X - Aiden
20.01.2017 San Fernando - Mexiko
Kaitlyn war wie in Trance, ihre Arme von Noel auf ihrem Rücken fixiert. Wieso half er ihr nicht?
Sofia begriff als Erste. "Nein", murmelte sie leise und schritt auf Noel zu, "du elender Bastard. Ich werde dir eigenhändig das Herz rausreißen."
Der Dunkelhaarige hielt Kaitlyn wie ein Schutzschild vor sich, die immer noch zu perplex war, etwas zu tun. "Es tut mir leid", flüsterte er ganz nah an ihren Nacken, "ich wollte dich nicht ausliefern. Ich habe keine Wahl."
"Ganz ruhig, Blondine. Hier stirbt keiner. Nunja, außer euch beiden", lachend deutete Aiden auf die Frauen und trat auf Kaitlyn zu, in seiner Hand ein Holzpfahl.
Endlich kam Leben in die junge Vampirin. Sie warf den Kopf in den Nacken und hörte, wie Noels Nase krachend brach, als er zurücktaumelte und sie freigab. Schnell duckte sie sich unter Aidens Faust hinweg, doch er war viel erfahrener. Sofort trat er mit seinem Bein nach ihrem Knie und Kaitlyn ging zu Boden. Sein Fuß traf sie einmal in den Magen, dann nochmal und nochmal.
Sofia eilte ihr zur Hilfe und verpasste Aiden eine Schlag auf den Hinterkopf. Er schnaubte wütend, als Kaitlyn aufsprang und zur Tür rannte. Doch der Vampir war schneller, er bekam sie am Nacken zu fassen. Mit Schwung warf er sie an die Wand, der Putz bröckelte sofort auf sie hinab.
Die nächsten Augenblicke liefen wie in Zeitlupe vor Kaitlyns Augen ab. Aiden richtete den Pfahl in seiner Hand zielstrebig auf ihr Herz, doch er hatte die Rechnung ohne Sofia gemacht. In weniger als einem Wimpernschlag flitzte sie vor Kaitlyn.
Der Pfahl bohrte sich zielsicher in ihr Herz.
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12.10.2036 Gardenville, Ontario
Ich schüttelte mich reflexartig, um meine penetranten Gedanken loszuwerden und betrat das Landhaus hinter den anderen beiden Vampiren.
Nathan hatte mir getextet, dass er die Besitzerin des Hauses manipuliert hatte, uns bei ihr unterkommen zu lassen. Der Weg entlang der Landstraße war geprägt gewesen von lähmender Schweigsamkeit, wobei ich hauptsächlich in Schuldgefühlen versank. Heute war ich wirklich nicht ganz bei mir.
Was war nur los mit mir?
Ich atmete tief durch und säuberte meine Schuhe am Fußabtreter. Meine geliebten weißen Stiefel waren ziemlich verschmutzt, die Nähte fast gänzlich schwarz. Ich seufzte kurz, bevor ich sie auszog und neben der Tür abstellte.
Nach einem kleinen Eingang, gespickt mit Fotos an den Wänden und einem weichen, bunten Flickenteppich am Boden, folgte ein großer, offener Wohnraum, der mit der Küche und dem Garten verbunden war. Ich reckte sofort den Kopf, um einen Blick nach draußen zu erhaschen. Tatsächlich glänzten einzelne Blumen in allen Farben in einem kleinen Beet. Es kam bei weitem nicht an Alice' Blumenmeer in ihrem Garten in Manhattan heran, doch es wirkte sehr vertraut und löste in mir ein seltsames Gefühl der Trauer aus.
Nathan saß auf einem der cremefarbenen Sofas und sah fern. Er wirkte zufrieden und seltsam entspannt.
"Hey", begrüßte Finn ihn als Erster und lief zu Nate herüber, sodass sie sich brüderlich umarmen konnten. Auch ich folgte und beugte mich herunter, um mich von ihm in die Arme schließen zu lassen. Nach all der Angst und Schuld, die ich empfunden hatte, fühlte es sich einfach nur gut an, in seiner Nähe sein zu können. Auch, wenn ich mir sicher war, dass er das nicht so empfand.
Bevor der Moment jedoch peinliche Länge annehmen konnte, richtete ich mich wieder auf. Nate lächelte mich an, als er sich zurückfallen ließ.
"Wo ist Alice?", fragte ich und sah mich suchend um.
"Sie schläft oben, diese alte Dame kümmert sich etwas um sie", murmelte er und konzentrierte sich wieder auf den Fernseher. Es war ein augenscheinlich altes Modell, ich schätzte es auf mindestens 20 Jahre. Darauf war eine kurze Videoaufnahme von Regenwäldern zu erkennen, die sich ständig wiederholte.
"Schön, nicht?", meinte Finn auf meinen verträumten Blick hin, "Schade, dass sie kaum mehr existieren." Ich erlaubte meinen Blick, noch einige weitere melancholische Sekunden an dem Bildschirm festzuhängen. Dann macht ich mich auf den Weg in das obere Geschoss. Ich hatte gemeinsam mit Alice schon genug Tränen über diese zerstörte Artenvielfalt vergossen. In den letzten Jahren hatte die Welt sich mit dem Klima gewandelt, doch der Punkt einer Irreversibilität war lange überschritten.
Ich seufzte leise, als ich den Fuß der Treppe erreichte. Mein Traum war immer gewesen, einmal als Erwachsene die tatsächliche Natur zu erleben. Eine lebendige, blühende Natur, außerhalb von Alice' Garten. Eine Natur, die sich selbst erhielt und pflegte, ohne unsere Einflüsse. Doch dieser Traum war schon lange zerplatzt. Sei es, weil ich niemals erwachsener werden würde oder weil diese Natur nicht mehr existierte.
Die hölzerne Treppe knarrte bei jedem Schritt bedenklich, als ich hinter Lily und Finn die Stufen hinauf schritt, die braune Farbe blätterte von ihnen ab. Oben angekommen, zogen sich die knarrenden Dielen über den gesamten Boden. Nur drei Türen gingen von dem winzigen Flur ab - eine gläserne gab den Blick auf eine wunderschöne Terrasse frei. Beim Anblick dieser nahm ich mir sofort vor, später dort hinauszugehen.
Finn öffnete eine der hölzernen Türen gegenüber und blickte vorsichtig hinein. Ich konnte hinter dem großen Jungen kaum etwas erkennen und beschloss, Lily durch die rechte Tür zu folgen. Ein kleines Zimmer, das hauptsächlich aus einem Kleiderschrank und einem Doppelbett im Blockhaus-Stil eingerichtet war.
"Das wird gemütlich", kommentierte Lily und lehnte sich mit verschränkten Armen an den Bettpfosten. Ich war mir nicht sicher, wie wir die Schlafplätze aufteilen würden, aber ich war sicher, dass sie allein schlafen würde. Wollte. Musste.
"Nebenan schläft Alice in einem Einzelbett, aber es gibt ein Schlafsofa", beantwortete Finn meine Gedanken, der soeben hinter mir das Zimmer betrat.
"Ich bin auch echt fertig und würde mich erstmal dorthin legen. Sagt sofort Bescheid, falls es was Neues gibt", verabschiedete er sich. Selbstverständlich ging ich ihm hinterher, um kurz nach Alice zu sehen.
"Hey, Kat. Ich weiß, du macht dir Sorgen, aber gönn' ihr ihre Ruhe", hielt Finn mich vor der Tür zurück und ließ mich dann wortlos davor stehen. Perplex schnaubte ich. Für wen hielt er sich, dass er bei ihr bleiben durfte und ich nicht?
Zurückgewiesen wandte ich mich der Treppe zu, um hinabzugehen. Das kratzte an meinem Ego, aber Finns Worte hatten zu sinnvoll geklungen, als dass ich jetzt einen Aufstand proben und in ihr Zimmer stürmen könnte. Ich schnaufte, bevor ich hinab flitzte. Wir würden schließlich den Plan besprechen müssen. Falls es einen gab.
Lily folgte mir, als ich wieder durch den Wohnraum auf Nathan zu lief.
Wir setzten uns links und rechts von ihm an den Esstisch, wobei Lily sorgfältig auf einen Sicherheitsabstand zu uns achtete. "Wie soll es weiter gehen?", fragte ich und blickte Nathan erwartungsvoll an.
"Alex wird sich um das letzte Opfer direkt in New York kümmern. Wir haben also nur noch das in Chicago vor uns", erklärte Nathan mir und Lily mit rauer Stimme. Er schien mit den Gedanken woanders zu sein.
"Am besten brechen wir gleich morgen auf", meinte ich dann und rutschte in meinem Stuhl ein Stück nach vorne. "Nate", begann ich dann mit dem Themenwechsel, "wie hast du dir die Bettaufteilung vorgestellt?"
Verwirrt kratzte er sich am Hinterkopf und zuckte mit den Schultern. "Lily sollte alleine schlafen", er schenkte ihr einen misstrauenden Blick, "wir können also hier auf dem Sofa übernachten", schlug er dann vor. Zweifelnd sah ich ihn an. Ich wusste, dass ihm das widerstreben musste, aber hatte tatsächlich keine bessere Idee.
"Kat, Aiden ist in den USA", platzte Nate dann heraus und riss mich aus meinen Gedanken. Seine Augen funkelten wütend.
"Was?", brachte ich nur heraus. Mein Ziehonkel in unserem Heimatland? Sofort brach kalter Schweiß in meinem Nacken aus. Sofia mit einem Pfahl im Herz und Nathan, wie er bis zur Unkenntlichkeit von Aiden verprügelt wurde, schoben sich vor mein inneres Auge. „Nein. Nein, das kann nicht sein. Nein", stotterte ich und begann meine Finger zu verknoten. Meine Sicht verschwamm und ich hatte das Gefühl, dass sich der Boden unter meinen Füßen verflüssigte.
Nathan legte vorsichtig seine Hand auf meine. „Ruhig atmen, Kat." Ich tat wie mir befohlen.
„Ich bin da, ich passe auf euch auf."
Mein stolperndes Herz schlug langsam ruhiger und meine Sicht klarte wieder auf. Ich musste mich zusammenreißen. Um Sofias Willen. Und weil ich mir nicht vor Lily die Blöße geben wollte, eine Panikattacke zu erleiden.
„Woher weißt du es?"
"Alex hat es mir geschrieben. Fünfzehn tote Gardenmitglieder an der Grenze. Aiden kommt sicher nicht alleine - und er ist verdammt wütend."
Das klang gar nicht gut. Besorgt zog ich die Augenbrauen zusammen. "Weiß Alex, was Aiden vorhat?"
"Rache. Sicherlich für die Razzien in Mexiko - oder einfach nur zum Spaß. Du weißt, wie er ist. Aber wir müssen uns nicht um Alex sorgen. Er hat genug in Schutz in New York. Leider wissen wir so aber nicht, wo Aiden zuschlagen wird - und wie", antwortete er ruhig. „Aber wenn er in unsere Nähe kommt, werde ich ihn schlagen bis sein Gesicht aufplatzt und ihn kopfüber ausbluten lassen."
Ich schloss die Augen und versuchte seinen blutrünstigen Ton zu ignorieren. Ich konnte es ihm nicht verübeln, ich war genauso auf Rache aus, aber er machte mir Angst, wenn er so emotionslos sprach.
"Entschuldigt, dass ich eure Hiobsbotschaften unterbreche", meldete sich Lily, "aber wer verdammt ist Aiden?" Ich hatte beinahe vergessen, dass sie immer noch neben uns saß.
Nathan hob fragend eine Augenbraue. "Du lebst so lange und kennst fast die halbe Welt, aber hast noch nie von Aiden Collins gehört?", fragte er skeptisch.
Lily Blick verdunkelte sich kurz.
"Er ist Nate's Onkel", erklärte ich schnell, "und hat ein großes Problem mit Alex. Ein enorm großes." Und ich eines mit ihm, fügte ich im Stillen hinzu.
Die Rothaarige gab sich mit der Antwort zufrieden. "Klingt ja absolut wunderbar", meinte sie und stand abrupt auf, "ich gehe dann auch ins Bett." Ohne sich zu verabschieden, flitzte sie die Treppen hoch und ließ uns beide zurück.
"Hast du Hunger?", fragte Nathan als Themenwechsel. „Wir können die alte Dame anzapfen."
Ich schüttelte den Kopf und steuerte das Sofa an, um mich in das weiche Leder sinken zu lassen. Erstens konnte ich mir nicht vorstellen, dass diese Oma sonderlich sättigend war und zweitens war mir nach der Nachricht gerade der Appetit vergangen.
Nathan, der mir gefolgt war, lehnte sich auf dem Sofa zurück und bot mir an, es ihm gleichzutun. Vorsichtig ließ ich mich sinken. Wir hatten keinen ruhigen Moment mehr gehabt, seit der Nacht im Club. Zwischen uns hing spürbar eine Menge Unausgesprochenes in der Luft.
"Alles gut?", flüsterte Nate an meinem Ohr. Ich nickte, das Herz schlug mir bis zum Hals.
"Bist du noch wütend?", platzte ich heraus. Dass Aiden wieder im Land war, hatte alte Wunden in mir aufgerissen. Wunden, die ich nie wieder fühlen wollte.
Er sah mich fragend an. "Für den Club?"
Ich schüttelte den Kopf und schenkte ihm einen langen Blick. Nathan atmete schwer auf und stützte den Kopf auf die Hände. Er hatte sofort begriffen.
"Kat, mir wurde buchstäblich das Herz zerissen in dieser Nacht. Und ich erwische mich manchmal beim Zweifeln, ob du nicht einfach einen anderen Mann hättest lieben können. „Ich riss mich zusammen, um nicht zu weinen und nickte. „Aber dann denke ich daran, wie glücklich du warst und, dass man seine Gefühle nie steuern kann. Ich weiß, dass du alles getan hast, was du konntest. Aber tief im Inneren, will ich es nicht akzeptieren. Ich will nicht akzeptieren, dass sie vielleicht nie wieder zu mir zurückkommt."
"Es tut mir so leid. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht bereue, besser gekämpft zu haben." Nun konnte ich eine Träne nicht aufhalten und sie floss heiß meine Wange hinunter. Ich wusste nicht, ob ich wegen Sofias Verlust oder Noels Verrat weinte.
"Nein." Nate sah auf und blickte mir direkt in die Augen. „Du hättest nichts tun können. Du wusstest doch noch gar nicht, wie man kämpft. Und ich weiß noch ganz genau, wie du hinterher ausgesehen hast. So hart das auch klingen mag, ich bin froh, Noel getötet zu haben. Er hat dir eine Beziehung vorgespielt, um dich zu Aiden zu locken. Er hatte es verdient, zu sterben."
Nate rutschte an mich heran und öffnete seine Arme. "Der Einzige, der Schuld trägt, ist Aiden. Mensch, du wärst fast selber gestorben, Eisprinzessin." Ich beugte mich zu ihm und lehnte mich schluchzend an seine harte Brust. "Das hätte ich nicht auch noch verkraftet."
Seine Stimme brach leise ab und er drückte mir einen Kuss auf die Haare. "Niemals, darfst du sterben. Das werde ich nie zulassen."
Ich richtet mich vorsichtig wieder auf und lächelte ihn im schummrigen Licht an. Seine Worte bedeuteten mir so viel.
"Und es tut mir leid, was ich neulich gesagt habe, nach dem Abend. Es lag nicht ausschließlich am Rausch - du warst auch sehr entscheidend."
Ich musste leicht verheult auflachen. "Das werte ich als Kompliment." Auch Nate lächelte müde.
"Trotzdem sollten wir es dabei belassen."
Ich nickte und trotzdem schmerzte es ein bisschen in meiner Brust. Ich hatte nie mehr von Nate gewollt, aber Zurückweisungen fühlten sich immer unangenehm an. Und kratzten an meinem Ego.
Der Dunkelhaarige legte sich quer auf das aufgeklappte Sofa und klopfte neben sich. Ich ließ mich nieder und spürte, wie er einen Arm um mich legte.
"Ich werde dich immer beschützten", murmelte er an meine Haare.
"Danke", flüsterte ich nur leise.
Nathan atmete neben mir bereits ruhig und gleichmäßig, als meine Gedanken immer noch im Kreis, um immer dieselben Dinge drehten.
7 Menschen. Ein Urvampir, den wir opfern mussten, bevor er uns opferte. Nathan. Sofia. Noel. Aiden.
Entnervt von mir selbst stand ich schließlich auf, um nach oben zu gehen. Ich flitzte die Treppe hinauf, um niemanden von den knarrenden Dielen erwachen zu lassen und drückte die Tür zur Terrasse auf.
Noch bevor ich diese wieder schließen konnte, erblickte ich eine Person im Augenwinkel.
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