III - Mädelsabend

07.10.2036 Alice' Vorgarten

Die Vögel zwitscherten laut, als ich neben Alice auf dem Gartenstuhl Platz nahm. Nach der bestürzenden Information über das Serum hatte ich mich sofort auf den Weg hierher gemacht, denn ich musste mit meiner besten Freundin dringend eine Notsitzung führen. Sie wohnte am Rand von Brooklyn in einer alten Zweizimmerwohnung neben dem Sunset Park. Ihr Zuhause war über die Jahre unser liebster Treffpunkt geworden, auch wenn sie die meisten Nächte sowieso im Collins Anwesen verbrachte. 
Aber die Lage war einfach bezaubernd und Alice hatte sich mit ihrem wunderschönen Garten selbst übertroffen. Ich fühlte mich mitten in dieser Blumenpracht unendlich wohl.

"Erzähl! Was hat er gesagt?", überfiel mich das kurzhaarige Mädchen sofort. Nervös tippelte sie mit ihrem Fuß auf dem Boden umher, ein Indiz der Aufregung, das man nur bei genauem Hinsehen bemerken konnte. Ansonsten sah sie gefasst und ruhig wie immer aus. Ihre kurzen schwarzen Locken hingen symmetrisch über ihren Wangen, ihre blauen Augen strahlten tiefe Ruhe aus.

Ich beugte mich in meinem hölzernen Gartenstuhl nach vorne und stützte die Unterarme auf den gläsernen Tisch. Zu beiden Seiten meiner Arme stapelten sich Blumentöpfe jeder Größe, Alice legte keinen großen Wert auf Ordnung. Dafür aber umso mehr Wert auf das gepflegte Dasein ihrer geliebten Pflanzen, die auch in ihrem kleinen Garten hinter der Erdgeschosswohnung in allen Formen und Farben prächtig blühten. Detailliert schilderte ich ihr nun, was Alex mir vor wenigen Stunden gesagt hatte.

Von Sekunde zu Sekunde wurde sie unruhiger.

"Das klingt nach einer komplizierten Angelegenheit", stellte sie fest, während sie begann an ihren Nägeln zu kauen, "aber wir müssen alles dafür geben, es zu bekommen."

Wir. Wie selbstverständlich hatte sich meine beste Freundin mit in mein Boot gesetzt. So, wie sie das immer tat, auch wenn es sinken mochte.

Ich wusste nicht, was ich ohne sie getan hätte. Ich hatte sie bereits als Vampirin kennengelernt, Alice war mit der Familie Collins herumgezogen. Seitdem ich ihr Anwesen das erste Mal betreten hatte, hatte sie mich in ihre Obhut genommen und kümmerte sich um mich, wie die große Schwester, die ich nie gehabt hatte.

Seltsamerweise hatte ich oft das Gefühl, sie länger zu kennen als den Rest der Collins.

"Wir bleiben erstmal ruhig und warten auf Alex' Anweisungen", versuchte ich ihren Tatendrang zu mindern.

Sie ließ sich in ihrem knarrenden Stuhl zurückfallen, ihr war die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben.

"Wollen wir auf einen kleinen Beutezug gehen? Mädelsabend?", gab ich schnell mein Bestes, sie aufzumuntern. Sofort hellte sich ihre Miene auf und innerhalb weniger Sekunden stand sie kerzengerade mit einem breiten Lächeln vor mir.

"Absolut, Kat. Wie seh ich aus?" Alice vollführte einen schauspielerischen Knicks und strich sich ihren roten Minirock glatt.

"Verführerisch", antwortete ich wahrheitsgemäß und fuhr mit meiner Zunge an meinen oberen Reißzähnen entlang.

"Uh, Miss Garcia." Alice beugte sich zu mir hinunter und ließ die Venen in ihren Augen dunkelrot hervortreten, so wie immer, wenn Vampire ihre Beute fokussierten. Es war unsere ganz natürliche Reaktion auf potentielle Nahrung und sollte zusätzlich unsere Opfer einschüchtern - denn ängstliche Menschen schmeckten schließlich am besten.

Doch mir konnte Alice keine Angst machen. "Ja, Miss Durand?", kicherte ich meine Antwort.

"Pass auf, dass ich dich nicht vernasche", flüsterte sie mit einem aufgesetzten französischen Akzent. Manchmal klang dieser so realistisch, dass ich nicht sicher war, ob sie nicht vielleicht französische Wurzeln hatte, besonders da ihr Nachname definitv aus Europa stammte.

Dennoch würde sie mir das nie bestätigen können. Alice hatte ihre Erinnerungen an ihr menschliches Leben bei ihrer Verwandlung durch Alia aufgegeben und ich war mir sicher, dass das einen Grund gehabt haben musste.

Seufzend erhob ich mich aus meinem knarrenden Stuhl, um ihr aus ihrem kleinen Garten hinaus zu folgen, auf in Richtung der Upper West Side.

"Was läuft eigentlich zwischen dir und Nathan?", fragte Alice noch während sie ihr Gartentor abschloss. Es war rostig und würde wahrscheinlich keinen Einbrecher abhalten, dennoch würde Alice ihren geliebten Garten nie ohne diesen "Schutz" zurücklassen. Ich konnte sie verstehen.

"Kat?", wiederholte sie. Ich rollte mit den Augen und kickte mit dem Fuß ein paar Steinchen weg, die auf dem Fußweg der Hauptstraße zu den Opfern meiner Frustration wurden.

"Was meinst du? Hat er wieder gepetzt?", gab ich kühl zurück. Meine beste Freundin kehrte dem Tor den Rücken zu und ließ den Schlüssel in die Jackentasche ihrer Lederjacke fallen.

"Nein. Naja. Ein bisschen. Er hat erzählt, dass er dich in den Gassen der Upper East Side gefunden hat. Mit den Zähnen in einer jungen Frau. Und, dass du gar nicht mehr aufhören wolltest- oder konntest."

Das war mal wieder klar. Wütend kickte ich einen weiteren Kieselstein, welcher in einem hohen Bogen aus unserer Sichtweite flog.

"Natürlich hätte ich aufhören können. Ich hab ihr fast gar nichts entnommen. Ich habe es satt, dass ihr es immer darstellt, als würde ich die Kontrolle verlieren", fauchte ich.

"Hey, Kat", Alice legte ihre Hand auf meine Schulter, "ich werfe dir gar nichts vor. Alles okay, ich glaube nicht, dass du keine Kontrolle hast. Und Nate auch nicht."

Ich schnaubte nur abfällig. "Komm, lass uns gehen", forderte ich sie auf und flitzte los, ohne ihre Antwort abzuwarten.

Wieder einmal hatte Nathan sich das Maul über mich zerrissen, hinter meinem Rücken. Bei meiner besten Freundin. Wow.

Gedankenversunken verpasste ich den Eingang zum Central Park, in welchem wir normalerweise Passanten abgriffen. Hart bremste ich ab und blieb einige hundert Meter dahinter stehen. Alice stoppte neben mir.

"Was...", begann sie, kam aber nicht zum Beenden ihrer Frage. "Warte. Riechst du das?"

Ich legte den Kopf etwas in den Nacken und sog die Umgebungsluft ein. Ein süßer Dunst beglückte meine Nase und ich schloss die Augen.

Was war das?

So sehr duftete nicht einmal der Flieder, den Alice in ihrem Garten mit viel Liebe zog. Benommen beschloss ich, dem Geruch zu folgen. Meine Begleiterin tat es mir gleich.

Er führte uns wenige Meter weiter in eine Gasse, aus der gedämpfte Musik drang. Ich kniff die Augen zusammen und sah mich um. Wir folgten dem Geruch weiter, er führte am Ende der Straße eine Treppe hinab vor eine dunkle Flügeltür. Sie war gepolstert und sowohl der Geruch, als auch die Musik schienen hier ihren Ursprung zu haben.

Meine beste Freundin rauschte an mir vorbei und drückte kurzentschlossen die Tür auf.

Es fühlte sich an, als würde ich eine andere Welt betreten. Hinter der Tür lag ein riesiger Raum, gefüllt mit tanzenden Personen.

Ein Club?

Gegenüber der Tür war die Bar, an welcher einige Leute von gutaussehenden, jungen Frauen bedient wurden. Links und rechts von dieser befanden sich Tanzflächen, an den Wänden einige Sitznischen.

Meine Sinne wurden für einen Moment gänzlich reizüberflutet. Laute Musik, Gespräche aus allen Richtungen. Der Geruch von lieblicher Süße vermischte sich mit dem von pulsierendem Blut unter der Haut all dieser Menschen.

Vorsichtig ging ich einige Schritte in den Raum hinein und versuchte, mich zu konzentrieren. Alice hatte ich längst aus den Augen verloren. Dafür fiel mir beim Überblicken des Raumes etwas anderes auf. Jemand anderes.

"Was tust du hier, Nate?", rief ich gegen die Musik an, "Wo sind wir überhaupt?" Der schwarzhaarige Vampir saß in einer der Sitznischen, umgeben von zwei Frauen, denen ich nur einen kurzen Blick zuwarf.

"Keine Ahnung! Irgendein Club", sprach ein blonder Junge neben ihm das Offensichtliche aus. Finn, ein guter Freund der Familie Collins.

Bei einer kurzen Musterung fiel mir auf, dass die beiden Jungen Alltagskleidung trugen, nichts was "Wir gehen feiern" schrie. Und auch Finn hatte zwei Mädchen in seinem Arm. Trotz des schummrigen Lichts erkannte ich, dass eine von ihnen eine tiefe Wunde am Hals hatte.

Verstört nickte ich in ihre Richtung.

"Die sind alle manipuliert in diesem Schuppen", rief Nate ebenfalls, um den Bass zu übertönen. "Keine Idee, wem der Laden gehört, aber das hier ist ein einziges Festmahl."

Mit diesen Worten zeigte er lächelnd seine Zähne, bevor er sie wieder in dem blonden Mädchen versenkte.

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Was hatte sie geritten, so unvorsichtig Menschen auszusaugen?

Ich machte auf dem Absatz kehrt und steuerte erneut auf den Ausgang zu. Das war nichts für mich. Ich mochte meine Mahlzeiten unmanipuliert. Ich wollte ihre Angst schmecken.

"Sei keine Spielverderberin."

Kurz vor dem Ausgang hielt mich eine Hand an der Schulter zurück. "Feier mit uns."

Nathan blickte mich aus seinen dunklen Augen an.

Noch während ich ihm ein bestimmtes "Nein, danke." antworten wollte, riss er mich mit sich auf die volle Tanzfläche.

Entnervt sah ich ihn an, als er ein schlankes Mädchen im silbernen Kleid an der Hand fasste und zu uns drehte. Sie lächelte. Freundlich, aber seelenlos.

Mit zusammengekniffen Augenbrauen musterte ich sie. Was zur Hölle war hier los?

Nate schob ihre blonden Haare auf die eine Seite ihres Halses, um die andere freizugeben. Er zog sie vor seinen Körper und bot sie mir mit einem Nicken an. Seine Haare fielen ihm in einzelnen Locken ins Gesicht, als er den Kopf schief legte und auf eine Reaktion von mir wartete.

Ich schüttelte stur den Kopf, woraufhin er sie langsam zu sich zog und von hinten seine Zähne in ihre Hauptschlagader gleiten ließ. Ohne den Blickkontakt zu mir für eine Sekunde zu beenden.

In seinen dunklen Augen glitzerte pure Lust, während er weiter an ihrem Hals saugte.

Gemeinsam mit dem Bass der Musik, den ich in meinem ganzen Körper fühlen konnte, gab mir das den Rest.

Was sollte schon passieren?

Kurz blickte ich mich um, doch niemand schien uns zu registrieren. Alle tanzten in Grüppchen, auf sich selbst konzentriert.

"Fuck", murmelte ich, während ich das blonde Mädchen am Arm zu mir zog. Vielleicht hatte ich tatsächlich nicht soviel Kontrolle, wie ich immer vorgab zu haben.

Nathan ließ mich gewähren und zog sich aus ihrem Hals zurück. Blut lief als kleines Rinnsal an seiner Unterlippe hinab. Unfähig zu verstehen wieso, merkte ich, dass das mein Herz schneller schlagen ließ.

Kurzentschlossen biss ich nun in den Hals unseres Opfers, ohne über jegliche Konsequenzen nachzudenken.

Dieser Club vernebelte meine Sinne.

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