26 - Hörst du mir zu?

[Louis] 

Die ersten eineinhalb Monate in New York waren schwieriger gelaufen, als gedacht. Ich war angekommen mit all den großen Träumen und voller Motivation, doch die Stadt war wie ein Dschungel. Sie verschlang einen regelrecht und ich wusste im ersten Moment überhaupt nicht, wo ich anfangen sollte. 
Letztendlich machte ich mir meine übliche To Do Liste und fing damit an, mir einen Job zu suchen. Meine Marketingerfahrung half mir nicht, denn einen Vollzeitjob konnte ich mit der bald startenden Uni definitiv nicht unter einen Hut bringen. Teilzeitjobs schienen in Amerika nicht zu existieren, zumindest nicht im Marketing. 

Relativ schnell hatte ich Glück und fand einen Job in einem Nachtclub. Als Barkeeper hatte ich zwar keine Erfahrung, doch der Mann, der den Club leitete, Jonathan, brachte mir in den kommenden Wochen alles Nötige bei. Es war kein schwieriger Job, er war dementsprechend schlecht bezahlt, doch er reichte aus. 
Eine Wohnung zu finden war deutlich schwieriger. Die Mieten in New York waren ein Verbrechen an der Menschheit, wenn man mich fragte und so nahm ich mir ein kleines Zimmer in einer WG, für welches die Hälfte meines Gehaltes regelmäßig drauf ging. Es war immerhin noch günstiger als ein Hotel, aber dennoch horrend. Innerlich stellte ich mich darauf ein, die nächsten Jahre nur noch Nudeln mit Ketchup zu essen. Alles für den Traum. Meinen Geburtstag, sowie Weihnachten und Silvester, verbrachte ich allein mit chinesischen Nudeln vor dem Fernseher, während ich mit Niall, Zayn und meiner Familie telefonierte. 

"Na, mein Lieblingsengländer?" rief Jonathan lachend, als ich an diesem Abend schließlich den Club betrat um meine Schicht anzutreten. 
Ich grinste ihn an und zog mir die Jacke aus. Februar in New York war auch definitiv deutlich kälter, als in England und ich hasste die Kälte. 
"Hey, Jonathan. Viel los heute?" fragte ich und er nickte. "Es ist Fashion Week, Louis. Es wird brutal werden." antwortete er mir und ich nickte. 
Fashion Week hatte er mir bereits erklärt, die Stadt war voll mit koksenden Models und deren Entourage, sowie allen möglichen Promis. Das Lavo, der Club in dem ich arbeitete, war eine Topadresse in Manhattan, alle wichtigen Menschen, inklusive der Menschen die dachten sie wären wichtig, gingen hier aus und ein. 
Wieso er mir den Job gegeben hatte, nachdem ich offensichtlich absolut unwissend darüber gewesen war, blieb mir bis heute ein Rätsel. Aber ich beschwerte mich natürlich nicht. 

Der Club füllte sich wahnsinnig schnell und ich hatte überhaupt keine Zeit, mir die Leute genauer anzusehen, ich mixte ein Getränk nach dem anderen. 
"Du siehst ja niedlich aus!" 
Der Satz ließ mich aufhorchen und ich blickte hoch, direkt in das strahlende Gesicht einer schwarzhaarigen, hochgewachsenen jungen Frau, die so dünn war, dass ich Angst hatte, sie würde in der Mitte auseinanderbrechen. Ich lachte leicht. "Äh, danke?" 
Sie grinste und lehnte sich über die Bar. "Wieso bist du kein Model?" 
"Wieso sollte ich?" stellte die Gegenfrage. "Was möchtest du trinken?" 
"Ich nehme Vodka Soda. Eine Zitronenscheibe. Und du solltest, du hast so tolle Wangenknochen!" antwortete sie und musterte mich weiter, während ich ihr das Getränk zubereitete. "Ich bin übrigens Nicki!" sagte sie, ich sah zu ihr und sie lächelte mich breit an. "Louis, hi!" antwortete ich freundlich und übergab ihr das Getränk. Sie zahlte, dann ging sie jedoch nicht weg, sondern sah mich abwartend an. 

Fragend hielt ich inne und sah sie an. "Möchtest du noch etwas?" 
Sie nickte. "Ich finde wir sollten befreundet sein. Hast du Lust, an unseren Tisch zu kommen?" Nicki zeigte auf einen der Tische im VIP Bereich und ich lachte auf. "Ich bin am Arbeiten, das geht leider nicht." 
"Wann hast du Schluss?" 
Innerlich seufzte ich. Was wollte diese Bohnenstange von mir? "Wenn ihr nach Hause geht." antwortete ich und sie seufzte laut. "Wie schade! Hier..." Sie zog eine Karte aus ihrer Handtasche und gab sie mir. "Melde dich mal. Wir könnten was trinken gehen." 
"Wieso?" fragte ich irritiert und sie lachte. "Weil ich Engländer toll finde! Du bist niedlich, ich will dich kennenlernen!" Nicki tat beinahe so, als wäre das absolut logisch und damit brachte sie mich zum Lachen. 
"Ich bin schwul!" sagte ich deshalb. Außerdem viel kleiner als sie, aber das sagte ich nicht laut. 

"Ach, das ist doch perfekt! Schwule Engländer finde ich noch toller!" Sie lachte, dann hob sie die Hand zum Abschied und stolzierte auf ihren High Heels zurück zu ihrem Tisch. Kurz sah ich ihr nach, dann schüttelte ich lächelnd den Kopf und bediente den restlichen Abend die Gäste weiter wie vorher. Nicki sah ich die ganze Zeit über nicht mehr, bis ich schließlich aufräumen wollte. 
Sie war eine der letzten, ihre Gruppe Freunde verließ gerade durch die Tür den Club und sie kam zu mir. 
"Na, fertig mit der Party?" fragte ich sie lächelnd und sie nickte und sah mich müde an. "Wie lange bist du schon in New York?" fragte sie. Sie war definitiv geradeheraus. 
"Eineinhalb Monate. Ich gehe bald an die Juilliard." 
Sie riss die Augen auf. "Echt? Louis! Ich studiere da!" rief sie und ich sah überrascht zu ihr. "Ernsthaft?" Sie lachte. "Ja, ernsthaft! Ich bezahl die Studiengebühren mit den Modeljobs. Ich wusste, dass ich dich toll finden werde!" 

Wir sahen uns begeistert an für einen Moment. Ich freute mich, dass ich endlich jemand kennen gelernt hatte hier in dieser riesigen Stadt. Und dann noch eine Mitstudentin. So langsam taute ich ihr gegenüber auf. "Dann schreibst du mir aber auf jeden Fall, oder?" fragte sie und zog einen Schmollmund, ich lachte und nickte. "Definitiv. Komm gut nach Hause, Nicki." 
"Du auch, Louis. Ich schau mal wo die anderen Hungerhaken sind!" Sie lachte, winkte mir noch einmal und dann lief sie eilig nach draußen. 
Ich sah ihr hinterher und lächelte. Sie schien nett zu sein. Und sie hatte Humor, immerhin war sie selber spindeldürr. Vielleicht könnten wir Freunde werden. 

Als ich mit allem fertig war, verabschiedete ich mich von Jonathan und machte mich auf den Heimweg. Es war vier Uhr nachts, die perfekte Zeit, um Niall anzurufen. Bei ihm war es schließlich bereits vormittags. 
Er meldete sich sofort. "Ich habe schon auf deinen Anruf gewartet!" War das erste, was ich hörte. "Wieso?" fragte ich stirnrunzelnd. "Ist was passiert?" 
"Ist bei dir denn was passiert?" hakte er nach und nun war ich wirklich verwirrt. "Ähm...nein? Nicht dass ich wüsste?" antwortete ich unsicher. 
Kurz war Stille am Telefon, dann räusperte er sich. "Dann vergiss, was ich gesagt habe. Ich meinte, weil wir jeden Tag telefonieren!" sagte er lachend und ich wollte nachhaken, doch er wechselte das Thema.
"Wie war die Schicht?" 

"Die war stressig. Es ist Fashion Week. Der ganze Club war voll mit Models. Ich bin gespannt, wieviel Kokstütchen die Reinigungskräfte auf den Toiletten finden werden." antwortete ich ihm lachend und er stimme darin ein. "Bestimmt einiges. Was läuft sonst so?" 
"Ich habe heute eine Mitstudentin kennengelernt. Sie heißt Nicki, modelt nebenbei. Sie war nett." 
"Ich finde es gut, dass du Kontakte knüpfst, Lou. Du warst die ganze Zeit so alleine, das ist nicht gut." sprach er, ich konnte in seiner Stimme hören, dass er besorgt war um mich. "Es ist hier nicht so einfach. Es gibt keine englischen Pubs." sagte ich schmunzelnd und er lachte leicht. "Dafür aber irische. Wir Iren sind auch ziemlich nett." 
"Geht so." sprach ich und wir mussten beide lachen. "Wann kommst du her?" fragte ich, meine Stimme war unabsichtlich hoffnungsvoll geworden, denn ich vermisste Niall höllisch. Es war schwer ohne ihn, abgesehen von den täglichen Anrufen. Wenn er hier wäre, wäre alles deutlich leichter. 
"Amelia hat nächsten Monat eine Woche frei, wir überlegen, zusammen zu kommen. Wäre dir das recht?" 

"Klar wäre es das." sagte ich sofort. Eigentlich hätte ihn lieber ein paar Tage für mich, doch es stand mir nicht zu, das zu sagen. Mittlerweile waren die beiden fest zusammen und Niall war unglaublich glücklich mit ihr. 
"Sicher? Ich kann auch alleine kommen." schlug er vor. "Nein, Niall. Kommt beide, ich freue mich auf euch! Ihr kommt kostenlos ins Lavo, wenn ich Schicht habe."
"Dann reißen wir den Club ab!" sagte Niall freudig und ich lachte und bog um die nächste Ecke auf den Times Square. 
Es war immer laut und voll hier, egal zu welcher Uhrzeit. Ich schaute auf die wechselnden Billboards über mir und stoppte in meinen Bewegungen. 

Alles in mir zog sich zusammen und ich hörte Niall's Worte nicht einmal mehr, die Lautstärke um mich herum war wie ausgeschaltet. Auf einem riesigen Billboard war eine Gucci Werbung. Mit ernstem Blick, leicht geöffnetem Mund, umgeben von grün-weiß kariertem Stoff, sah Harry Styles auf mich hinunter von der riesigen Leinwand. 
Ich schnappte nach Luft und war für einen Moment absolut regungslos. Er sah unglaublich aus, die Haare wild verwuschelt, der Blick sexy. Die perfekte Werbung. Harry könnte alles bewerben, ich würde es kaufen. 

"Hörst du mir zu?" fragte Niall und holte mich damit aus der Realität zurück. "Sorry, ich...ich hab grad Harry gesehen." sagte ich, starrte weiter auf die Reklame und mein Herz schrie mich an, dass ich aufhören sollte. Es tat weh, ihn zu sehen. Noch mehr weh tat es, weil er gerade überdimensional groß war. 
"Was? Wo?!" rief Niall aus. 
"Auf einem Billboard am Times Square." 

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