[14] • Schutzschild
Seit einer gefühlten Ewigkeit, zumindest nach Cleos Zeitrechnung, starrte ich schon auf die Auslage der Bäckerei. Ich hatte bereits zwei Kunden, die nach uns den Laden betreten hatten, vorgelassen, da ich mich einfach nicht entscheiden konnte. Wieso sah denn auch alles hinter einer geputzten Glasscheibe so gut aus? Croissant, Amerikaner oder doch eher ein belegtes Brötchen?
»Hast du's gleich?«, mischte sich Cleo zum wiederholten Male ein. Sie verstand nicht, dass solch ein Entschluss wohlüberlegt sein sollte.
»Ja, Moment noch.« Eine Nussecke wäre sicher auch nicht schlecht. Doch wenn ich dazu noch einen Kakao bestellte, wäre ich doch eher für ein neutraleres Pendant. »Ein Käsebrötchen, bitte, und einen Kakao.«
»Tut mir leid, aber die Maschine ist kaputt«, bedauerte die Verkäuferin. »Darf es etwas anderes dazu sein? Vielleicht einen Orangensaft?«
»Nein, danke«, lehnte ich ab und schmollte ein wenig. Das war kein gutes Omen.
»Kakao bekommst du auch in der Schule am Automaten«, warf Cleo ein, während die junge Frau hinter den Tresen mein Brötchen einpackte.
Ich hörte auf, in meinem Geldbeutel nach Kleingeld zu suchen, und bedachte Cleo mit weit hochgezogenen Augenbrauen. Sie hatte sich heute ihre dunklen Locken zu zwei fransigen Dutts gebunden, was an ihr ungeheuer süß aussah.
»Keine Sorge«, versuchte Cleo meine Skepsis zu mindern. »Der wird nicht von den Leuten aus der Cafeteria zubereitet. Sicher schmeckt er nicht so wie hier, aber mehr als okay.«
»Wenn du meinst.« Ich war mir da persönlich nicht so sicher. Bisher hatte mich die Schule bezüglich ihrer Ausstattung nicht sonderlich überzeugen können, deshalb glaubte ich kaum, dass ausgerechnet der Getränkeautomat eine Ausnahme darstellte. Doch ein paar Münzen könnte man für einen Versuch schon opfern. Immerhin ging es hier um meinen alltäglichen kleinen Zuckerschock, der mich durch den Schultag brachte.
Cleo und ich verließen die kleine Bäckerei und gingen Richtung Schulgebäude, das hinter der Fußgängerampel auf uns wartete. Wir waren etwas spät dran, was höchstwahrscheinlich meiner Unentschlossenheit zuzuschreiben war. Dennoch beeilten wir uns nicht sonderlich, da Cleo zum einen eine Freistunde hatte, die sie natürlich fürs Dagobert nutzen wollte, und ich mich wiederum gleich in der ersten Stunde mit Zahlen und Variablen auseinandersetzen musste. Eine Aktivität, die mir am frühen Morgen nicht besonders zusagte, weshalb ich um jede Minute froh war, die ich mich verspätete.
»Und was hast du gleich so vor? Hat Lars auch die erste Stunde frei?« Ich bemerkte Cleos Lächeln, das sich auf meine Frage hin auf ihren Lippen bildete, und den Versuch, es vor mir zu verstecken. Mühsam verkniff ich mir ein Augenverdrehen und entlud den Ärger, der allein schon Lars' Name in mir auslöste, indem ich unnötig oft auf die Ampeltaste haute.
»Nein, hat er nicht. Aber ich dachte, ich fange schon einmal mit dem Korrekturlesen an. Wir haben bei der Gestaltung noch einiges zu tun, da wollte ich wenigstens die restliche Arbeit etwas reduzieren.«
»Bist du denn soweit zufrieden mit dem, was er da fabriziert?« Ich glaubte, die Antwort schon zu wissen, da Cleo darauf anfing zu strahlen, so als würde auf ihrem Gesicht gerade die Sonne aufgehen.
»Auf jeden Fall! Ich hätte nie gedacht, dass es so gut aussehen würde, und dabei sind wir noch gar nicht am Ende. Das ist einfach unglaublich«, schwärmte sie unermüdlich und ich bereute meine Frage, da ich gerne auch ein schlechtes Wort über Lars gehört hätte. Doch gleichzeitig war es auch schön, zu erfahren, dass es wohl mit dem Dagobert langsam bergauf ging, zumindest im gestalterischen Sinne. Wie sich das auf die Verkaufszahlen auswirkte, musste man erst noch abwarten. »Die Programme, mit denen Lars da arbeitet, sind mir zwar immer noch ein ziemliches Rätsel, aber einen kleinen technischen Fortschritt habe ich bestimmt auch schon gemacht. Hoffe ich.« Sie lachte etwas verlegen.
»Bestimmt. Mit seiner Hilfe klappt das schon«, ermutigte ich sie, auch wenn der Satz etwas bitter auf meiner Zunge schmeckte.
»Das glaube ich auch«, stimmte sie mir zu und ihre Augen füllten sich wieder mit purer Freude und Zuversicht.
Viel zu schnell erreichten wir den Haupteingang der Schule, gerade als die Schulglocke ertönte, die meine Laune noch weiter hinunter schraubte. Das Foyer war fast leer, da die meisten Schüler schon ihren Kursraum aufgesucht hatten.
»Willst du dir jetzt noch schnell einen Kakao holen?«, fragte Cleo, die wahrscheinlich darauf wartete, dass ich mich von ihr verabschiedete.
»Ne, den hole ich mir später als Aufheiterung nach Mathe.«
Der Gedanke an den anstehenden Unterricht ließ mich herzhaft gähnen. Auch wenn Cleo vor mir, wie jeden Morgen, nur so vor Begeisterung sprühte, konnte sie mich dennoch nicht von meiner Müdigkeit befreien. Vielleicht war es auch besser so. Denn ob die Art von Energie, die sie da absonderte, für normale Menschen so gesund war, blieb fraglich.
»Du bist echt ein ziemlicher Morgenmuffel«, kommentierte Cleo und bestätigte mir, wie leicht diese Charaktereigenschaft auch von außen erkennbar war. Mich störte das selbst überhaupt nicht, nur meistens ging ich den Leuten damit auf die Nerven, die am frühen Morgen etwas von mir wollten. Meistens waren es solche, die mir etwas beizubringen versuchten.
»Und du hast eindeutig zu viel Energie für diese Uhrzeit«, maulte ich schlapp. Cleo gab mir einen aufmunternden Klaps auf den Oberarm, der natürlich sein Ziel verfehlte.
»Wir sehen uns später.« Ich schaute ihr sehnsüchtig hinterher, wie sie dahin in ihre Freistunde ging. Dann drängte sich das Gesicht von Herrn Vogt wieder in meinen Kopf und ich machte mich langsam auf den Weg ins Verderben.
■■■
Gedankenversunken hielt ich die Eineuromünze, die schon zur Hälfte im Automaten steckte, zwischen zwei Fingerspitzen fest und starrte auf die Auswahl, die mir hier geboten wurde. In mir arbeiteten alle Gehirnzellen daran, herauszufinden, ob es eine gute Idee war, diesem geldfressenden Apparat überhaupt eine Chance zu geben. Ich sah es zwar äußerst kritisch, dass man sich an diesem Automaten auch einen Becher Gemüsebrühe holen konnte, allerdings war kein Kakao auch ein schwer zu ertragendes Schicksal. Letztendlich ließ ich die Münze in den Schlund fallen und hoffte, dass sich nicht ausgerechnet die Person vor mir eine Suppe gegönnt hatte.
Akribisch beobachtete ich, wie der Plastikbecher unter dem Ausgießer aufpoppte und sich mit Flüssigkeit füllte. Die Maschine machte währenddessen Geräusche, als wäre sie in einem früheren Leben einmal ein Mähdrescher gewesen und hätte noch nicht ganz verinnerlicht, dass sie nun fürs Getränkeausgeben zuständig war. Stotternd näherte sie sich dem Ende, bis schließlich der letzte Tropfen fiel. Zumindest stimmte mich die Farbe meines Kakaos zuversichtlich, bevor ich den vollen Becher an mich nahm und mutig an meine Lippen führte. Als sich der Geschmack in meinem Mund ausbreitete, war ich erleichtert, dass er tatsächlich nichts mit den Mensaproduktionen gemein hatte, auch wenn er keinesfalls so gut schmeckte, wie aus der Bäckerei. Doch hinsichtlich dessen hatte mich Cleo bereits vorgewarnt, also hatte ich auch nicht mehr erwartet.
Recht zufrieden schlenderte ich zurück auf den Schulhof, der bereits reichlich gefüllt war. Ohne mich groß umzusehen, schlängelte ich mich durch die Menschenmasse und zielte die abgelegene Bank an. Diese hatte mich zwar schon einmal enttäuscht, was ich daran festmachte, dass Jasper mich dort sitzen gesehen und mir einen Besuch abgestattet hatte, aber letztendlich war sie die einzige Sitzmöglichkeit, die noch nicht von anderen Schülern belagert wurde. Wie sehr wünschte ich mir, dass die alte Bibliothekarin wieder zurückkam und die Pforten zur Bücherei öffnete. Doch dann erinnerte ich mich, dass ich diesbezüglich ja auch schon aufgeflogen war, weshalb dieser Ort wohl auch nicht mehr als sicher eingestuft werden konnte.
Mit einem Seufzen ließ ich mich auf die Holzbank nieder und nippte an meinem Kakao. Mein Körper absorbierte den Zucker, als hätte er unter Abstinenz gelitten, und ich fühlte mich direkt etwas energiegeladener, nachdem ich vorhin im Unterricht meinen Nullpunkt erreicht und mit anhaltendem Sekundenschlaf zu kämpfen hatte. Ich genoss die sanften Sonnenstrahlen, die vereinzelt zwischen der dichten Wolkendecke durchblitzten. Es schien ein schwüler Tag zu werden, wobei die Temperaturen auf einem angenehmen Level verweilten, und ich meinte, den Regen schon riechen zu können. Mit dem kühlen Wind im Nacken, fing ich an die Leute auf dem Schulhof heimlich von Weitem zu betrachten. Nicht lange und ich entdeckte den berüchtigten Moritz und seine Truppe. Überrascht stellte ich fest, dass auch Lars sich darunter befand. Sollte er nicht eigentlich im Dagobert sein? Und wenn er hier war, was machte ich dann gerade auf dieser Bank mit diesem durchschnittlichen Kakao? Aber ich wusste auch nicht, wie viel er seinen Freunden erzählt hatte. Vielleicht musste er sie für die unzähligen Male ruhigstellen, in denen er schon in der Pause mit faulen Ausreden verschwunden war, um freiwillig der Schülerzeitung zu helfen. Denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass er ihnen davon erzählt hatte.
Ich war so in meine Beobachtungen vertieft, dass ich gar nicht bemerkte, wie sich jemand neben mich setzte.
»Sollen wir eine Wette abschließen, wie lange unser Gespräch diesmal andauert, bis wir unterbrochen werden?«
Ich erschrak heftig und hätte beinahe mein Getränk fallen gelassen, wofür Jasper einen bösen Blick erntete, den ich jedoch nicht lange aufrechterhalten konnte. Seine Gesichtszüge hatten hingegen etwas Herausforderndes an sich, sodass ich direkt das Gefühl bekam, dass es heute schwieriger werden würde, ihn loszuwerden.
»Kommt auf die Bedingungen an. Hast du dein Handy auf stumm geschaltet?«, konterte ich und versuchte, seiner Ausstrahlung standzuhalten. Dennoch konnte ich nichts gegen das Kribbeln tun, was sich von meiner Körpermitte aus in mir ausbreitete.
»Ja, habe ich.« Er lächelte verschmitzt, was zusätzlich noch die Verlegenheit in mir entzündete.
»Dann hast du wohl nicht viel zu befürchten.«
Er musterte mich nachdenklich und viel zu intensiv. Das Kribbeln in meinem Bauch wandelte sich zu einem regelrechten Brodeln.
»Ich frage mich auch eher, wovor du dich fürchtest, Leonie?«
Vor dir und das, was du mit mir machst. Ich hätte es am liebsten geschrien, doch stattdessen wehrte ich ab und antwortete mit einer Gegenfrage: »Wovor sollte ich mich denn fürchten?« Dass ich mich damit nur weiter in die Bredouille brachte, merkte ich erst, als Jasper seinen Mund wieder öffnete. Meine Gedanken hatte er nämlich schon längst erfasst.
»Ich glaube, du hast Angst mit mir Zeit zu verbringen. Angst, dass es dir gefallen wird.«
»Ach, es wird mir gefallen? Das hört sich an, als wärst du dir da ziemlich sicher.« Ich lachte kurz. Es klang zu hoch und zu gekünstelt, weil sich die Nervosität um meine Stimmbänder schnürte.
»Das bin ich.«
Ich stutzte. Schon wieder gelang es ihm, mich mit einem Satz zu entwaffnen, da ich es nicht schaffte, irgendeine selbstsichere Reaktion zustande zu bringen. Wieso konnte er nicht auch wie alle anderen Menschen um den heißen Brei reden? Wieso musste er Sachen immer so auf den Punkt bringen und mich damit so aus dem Konzept?
Ich trank einen großen Schluck von meinem Kakao, um meine Räder wieder zum Laufen zu bringen, allerdings reichte es gerade mal für ein genuscheltes »wage ich, zu bezweifeln«. Deswegen war ich umso erleichterter, dass Jasper daraufhin auf ein weniger gefährliches Gesprächsthema umstieg und seinen Blick ebenfalls auf die Schüler vor uns lenkte.
»Wie läuft es im Dagobert?«
Ich seufzte.
»Cleos Augen formen sich wahrlich zu Herzen, wenn sie über Lars' Arbeit spricht. Es ist schrecklich«, gab ich ehrlich zu.
»Und wie steht es zwischen den beiden?« Die Antwort darauf wollte ich mir noch nicht einmal im Traum ausmalen.
»Keine Ahnung, ich vermeide den Besuch im Dagobert, wenn er dort ist. Ansonsten sieht man die beiden nie zusammen.«
»Ähm«, machte Jasper daraufhin. »Und da bist du dir sicher?«
Seine Frage irritierte mich.
»Hm? Was mein-«
In dem Moment, in dem mir ins Blickfeld rutschte, was Jasper gerade mit den Augen verfolgte, hallte ein hysterisches Lachen über den Hof und ich erfasste die Situation sofort, die sich dort drüben abspielte, da ich ebenfalls schon in genau der gleichen gesteckt hatte. Cleo hatte sich in die Höhle des Löwen begeben und stand mit dem Rücken zu uns, während Moritz, Lars und die anderen Jungs sie umringten. Mit einem Ruck war ich auf den Beinen.
»Sorry, aber - also, ich muss«, verhaspelte ich mich und deutete entschuldigend in Richtung Cleo. Jasper verstand sofort und irgendwie tat es mir leid, ihn wieder so zurückzulassen, auch wenn ich über jede Unterbrechung froh sein sollte. Cleo vor einer wildgewordenen Horde an Vollpfosten retten zu müssen, gehörte allerdings nicht zu den Dingen, an die ich dabei gedacht hatte. »Sorry, ich mach das wieder gut«, rutschte mir noch unüberlegt heraus, bevor ich mich schnellen Schrittes davon machte.
Ich kämpfte mich mit Ellenbogeneinsatz an einigen Schülern vorbei, die getrieben von ihrer Sensationslust alle denselben Weg anstrebten wie ich, während mir mein Kakao über den Becherrand schwappte und meine Hand hinunterlief. Jedoch interessierte mich das kein bisschen, ich hatte stets mein Ziel vor Augen und wollte nur zu Cleo eilen, um Schlimmeres zu verhindern, auch wenn ich befürchtete, dass der Schaden längst geschehen war.
»Was ist mit euch Weibern denn passiert, dass ihr jetzt alle was von Lars wollt?«, hörte ich Moritz plärren, als ich die Gruppe endlich erreichte. »Meinst du, das Drecksblatt und dich interessiert an dieser Schule auch nur irgendwen?« Fassungslos stellte ich fest, dass sich keiner von den umstehenden Leuten dazu genötigt fühlte einzugreifen. Klar wirkte Moritz bedrohlich, sonst würde er sich wohl kaum so aufführen. Als er jedoch seine Hand nach Cleo ausstreckte, sah ich rot. Ich preschte nach vorne und schlug seine dreckigen Finger weg, bevor er Cleo auch nur mit der Fingerkuppe streifte.
»Ich warne dich, fass sie bloß nicht an!« Mit einer schnellen Bewegung zog ich Cleo hinter mich und stellte mich gleichzeitig vor Moritz, der auf mich hinuntersah, als wäre ich seine nächste Beute.
»Ah, da ist ja unser Mäuschen wieder. Hast du uns schon vermisst?«, säuselte er.
»Wie wär's, wenn du jetzt einfach mal deine Klappe hältst«, raunte ich hasserfüllt. Natürlich hörte er nicht auf mich. Es wäre zu einfach, ihn auf diese Weise zum Schweigen zu bringen, doch die nächsten Worte, die er an mich richtete und mit denen er wahrscheinlich neue Beinamen für mich einführte, vernahm ich schlichtweg nicht. Stattdessen schaute ich über meine Schulter zurück zu Cleo.
Am allermeisten schockte mich ihr Gesichtsausdruck, da ich ihn noch nie zuvor an Cleo gesehen hatte. Ihre Augen wirkten leer und waren starr zum Boden gerichtet. Kein Fünkchen Wut oder Traurigkeit klebte an ihr. Sie stand da wie eingefroren. Wahrscheinlich waren in meiner Abwesenheit bereits viel mehr Sätze gefallen, deren Inhalt ich nur erahnen konnte. All die Leere wandelte sich in mir zu brodelndem Zorn und ich fuhr aufgebracht wieder zu der Gruppe Jungs herum, deren Fratzen jeweils ein gehässiges Grinsen zierte. Allerdings fixierte ich besonders einen von ihnen an. Lars, der zwar als einziger nicht amüsiert schien, aber auch in keiner Weise in Aktion trat.
Ohne Moritz eines Blickes zu würdigen, dessen Gebrabbel sich in meinen Ohren zu einem einheitlichen Brei vermischte, hielt ich ihm die Hand vors Gesicht. »Genug gelabert für heute, gönn dir mal eine Auszeit.«
Dann war Lars an der Reihe. Ich ließ ihn spüren, was sich über die Wochen in mir angestaut hatte. All die Dinge, die mich so sehr an ihm störten, fanden nun ihren Weg nach draußen.
»Was ist eigentlich los mit dir, hm? Fühlst du dich jetzt gut? Hast du Spaß dabei, erst einem Menschen zu helfen und ihn dann in der Öffentlichkeit vorzuführen? Ist das deine Art?« Ich hätte ihm gerne noch weitere Vorwürfe entgegen gespuckt, doch ich bekam so oder so keine Antwort. »Du bist echt das Letzte.« Immer noch keine Reaktion und ich war es leid, dass er meinem Starren auswich und sich nicht traute, den Mund aufzumachen, nur weil seine Freunde danebenstanden. Die Freunde, die sich noch dazu über ihn lustig machten, da ich ihm gerade meine Meinung geigte.
Energisch griff ich nach Cleos Hand, verflocht meine Finger mit ihren und wollte sie schon hinter mir herziehen, als mir der halbvolle Becher in meiner Hand wieder in den Sinn kam und die Vorstellung, wie gut die braune Flüssigkeit auf Moritz' weißem Shirt aussehen würde. Mit falschem Lächeln auf den Lippen widmete ich mich somit wieder ihm und ahnungslos, wie er war, erwiderte er meine aufgesetzte Freundlichkeit.
»Ah, und Moritz, du meintest doch letztens, dass du gerne einen Kaffee mit mir trinken gehen möchtest, richtig?« Ich leerte mein Getränk über seinem Oberteil. »Ich hoffe, Kakao to go ist auch okay. Schönen Tag noch.«
Zu meiner eigenen Sicherheit wartete ich nicht ab, bis Moritz meine Tat vollends realisiert hatte, sondern floh mit Cleo zum Schuleingang. Der Tumult, der kurz darauf hinter uns ausbrach, ließ mich noch einmal zurückblicken. Ich sah Jasper, wie er sich Moritz in den Weg stellte, der mich allem Anschein nach verfolgen wollte. Oskar stand gleich daneben.
»He, ist gut jetzt. Verzieh dich einfach!«, rief Jasper und versuchte ihn mit der Hand auf der Brust zum Gehen zu bewegen.
Kurz drehte Jasper uns sein Gesicht zu, wahrscheinlich um zu überprüfen, ob wir aus der Gefahrenzone verschwunden waren. Ich nutzte die Gelegenheit und formte ein stilles Danke mit meinen Lippen. Seine Mundwinkel, die daraufhin leicht nach oben wanderten, bedeuteten wohl, dass er mich verstanden hatte.
Ich lenkte Cleo in den Teil der Schule, wo meines Wissens, nicht viele Schüler entlangliefen, falls gleich die Pause enden sollte. Sie hatte bis jetzt kein Wort gesagt, was mir regelrecht Angst machte. Das war ich von ihr nicht gewohnt und es stand absolut im Kontrast zu ihrer sonstigen Persönlichkeit, die mir gerade um einiges lieber wäre. Ich ließ ihre Hand los, stellte mich vor sie und packte sie dafür an den Schultern. Es war ein verzweifelter Versuch, sie aus ihrer Starre zu befreien.
»Das war echt 'ne ziemlich miese Idee, Cleo«, meinte ich, unsicher, ob es überhaupt etwas gab, was ich sagen konnte, um sie aus den Gedanken zu holen, die sie gerade gefangen hielten. Aber tatsächlich rührte sie sich und fing endlich wieder an zu reden. Erstaunlich, dass Letzteres mal für mich ein gutes Zeichen war.
»Ja, ich weiß auch nicht, was ich mir gedacht hatte«, murmelte sie leise und mit einem Mal wurde sie von Gefühlen überschwemmt, die sie wohl die ganze Zeit zurückgehalten hatte. Scham, Traurigkeit und Enttäuschung schlugen mir entgegen und ich wünschte mir plötzlich die Leere zurück. Ich war damit komplett überfordert und wusste nur, dass sie ihre Aussage auf mehr bezog als auf die Aktion auf dem Schulhof. Man merkte, dass es ihr um Lars an sich ging, wie sehr mir der Gedanke auch zuwider war. Wahrscheinlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass er zu der Sorte gehörte, die sich feige hinter ihren Freunden versteckten.
»Ach, Cleo«, stieß ich aus und ehe ich mich versah, schloss ich sie in meine Arme und drückte sie an mich. Es war eine Ewigkeit her, dass ich von mir aus eine Umarmung begann. Diesmal war es Cleo, die halbherzig darauf einging. Doch nur anfangs, denn im nächsten Moment spürte ich ihre Finger auf meinem Rücken, die sich fast krampfhaft in mein Oberteil krallten. So verweilten wir kurze Zeit, bis der Gong ertönte und ich bei mir dachte, dass es wohl besser wäre, zum Kursraum zu gehen, bevor Cleo erneut von Schaulustigen belagert wurde.
»Komm, lass uns gehen«, flüsterte ich, lockerte langsam unsere Umarmung und strich ihr die Strähnen aus dem Gesicht, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten. Ich versuchte mich an einem gequälten Lächeln, was natürlich nicht auf Cleo übersprang. Doch zumindest bekam ich von ihr ein leises »okay« und wir setzten uns langsam in Bewegung. Dabei hielt ich sie die ganze Zeit im Arm, da ich zum ersten Mal das Bedürfnis verspürte, sie nicht loslassen zu wollen.
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