IV - Deal
08.10.2036 Untergrundclub, New York City
Ich fühlte nichts außer Adrenalin.
Mein Blutrausch steigerte sich auf sein Maximum, als wir uns gemeinsam über unser drittes Opfer hermachten.
Es war das blonde Mädchen, mit dem vorher schon Finn seinen Spaß gehabt hatte.
Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war oder wo Alice abgeblieben war. Aber ich musste auch leicht schockiert feststellen, dass ich kaum einen Gedanken daran verschwendete. Alles, was ich wollte, war mehr. Mehr von diesem süßen Blut.
Wir hatten in der Nische Platz genommen, wo vorhin die beiden Jungen zusammen gesessen hatten. Das blonde Mädchen saß auf meinem Schoß und drückte meinen Kopf fester an ihren Hals. Es wirkte fast, als würde sie diese Prozedur genießen.
Meine Hände hatte ich an ihrer Hüfte abgelegt. Doch mit jedem Mal, das sie meinen Kopf näher an ihren Hals zog, ließ ich meine Hände tiefer an ihrer Hüfte wandern.
"Wow, Kaitlyn. Du sollst sie zum Abendbrot essen, nicht vernaschen", lachte Nate mit einem Nicken zu meinen Händen. Er saß nah bei mir und spielte in den Haaren des blonden Mädchens.
Ich ließ für einen Moment von ihr ab, um ihm in die Augen zusehen.
"Ich vernasche, wen ich will", lachte ich und zwinkerte ihn neckend an. Kurz übermannte mich ein unangenehmes Gefühl. Ich war lange niemanden mehr auf diese Art nahe gewesen. Niemandem seit Noel. Doch dann besann ich mich wieder.
"Du bist nicht mein Beschützer, also hör auf, dich so zu verhalten. Das habe ich dir schon Millionen Mal gesagt", setzte ich dann etwas ernster hinterher.
"Wenn du wüsstest", murmelte er und lachte etwas bitter auf. Außerdem habe er mich dazu eingeladen, hier zu bleiben und das würde ja kein ordentlicher Aufpasser tun, meinte er. "Und ich lasse dich dieses Mädchen vernaschen."
"Eifersüchtig?", fragte ich spielerisch und hob eine Augenbraue. Woher hatte ich auf einmal all diesen fragwürdigen Mut?
"Vielleicht sollte ich im Gegenzug einfach dich vernaschen", brachte Nate den schlechtesten Anmachspruch, den ich seit langem gehört hatte.
Meinte er das ernst?
Der Dunkelhaarige griff in meine platinblonden Haare und strich sie langsam hinter mein Ohr. Er konnte wahrscheinlich genauso gut fühlen wie ich, dass mein Herz in Rekordgeschwindigkeit schlug. Neckend zeigte er seine Fangzähne.
Das Bild einer bestimmten blonden Schönheit mit ihrem strahlenden Lächeln tauchte kurz vor mir auf. Doch ich verdrängte den Gedanken sofort.
"Dann tu das", flüsterte ich provokant an seinem Ohr. In diesem Moment wollte ich einfach vergessen. Meine Vergangenheit. Unsere Vergangenheit.
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Noch bevor ich meine Zähne wieder in Blondie versenken konnte, hatte er seine in meinem Hals. Überrascht fuhr ich zusammen, was einen kurzen stechenden Schmerz verursachte.
Ich war noch nie zuvor ausgesaugt worden und es fühlte sich seltsam an. Und wunderbar. Ein leichter Schmerz vermischte sich mit dem furchtbar angenehmen Gefühl der Lust, als Nate an meinem Hals ein attraktives Knurren von sich gab. Mein Unterleib zog sich auf eine ungewohnte Art zusammen und ich verspürte den Drang, näher zu ihm zu rücken.
Nathans Zähne an meiner Haut entlockten mir ein überraschtes Keuchen. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf in den Nacken und ließ ihn weiter machen.
"Ich geh dann mal", flüsterte Blondie mit einem benommenem Lächeln und stand von meinem Schoß auf.
Sekunden, die Nate nutzte, um mich in Vampirgeschwindigkeit auf seinen Schoß zu ziehen. Mein Magen schlug aufgeregte Purzelbäume. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich so fühlte oder warum ich all dies überhaupt zuließ - mit meinem besten Freund. Mein Körper jedoch hatte auf Autopilot geschaltet und ignorierte jedes Fünkchen Verstand.
Das hier war falsch. Ich wusste es ganz genau. Doch ich konnte nicht aufhören – ich wollte nur mehr.
Während ich auf dem Vampirjungen saß, merkte ich deutlich, dass auch ihn diese Nähe nicht unberührt ließ. Er ließ von meinem Hals ab und sah mir in die Augen. Meine Wunde heilte binnen Sekunden.
Das gierige Glitzern in seinen dunklen Augen ließ mich den Verstand verlieren. Ich beugte mich nach vorne und leckte vorsichtig den Rest Blut von seiner Unterlippe ab.
Er rührte sich nicht und unsere Gesichter verharrten, wenige Zentimeter entfernt voneinander. Ich konnte seinen Atem auf meinen Lippen spüren. Vorsichtig strich ich über seine Narbe im Gesicht und fuhr sie von Anfang bis Ende nach.
Ein Wirbelsturm an Gefühlen fegte durch mich hindurch. Ich fühlte alles. Alles und gleichzeitig nichts. Keine der Emotionen ließ sich greifen. Als würden sie stetig durch mich hinweg fegen. Ohne Pause.
„Wir sollten das nicht tun", brachte ich flüsternd hervor. Nate nickte.
„Ich – ich kann es nicht richtig kontrollieren", gab er eine stockende Antwort. Ich verstand, was er meinte. Es war wie ein Kampf, in meinem Inneren. Ich wollte das hier nicht, aber was auch immer ich meinem Körper befahl, es wurde nicht umgesetzt. Ich konnte nicht einmal Panik über den Kontrollverlust spüren. Sondern nur die Lust.
Plötzlich lehnte er sich nach vorne und überbrückte den minimalen Abstand zwischen unseren Lippen. Ich registrierte die Welt um uns herum nicht mehr. Alles, was ich spürte, war die Musik, mein Herzschlag und ihn. Überall an meinem Körper. Es fühlte sich wahnsinnig an. Und gleichzeitig so falsch.
Seine Hände wanderten an meinem Oberkörper rauf und runter, während wir uns in dem Kuss verloren.
Unbemerkt hatte ich eine Hand unter sein T-Shirt geschoben und spürte nun seine durchaus definierten Muskeln an meiner Hand. Meine andere Hand vergrub ich in seinen dunklen Haaren, was ihm erneut dieses tiefe Knurren aus seiner Kehle entlockte. Nate zog mich noch näher zu sich und küsste mich, wie ein Verdurstender, der in meinen Lippen einen letzten Rest Wasser gefunden hatte.
Ich wusste nicht, wie lange wir dort zu einem Chaos der Gefühle verschmolzen. Mein Zeitgefühl setzte völlig aus. Ich befand mich in einem Zustand der blinden Schwerelosigkeit.
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08.10.2036 Collins' Gebäude - Schlafquartier, New York City
Ich wachte mit stechenden Kopfschmerzen auf. Langsam setzte ich mich aufrecht hin und wartete auf die heilende Wirkung meines Blutes, die das kleine Erdbeben in meinem Schädel zu neutralisieren wusste.
Nach wenigen Sekunden realisierte ich, dass ich in meinem Zimmer im Collins-Anwesen war. Meine Klamotten von gestern hingen säuberlich gefaltet über meinem weißen Schreibtischstuhl, ein Glas Blut daneben auf dem Tisch. Vorsichtig griff ich danach und leerte es in einem Zug. Es fühlte sich an wie flüssige Energie und sofort ging es mir etwas besser.
Ich blickte reflexartig an mir herunter. Meine dunkle Unterwäsche streifte meinen Blick. Wie war ich nachhause gekommen? Hatte Nathan mich ausgezogen? Nein, das würde er nicht tun.
"Oh Gott", murmelte ich beschämt.
Schockiert musste ich meinen grausamen Anblick im deckenhohen Spiegel, gegenüber meines Bettes erkennen. Meine Haare waren strohig und standen chaotisch in alle Richtungen meines Kopfes ab. Ich sah aus wie Eisprinzessin Elsa, die zu tief in die Steckdose gegriffen hatte. Meine Augenringe waren so dunkel, dass man fast meinen könnte, meine hellen Augen würden im Kontrast zu ihnen leuchten.
Hektisch strich ich meine Haare etwas glatt, wobei mein Blick auf das Lederarmband an meinem Handgelenk fiel. Ein hölzernes Plättchen mit etlichen Ornamenten hing daran. Ich trug dieses Schmuckstück seit ich denken konnte und ich wusste nicht, was ich tun sollte, wenn ich es jemals verlieren würde.
Ich griff mir an den Kopf und lief mit geschlossenen Augen zu meinem Kleiderschrank, um das erstbeste Teil, ein einfach schwarzes Kleid, herauszuziehen.
In Bruchstücken flogen Erinnerungen des letzten Abends vor meinem inneren Auge entlang. Alice ... wo war Alice? Und... oh Gott.
Ich erstarrte in meiner Bewegung, das Kleid in meiner linken Hand, das Wasserglas in meiner rechten.
"Ach du Scheiße", flüsterte ich mir selbst zu, als die Ereignisse des gestrigen Abends zu mir zurückkamen.
Was war passiert nachdem ich eine Make-Out-Session mit meinem Vampirpartner aka. besten Freund aka. Nathan begonnen hatte? Dem Mann, dem ich noch vor wenigen Jahren jegliches Glück aus seinem Leben gestohlen hatte? Warum hatte er sich auf mich eingelassen?
"Oh man. Scheiße. Fuck", fluchte ich wiederholend, während ich mir schnell das Kleid anzog und mich auf den Weg nach unten, in die Küche machte. Wie hatte das passieren können?
"Guten Morgen, Partyprinzessin", hörte ich die vertraute Stimme meiner besten Freundin aus der Küche, noch während ich oben am Treppenansatz stand.
Ich schickte ein kurzes Stoßgebet ab, dass sich keiner der anwesenden Personen an irgendetwas erinnern würde, und flitzte die breite Mamortreppe hinab.
"Hey, na du?", versuchte ich mich an lächerlichem Smalltalk, als ich mich gegenüber von Alice an dem Küchentresen niederließ. Sie war gerade dabei, sich eine Blutkonserve in ein Weinglas zum Frühstück einzuschenken.
Meine Freundin zog eine Augenbraue in die Höhe und schenkte mir einen unglaubwürdigen Blick.
Ohne sie weiter zu beachten, zog ich mein Smartphone zu mir herüber, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie es auf dem Tresen gelandet war, und begann sinnlos hin und her zu scrollen.
"Was war das gestern? Geht es dir besser?", sprach Alice das Thema an, was ich zu vermeiden versucht hatte. Ich biss mir angespannt auf die Lippe und tat so, als hätte ich die Frage überhört.
"Kat, ich weiß, dass du mich gehört hast. Du hast ein Vampirgehör, du würdest mich auch hören, wenn ich drei Zimmer entfernt von hier sein würde.
Schnaufend knickte ich ein.
"Keine Ahnung, dieser Club hat mich völlig verwirrt", gab ich zu, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, "aber wo warst du denn eigentlich?"
"Ich weiß es nicht mehr. Ich wurde auf die Tanzfläche gezogen, hab ein paar Menschen angezapft und das Nächste, was ich weiß, ist, dass Nathan mich aufweckt, weil er meine Hilfe braucht, um dich nach Hause zu bringen. Dann habe ich dich ins Bett gebracht und bin selber eingeschlafen", schilderte sie den Abend aus ihrer Sicht.
Also hatte sie mich ausgezogen. Und auch scheinbar nichts von mir und Nate erfahren. Erleichtert atmete ich auf.
"Wo ist er überhaupt?", fragte ich sie vorsichtig.
"Hier, Kat."
Wenn man vom Teufel spricht, schoss mir durch den Kopf.
Nate betrat gähnend die Küche und ich rutschte beschämt tiefer, soweit mir der Barhocker das erlaubte. Nichts wünschte ich mir im Moment sehnlicher, als dass sich der Boden auftun und Lucifer mir entgegenwinken würde, damit ich aus dieser Szenerie verschwinden konnte.
"Hast du mich vermisst?", neckte er mich. Ich erstarrte.
"Ähm", ich räusperte mich hastig, "was hast du denn gestern überhaupt in diesem Club gemacht?"
Er zuckte mit den Schultern und ließ sich neben mir nieder.
"Ich und Finn wollten jagen gehen, bis wir einen süßen Geruch vernommen haben und ihm gefolgt sind." Ich warf Alice einen vielsagenden Blick zu. Bei uns war es dasselbe gewesen. Sie nickte stumm und wandte sich wieder ihrem Frühstück zu.
Beängstigt und doch neugierig blickte ich zu dem dunkelhaarigen Jungen und wartete darauf, ob er weiter erzählte.
"Dann sind wir da rein, haben ein paar Frauen ausgesaugt und dann bist du gekommen", er nickte mir zu, "und mehr weiß ich nicht mehr."
Ja!
Meine Gebete wurden erhört.
Oder er wollte einfach nicht vor Alice darüber reden.
Shit.
"Der Laden ist mir sehr suspekt. Halten wir uns davon fern. Ich werde Alex nachher davon berichten", meinte das lockige Mädchen bevor sie ihren "Wein" in einem Zug leerte und an uns vorbeirauschte. Nate blickte ihr anerkennend hinterher.
Zitternd nahm ich einen tiefen Atemzug. Ich musste wissen, ob er es nur wegen Alice nicht angesprochen hatte.
"Wegen gestern", begann ich vorsichtig, "lass es uns bitte einfach vergessen."
Er zog die Augenbrauen zusammen. "Wie meinst du das? Bezüglich was?"Ich knirschte mit den Zähnen und sah betreten zu Boden. Erinnerte er sich tatsächlich nicht?
"Ach", sagte er plötzlich, "du meinst, wie du im Blutrausch über mich hergefallen bist?"
Ein süffisantes Lächeln erschien auf seinen Lippen und seine Augen blitzten belustigt.
Schockiert sah ich ihn an. "Ich?! Du bist eher über mich hergefallen!", rechtfertigte ich mich wütend, "Ich meine, wer hatte seine Zähne in meinem Hals?"
"Ja, das war lecker", murmelte Nathan und zwinkerte mir überheblich zu, "aber hey, ich nehme es dir nicht übel, mich geküsst zu haben- sieh mich an", er deutete lächelnd an sich hinunter, "ich dachte nur nicht, dass sich dein Männergeschmack in den letzten zwanzig Jahren tatsächlich verbessert hat."
Natürlich musste er auf Noel anspielen.
"Oh stimmt. Dem einzigen Freund, den ich je hatte, hast du ja das Genick gebrochen", ich lächelte kalt, "fast vergessen."
Nathan schnaubte kopfschüttelnd. "Nachdem er uns verraten hat, Kaitlyn. Du bist nicht das Opfer dieser Geschichte. Sofia war es."
Autsch. Das hatte gesessen, obwohl ich wusste, dass er recht hatte.
"Ich habe versucht, sie zu retten, Nate", flüsterte ich, was ich ihm schon mindestens hundert Mal entgegengebracht hatte, doch er winkte ab.
"Lass es sein, Kat", sagte er nur, bevor ich aufstand.
"Aber ja", murmelte Nate dann, als er mich im Vorbeigehen am Arm festhielt, "wir vergessen es. Es ist nie passiert. Bild' dir nichts drauf ein."
Ich schnaubte, wütend darüber, wie er sich aufspielte. Seine Stimme klang auf einmal völlig verändert.
Als ob ich wollte, dass sich das wiederholte.
"Deal?", fragte ich mit Nachdruck und hielt ihm meine Hand hin.
"Deal."
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