[12] • Neue Chancen
Als ich am folgenden Montag das Schulgebäude betrat, saß mir die Angst im Nacken, Jasper über die Füße zu laufen. Obwohl ich unser Treffen, wie auch schon jenes zuvor, so schnell wie möglich verdrängen wollte, hatte ich übers Wochenende ständig daran denken müssen. Zum größten Teil lag es an der Berührung, die wir miteinander geteilt hatten, denn immer, wenn ich meine eigene Hand betrachtete, imitierten meine Nerven den Moment und ich hatte das Gefühl, seine Haut wieder auf meiner zu spüren. Erst am Samstagmorgen war mir vollkommen bewusst geworden, was wir eigentlich getan oder eher, was ich zugelassen hatte. Irgendwie hatten wir den Part mit dem besser Kennenlernen, der im Grunde auch nicht in meiner Absicht stand, übersprungen und waren direkt dazu übergegangen, jungfräuliche Körperlichkeiten auszutauschen. Mit nüchternem Verstand betrachtet, konnte ich mir nicht mehr erklären, wie es dazu gekommen war, und rückblickend hätte ich es verhindern müssen, meine Hand zurückziehen sollen. Doch auch wenn ich mir im Nachhinein absolut idiotisch vorkam, konnte ich das Ganze nicht mehr ungeschehen machen.
Auf der anderen Seite redete ich mir ununterbrochen ein, dass dieser kurze Kontakt zwischen uns so klein gewesen war, dass er nicht der Rede wert war. Genauso wollte ich mich nun verhalten, so tun, als wäre nichts gewesen. Doch dafür musste Jasper mitspielen, weswegen ich inständig hoffte, dass er dieselbe Strategie verfolgte und sich gleichermaßen fragte, was an diesem Abend in ihn gefahren war.
Wieso war auch meine Neugier auf ihn nur so groß gewesen? Hätte mein Gedächtnis mich nicht darauf aufmerksam gemacht, welche Gegend ich durchlief, oder wäre ich trotz dessen einfach zur Bushaltestelle weitermarschiert, hätte mein Wochenende und die jetzt folgenden Tage ganz anders ausgesehen. Ich hätte nicht immer wieder gedankenverloren auf dem Bett gelegen und meine Hand angestarrt, während mein Körper wohlig kribbelte und mein Verstand wachsenden Ärger auf sich selbst entwickelte. Auch jetzt hätte ich nicht durchgehend das Bedürfnis verspürt, mich umzusehen, um rechtzeitig in Deckung springen zu können. Ich wäre einfach griesgrämig wie jeden Tag zur Schule getrottet. Doch das war jetzt nicht mehr möglich und das gefiel mir ganz und gar nicht. Ich musste nun die Zeit irgendwie glimpflich überstehen, bis dieser Abend mit Jasper nur noch eine schwache Erinnerung war, bis seine mandelförmigen Augen von meiner Festplatte gelöscht waren. Jedoch fühlte es sich so an, als hätten sie sich dort schon regelrecht eingebrannt.
Tatsächlich überstand ich den Vormittag ohne große Zwischenfälle und in der Mittagspause zielte ich freiwillig das Dagobert an, da ich somit den größtmöglichen Abstand zwischen mir und dem Basketballfeld schaffte. Ich hätte mich natürlich auch die komplette halbe Stunde in einer der Toilettenkabinen verkriechen können, allerdings war dies, genauso wie die Cafeteria, kein Ort, der an dieser Schule zum Verweilen einlud. Im Übrigen hatte ich vom Fenster des obersten Stockwerks einen guten Blick über den gesamten Hof, was mir noch einmal mehr Sicherheit gab, Jasper nicht ungewollt über den Weg zu laufen, da ich ihn im Blick behalten konnte. Andere hintergründige Motive schloss ich bei diesem Vorhaben selbstverständlich aus.
Dennoch hatte ich aufgrund der Aktion am Freitag ein widersprüchliches Gefühl, während ich dem Raum der Schülerzeitung immer näherkam. Vielleicht hatte ich das Glück, dass irgendeine neue Sensation das Team in Atem hielt und sich schon fleißig um die neue Ausgabe gekümmert wurde. Dann wäre mein Auftritt bestimmt schon vergessen oder zumindest würde mich Mel nicht mehr darauf ansprechen. Mit Cleo hatte ich es schließlich irgendwie geklärt, auch wenn ich immer noch nicht sagen konnte, ob es mir gefiel, dass sie jetzt mehr über mich und mein Denken Bescheid wusste. Nebenbei konnte ich auch noch nicht so richtig einschätzen, wie Cleo mit solch einem Wissen umging. Hatte sie Mel vielleicht schon von unserem Gespräch berichtet? Doch tief in mir drin hatte sich schon das Gefühl verwurzelt, dass Cleo so etwas nicht tun würde. Allerdings hatten mich solche Einschätzungen auch schon öfters hart enttäuscht.
Vorsichtig lugte ich durch die offenstehende Tür des Dagoberts, wollte erst einmal die Lage checken. Lediglich Cleo konnte ich entdecken. Sie hatte sich auf dem Sofa ausgestreckt, ihre Beine lagen auf der Rückenlehne und ihre Nase hatte sie tief in ein Buch gesteckt. Währenddessen nuckelte sie an dem Strohhalm eines Trinkpäckchens, das wackelig neben ihrem Kopf auf dem Polster stand und bei jeder Bewegung umzufallen drohte. Regelmäßige Schlürfgeräusche machten das Bild perfekt und ich blieb noch einen Moment im Türrahmen stehen, um diese kuriose Lesehaltung in mein Gedächtnis aufzunehmen. Dann räusperte ich mich. Cleo schreckte auf, das Trinkpäckchen kippte auf die Seite und der Inhalt spritzte durch den Halm auf Sofa und Vinylboden.
»Scheiße«, murmelte sie, sprang auf und versuchte, das Ausmaß der Verwüstung in Grenzen zu halten. Sie warf mir einen kurzen Seitenblick zu, wahrscheinlich um sich zu vergewissern, wer sie da gerade aus ihrer Trance gerissen hatte. »Man, Leonie! Musst du mich so überraschen?«, motzte sie mit gespielter Empörung, während sie den Rest ihres Eistees in Sicherheit brachte und eine Taschentuchpackung aus der hinteren Tasche ihrer Jeans zog.
»Sorry«, sagte ich halbherzig. Ich hatte durchaus darauf gezielt sie zu erschrecken.
»Das hast du doch mit Absicht gemacht«, konterte sie, worauf ich lachen musste.
»Bei der Position musste doch früher oder später etwas schief gehen«, warf ich ein. Ich kam auf sie zu und hob ihr Buch auf, das ebenfalls auf dem Boden gelandet war. »Verhängnisvolle Leidenschaft«, las ich einen Teil des Titels vor.
Fast in derselben Sekunde riss mir Cleo das Exemplar aus der Hand.
»Recherchezwecke.« Ich grunzte. »Sicher.« Ich stellte meine Tasche neben dem Tisch ab. »Aber ich kann dir eher die andere Reihe der Autorin empfehlen. Finde ich persönlich besser.«
Der peinlich berührte Ausdruck löste sich sogleich aus Cleos Gesicht.
»Schon gelesen«, informierte sie mich daraufhin mit einem anzüglichen Grinsen, während sie den Roman in ihrem Jutebeutel verstaute. Ich gluckste. »Natürlich hast du das.«
Cleo ließ sich mit ihrem Getränk erneut aufs Sofa fallen. Ich hingegen visierte den kleinen Kühlschrank an und holte mir wie selbstverständlich einen der kleinen Joghurtdrinks heraus. Danach gesellte ich mich zu Cleo, setzte mich dabei so, dass ich ohne Probleme aus dem Fenster schauen konnte. Reine Sicherheitsmaßnahme, versteht sich. Für einen kurzen Augenblick hingen wir unseren eigenen Gedanken hinterher. Vor meinem inneren Auge ließ ich unseren gemeinsamen Freitagnachmittag Revue passieren. Auch wenn ich es zuvor nicht geglaubt hatte, fühlte sich der Umgang mit Cleo jetzt ein wenig leichter an. Vielleicht war es eine gute Entscheidung gewesen, nicht jede Situation zu hinterfragen und zu überlegen, was im Nachhinein für alle Beteiligten einfacher wäre.
»Und was steht jetzt so an für die nächste Ausgabe?«, eröffnete ich schließlich ein Gespräch, auf das Cleo sofort ansprang.
»Fürs erste Brainstorming und eventuell behandeln wir die Themen, die es nicht ins letzte Heft geschafft haben.«
Kurz inspizierte ich das Whiteboard, auf dem nur noch wenige Anhaltspunkte zu finden waren. Die meisten von ihnen hatten es in Textform verarbeitet ins Dagobert geschafft und waren direkt am ersten Verkaufstag ausgewischt worden. Neben Interviews mit neuen Lehrern stand dort somit nur noch ein Stichpunkt, der Freizeitvereine thematisierte, und die Frage, wie man diese bewerben könnte. Ich verdrängte in diesem Zusammenhang den Gedanken an Jasper und seine Basketballkünste und schaffte es sogar den Drang zu unterdrücken, ihn automatisch zu taxieren. Mir war nur allzu deutlich bewusst, dass er gerade dort unten auf dem Platz den nächsten Sieg für sein Team einheimste. Allerdings hielt ich mir die ganze Zeit vor, dass mir die Gewissheit über seinen Standort genügte und ich ihn nicht zusätzlich noch betrachten musste, auch wenn ein großer Teil von mir es gerne getan hätte, was ich mir nur widerwillig eingestand.
»Ihr wollt euch für Vereine einsetzen?«, fragte ich schnell weiter, um meine Konzentration wieder unserem Dialog zu widmen. Cleo folgte meinem Blick zur gegenüberliegenden Wand. »Ja, wir sind ja schließlich auch einer. Es wäre schön, wenn man zumindest ein paar Leute wieder für solche Angebote motivieren könnte, nicht unbedingt nur für die Schülerzeitung. Ich glaube, viele Klubs haben mit ihrer Mitgliederanzahl zu kämpfen. Der Chor meiner Schwester wurde auch schon aufgelöst. Deswegen dachten wir, es wäre zumindest schon einmal etwas, wenn wir die verschiedenen Möglichkeiten aufzeigen, die die Stadt zu bieten hat.«
Ich nickte verständnisvoll. Mit Vereinen hatte ich nie viel am Hut gehabt. Als ich jung war, hatte sich meine Mutter noch sehr darum bemüht, mich in solch eine Gemeinschaft zu stecken, da sie glaubte, dass ich so leichter Anschluss in der neuen Stadt finden würde. Schon bald musste sie jedoch einsehen, wie hoffnungslos ihr Vorhaben gewesen war, denn egal wo ich zum Schnupperkurs vorbeischaute, jeder Leiter empfahl meiner Mutter, es woanders zu versuchen, bei etwas, das meinen Fähigkeiten mehr entsprach. Demzufolge war ich also eine komplette Niete, oder aber es lag einfach daran, dass ich von vorneherein keine Lust darauf hatte und mir dementsprechend wenig Mühe gab. Zumindest redete ich mir Letzteres immer ein, wenn ich den Aufschlag bei Badminton verpatzte oder beim Tischtennis daneben schlug.
Genauso konnte ich aber nachvollziehen, dass es für Menschen, die an solchen Aktivitäten Spaß hatten, schwer war, mitanzusehen, wie ihr geliebter Verein langsam in sich zusammenfiel, da die Neuanmeldungen ausblieben. In der Situation hätte man wohl auch so hoffnungslose Fälle wie mich mit Handkuss bei sich aufgenommen.
Nur zweifelte ich, ob solch ein Artikel diese Negativentwicklung aufhalten konnte, da das Dagobert selbst schon nicht sonderlich gelesen wurde. Doch ich behielt diese Überlegung für mich, da dieser Umstand die Verbreitung jeglicher Inhalte in der Zeitung von Grund auf in Frage stellte. Als Mel im nächsten Moment zur Tür herein schwirrte, abgehetzt wie an dem Tag, an dem ich sie das erste Mal gesehen hatte, glaubte ich fast, sie hätte meine Zweifel, die ich gegenüber der Teamproduktion hegte, auf irgendeine Weise gespürt und wollte mich jetzt, energisch wie sie war, vom Gegenteil überzeugen.
»Cleo!«, stieß sie atemlos aus, worauf sie sich erschöpft auf ihre Knie stützte und anfing zu hecheln, als wäre sie im Rekordtempo die Treppe hinauf gesprintet.
Cleo und ich schauten uns gegenseitig an. Während ich meine Brauen zusammenzog, wanderten ihre in die Höhe. Uns war bekannt, dass Mel bei ihren regelmäßig stattfindenden Gefühlsausbrüchen immerzu ein gutes Stück übertrieb. Ich stellte mich deshalb schon darauf ein, dass sie uns gleich lediglich über eine ihrer Artikelideen unterrichtete, die ihr wahrscheinlich soeben gekommen war. Auch Cleo schien etwas Ähnliches zu erwarten, denn statt Mel zu antworten, zog sie noch einmal genüsslich an ihrem Eistee.
»Was gibt es denn?«, fragte sie dann letztendlich, um Mels Hysteriephase ein wenig zu beschleunigen. Diese schmiss ihre Arme in die Höhe. Immer noch unfähig zu reden, zog sie sich einen Stuhl heran und ließ sich wie ein nasser Sack darauf plumpsen. »Puh!« Sie stöhnte, fand daraufhin aber zumindest ihre Worte wieder. »Warum sind wir auch ausgerechnet in einem Raum in der obersten Ecke der Schule?« Sie fächelte sich Luft zu, während sie weiterhin versuchte, ihren Atem zu normalisieren.
»Und was ist jetzt so wichtig, dass du nicht auch langsam die Treppe hinauf gehen konntest?«, setzte Cleo noch einmal an und legte den Kopf schief, als Mel zur Antwort ihr Handy aus der Hosentasche zog und anfing, wild darauf herumzutippen. Doch bevor sich Cleo dazu gezwungen fühlte, erneut nachzuhaken, drehte sie uns den Bildschirm zu und fügte erklärend hinzu: »Hast du das schon gesehen? Die Mitteilung vom Breckstein Verlag? Sie machen ihn wieder.« Kurze Pause. »Den Wettbewerb.«
Eine andächtige Stille breitete sich aus. Ich spürte, wie sich plötzlich die Atmosphäre veränderte. Ohne genau zu wissen, warum, fühlte sich die Luft mit einem Mal statisch an, als würden die vielen Steckdosen an der Wand ihren Strom einfach in den Raum hinein leiten. Irritiert schaute ich zu Cleo hinüber, die wohl in eine Art Schockstarre verfallen war. Fast hätte ich meine Hand ausgestreckt, um ihr Trinkpäckchen zu halten, da ich glaubte, sie würde es jeden Moment fallen lassen. Doch dann fing sie sich wieder, drückte sich energisch vom Sofa hoch und entriss Mel ihr Smartphone. Gebannt starrte sie auf den Bildschirm, wischte zwischendurch immer mal wieder hin und her und stieß dann schlagartig ein »Oh, mein Gott!« aus. Das mit dem Wettbewerb musste ein großes Ding sein, so viel war sicher.
»Ich habe es eben per Zufall entdeckt und wäre fast vornübergekippt. Hast du die Gewinne gesehen?« Cleo nickte heftig. Beide sprühten nur so vor Euphorie und Übereifer. Ich hingegen saß immer noch recht emotionslos da und beobachtete die zwei, deren Augen gerade heller strahlten als die Sommersonne, die durch das Fenster schien.
»Ich will euch ja nur ungern aus eurer Begeisterung reißen, aber kann mir jemand von euch erklären, was an diesem Wettbewerb nun so besonders ist?«
»Der Wettbewerb von Breckstein ist eine ziemlich große Sache«, erklärte Cleo das Offensichtliche, während sie Mel ihr Smartphone wiedergab. »Da können sich alle Schülerzeitungen des Landes bewerben und das Preisgeld, puh, die fünftausend Euro könnten wir wirklich gebrauchen.« Ihr Blick wurde geradezu träumerisch.
»Fünftausend Euro?« Ich verschluckte mich fast an meinem Erdbeerdrink. »Das ist ganz schön viel«, hüstelte ich.
Cleo lachte wissend.
»Allerdings. Leider findet der Wettbewerb etwas unregelmäßig statt. Die letzten zwei Jahre hatten sie ihn ausgesetzt.«
»Und ihr wollt euch jetzt bewerben?«, fragte ich weiter.
»Natürlich!«, kam es gleichzeitig von Cleo und Mel. Überrumpelt von ihrer Energie hob ich beschwichtigend die Hand. »Okay, okay«, lachte ich, fing mich jedoch gleich darauf wieder, weil ich anfing, die Chancen des Dagoberts gedanklich zu eruieren.
Cleo und Mel hatten sich wieder dem jeweils anderen zugewandt, derweil ich mir eine der Zeitungen vom Stapel zog, die sich neben mir auf der Fensterbank türmten. Erneut starrte mir das grässliche Cover entgegen. Es hatte sich zur vorherigen Ausgabe nicht sonderlich viel geändert, nur die einzelnen Themenüberschriften waren auf den neuen Inhalt abgestimmt. Sollte ich meine Einschätzung über die Gestaltung des Dagoberts doch äußern? Auch wenn ich den Verlag und seinen Wettbewerb nicht kannte, hatte ich ehrliche Zweifel, ob sie mit dieser Aufmachung auch nur in die engere Auswahl kamen. Doch mit einer Überarbeitung hätten sie wenigstens eine Chance. Ich räusperte mich leise, doch mein kleiner Versuch ein wenig Aufmerksamkeit zu erlangen wurde überhört.
»Wenn ich den Bewerbungsschluss richtig gesehen habe, haben wir sogar noch relativ viel Zeit. Eventuell könnte man noch den Herbstball abwarten, die Bilder werten die Zeitung immer besonders auf«, bemerkte Cleo, worauf Mel zustimmend nickte.
»Stimmt, der Bewerbungsschluss ist erst im November.«
»Perfekt!« Cleos Lächeln zog sich mittlerweile übers ganze Gesicht.
Uff. Ich gab mir einen Ruck. Na los, Leonie, mach dich unbeliebt.
»Also, ich will euch ja nur ungern vor den Kopf stoßen«, fing ich vorsichtig an und überlegte angestrengt, wie ich das Folgende in Worte fassen konnte, damit es nicht allzu harsch klang. »Aber, also, euch ist bewusst, dass die Zeitung ruhig eine gestalterische Generalüberholung vertragen könnte, bevor ihr bei dem Wettbewerb teilnehmt, oder?«
»Was meinst du genau?«, hakte Mel direkt nach.
»Nun ja«, holte ich aus und hielt ihnen die letzte Ausgabe hin. »Vor allem das Cover ist unübersichtlich, viel zu voll, und auch zwischen den Seiten könnte es um einiges strukturierter und moderner sein.«
Mit in Falten gelegter Stirn betrachteten sie die Zeitung. Inständig hoffte ich, dass sie verstanden, was ich meinte.
»Ist es so schlimm?«, wollte Cleo dann nach wenigen Sekunden wissen.
Ich antwortete nicht, sondern verzog nur mein Gesicht. Cleo verstand und reagierte zu meiner Überraschung sehr aufgeschlossen.
»Uns fehlt es schon seit einiger Zeit an einem Gestalter«, räumte sie etwas geknirscht ein und presste kurz die Lippen aufeinander. Das Lächeln zuvor hatte ihr in jedem Fall besser gestanden. »Nur hatte ich gehofft, dass das schon irgendwie ausreichen würde. Ich meine, für mich zählte immer der Inhalt.«
»Ja, dass der Inhalt überzeugt, ist natürlich besonders wichtig, aber ihr müsst auch Aufmerksamkeit erregen und schon auf den ersten Blick ansprechend wirken und nicht erst auf den Zweiten.« Oder Fünften.
Cleo seufzte. »Ich habe immer wieder versucht, mich mit diesen komischen Programmen auseinanderzusetzen, aber ich habe einfach keinen Sinn für so etwas.«
Ich wollte ihr schon Mut zusprechen, als Mel mir zuvorkam.
»Aber wo kriegen wir denn jetzt jemanden dafür her?«
Gute Frage, nächste Frage, dachte ich bei mir und leerte meinen Joghurt-Drink. Dann bemerkte ich ihre Blicke auf mir.
»He, schaut mich nicht so an. Ich bin hier nur fürs Kritisieren zuständig, nicht fürs Ausbessern. Außerdem gehört Gestaltung auch nicht zu meinen persönlichen Stärken.« Wie so vieles.
Erneut brach Schweigen aus. Mel war die Erste, die wieder einen Vorschlag machte.
»Aber wie wär's denn, wenn wir Lars noch einmal fragen?«, meinte sie. »Vielleicht kennt er sich durch sein Hobby mit solchen gestalterischen Programmen aus.«
Über mein Gesicht legte sich sogleich ein Schleier der Ablehnung und sogar Cleo rümpfte leicht die Nase, wobei ich vermutete, dass sie das nur aufgrund meiner negativen Einstellung zu Lars tat. Vielleicht um eine Art Solidarität vorzutäuschen, denn Lars hatte sich ausschließlich mir gegenüber mies verhalten. Für sie gab es keinen Grund, sich gegen diese Möglichkeit zu stellen, denn ich musste leider zugeben, dass er diesbezüglich die beste Anlaufstelle zu seien schien.
»Das wäre wahrscheinlich eine ziemlich gute Idee«, sagte ich deshalb, um Cleo zu signalisieren, dass sie Lars ernsthaft in Betracht ziehen und nicht auf ihn verzichten sollte, nur weil ich einen Groll gegen ihn hegte. Darüber hinaus war ich noch nicht einmal Mitglied dieses Teams, weshalb ich einfach fernbleiben konnte, wenn Lars hier war, auch wenn ich dann meine überlebenswichtigen Zwischenmahlzeiten aufgeben müsste. Das war hier das eigentliche Drama.
»Ja, okay, ich werde mit ihm sprechen«, stimmte Cleo schließlich zu.
»Gut, dann wäre das ja geklärt.« Ich erhob mich, streckte meinen Rücken durch und schlenderte rüber zum Mülleimer, um die leere Plastikverpackung treffsicher darin zu versenken. In der Zwischenzeit fingen Cleo und Mel an, sich aufzuschreiben, welche Anforderungen beim Wettbewerb gestellt wurden und was sie für die Bewerbung noch zu erledigen hatten.
Auf dem Rückweg zum Sofa kam ich nicht umhin, aus dem Fenster zu spähen. Dort unten jubelten sie. Anscheinend hatte gerade jemand den Korb getroffen und es würde mich nicht wundern, wenn dieser Treffer auf Jaspers Konto ging. Ich suchte ihn in dem Gewusel und fand ihn im Beisein von Oskar, der ihn gerade abklatschte, wahrscheinlich um ihn für seinen gelungenen Wurf zu loben. Mein Blick heftete sich an seine Fersen und meine Hände fingen wieder an zu kribbeln. So stand ich einige Zeit da und beobachtete Jasper dabei, wie er über den Platz fegte und einen guten Spielzug nach dem anderen lieferte.
»Leonie, die Pause endet gleich. Wir wollen schon mal runter.«
Wieso war er nur so verdammt interessant anzuschauen?
»Ja, komme.«
Wenige Sekunden verweilte ich noch am Fenster und saugte seinen Anblick unbemerkt in mich auf. Eins, zwei, dann wandte ich mich ab, nahm meine Tasche und folgte den zwei Mädels auf den Flur.
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