XXXIV - Work Work Work
26.10.2036 Marienville, Pennsylvania
"Herr Gott, wenn du dich nicht freiwillig für Laurens Frühstück opfern willst, solltest du dich ein bisschen mehr anstrengen!"
Lilys Stimme drang quer durch den Garten zu mir herüber. Finn, dem ihre Wuttirade galt, duckte sich eingeschüchtert.
Wir übten seit einigen Tagen in jeder freien Minute das Kämpfen - Pfähle schleudern, Nahkampf, Selbstverteidigung. Heute seit fast fünf Stunden ohne Pause, unter strenger Aufsicht von Nathans fluoreszierender Gestalt. Während Lily vergeblich versuchte, Finns vampirische Sinne zu schärfen, duellierten Alice und ich uns immer wieder zum Spaß.
Seit wenigen Minuten saß auch Alexander mal wieder mit verschränkten Armen auf der Terrasse und beobachtete uns mit Argusaugen. Er kommentierte jeden kleinsten Fehler, erkannte jede Unaufmerksamkeit. Er wollte, dass wir für Lauren bestmöglich gewappnet waren.
"Konzentrier' du dich lieber auf mich." Alice lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf sich. Sie grinste und forderte mich mit ihren Blicken zu einem Duell heraus. Ohne ein weiteres Wort stürzte die Vampirin auf mich zu. Blitzschnell wich ich aus, packte sie von hinten an der Schulter und nutzte den Schwung ihrer Bewegung, um sie mit Leichtigkeit zu Boden zu reißen. Doch noch bevor ich mich auf sie stürzen konnte, rollte sie sich beiseite und riss ein Bein hoch, um mich im Schritt zu treffen.
"Autsch! Scheiße!", stieß ich aus, während ich einige Meter Sicherheitsabstand zwischen uns brachte.
Alice kam wieder auf die Beine, ihre Locken sprangen wild umher. "Du bist zwar stark, aber ich bin immer noch älter. Keine Chance gegen mich", prahlte sie.
Ich legte den Kopf schief. "Sicher?"
Blitzschnell rannte ich los riss sie an der Hüfte zu Boden und setzte mich rittlings auf ihre Rippen. Noch bevor sie ihre Beine anheben konnte, um mich im Rücken zu treffen, rutschte ich auf Höhe ihrer Knie und drückte diese mit meinem gesamten Gewicht nieder, bevor ich mich nach vorne lehnte und mit meinen Händen ihre festhielt.
Lachend zappelte Alice unter mir umher. "Touché", murmelte sie und gab ihren Befreiungsversuch auf.
"Kat hat eben von einer starken Frau gelernt", rief Lily von der anderen Seite des Gartens. Finn hing wie ein nasser Sack über ihrer Schulter, während sie mir ihr selbstzufriedenes Lächeln schenkte.
"Stimmt." Ich erwiderte ihr Lächeln, woraufhin ihre Wangen ein zartes Rot annahmen.
"Ihn können wir maximal als Köder benutzen", meinte sie nun mit Seitenblick auf den ausgeknockten Finn, den sie vorsichtig von ihrer Schulter auf den Grasboden gleiten ließ. Alice konnte sich ein Schmunzeln nicht vergreifen. Finns Stärken lagen eben mehr in geistigen Ebenen, als den körperlichen.
"Wir kriegen das schon hin", meinte Nate, der neben mir im Sonnenlicht schimmerte. Er hielt mir die Hand hin und zog mich von Alice' Knien. Er fühlte sich anders an als sonst. Lily hatte ihn sich materialisieren lassen, solange wir trainierten und ich war unfassbar glücklich ihn zu spüren. Aber er war kühler, als sonst. Kein Vampir mehr.
Es schien immer noch unwirklich und wann immer ich mich ablenkte und unsere Probleme für den Moment vergaß, erschreckte ich über seine Gestalt.
"Wie geht es Alia? Hat sie den Lokalisierungszauber mittlerweile geschafft?", fragte Alice Nate zugewandt, während sie sich mit meiner Hilfe vom Boden hochhievte.
Der hochgewachsene Junge fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er wachte jede Nacht über Alia und wechselte sich nur selten mit einem von uns ab. "Ja. Ja, aber es geht ihr nicht gerade wunderbar. Ihr Fleckenfieber schreitet voran, wir müssen das Ding jetzt reißen." Kurz hustete er. "Ihr müsst es reißen."
Ich warf Nate einen traurigen Blick zu.
"Glaub nicht, dass du faulenzen kannst, weil du den Andere-Seite-Bonus hast." Alice lachte neben mir und stieß ihm spielerisch gegen die Schulter. Sie ging mit der Sache erstaunlich gut um und hob täglich unser aller Stimmung.
"Keine Sorge, ich werde auf euch achten", sagte Nate mit einem Schmunzeln.
"Ich werde versuchen, dich so lange wie möglich bei uns zu halten", versprach Lily, "Aber das geht nur, wenn ich mich nicht komplett auf andere Dinge konzentrieren und fokussieren muss."
Nate lächelte sie dankbar an. "Wir schaffen das schon. Gut. Dann lasst uns aufbrechen, wenn es dunkel wird."
"Wohin überhaupt?" Lily war hinter mich geflitzt und ich spürte ihre Anwesenheit gefährlich nah in meinem Rücken. Die kleinen Haare in meinem Nacken stellten sich auf. Ich spürte ihren Atem auf meiner Haut und ihre Wärme drang bis durch meine Kleidung.
"Nicht allzu weit von uns. Annapolis, Maryland. Die Kette hat Alia diesen Ort gezeigt. Genauer ging es nicht, soviel Kraft hat sie nicht mehr. Aber ein Urvampir ist nicht gerade unauffällig. Wir müssen achtgeben. Sie ist wütend und womöglich mit noch mehr Schutz unterwegs", erklärte Nathan.
„Unser einziger Vorteil wird Laurens Unwissen sein. Und ihre naive Leichtgläubigkeit", prophezeite Alex, der zu uns getreten war. Er hatte sich mit Lily beraten, die alles von ihrer Vergangenheit mit Lauren berichtet hatte. Unser Plan bestand daraus, die zweite Urvampirin zu überraschen, ihr einen Pfahl ins Herz zu rammen und sie nach Marienville zu holen. Sollte es Kompliktation geben, setzten wir auf ihre Naivität. Lily würde versuchen, ihr im Notfall Honig ums Maul zu schmieren.
Ich richtete meinen Pullover und trat einen Schritt nach vorne, um gewissen Abstand zwischen mich und Lily zu bringen. Mein ganzer Körper prickelte, solange ich sie hinter mir wusste und ich konnte mich so beim besten Willen nicht konzentrieren.
"Dann übt noch ein wenig. Wir haben noch ungefähr drei Stunden bis zum Sonnenuntergang", wies Nate an, woraufhin Lily wieder zu Finn flitzte, in den langsam wieder Leben zu kehren schien.
"Komm mit, Kat." Alice streckte ihr Hand nach mir aus. "Wir gehen noch ein paar Pfähle schleudern."
Gerade, als ich mich ihr anschließen wollte, hielt Alex mich an einem Arm zurück.
"Eine Sache noch, Kat." Er sah sich misstrauisch um, doch Lily und Finn gingen bereits unter Nates Aufsicht ihrem Training nach. "Ich habe volles Vertrauen in euch. Ihr schafft das."
Er schenkte mir ein aufrichtiges Lächeln und ich erwiderte es motiviert. "Natürlich tun wir das."
Eine kleine Falte bildete sich auf Alex' Stirn, als sein Lächeln wieder verschwand. "Bleibt zusammen, haltet euch an den Plan und hört auf Lily."
"Wieso jetzt noch so eine Erziehungsrede?" Ich hob grinsend eine Augenbraue. "Ich dachte, du vertraust uns."
In Alex' Blick lag nichts, was wirkte, als wenn er sich amüsierte. Plötzlich wurde auch ich ernst.
"Kat, kommst du?", rief Alice vom Rand der Lichtung und ich nickte ihr zu. Ich warf einen letzten Blick zu Alex.
"Wenn du jemals in Bedrängnis geraten solltest", flüsterte er jetzt und legte seine Hand an meinen Arm, "nimm einfach dein Armband ab. Vertrau mir."
Ich blickte auf das lederne Schmuckstück, das ich kaum mehr auf meiner Haut spürte, weil ich mich so daran gewöhnt hatte.
"Aber-"
"Katy, ich schleudere gleich einen Pfahl in deinen hübschen Popo, wenn du ihn nicht hierüber bewegst." Ich drehte mich zu Alice um, die hinter mir wild mit ihren Armen wedelte.
Ich nickte ihr zu und wollte mich zurück zu Alex wenden, denn ich musste noch nachhaken, was er über mein Armband wusste. Doch jede Frage wäre sowieso unbeantwortet geblieben. Als ich mich umdrehte, war von ihm nichts mehr zu sehen.
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