7 | Konfrontation
Auf ihrer Unterlippe kauend starrte Neele auf ihr Handy. Bevor sie sich heute erneut mit Konstantin treffen würde, wollte sie noch einmal den Chatverlauf mit ihm durchgehen. Alles, was sie ihm erzählt hatte, jede Lüge, musste sitzen.
Ihr Blick flog über die Zeilen, während sie beständig scrollte. Es war erstaunlich, wie leicht es ihr gefallen war, über Textnachrichten mit ihm zu flirten. Wenn sie abends nach der Arbeit alleine auf ihrem harten Bett lag, konnte sie sich ganz darauf konzentrieren, was sie ihm schrieb. Keine breiten Schultern, die sie ablenkten. Keine strahlend blauen Augen, die ihr bis auf den Grund der Seele zu schauen schienen.
Und gleichzeitig konnte sie sich die Zeit nehmen, die sie brauchte, um eine passende Antwort zu finden. Ihr Ziel war es, ihn um den Finger zu wickeln, damit sie an etwas kam, was ihn als Mörder überführen könnte. Im Schutz der langsamen Textnachrichten konnte sie über jedes Wort nachdenken, gezielt flirten, ohne für eine Sekunde zu vergessen, was ihre Mission war.
Flirten konnte Konstantin gut. Trotz ihrer Entschlossenheit hatte sie sich in den vergangenen zwei Wochen mehr als einmal dabei erwischt, über seine Nachrichten zu kichern und dann rot anzulaufen, als ihr bewusst wurde, was sie da tat. Wenn sie jetzt den Chatverlauf noch einmal durchlas, dann konnte sie sich nur selbst auf die Schulter klopfen. Hier war nichts zu sehen außer eine Frau, die ohne Vorbehalte auf das Geplänkel des Mannes einging.
Ihr Blick fiel auf den kleinen Wecker auf ihrem Nachttisch. Es war fast ein Uhr. In einer Viertelstunde würde Markus sie abholen, um sie zu von Falkenburg zu fahren. Wie zuvor würde er etwa einen Kilometer entfernt auf einem kleinen Parkplatz am Straßenrand halten, um sie rauszulassen, so dass sie zu Fuß und vor allem alleine am Haus auftauchen würde. Anders als zuvor würde er aber nicht auf sie warten, sondern zurückfahren.
Sie hatte darauf bestanden. Es war der einzige Punkt in ihrem Plan, bei dem sie bis zum Schluss gestritten hatten. Markus wollte in ihrer Nähe sein, falls doch etwas schief ging. Neele hatte darauf beharrt, dass er kaum stundenlang in der Sommerhitze in seinem Auto sitzen konnte, und am Ende hatte ihre Logik gesiegt. Sie würde sich von Konstantin ein Taxi rufen lassen, wenn sie nach Hause wollte.
Langsam erhob sie sich vom Bett und griff das Kleid, das sie sich für heute rausgehängt hatte. Es war ein gelbes Sommerkleid mit Blumenmuster, dass ihren im Sommer leicht gebräunten Hautton wunderbar unterstrich. Obenrum saß es eng, während der Rock locker um ihre Knie flatterte. Markus hatte ihr oft genug gesagt, dass Männer solche Kleider liebten, und heute wollte sie schwere Geschütze auffahren. So, wie Konstantin sie mit seinem Aussehen ablenkte, wollte sie, dass er ebenso von ihr abgelenkt war.
Sie war mit ihrem zu dünnen Körper vielleicht kein Ausbund an Weiblichkeit, aber wenn sie wollte, konnte sie sich elegant geben. In den Sandaletten mit Absatz wäre sie zudem fast auf Augenhöhe mit Konstantin, was, so hofft sie, ihn zusätzlich aus der Bahn werfen würde.
Mit einem letzten selbstsicheren Grinsen schnappte sie sich ihre Handtasche und trat aus der Wohnungstür. »Auf in den Kampf«, flüsterte sie sich selbst zu.
***
Pünktlich um halb drei klingelte sie an Konstantins Tür. Die Luft um sie herum flirrte in der Sommerhitze. Eine beinahe unwirkliche Stille umgab das Haus. Als würde hier nichts leben. Als würde das Haus jeden noch so kleinen Versuch an Lebendigkeit unterdrücken. Ein Schweißtropfen lief ihr den Rücken hinunter. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie dieses Mal wirklich alleine hier war, ohne Markus im Hintergrund. Wenn es nur nicht so heiß wäre. Und so still.
Angespannt leckte sie sich über die Lippen und klingelte erneut. Was dauerte da so lange? Ihr Puls beschleunigte sich. Tappte sie gerade sehenden Auges in eine Falle? Hatte Konstantin irgendwie rausgefunden, wer sie wirklich war und was sie plante? Vielleicht hatte er sie beobachten lassen und gesehen, dass sie sich mit Markus getroffen hatte.
Die Stille war beinahe ohrenbetäubend. Nicht ein Windhauch ließ die Bäume rascheln, kein Insekt zirpte in der Ferne, kein Vogel sang. Es gab nichts außer das riesige Haus, die Sandstraße, die zum Eingang führte, und die Sonne, die unbarmherzig auf sie hernieder schien.
»Neele!«
Erschrocken trat sie einen Schritt zurück. Die Tür vor ihr hatte sich plötzlich geöffnet und Konstantin stand vor ihr, ein Lächeln auf dem Gesicht, als wäre alles normal.
Angestrengt blinzelte sie ihr Misstrauen weg und zwang sich, das Lächeln zu erwidern. »Konstantin. Für einen Moment hatte ich befürchtet, dass keiner zuhause ist.«
Er trat zur Seite und bedeutete ihr reinzukommen. »Ah, das tut mir leid. Ich war gerade dabei, auf der Terrasse die letzten Handgriffe anzulegen, da habe ich das Klingeln fast nicht gehört.«
Neele fuhr sich einmal locker durch ihr offenes Haar, während sie tief die kühle Luft in der Eingangshalle einatmete. »Ich dachte schon, ich verwandele mich in eine Rosine, so trocken und heiß ist es draußen vor deinem Haus.«
»Das ist definitiv ein Nachteil im Sommer, die Tür schaut direkt gen Süden und der Sandweg mit der Steinwand des Hauses sorgen dafür, dass die Temperaturen noch ein weniger höher steigen als anderswo.« Er legte ihr sanft eine Hand auf den unteren Rücken. »Komm, ich habe auf der Terrasse kühle Limonade für dich. Von meiner Köchin selbst zubereitet.«
Kopfschüttelnd ließ sie sich den gewohnten Weg durchs Haus hinaus auf die Terrasse führen, wo im Schatten eines großen Sonnenschirms ein Kelch auf dem Tisch stand. »Ich gebe zu, ich komme nicht drauf klar, dass du eine Köchin hast. Machst du nichts selber?«
Konstantin griff sich an die Brust und torkelte zwei Schritte nach hinten. »Wow, das tat weh, Neele. Wie kannst du mir so eine tiefe Wunde zufügen, nachdem du nicht einmal fünf Minuten hier bist?«
Für eine Sekunde fühlte sie sich schlecht und wollte schon eine Entschuldigung aussprechen, da bemerkte sie das Zucken seiner Mundwinkel. Mit übertriebener Empörung setze sie nach: »Ich sollte diejenige sein, die verletzt ist. Von der ersten Sekunde an reibst du mir unter die Nase, wie reich du bist. Willst du mich armes Arbeiterkind des Platzes verweisen?«
Sie reckte ihr Kinn vor und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie ihm direkt in die Augen sah. Es war definitiv eine gute Entscheidung gewesen, höhere Absätze zu wählen. Die paar Zentimeter, die sie jetzt noch von seiner Größe trennten, waren unbedeutend. Sie konnte sie seinen Blick halten, ohne sich den Hals zu verrenken.
Für mehrere Herzschläge schauten sie sich beide nur herausfordernd in die Augen. Dann verwandelte sich das Zucken der Mundwinkel in ein herzhaftes Lachen von Konstantin. »Du hast gewonnen, Neele. Und wenn du es so genau wissen willst, ich kann tatsächlich kochen. Nur nicht so gut wie eine Köchin, die das Handwerk gelernt hat. Und ich mag es, gut zu essen.«
Er griff nach dem Kelch und schenkte ihnen beiden ein Glas ein. Neugierig nahm Neele ihres und roch an der Limonade. Im Kelch konnte sie Zitronenscheiben und Minze sehen. Vorsichtig probierte sie einen Schluck. »Woah«, entfuhr es ihr unwillkürlich und sie nahm noch einen größeren Schluck. »Okay, wenn ich jemanden kennen würde, der so gute Limo macht, würde ich auch nie wieder selbst welche machen!«
»Hah«, machte Konstantin, »so schnell ändert das arme Arbeiterkind seine Meinung, mh?«
Neele leerte gierig das halbe Glas, ehe sie zu einer Antwort fähig war. »Ich gebe zu, Reichtum hat seine Vorzüge. Aber ganz überzeugt bin ich noch nicht.«
Mit einer fließenden Bewegung stellte Konstantin sein Glas zurück auf den Tisch und hielt ihr dann seinen Arm hin. »Dann gib mir eine Chance, dich zu überzeugen.«
Verunsichert leerte Neele ihr Glas und stellte es ebenfalls ab. »Überzeugen?«
Mit glänzenden Augen schaute er sie an. »Nachdem wir letztes Mal nur hier saßen und geredet haben, dachte ich, dass ich dir heute ein wenig von meinem Grundstück zeige. Wie du rechts siehst, haben wir hier einen schönen kleinen Wald, in dem es im Sommer angenehm kühl ist. Was hältst du von einem Spaziergang?«
Lächelnd hakte sie sich bei ihm ein und nickte zustimmend. Sie schmiegte sich enger als nötig an ihn an und presste seinen Oberarm gegen ihre Brüste. Als er sie mit hochgezogener Augenbraue von der Seite ansah, grinste sie ihn breit an. »Ich bin heute zu allen Schandtaten bereit, die du dir für mich ausgedacht hast.«
Gebannt beobachtete sie, wie er sich über seine Lippen leckte. Wie sein Adamsapfel sich bewegte, als er einmal mühsam schluckte. Wie sein Blick ihren studierte und dabei kurz zu ihren Lippen huschte. Dann räusperte er sich und setzte sich in Bewegung. »Na, wenn das eine Herausforderung sein soll, nehme ich die gerne an.« Mit diesen Worten führte er sie weg vom Haus und über einen erdigen Pfad an der Wiese entlang zu dem Waldstück, auf das er zuvor gedeutet hatte.
Im Schatten der Bäume angekommen merkte Neele, dass die Luft hier tatsächlich viel angenehmer war. Nicht nur spürbar kühler, sondern auch leichter.
Als sie das ansprach, nickte Konstantin. »Ganz richtig. Ich hatte, ehrlich gesagt, vorgehabt, den Wald zu entfernen, als ich das Haus geerbt habe, aber dieser Sommer hat mir gezeigt, wie wertvoll er ist. Also lasse ich die Bäume stehen.«
Neele löste sich von ihm, um sich hinzuknien und eine Blume zu pflücken. »Du wolltest alle Bäume fällen? Warum?«
Vorsichtig steckte sie sich die gelbe Blume ins Haar und schaute zu Konstantin auf, der ihr noch keine Antwort gegeben hatte. Die Hände in den Taschen seiner schwarzen Stoffhose vergraben blickte er in die Ferne. Neele richtete sich wieder auf und stellte sich vor ihn. »Falls das eine dumme Frage war, musst du auch nicht antworten.«
Jetzt schaute er ihr direkt in die Augen und was Neele darin sah, überraschte sie. Er wirkte plötzlich so ernst und beinahe verschlossen. Doch ehe sie dazu etwas sagen konnte, wurde sein Blick wieder weicher und er fuhr ihr mit einer Hand über den Oberarm. »Das war keine dumme Frage. Ich hab sie ja selbst provoziert mit meiner Aussage. Aber ich wollte auch nicht die Stimmung verderben.«
Irritiert trat Neele näher an ihn ran. »Stimmung verderben?«
»Ich glaube, ich bin manchmal einfach noch ein trotziges Kind«, begann er zu erklären. Mit langsamen Schritten setzte er den Spaziergang fort. »Mein Vater hat diesen Wald geliebt, also wollte ich ihn weghaben. So wie alles im Haus.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung zu der Villa, die immer mehr hinter den Bäumen verschwand.
»Mochtest du deinen Vater nicht?« Neele hatte nicht damit gerechnet, so schnell auf ein so interessantes Thema zu kommen. Ein Teil von ihr fühlte sich schlecht, weil es offensichtlich war, dass Konstantin lieber nicht darüber reden wollte, aber sie konnte sich diese Chance nicht entgehen lassen.
»Es war weniger das«, erwiderte Konstantin zögerlich. »Wir hatten in den letzten Jahren oft... Meinungsverschiedenheiten. Unsere Familie war schon immer reich und mit sinnvollen Investitionen kann man Reichtum halten, ohne viel arbeiten zu müssen. Aber meinem Vater war das nicht genug.«
Nachdenklich legte Neele den Kopf schräg. Sie hatte nie gehört, dass irgendein von Falkenburg irgendeiner bedeutenden Arbeit nachgegangen war. Natürlich wusste jeder spätestens seit dem Prozess im letzten Jahr, dass Konstantin ein Weingut besaß und sich als Weinhändler betätigte, aber das hatte auf sie eher immer wie das Hobby eines reichen, verwöhnten Adelsspross gewirkt.
»Wie meinst du das?«, hakte sie schließlich nach, als ihr aufging, dass Konstantin nicht weitersprach.
»Wir haben viel darüber gestritten. Deswegen bin ich vor vier Jahren nach Frankreich gegangen, um mir dort was Eigenes aufzubauen. Ich wollte unabhängig sein von ihm.«
»Das Weingut.« Neele hatte das Gefühl, dass noch mehr hinter seinen Worten steckte, aber sie wusste nicht, wie sie daran kommen sollte. »Aber ist das wirklich völlig deins?«
Abrupt blieb Konstantin stehen und drehte sich zu ihr um. »Wie meinst du das?«
»Naja, ohne das Geld deines Vaters hättest du dir das Weingut vermutlich nicht einfach kaufen können, oder?« Die Worte waren gesprochen, ehe ihr Gehirn registrieren konnte, was sie da wirklich sagte. Doch bevor sie die Chance hatte, irgendetwas zu beschwichtigen, sah sie schon, wie Konstantins Augen hart wurden.
»Ah«, kam es von ihm, »das ist natürlich richtig. Weil ich reiche Eltern habe, ist nichts, was ich mir erarbeitet habe, wirklich meins.«
Er verschränkte seine muskulösen Arme vor der Brust und starrte sie an. Obwohl sie dank ihrer Schuhe fast so groß war wie er, kam sich Neele plötzlich ganz klein vor, als würde er auf sie herabschauen. Warum mussten ihr auch immer so scharfe Worte rausrutschen? Gleichzeitig spürte sie aber auch Wut in sich aufsteigen. Was sie gesagt hatte, war nur die Wahrheit.
Schnaubend stemmte sie beide Hände in die Hüften. »Oh, komm schon, Konstantin. Kannst du das abstreiten? Weißt du wirklich, wie es ist, wenn man sich alles selbst erarbeiten muss? Ich hab neben dem Studium jobben müssen, weißt du, wie scheiße das ist? Meine Eltern hatten keine Ahnung, wie eine Uni funktioniert, das musste ich alles alleine rausfinden. Ich hab mein Studium abgeschlossen und trotzdem kann ich mich finanziell nur gerade so über Wasser halten. Du hast keine Ahnung, wie es ist, wirklich alles selbst machen zu müssen.«
Neele brach ab und holte tief Luft. Sie könnte ewig weitermachen und aufzählen, wie hart sie für alles hatte kämpfen müssen, aber jemand wie Konstantin von Falkenburg würde das nie verstehen. Niemand, der mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde, verstand wirklich, was es hieß, arm zu sein.
»Glaubst du, dass Reichtum alles löst?«, fauchte Konstantin sie plötzlich an. Als hätte er sich aus seinem kalten Starren gelöst, stand jetzt Feuer in seinen Augen, als er mit ausholenden Handbewegungen weitersprach. »Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn man sich etwas selbst erarbeitet, da hast du ganz recht. Vielleicht ist das schwer. Aber weißt du, was auch schwer ist? Wenn man sich nichts erarbeiten kann, weil alles schon da ist. Nichts hat Bedeutung, weil das Geld trotzdem immer da sein wird. Ob ich gut in etwas bin oder nicht, ist egal, weil ich einfach Leute bezahlen kann, die es besser können. Du hast keine Ahnung, wie sich das anfühlt!«
Mit offenem Mund blickte Neele ihn an. Die Wut, die sie so heiß in ihrem Bauch spürte, spiegelte sich in seinen Augen. Als würde in ihm ein Feuer schwelen, das nur darauf wartete, wie ein Vulkan auszubrechen und alles um ihn herum zu versengen. Schwer atmend starrte sie zu ihm hinauf, während sie darauf wartete, dass er etwas sagte.
Doch Konstantin schien genauso verstummt zu sein wie sie. Als könnte er die Wut in ihren Augen genauso lesen wie sie die in seinen. Als würde er genauso spüren, wie viel mehr in ihrem Inneren noch schwelte.
Gefangen in dem Moment blickten sie sich nur an, Zentimeter von einander entfernt, die Stille nur durchbrochen von ihrem lauten Atmen. Sie registrierte, wie seine Kiefer sich hart aufeinander pressten. Wie die Muskeln seiner breiten Schultern sich mit jedem Atemzug bewegten. Wie seine vollen Lippen leicht geöffnet waren. Wie sein Blick auf ihre Lippen fiel.
Die Welt schien zu kippen. Den einen Moment starrte sie wütend zu ihm hinauf, und im nächsten Moment spürte sie plötzlich seine Hände in ihren Haaren und auf ihrem Rücken, seine Lippen auf ihren, seinen trainierten Oberkörper, der sich eng an sie presste. Wie ein ausgehungertes Raubtier schien er sie verschlingen zu wollen.
Und während die Welt kippte, verwandelte sich all ihre Wut in Lust und mit einem gierigen Stöhnen erwiderte sie den Kuss.
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