8 | Kontrolle

Keuchend löste Konstantin sich von ihr und trat einen langen Schritt zurück. »Fuck! Neele, das... ich hätte nicht einfach... shit, das war nicht okay von mir.«

Abwehrend hob sie beide Hände. »Nein, nein, das war... völlig okay.«

Sie sah, wie er hart schluckte und beide Hände zu Fäusten ballte. »Ich... ich hab manchmal ein zu hitziges Temperament. Ich hätte nicht so wütend werden sollen. Und ich hätte dich dann ganz sicher nicht einfach so ungefragt küssen sollen.«

Neele grinste schief. »Und ich neige dazu, scharfe Spitzen zu schießen. Was ich gesagt hab, war eine Provokation. Völlig verständlich, dass du da wütend geworden bist.«

Es war offensichtlich, dass Konstantin ihr nicht wirklich glaubte. Um ihre Worte zu unterstreichen, machte sie ebenfalls einen langen Schritt und stellte sich so dicht vor ich, dass ihre Brust seinen Oberkörper beinahe berührte. Langsam, um ihm die Chance zu geben auszuweichen, legte sie ihm eine Hand über die Wange. Als sie sah, dass er es zuließ, strich sie ihm hauchzart mit dem Daumen über die Unterlippe. »Ich bin hart im Nehmen. So leicht vertreibst du mich nicht.«

Sie spürte, wie ein Zittern durch seinen Körper ging. Sein Blick lag auf ihr, wanderte zwischen ihren Augen hin und her, als suchte er nach etwas. Sie sah, wie er schwer schluckte, während sich seine großen Hände um ihre schmalen Oberarme schlossen. »Du solltest vorsichtig sein mit solchen Aussagen.« Seine Stimme klang rau, als würde er etwas zurückhalten, das mit aller Macht hervorbrechen wollte. »Andere würden das vielleicht als Einladung sehen.«

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Wo sie vorher noch Wut verspürt hatte, war jetzt nur noch die Hitze der Lust. Neele konnte sehen, wie er angespannt um Kontrolle kämpfte. Er hatte den Kuss unterbrochen und sich entschuldigt. Er hatte sie auf Abstand gehalten und warnte sie. Und das, obwohl in seinen blauen Augen, deren geweitete Pupillen sie wie ein schwarzer Abgrund zu verschlingen drohten, die gleiche Lust zu sehen war, die sie verspürte. Er würde nichts ohne ihre ausdrückliche Zustimmung tun.

Das fühlte sich gut an.

Sie konnte nicht verhindern, dass ein fieses Lächeln auf ihre Lippen trat. Sie beugte sich noch ein wenig weiter vor, um ihm ins Ohr flüstern zu können: »Vielleicht meine ich es ja als Einladung?«

Der Griff um ihre Oberarme wurde fester, doch sie gab ihm keine Zeit zu reagieren. Hauchzart ließ sie ihre Lippen über seine streifen, dann entzog sie sich ihm und trat drei lange Schritte zurück. »Komm, ich bin gespannt darauf, mehr von deinem Anwesen zu sehen. Ich will alles sehen, was du zu bieten hast.« Bei den letzten Worten schaute sie ihm bedeutungsvoll in die Augen, ehe sie sich umdrehte, um dem Pfad weiter zu folgen.

Es dauerte einen Augenblick, dann hörte sie seine Schritte hinter sich, die rasch zu ihr aufholten. Bei ihr angekommen, verlangsamte Konstantin sein Tempo und steckte seine Hände in die Hosentaschen. »Warum bekomme ich immer mehr das Gefühl, dass ich gar keine Ahnung habe, worauf ich mich bei dir einlassen?« Sein Tonfall klang spielerisch, doch Neele konnte eine gewisse Schärfe darunter raushören.

Für einen Moment fühlte sie sich tatsächlich schlecht. Sie war ja nicht einfach nur irgendeine Frau, die zufällig in seine Arme gestolpert war und sich auf eine kurze Affäre einlassen wollte. Sie war hier auf einer Mission. Ihr bester Freund Markus hatte monatelang darunter gelitten, dass die Presse ihn zwischen den Zeilen nieder gemacht hatte. Zwar hatte die breite Öffentlichkeit auch nach dem Prozess fest daran geglaubt, dass Konstantin von Falkenburg schuldig war. Aber genauso schienen die Medien fest überzeugt gewesen zu sein, dass man ihn hätte verurteilen können, wenn Markus nur bessere Arbeit gemacht hätte.

Sie war in diesen Monaten an seiner Seite gewesen, hatte ihn gestärkt und unterstützt, aber selbst auch darunter gelitten, diesen Mann, der immer so zielstrebig und selbstbewusst gewirkt hatte, so am Boden zu sehen. Obwohl er irgendwann gesagt hatte, dass der Fall jetzt endgültig hinter ihm lag, hatte sie ihm nie recht geglaubt. Und als er sofort die Gelegenheit beim Schopfe gepackt hatte, kaum dass sie von ihrer Zufallsbegegnung mit Konstantin erzählt hatte, gab ihr im Nachhinein recht.

Nachdem er sie überzeugt hatte, dass sie nicht in Gefahr war, hatte sie selbst auch die Chance gewittert, das angegriffene Image ihres besten Freundes wiederherzustellen. Sie wollte ihn nie wieder so leiden sehen, auch wenn seine Besessenheit mit Konstantin von Falkenburg nicht gesund war. Sie hatte es sich zur Mission gemacht, Markus zu unterstützen, komme, was da wolle.

All dies wusste Konstantin nicht, und so konnte er nicht ahnen, wie viel Wahrheit in seinem spielerischen Satz wirklich lag. Aber wenn er wirklich der Mörder war, für den sie ihn hielt, dann verdiente er ihr Mitleid nicht. Er hatte einen Menschen ermordet und das Leben ihres besten Freundes auf den Kopf gestellt.

Sie würde die heiße Leidenschaft, die Konstantin in ihr auslöste, nutzen, um ihn zu verführen. Es war offensichtlich, was er wollte, ebenso wie offensichtlich war, dass er nichts tun würde, was sie nicht ausdrücklich erlaubte. Das gab ihr Macht, es gab ihr Kontrolle über die ganze Situation, und sie würde es ausnutzen. Und genießen. Nichts war so befriedigend wie ein Mann, der vor Verlangen kaum noch klar denken konnte, aber sich selbst an die Leine nahm, um seine Chance nicht zu verspielen.

Lächelnd schlang sie ihre Arme um seinen Oberarm und schmiegte sich an seine Seite. »Du wirst rausfinden müssen, auf was du dich mit mir einlässt.«

Sein Blick huschte zu ihr, doch er gab darauf keine Antwort. Stattdessen führte er sie mit sicheren Schritten aus dem kleinen Wald raus und begann, mit ausholender Gestik zu erklären, was es auf seinem Anwesen alles zu sehen gab.

***

Als sie eine halbe Stunde später im Schatten des Sonnenschirms auf der Terrasse Platz nahm, fühlte Neele sich mehr denn je wie in einer anderen Welt. Die Selbstverständlichkeit, mit der Konstantin das großzügige Gelände rund um die Villa als seins bezeichnet hatte, ließ ihren Kopf schwimmen. Oder vielleicht war es die Hitze der Sonne. So oder so, sie war froh, ein weiteres Glas der kühlen Limonade vor sich zu haben.

Sie hatte gerade die Hälfte in drei großen Schlucken geleert, da kam Konstantin mit einem großen Tablett aus dem Haus, das er zwischen ihnen auf den Tisch stellte. Mit geübtem Griff platzierte er mehrere rustikale Holzplatten auf der Tischmitte. Neben verschiedensten Käsesorten erspähte Neele auch Weintrauben, getrocknete Aprikosen, Honig, Nüsse und offensichtlich selbst gebackenes Brot. Nachdem Konstantin die Platten zwischen ihnen platziert hatte, legte er mehrere Käse- und Buttermesser sowie Löffel und Gabeln auf den Tisch. Zu guter Letzt legte er jeweils eine kleinere Holzplatte vor ihren und seinen Platz und lehnte dann das Tablett neben den Tisch, ehe er sich selbst hinsetzte.

»Eine Käseplatte bei diesen Temperaturen?«, fragte Neele überrascht, während sie versuchte, alle Käsesorten zu identifizieren.

Konstantin grinste sie verschmitzt an. »Leg deine Hand auf die Mitte des Tisches.«

Sie folgte der Anweisung und spürte eine unerwartete Kälte von der Steinplatte ausgehen. »Wie kommt es, dass der Stein so kühl ist?«

Konstantin deutete auf einen unscheinbaren Knopf an der Seite des Tisches. »Anders als meine Gartenmöbel aus Holz ist dieser Steintisch eine besondere Anfertigung und lässt sich nicht beliebig umstellen. Im Inneren sind Kabel verlegt, die eine Kühlung der Steinplatte in der Mitte erlauben. Die überschüssige Wärme, die dabei produziert wird, wird unter der Terrasse aufgefangen und genutzt, um das Warmwasser mit zu erhitzen. So kann ich im Sommer draußen Käse, Torten und Salate genießen, ohne dass sie sofort in der Sonne zergehen.«

Als wäre das nichts besonderes, wechselte er das Thema, ehe Neele noch etwas darauf antworten konnte. »Ich setze heute meinen Kampf für süßen Wein fort. Ich habe eine andere Sorte als beim letzten Mal, aber diese Flasche stammt auch von meinem Gut. Ich finde, diese Sorte passt besonders gut zu Käseplatten.« Er griff nach einem Weinglas. »Darf ich dir einschenken? Oder willst du erst bei der Limonade bleiben?«

Neele leerte ihr Glas und stellte es dann zur Seite. »Ich nehme den Wein. Ich spiele gerne Versuchskaninchen für dich. Und das nicht nur, weil mir der Wein beim letzten Mal so gut geschmeckt hat.«

Während Konstantin ihnen beiden einschenkte, griff Neele nach ihrer Handtasche und holte eine kleine Pillendose hervor. Sie hatte immer einen kleinen Vorrat an Laktase-Tabletten dabei, falls sie unterwegs etwas essen wollte, was Milchprodukte enthielt. Auch wenn sie üblicherweise Käse gut vertrug, wollte sie angesichts der großen Auswahl auf Nummer sicher gehen. Nichts wäre ihr unangenehmer, als am Ende dieses Dates mit Bauchkrämpfen und üblen Gerüchen auf der Toilette ihres Gastgebers festzuhängen.

Konstantin hob sein Glas mit Wein. »Auf den süßen Wein.«

Kichernd hob Neele ebenfalls ihr Glas. »Auf dass dir die Bekehrung der Deutschen gelingen möge.«

Tief atmete sie das Aroma des Weins ein, dann nahm sie einen kleinen Schluck, den sie sich genüsslich auf der Zunge zergehen ließ. Während die süße Flüssigkeit ihren Hals runter rann, spürte Neele Appetit in sich aufkommen. Als wäre der Wein ein Schlüssel, öffnete sich plötzlich in ihr eine Tür, hinter der Lust auf Käse lag.

Mit großen Augen stellte sie das Glas zurück. »Eines gebe ich direkt zu: Dieser Wein scheint gemacht für Käseplatten.«

»Nicht wahr?« Konstantin nickte begeistert, während er nach einem Messer griff. Anstatt sich jedoch etwas abzuschneiden, nutzte er es, um auf jeden Käse zu zeigen und ihr zu erklären, welche Sorte das war und welche Eigenschaften sie erwarten konnte.

Als er schließlich endlich fertig war, lief Neele schon das Wasser im Mund zusammen. Beherzt schnitt sie sich von drei Sorten ein Stück ab, griff nach einer Scheibe Brot und nahm einen Kleks Marmelade. Kurz breitete sich Schweigen aus, während beide sich ganz auf den Genuss des Käses konzentrierten.

Nach dem der erste Appetit gestillt war, nahm Neele einen alten Gesprächsfaden wieder auf. »Du hattest vorhin erwähnt, dass du zuletzt nicht mehr so viel von deinem Vater gehalten hast.«

»Ah«, kam es sofort von Konstantin, »du meinst, bevor du mir vorgeworfen hast, ein verzogenes Trust-Fund-Baby zu sein?«

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. »Wir können gerne noch einmal unsere Auseinandersetzung von Vorhin wiederholen. Mit etwas Wein und Käse im Magen bin ich bereit für die Schlacht.«

Lachend hob Konstantin beide Hände. »Hab Erbarmen, Neele. Ich weiß, dass ich keine Chance gegen dich hätte.«

Absichtlich langsam griff sie nach ihrem Weinglas und hob es an ihre Lippen. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, nahm sie einen Schluck. Ebenso langsam stellte sie ihr Glas zurück und wischte sich mit dem Daumen einen letzten Tropfen Wein von den Lippen. »Gut.«

Amüsiert beobachtete Neele, wie der Hüne von Mann vor ihr mitten in seiner Bewegung verharrte und sie nur mit offenem Mund anstarrte. Als Reaktion zog sie bloß eine Augenbraue hoch und widmete sich dann wieder ihrem Käse, ohne ihm weiter Beachtung zu schenken. Angestrengt kämpfte sie darum, einen neutralen Gesichtsausdruck zu wahren. Sie hatte das Bedürfnis, breit zu grinsen. Ein ungewohntes Hochgefühl hatte von ihrem Innern Besitz ergriffen, das sie nur mit Mühe nicht nach außen scheinen ließ.

Sie hatte es immer genossen, sich von Männern dominieren zu lassen. Viele Männer waren nicht so groß wie sie und vielleicht gerade deswegen liebte sie es, wenn ihr Partner die Kontrolle übernahm und sie unterwarf. Aber diese innere Spannung, dieses Gefühl, alles zu kriegen, was sie wollte, war auf einem ganz anderen Level. Vielleicht hatte sie sich immer geirrt und war in Wirklichkeit gar nicht unterwürfig. Vielleicht lag es ihr viel mehr, die Macht zu haben und die Kontrolle zu übernehmen.

Und diese kurze, aber so instinktive Reaktion von Konstantin sagte ihr, dass er für solche Spielchen auch zu haben sein könnte.



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