XV - Verrat
14.10.2036 Ford City, Chicago
Ich betrat die Halle hinter den letzten zwei Männern, Alice wartete bereits auf mich. Sie hielt die Arme verschränkt und lehnte an einer Wand neben der Eingangstür, den Blick fest auf das Arbeitertrüppchen geheftet.
"Zerbrich die Leitungen, dann jag' ich die Hütte in die Luft", wies sie knapp an, ein diabolisches Grinsen auf den Lippen, und holte ein Feuerzeug aus der Tasche ihrer roten Lederjacke.
Ich konnte nicht verhindern, dass meine Gedanken bei diesem Anblick erneut zum gestrigen Abend schweiften und mich daran erinnerten, wie Lily keines gebraucht hatte. Verdammt, wieso hing ich schon wieder bei ihr fest?
Ich schüttelte die Erinnerung ab und lief durch die kleine Halle. Ein unangenehmer Geruch stieg mir in die Nase, als ich mich an sieben schwitzenden Männern vorbeischob. Es erinnerte mich an die wenigen Unterrichtsstunden Sport, an denen ich tatsächlich die Umkleide von innen gesehen und nicht nur mit meinem Attest auf der Bank gehockt hatte.
Meine Schritte hallten als einziges Geräusch in dem leeren Raum wieder, der nur mit einzelnen Baumaterialien gefüllt war. Ohne jegliche Ordnung lagen Kupferrohre quer über Kabelbindern und Schaumstoffstücken verstreut.
Ich kniete nieder und riss eine Bodenklappe aus ihrer Verankerung. Ein dickes und ein dünnes Rohr verliefen übereinander. Ich griff nach beiden und setzte an, sie ruckartig herauszureißen.
"Pass auf!", rief Alice, als ich bereits einen schweren Schlag auf meinem Hinterkopf fühlte und zu Boden ging. Dumpf hörte ich Geschrei, das sich mit einem penetranten Piepen in meinem Ohr vermischte.
Perplex blieb ich am Boden sitzen. Ich spürte, wie warmes Blut meinen Nacken hinunterfloss, während ich darauf wartete, dass die Welt aufhörte, sich um mich herum zu drehen.
"Kat!", vernahm ich Alice erneut. Das klang gar nicht gut. Schnell schüttelte ich den Schmerz ab und wischte mir über den Hinterkopf. Das rote Blut an meinen Fingerkuppen glitzerte im schwachen Licht, das durch die Fenster drang. Geistesgegenwärtig leckte ich es ab, bevor ich mich aufrichtete.
Noch etwas benommen, bot sich mir ein einmaliger Anblick. Einige Männer lagen auf einem Haufen am Boden, die restlichen stürzten sich mit allen möglichen Waffen auf Alice. Holzpflöcke, Klingen und Brechstangen waren in ihren Händen zu sehen. Meine beste Freundin flitzte geschickt im Raum hin und her, wich ihnen aus und schmetterte immer wieder welche nieder. Doch sie standen auch mit gebrochenen Gliedmaßen einfach wieder auf und gingen erneut zum Angriff über.
Kurz hatte ich das Gefühl, Teil der The Walking Dead Welt zu werden. Die apokalyptischen Meisterwerke hatte ich mir früher ständig angesehen und diese Szenerie hier war mindestens so verstörend.
Ich sprang auf und eilte meiner besten Freundin gegen die zombieähnlichen Industriearbeiter zu Hilfe. Grob griff ich den erstbesten Mann am Kragen seines T-Shirts und hob ihn in die Luft, nur um ihn mit Schwung an die Wand neben Alice zu werfen. Seine Rücken brach geräuschvoll, als er wie eine Puppe auf dem Boden aufkam.
Ein breiter behaarter Mann, den ich vorhin erst manipuliert hatte, riss mich gewaltsam am Arm herum, wobei meine Schulter krachend ausgerenkt wurde.
Was war nur mit diesem verdammten Gelenk los?
Kurz verzog ich mein Gesicht angesichts des temporären Schmerzes, bevor ich meine andere Hand geradewegs ausstreckte und meine Nägel in den Hals meines Angreifers bohrte. Blut sickerte langsam aber sicher aus seiner Hauptschlagader als er sich auf sein Hinterteil fallen ließ. Meine Überraschung wandelte sich langsam aber sicher zu Wut.
Wieso widersetzten sie sich?
Während ich meine Schulter grob zurück ins Gelenk drückte, warf ich einen Blick zur Seite. Er verriet mir, dass es auch bei Alice brenzlig war. Ein übermäßig tätowierter Typ rang mit ihr, sein rechter Arm hing ungesund lose hinab und er war bereits blutüberströmt. "Was zur Hölle ist das hier?", rief ich Alice zu, während ich mir einen Feuerlöscher von der Wand neben mir griff und dem nächstbesten Angreifer an den Kopf schleuderte.
"Keine Ahnung", röchelte Alice neben mir, "Angriff der Zombie-Arbeiter?!" Sie brach ihrem Angreifer auch den zweiten Arm, doch er biss sich nun unbeeindruckt mit den Zähnen an ihrem Oberarm fest.
Ich konnte mir ein hysterisches Lachen nicht verkneifen. Ein Mensch, der einen Vampir biss, war dermaßen ironisch, dass ich den Ernst der Lage kurz zu ignorieren wusste.
Ich holte mit meinem Arm aus und schlug dem Mann zu meiner Linken in Höchstgeschwindigkeit ins Gesicht. Sein Genick brach genauso wie seine Nase, als sein Kopf nach hinten flog und er vor mir auf die Knie sackte.
Blitzschnell fuhr ich herum und griff die letzten beiden Männer von Alice ab. "Scheinbar", führte ich dabei unser Gespräch fort, "sind die aus überaus stabilem Stoff gestrickt." Ich ließ die Köpfe der beiden Männer ganz im Comic-Stil aneinander schlagen. Ihre Schädeldecken platzen auf, Blut spritzte, als sie endlich regungslos zu Boden sackten.
"Geschafft", murmelte ich schon, als ich erneut eine Regung im Augenwinkel wahrnahm. Das konnte nicht wahr sein.
Doch tatsächlich erhob sich ein weiterer Mann vom Stapel unserer Opfer. Es war der bullige Typ, dem ich gerade noch meinen Nagel in die Ader geschoben hatte. Ich stürmte sofort auf ihn zu.
"Warte!", rief Alice, als ich ihn blitzschnell am Hals in die Luft hob. "Du solltest schon lange verblutet sein", murmelte ich mit schief gelegtem Kopf und konnte nicht verhindern, dass ich beim Geruch seines Blutes die Zähne bleckte.
"Kat!"
Ohne meinen Blick von meinem Opfer abzuwenden, drehte ich meinen Kopf in Alice Richtung; "Was ist?"
"Lass ihn runter." Ihre Stimme war kühl, duldete keinen Widerspruch.
Mit zusammengekniffen Augen gehorchte ich, ohne meinen Griff zu lockern. Der Mann mittleren Alters schlug hektisch auf meinen Arm ein, den ich wie einen Schraubstock um seinen Hals geschlungen hatte.
"Wir sollten sie fragen, wie sie sich widersetzen konnten", sagte sie. Das war tatsächlich keine schlechte Idee.
"Du hast sie gehört", sagte ich zu dem blonden Mann, unseren Blickkontakt keine Sekunde unterbrechend, und ließ ihn los. Benommen blickte er mich aus seinen milchigen Augen an, nur um wenige Sekunden später auszuholen und mir mit der Faust in die Magengrube zu schlagen.
Überrascht prustete ich Luft aus und taumelte kurz rückwärts. Perplex stieß ich ein kaltes Lachen aus, das sich schnell in ein wütendes Schnauben verwandelte, als ich auf ihn zu stürmte und ihn wieder zu Boden riss.
"Was denkst du, wer du bist?", fauchte ich ihn an, mein Unterarm drückte auf seinen Kehlkopf. Ich spürte seinen schwachen Puls an meiner Haut schlagen. Es bräuchte nur eine minimale Gewichtsverlagerung, um seine Knochen zum Splittern zu springen, damit ich ihn unter mir ersticken lassen konnte.
Erinnert daran, dass ich hier die Oberhand hatte und mich nicht provozieren lassen sollte, ließ ich kurz locker und schmunzelte ihn an.
"Ihr hättet es nicht schaffen dürfen", murmelte er nur teilnahmslos, "wir sollten euch doch aufhalten."
Seine Stimme klang blechern, als wäre ein Lautsprecher in ihm eingebaut, der verzerrte Töne von sich gab.
"Sie sind manipuliert worden. Bevor wir hier waren", sprach Alice aus, was auch mir durch den Kopf schoss.
"Wer sollte das tun?", fragte ich sie angespannt. Alice lehnte sich an die Wand und zuckte mit den Schultern. "Jemand, der das hier verhindern will oder jemand, der dir eins auswischen will."
"Wer war das?", fragte ich den Mann wütend, versucht den Gedanken, dass es Nathan gewesen sein könnte zu verdrängen, und rüttelte ihn an den Schultern. Sein Kopf schlug wiederholt auf dem Betonboden auf.
Er schwieg dennoch. Ich setzte meinen Fingernagel an seine Kehle an und drückte zu. Ein kleines Rinnsal an Blut lief seinen Hals hinab.
"Nathan?", fragte ich nun leise, was mir durch den Kopf ging. Der Mann zeigte keine Regung und Alice verzog nur betroffen den Mund.
"Wer war es?" Ich betonte jedes Wort einzeln und blickte ihm in die Augen, zutiefst beeinflussend. Weiterhin keine Regung. Natürlich. Ich konnte keine andere Manipulation überschreiben.
"Wer denn, verdammt?", schrie ich nun und bewegte meinen Nagel seitlich seinen Hals hinab, als er immer noch nicht antwortete. Seine Ader quoll der Länge nach auf, das Blut spritze in winzigen Fontänen auf den Betonboden.
"Kat, beruhig dich", versuchte es Alice leise von der Seite, "das sind nur Emotionen. Du denkst zu eingeschränkt!"
Ich raffte ihn auf und schob meine Zähne in die Wunde, die ich eben erzeugt hatte. Erst jetzt bemerkte ich, wie durstig ich eigentlich war und glänzte nicht mit Zurückhaltung, als ich ihm beinahe die Pulsader leer trank.
Ein Schluck. Warmes Blut, wunderbar süß, benetzte meine Zunge. Noch ein Schluck. Sättigend lief es meine Kehle hinunter. Noch einer.
"Der wird nicht mehr aufstehen", meinte Alice trocken, als ich vergeblich versuchte noch mehr aus ihm herauszubekommen.
Meine beste Freundin blickte geradewegs an mir vorbei auf den schwerverletzten Mann mit blutenden Wunden, der mir bis eben noch als Nahrungsquelle gedient hatte und nun ächzend am kalten Boden lag.
"Er hätte es sowieso nicht überlebt", rechtfertigte ich mich kalt, als ich besagtem Mann nun in Lichtgeschwindigkeit den Schädel eintrat und ihn auf den Haufen anderer Leichen warf, die wir vor ihm erledigt hatten.
"Warum musst du ihn so brutal ermorden, Kat?" Alice blickte mich vorwurfsvoll an. "Er konnte nichts dafür."
Ich schnaubte gereizt und zuckte mit den Schultern, nicht mit der Absicht, ihr zu antworten und stieß mich leichtfüßig vom Betonboden ab, um zum Ausgang der Lagerhalle zu flitzen.
"Was hast du jetzt vor?", fragte mich das kurzhaarige Mädchen, nachdem sie im Handumdrehen zu mir aufgeschlossen hatte.
"Nate eine reinhauen."
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