XXXV - Feuer
05.09.1919 Amay, Belgien
"Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir eine hohe Anzahl an Leukämiezellen in ihrem Blut gefunden haben. Das erklärt ihre Blässe und die stark erhöhte Körpertemperatur. Die Blutspuren auf ihrer Kleidung sind sicherlich von vergangenen Nasenbluten."
Kaitlyn saß auf einer weißen Liege in einem Lazarett-Zelt und lauschte den Worten der Krankenschwester, ohne ein Wort zu verstehen.
"Erhöhte Temperatur? Nein. Nein, mir ist so unglaublich kalt", widersprach sie. Die Krankenschwester schüttelte mitleidig ihre schwarzen Locken.
"Es tut mir leid, aber wir können nichts für sie tun."
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26.10.2036 Marienville, Pennsylvania
Ich lehnte an einem Baumstamm, neben dem See, den ich durch Zufall an meinem ersten Abend hier gefunden hatte und lauschte den sanften Wellen. Mein Blick verfing sich in den goldenen Reflexionen der untergehenden Sonne an der Wasseroberfläche. Ich genoss die Stille um mich herum, abgesehen von einigen wenigen Vögeln gab kein Tier ein Mucks von sich.
Meine Ruhe würde jäh unterbochen durch das Geräusch eines flitzenden Vampirs. Ich nahm Lily wahr, noch bevor sie neben mir zum Stehen kam.
Ihr roten Locken schoben sich in mein Sichtfeld, als sie von der Seite auf mich zu lief. Sie trug eine enge Leggins mit einem bauchfreien Top und ich genoss den kurzen Blick auf ihre definierten Muskeln. Kurz musterte sie mich ebenfalls und streckte dann ihre Hand aus. "Komm mit."
Ich folgte ihr, ohne nachzufragen ans Ende des Stegs, an dem ich erst vor wenigen Tagen gesessen hatte, und ließ mich neben ihr nieder. Meine Füße wurden vom lauen Wasser umspült, als ich meine Stiefel auszog und meine Beine bis zum Schienbein in den See baumeln ließ.
Mein Blick wanderte ganz automatisch zu Lily, die neben mir in den Himmel starrte. Sie sah wahnsinnig anmutig aus, wie sie ihre langen Beine überkreuzt hatte und ihre Locken vorsichtig hinter ihr Ohr strich. Ich sah mir ihre Sommersprossen an, versuchte, mir ihre Anordnung einzuprägen. Wie sie sich von ihren hohen Wangenknochen bis über ihre schmale Nase zogen. Lily hielt die Augen geschlossen, ihre hellen Wimpern berührten ihre Haut nur hauchzart. Als sie sie aufschlug, suchte ihr Blick meinen. Das goldene Licht fiel von der Seite in ihre helle Iris und angesichts ihres Funkelns musste ich lächeln.
Wir sprachen kein Wort, doch das Schweigen war keineswegs unangenehm. Es gab mir ein Gefühl von Sicherheit und obwohl ich nichts sagte, wusste ich, dass Lily mich verstand. Zwischen uns hatte sich etwas entwickelt, das sich nicht mehr leugnen ließ. Auch, wenn wir noch nicht ausgesprochen hatten, was es war.
"Es gehört sich nicht, andere Leute anzustarren", murmelte Lily leise. Ihre Stimme war rau, als hätte sie lange nicht mehr gesprochen und die tiefen Vibrationen beruhigten mich.
Sie legte vorsichtig eine Hand auf meinen Oberschenkel. Ihre Finger waren angenehm warm und meine Haut kribbelte, als ihr Daumen kleine Kreise darauf zog.
Langsam wanderte sie höher unter meinem Rock und streichelte mich mit einem gewissen Druck. Es fühlte sich wahnsinnig gut an. Ich genoss ihre Berührungen und seufzte wohlig.
Abrupt zog Lily ihre Hand von meinem Oberschenkel weg, um den Zeigefinger an meine Lippen zu legen. Sie fuhr an meiner Unterlippe entlang, ihr Blick folgte der Bewegung.
"Bitte", flüsterte ich leise, ohne sicher zu wissen, was ich gerade eigentlich wollte. Doch mein Körper, der verlangend pulsierte, schien es genau zu wissen.
Ein zufriedenes Grinsen schlich sich in Lilys Gesicht, als sie bemerkte, wie ich errötete. Ich streckte mich ihr langsam entgegen und dann endlich legten sich ihre Lippen auf meine.
Sofort zuckte ein elektrisierendes Kribbeln durch meinen ganzen Körper bis es mein Herz erreichte. Dieses setzte erst einen Schlag aus, um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Das Adrenalin, das durch mein Adern floss, war nicht unangenehm oder aufreibend. Es erfüllte mich mit purem Glück. Ich war süchtig nach dem Gefühl, süchtig nach Lily.
Ich hatte sie vermisst. Ihre Wärme, ihren Geschmack. Unwillkürlich lächelte ich in unseren Kuss und zog Lily an der Hüfte näher zu mir.
"Sag es, Kätzchen", flüsterte sie an meine Lippen.
Ich sah zu ihr auf, genoss den Schauer, der über meinen Rücken lief als unsere Blicke sich trafen.
"Sag, dass du das willst", murmelte sie heiser.
Ich musste keine Sekunde darüber nachdenken. Ich wollte auch nicht denken. Zum ersten Mal wollte ich einfach nur auf meine Gefühle hören. Auf mein Herz. "Ich will es."
Diesmal war unser Kuss stürmischer. Die Hemmungen waren gefallen und es brannte nur noch Verlangen zwischen uns.
Das Verlangen zusammen zu sein, zu verschmelzen, sich nie wieder zu trennen. Lilys Hände hinterließen brennende Spuren überall, wo sie meine Haut berührten. Ihre Locken kitzelten mich an den Wangen und ich spürte ihre Zähne, wenn sie spielerisch in meine Unterlippe biss.
"Da kommt jemand", flüsterte ich erstickt, als ich in geringer Distanz Schritte vernahm.
"Ist mir egal", sagte Lily atemlos und küsste mich weiter.
Die Schritte näherten sich weiter. "Ich halte mir die Augen zu, nur für den Fall der Fälle."
Beim Klang von Nates Stimme rückte ich ein kleines Stück von Lily ab, was sie mit einem unzufriedenen Knurren kommentierte. Sie strich sich ihre Haare zurück und drehte sich um.
"Was gibt's, Geisterjunge?", rief Lily Nate zu, als er sich am Ufer zwischen den Bäumen materialisierte.
Er schnaubte über diesen neuen Spitznamen und senkte die Hand, mit der er bis eben seine Augen abgeschirmt hatte. Ich sah kurz an mir hinab und zog meinen Rock etwas tiefer, der durch Lilys Bewegungen nach oben gerutscht war.
Selbst ein Blinder hätte erkennen können, was hier gerade zwischen uns beiden passiert war oder beinahe passiert wäre, aber ich wollte es Nate trotzdem nicht auf dem Präsentierteller zeigen.
"Wir wollen langsam los." Er hob seinen durchsichtigen Arm und deutet auf die goldene Sonne, die kurz davor war, am Horizont zu verschwinden. "Also macht euch bereit und kommt zurück."
Ich warf Lily einen letzten Blick zu, der ausdrückte, dass ich ebenso wenig begeistert war wie sie. Doch diese Mission war nun einmal wichtiger.
Und wenn wir endlich das Heilmittel hatten, würde ich noch eine Unendlichkeit mit Lily verbringen können. Das war es wert.
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