt's auch Schmuck passend zu jedem Sternzeichen!« Ich verdrehte die Augen. »Cleo!«, tadelte ich, konnte mir ein Grinsen aber genauso wenig verkneifen, wie Mel sich ihr Lachen. »Okay, wir machen es anders. Was trägt deine Mutter täglich für Schmuck?« Es war wohl an mir, ein bisschen Ordnung in die Sache zu bringen.

Nachdenklich legte Cleo, auch zu meiner Erleichterung, den Schmuck zurück, über den sie bis gerade eben noch anmutig ihre Finger gleiten gelassen hatte. Ein Glück war sie in ihrem ziellosen Wahnsinn noch fähig, mir zuzuhören.

»Ich glaube eher Ketten, aber Ringe eigentlich auch, nur stören die sie öfters.«

»Na, das ist doch schonmal ein Fortschritt. Lieblingsfarbe?« Nun ließ ich meinen Blick genauer über die Auswahl gleiten, die ich bisher nur überflogen hatte, da mich Cleo wieder und wieder auf etwas Neues aufmerksam gemacht hatte. Hier gab es wirklich schöne Ringe. Ob ich mir vielleicht ein eigenes kleines Geschenk machen sollte? Aber das konnte warten, zunächst konzentrierte ich mich darauf, Cleo zu helfen.

»Rot. Also eher so Herbsttöne.« Ich nickte wissend und sortierte alles aus meinem Blickfeld, das nicht dieser Eigenschaft nachkam.

»Gut, wie wär's mit diesem Ring-« Ich zog einen glasähnlichen Ring, in dessen Inneren sich winzige, rote Blüten umeinander rankten, aus dem schwarzen Polster heraus. »-und dieser einfachen Silberkette? Dann kann sie den Ring entweder am Finger oder um den Hals tragen.« Gespannt hielt ich beides vor Cleos Gesicht und hoffte darauf, dass wir dem Ziel nun endlich näher waren. »Zufrieden?«

»Das könnte was sein«, antwortet sie vorsichtig, wagte es aber nicht, ein klares Ja oder Nein abzugeben. Dennoch nahm sie mir Ring und Kette ab und betrachtete sie in ihren Handflächen weiter von allen Seiten.

»Wie viel kostet das zusammen?«, fragte sie dann zu meinem Stolz die Verkäuferin, die sichtlich nicht damit gerechnet hatte, von uns angesprochen zu werden. Eilig legte sie ihr Würstchen im Brötchen beiseite und schluckte ihren letzten Bissen hinunter. Unter Hüsteln teilte sie Cleo den Preis mit.

»Ist im Budget, oder?«, fragte ich, obwohl ich noch ganz genau wusste, wie viel Cleo investieren wollte. Mir ging es einfach nur darum, einen weiteren Pluspunkt zu betonen.

»Ja, schon.« Sie zog die zwei Wörter verdächtig in die Länge und ich vermutete schon fast, dass mein Lösungsvorschlag doch vorm finalen Entschluss scheiterte. Doch Cleo hielt an meiner Empfehlung fest. »Ich glaube, ich schicke meiner Schwester ein Bild davon. Zoe weiß immer besser Bescheid, wenn es um Geschenke geht.«

Ein Teilerfolg, ich war zufrieden. Vor allem da wir uns nun endlich den unzähligen weiteren Ständen widmen konnten. Die Verkäuferin versicherte Cleo, dass sie den Ring in derselben Größe noch einmal auf Vorrat hatte, so konnte sie beruhigt auf eine Antwort ihrer Schwester warten und musste den Schmuck nicht bis auf den Tod vor anderen Kunden verteidigen. Nur zur Sicherheit hakte ich mich bei ihr ein und zog sie, Mel und Markus hinterher, weiter über den überfüllten Marktplatz.

»Bist du eigentlich auch noch auf der Suche nach Geschenken?«, wollte Cleo von mir wissen, während ich etwas verträumt den Lichterketten folgte, die sich über unseren Köpfen bis zur Mitte des Platzes spannten und sich dort um einen riesigen Holzpfahl schwangen. »Ja, auch für meine Mutter. Für meinen Papa gibt's wieder ein Buch, auch wenn das wenig überraschend kommt. Aber damit liegt man zumindest immer richtig.«

»Das ist doch gut. Dann hast du immer einen Ansatzpunkt. Ich stelle mich beim Geschenkeaussuchen immer kläglich an.«

»Ach?« Sie boxte mir empört gegen den Arm, drückte sich daraufhin aber noch ein Stück näher an mich und erwiderte mein Lachen.

»Jedenfalls stehe ich vor jedem Weihnachten und Geburtstag vor dem Nichts und mir fallen auch genauso wenig Ideen ein. Ein Glück, dass ich meinem Papa letztens genau zugehört habe, als er gemeint hat, dass seine Gartenschere langsam auseinanderfällt und er nächstes Jahr gerne auch Erdbeeren anpflanzen würde. Da war zumindest einer auf meiner Liste schnell abgehakt.«

Als Cleo mir erzählt hatte, dass ihr Vater sich ganz allein um den Garten kümmerte, hatte mich das ziemlich überrascht. Man hätte denken können, sie hätten für die Arbeit rings ums Haus einen Landschaftsdesigner engagiert. Doch Pflanzen waren wohl Herr Moustakis Passion, um die er sich hingebungsvoll in seiner Freizeit kümmerte. Und seine Mühe sah man jedem einzelnen Grashalm an, während in meinem Zimmer schon Kakteen um ihr Überleben fürchten mussten.

»Hast du denn schon eine Idee für deine Mutter?«

Ich rieb mir angestrengt die Stirn.

»Nicht so wirklich. Bei ihr tue ich mich auch immer etwas schwer.«

Manchmal hatte ich das Gefühl, ihr ganzes Leben galt der Arbeit. Wenn ich an die Interessen meines Vaters dachte, kam mir viel in den Sinn. Natürlich liebte er ebenso seinen Job und auch das Lesen gehörte grundsätzlich irgendwie mit dazu, aber auch darüber hinaus, wäre mir noch mehr eingefallen, über das er sich gefreut hätte. Ihm hätten nicht nur Bücher gefallen, besonders wenn deren Geschichten mit alten Sagen und Mythen verwoben waren, sondern auch Puzzle, je mehr Teile, desto besser, oder andere Dinge, die ihn in Rätselstimmung brachten. Er besuchte gerne Kunstausstellungen, am liebsten, wenn sie etwas Kontroverses zu bieten hatten. Er kochte mit dem größten Vergnügen, probierte sich, wenn die Zeit es ihm erlaubte, an Gerichten aus den unterschiedlichsten Ländern, während er Rocklegenden dabei zuhörte, wie sie ihre alten Lieder zum Besten gaben. Doch meine Mutter liebte ihre Arbeit, sie verließ früh das Haus und kam oft erst spät am Abend wieder. Ich konnte sagen, dass sie gerne Dinge dekorierte und sich ab und zu ein schönes Kleidungsstück gönnte. Es war mir gar peinlich, wie wenig ich über die Vorlieben meiner Mutter wusste, dass ich nie so richtig einschätzen konnte, was ihr gefiel und was nicht. War es vielleicht meine Schuld, dass wir über so etwas nie wirklich redeten? Zeigte ich zu wenig Interesse? Sprachen wir allgemein zu wenig miteinander? Auch wenn es Probleme gab, die ich am Ende doch nicht selbst lösen konnte, war mein Vater meine Ansprechperson gewesen. Mein Vater war immer die erste Wahl. Und es tat irgendwie weh, sich das selbst einzugestehen, weil das meiner Mutter gegenüber in keiner Weise fair war.

»Ich denke, ich schaue mal nach hübscher Deko«, fasste ich für Cleo zusammen, überging diesen Gedankenklotz, der gewillt war, meine doch recht freudige Stimmung zu kippen, und ließ ihn an der nächsten Ecke liegen. Das war weder die richtige Zeit noch der passende Ort für so etwas. Allerdings blieb die Schwere der Gedanken noch ein wenig länger an meinen Schuhsohlen kleben, als mir lieb war.

»He, ihr da hinten! Wir müssen noch gemeinsam anstoßen. Lasst uns mal den nächsten Glühweinstand anpeilen!«, rief Mel über die Menschentraube hinweg, die sich zwischen unsere Vierergruppe gedrängt hatte. »Bist du etwa schon fertig mit deiner Tasse?«, fragte Cleo verdutzt, als wir uns an der älteren Generation vorbeigequetscht hatten. »Klar.« Mel drehte demonstrativ die leere Tasse auf den Kopf. Es war Zeit für Nachschub und da hingen wir uns an. Es gab schließlich auch allen Grund zu feiern. Wir hatten tatsächlich mehr Zeitungen denn je verkauft und dieses gute Gefühl stieg uns zu Kopf, sodass wir beinahe glaubten, die nächste Ausgabe würde nochmal einen draufsetzen. In klaren Momenten hatte ich vielleicht meine Zweifel, ob wir diesen Aufwärtstrend beibehalten konnten, doch dann vibrierte wieder das angeschwollene Selbstbewusstsein durchs Dagobert und ließ mich unermüdlich in die Tasten hauen. Wir waren motiviert, so sehr, dass es fast ungesunde Ausmaße annahm. Zumindest wenn ich überlegte, wie stark mein Kakaokonsum in den letzten Tagen und Wochen gestiegen war.

Markus erklärte sich bereit, unsere Bestellung am Glühweinstand aufzugeben, während wir Mädels uns in drei Meter Entfernung davor aufstellten, um dem Gedränge zu entgehen, indem unser tapferer Freiwilliger nur mit Ellenbogeneinsatz vorankam. Mel erzählte uns in der Zwischenzeit von einem Artikel, an dem sie schon seit zwei Tagen tatkräftig arbeitete, und welch wunderliche Facetten und Wendungen das Thema zu bieten hatte, als Cleos Blick an meiner rechten Wange vorbeischoss. Erst schlich sich ein Grinsen auf ihre Lippen, dann unterbrach sie ohne Vorwarnung Mels Vortrag.

»Ach, wen haben wir denn hier?«, wandte sie sich an jemanden hinter Mel und mir. Wir drehten uns in besagte Richtung und meine Lunge stellte für eine Millisekunde ihre Tätigkeit ein, nur um daraufhin mehr Luft als angemessen zu fordern. Mein Atem kam ins Stocken und ich versuchte, es zu vertuschen, indem ich mein Gesicht tiefer in meinem dicken Schal vergrub. Jasper stand am Tresen. Vor ihm eine Sammlung leerer Gläser, die er vermutlich gerade abgestellt hatte. Seine Augen lagen bereits auf mir, als ich ihnen begegnete. Er lächelte kurz, nur für mich. Dann schaute er zu Cleo.

»Sieh an, der Papageien-Club ist auch unterwegs.« Ich war mir etwas dumm vorgekommen, als ich bemerkt hatte, dass die Bezeichnung, die ich anfangs gedanklich dafür genutzt hatte, um mich ein wenig über das Dagobert lustig zu machen, allgegenwärtig war. Besonders da ich nun am eigenen Leib zu spüren bekam, wie viel Arbeit es war, eine Zeitungsausgabe zu konzipieren. Jetzt betrachtete ich stets achtungsvoll den Schriftzug unserer Zeitung, eingespannt in einem imposanten Flügelpaar, und hatte sogar vorgeschlagen, in jeder neuen Ausgabe eine Papageienart vorzustellen, so als kleiner Gag. Die Idee kam gut an und mit dreihundertfünfzig verschiedenen Arten hatten wir auch genügend Stoff, um diesen Witz zu füllen.

»Wo ist denn der Vierte aus eurem Bund?«, hakte Jasper nach, worauf ich zum Glühweinstand deutete. »Im Gefecht.« Das traf es ziemlich gut, so eingequetscht, wie Markus zwischen zwei breitgebauten Riesen steckte. Jasper lachte. »Ja, der Weihnachtsmarkt ist schon ein hartes Pflaster.«

Mit zunehmendem Herzklopfen verfolgte ich, wie Jasper uns immer näherkam, bis er schließlich zwischen Mel und mir stehenblieb. Ich hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Doch ich bremste mich selbst, auch wenn ich nicht damit aufhörte, mir Gegenteiliges vorzustellen.

»Mit wem bist du denn hier?«, führte Cleo das Gespräch weiter. Ich war zu sehr damit beschäftigt, ihn verstohlen von der Seite zu betrachten und das sachte Kribbeln im Zaum zu halten, das immer dann kurz davor war, Überhand zu gewinnen, wenn sein Blick den meinen streifte. Und jedes Mal glaubte ich, darin das Gegenstück zu meinem Verlangen zu finden. Zumindest wäre es schön, wenn ich damit richtig läge.

»Mit der Mannschaft.« Jasper zeigte auf eine Horde großgewachsener Jungs, die gelegentlich zu uns hinüberspinsten. »Ach, den Haufen habe ich auch lange nicht mehr gesehen.« Cleo grüßte kurz hinüber und bekam ein gemeinschaftliches Winken als Antwort. Das waren also seine alten Mannschaftskollegen. Einer größer als der andere, sodass Jasper mit seinen knapp zwei Metern unter ihnen nicht weiter auffiel. Außer man hatte eine kleine Schwäche für ihn entwickelt. Und meine kleine Schwäche war nunmehr schwer zu ignorieren.

»Ja, es wurde mal wieder Zeit, dass wir uns treffen.« Man merkte ihm seine Freude sichtlich an. Es war ansteckend und mich machte es glücklich, ihn so zu sehen.

»Und Theresa ist auch mit dabei, wie ich sehe.« Interessiert schaute ich noch einmal zu der Meute und tatsächlich, unter all den Männern tobte auch eine Frau mit einem breiten Lachen auf den Lippen. Ihre blonden Locken türmten sich in einem Dutt und um ihren Kopf spannte sich zusätzlich einer dieser puscheligen Ohrenwärmer.

»Klar, sie gehört ja mit dazu.« Sie gehörte also mit dazu. Aber inwiefern?

»So, da ist euer Glühwein.« Markus war wieder zurück und balancierte die vollen vier Tassen in beiden Händen. Wir nahmen sie ihm eilig ab.

»Du hast es ja doch heil überstanden«, bemerkte ich mit einem Grinsen und nippte sofort an der dampfenden, tiefroten Flüssigkeit. Wohligwarm floss sie mir die Kehle hinunter. Ich seufzte leise.

»Hab nur ein wenig Stolz verloren, als ich aufgefordert wurde, mich auszuweisen.« Ein Grunzen entwich mir. »Das tut mir leid.« Es kam nicht oft etwas aus Markus' Mund, aber wenn, dann war es meist amüsant. Allerdings war sein Kommentar sicherlich nicht im Scherz gemeint, denn es kam nicht selten vor, dass er entweder übersehen oder wie vorhin für viel zu jung gehalten wurde. Letzteres verschuldet durch die kindlichen Züge, die noch markant sein Gesicht bestimmten. Aber schließlich war er auch erst frische siebzehn geworden. Er war das Nesthäkchen unserer Truppe.

»Jasper, kommst du?« Eine weibliche Stimme, die schnell Theresa zugeordnet werden konnte, schallte zu uns hinüber. Jasper reagierte mit einem Handzeichen und gab zu verstehen, dass er sie gehört hatte. Hier endete also bereits unsere zufällige Begegnung. Es war nicht abzustreiten, ich hätte ihn gern länger um mich gehabt.

»Entschuldigt, ich mach mich dann mal wieder. Habt noch einen schönen Abend.«

»Gleichfalls«, sagten alle. »Du auch«, nuschelte ich.

Ich wagte nicht mehr, meinen Blick zu heben, da ich mich nicht noch mehr nach ihm verzehren wollte. Besonders dann, wenn ich dieser Versuchung nicht nachgehen konnte. Nicht so, wie ich es gerade wollte. Nicht vor den Augen all dieser Menschen.

Doch Jasper wollte dieses Treffen so nicht enden lassen. Während sich die anderen bereits wieder ihrem Glühwein widmeten, schob er sich im Schutz des allgemeinen Gedränges hinter mich. Ich spürte den Druck seiner Finger auf meinem Rücken trotz des dicken Mantels, den ich trug. »Ich schreib dir.« Verdammt, wenn dieser Kerl nur wüsste, was er mit diesen leisen Worten anrichtete. Ich nickte schwach. Für einen Bruchteil von Sekunden kreisten unsere Finger umeinander. Ich ließ mich ein Stück weit nach hinten fallen, wollte mich an ihn schmiegen und kostete den Moment aus, weil es das Einzige war, was ich gerade kriegen konnte. Viel zu schnell war es vorbei und Jasper löste sich genauso unvermittelt von mir, wie er mich berührt hatte. Und weg war er. Ein wahrhaft unfaires Spiel.

Zusätzlich blieb mir nicht genügend Zeit, die Situation richtig zu verarbeiten, da Cleo direkt die Aufmerksamkeit auf sich zog. »Ich würde sagen, halten wir es simpel. Also, auf uns!«, verkündete sie und reckte ihr Getränk in die Höhe. Richtig, dafür hatten wir die Tassen in der Hand. Wir taten es ihr gleich, stießen an und nahmen allesamt einen großen Schluck. Ich gönnte mir gleich noch einen Zweiten hinterher. Die Süße prickelte auf meiner Zunge, konnte jedoch nicht das Beben verdrängen, das Jasper zurückgelassen hatte.

Meine Augen suchten ihn in der Masse und fanden ihn an einem Stand, umgeben von Wolle in allen möglichen Verarbeitungsformen. Theresa stand neben ihm und zog ihm in einem Überraschungsangriff eine Mütze über den Kopf, eine mit Ohrenklappen und Bommel auf dem Kopf. Es stand ihm nicht. Ich nahm noch einen weiteren Schluck.

Doch Jasper erwischte mich erneut vollkommen unvorbereitet. Über die Entfernung hinweg fing er meinen Blick auf. Er verzog gequält seine Mine, was mir ein stummes Lachen bescherte. Ein weiterer Moment nur für uns zwei, der jedoch noch kürzer andauerte als der Vorherige, denn sofort wurde er wieder in Beschlag genommen. Theresa lachte mit ihm. Doch auch die restliche Gruppe gesellte sich nun dazu, sodass Jasper hinter ihnen verschwand.

»Das sind alles nur Freunde«, raunte mir Cleo plötzlich von der Seite zu. Als ich unverständlich zu ihr sah, fügte sie hinzu: »Du schaust aus, als wärst du ein bisschen eifersüchtig.« Ihr Blick sprach Bände. Sie hatte mich wohl schon etwas länger beobachtet.

»Quatsch!«, schoss ich zurück. Worauf sollte ich denn eifersüchtig sein? Ganz im Gegenteil, ich fand es schön, dass er Zeit mit seiner alten Mannschaft verbrachte, die ihm so wichtig war, obwohl er keine Spiele mehr mit ihnen ausfochte. Nur diese Vertrautheit zwischen ihm und all diesen Menschen war so offensichtlich. Eine Vertrautheit, auf die ich keine Ansprüche hatte. Auf die ich nicht bauen konnte und noch weniger sollte.

»Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. The kümmert sich um alle Jungs so, als hätte sie sie adoptiert. Ich glaube kaum, dass sie auch nur zu einem von ihnen Gefühle hat, sonst wäre da schon längst was im Gange, so lange, wie sie schon die Orga übernimmt.«

Ihr Redeschwall weckte mich. Über was faselte sie da? Und über was zum Teufel dachte ich hier überhaupt nach? Vertrautheit? Das war nichts, was ich mir erhoffte. Es ging mir doch nur darum, für ein paar Monate einfach mal wieder Spaß zu haben, ohne ständig daran denken zu müssen, dass alles bei mir irgendwo ein bitteres Ende fand. Das hatte, wie man sah, heute wahrlich fantastisch funktioniert.

»Du musst mich nicht aufklären, Cleo. Ich mach mir keine Sorgen, warum denn auch?«

Cleos Mund klappte auf, dann wieder zu. Schlussendlich schüttelte sie mit dem Kopf. »Na das kann ja noch heiter werden.« Hätte ich nicht bereits gewusst, dass es zu meinem Nachteil wäre, ich hätte sie gefragt, was genau sie damit meinte. »Na ja, Stößchen.« Aber auch sie erklärte sich nicht weiter, sondern ließ noch einmal ihre Tasse gegen meine klirren. Damit war das Thema wohl abgeschlossen und ich erleichtert.

»Kommt, lasst uns weiter gehen«, mobilisierte Cleo die beiden andern, die abermals dabei waren, neue Ideen zu sammeln. Das hörte nie auf, wenn wir zu viert unterwegs waren. »Ich habe da vorne noch einen Schmuckstand entdeckt.«

»Wie schön!« Cleo grinste mich an, schnappte sich diesmal meinen Arm und schleppte mich mit sich mit. Und für diese Ablenkung war ich ihr ausnahmsweise unheimlich dankbar.

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